Electronic Monitoring: Hausarrest im Selbstversuch

Die elektronische Fussfessel gewinnt als alternative Vollzugsform und zur Durchsetzung behördlicher Auflagen zunehmend an Bedeutung. Doch wie fühlt sich Überwachung im Alltag an? Eine Mitarbeiterin hat den Selbstversuch gemacht: Eine Woche Hausarrest mit elektronischer Fussfessel.

Eine Person steht vor einem Fahrrad und trägt eine elektronische Fussfessel um den Knöchel.

Chancen und Grenzen des Electronic Monitoring

Freiheitsentzug als alleinige Sanktionsmassnahme für alle Straftaten hätte weitreichende und gravierende Konsequenzen – soziale Isolation, überfüllte Gefängnisse und immense Kosten für den Staat. Eine solche Praxis ist unvorstellbar. Doch der Verzicht auf Strafen ist auch keine Lösung. Daher bedarf es wirksamer Alternativen zu traditionellen Haftstrafen – eine davon ist das Electronic Monitoring (EM). Mit EM ist es möglich, den Aufenthaltsort und das Verhalten von Personen mittels elektronischer Fussfesseln zu überwachen – und so sicherzustellen, dass behördliche Auflagen eingehalten werden. Der grosse Vorteil: Die überwachten Personen bleiben in ihrem sozialen Umfeld und können weiterhin ihrer Arbeit oder ihrer Ausbildung nachgehen.

Mitarbeiter sitzt vor Computerbildschirm und sieht eine Karte, auf der das Bewegungsraster der überwachten Person eingetragen ist.
Electronic Monitoring überwacht per elektronischer Fussfessel Aufenthaltsort und Verhalten – und stellt sicher, dass behördliche Auflagen eingehalten werden. Quelle: JuWe / Daniel Winkler.

Electronic Monitoring kommt in verschiedenen Bereichen zum Einsatz, doch allen Anwendungen gemein ist, dass die überwachte Person einen EM-Sender – besser bekannt als elektronische Fussfessel – trägt. EM kann beispielsweise verwendet werden, um zu überprüfen, ob ein verordneter Hausarrest eingehalten wird. Hausarrest kann als Alternative zu Gefängnisstrafen angeordnet oder in der letzten Phase des Freiheitsentzugs eingesetzt werden, um die Rückkehr in den Alltag zu erleichtern. Wird EM anstelle einer Gefängnisstrafe angeordnet, muss die verurteilte Person eine Wohnung haben, ihre Arbeit, Ausbildung oder Kinderbetreuung fortsetzen. Zudem muss die Gefahr für weitere Straftaten sehr gering sein.

Eine Person liegt auf dem Sofa und hat eine Fussfessel um den Knöchel.
Beim Hausarrest überwacht ein Sender am Fuss das Einhalten eines Zeitplans. Verstösse können Sanktionen oder den Wechsel in den Freiheitsentzug nach sich ziehen. Quelle: JuWe / Daniel Winkler.

Beim Hausarrest trägt die betroffene Person in der Regel keinen GPS-Tracker zur Standortüberwachung, sondern einen funkfähigen Sender am Fussgelenk. Dieser Sender ist mit einem stationären Empfangs-gerät im eigenen Zuhause gekoppelt. Das Gerät registriert, wann die Person ihre Wohnung verlässt und zurückkehrt, wobei ein festgelegter Zeitplan bestimmt, wann das Verlassen der Wohnung erlaubt ist – beispielsweise für die Arbeit. Verlässt die Person die Wohnung ausserhalb dieser Vorgaben, erhalten die Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD) eine Benachrichtigung und prüfen den Verstoss. Wiederholte Regelverstösse oder das Entfernen der elektronischen Fussfessel können zu Sanktionen bis hin zum Wechsel in den regulären Freiheitsentzug führen.

Durch den Einsatz von Electronic Monitoring konnten im Kanton Zürich im Jahr 2024 insgesamt 7’235 Gefängnistage vermieden werden.

Alternative Vollzugsformen wie Electronic Monitoring gewinnen zunehmend an Bedeutung – nicht zuletzt, um Gefängnisse zu entlasten. Kein Wunder also, dass das Electronic Monitoring auch in der zweiten Staffel unseres Podcasts «Auf Bewährung: Leben mit Gefängnis» thematisiert wird. In der finalen Episode diskutieren JuWe-Fachexpertinnen und -experten mit Podcasthost Cheyenne Mackay und Zoe Küng, Projektleiterin des Podcasts, über den praktischen Einsatz der elektronischen Fussfessel und ihre Auswirkungen auf das Leben der Überwachten. Das Spannende: Cheyenne und Zoe haben den Selbstversuch gewagt und sich eine Woche lang im Hausarrest elektronisch überwachen lassen.

Im Hausarrest – Erfahrungen aus dem Selbstversuch

Es ist ein Donnerstagmittag im Februar, ich schaue aus dem Küchenfenster und sehe, wie ein mir bekanntes Gesicht die Treppen zu meiner Haustür hochsteigt. Es ist Milena, Fallverantwortliche bei den BVD. Sie klingelt, kommt herein, und nicht mal 15 Minuten später finde ich mich mit einer elektronischen Fussfessel an meinem Knöchel wieder. Das ist der Moment, in dem ich meine Neugier, die zu diesem Selbstexperiment führte, doch etwas bereue: Eine Woche lang folge ich einem Zeitplan, den ich vorab mit Milena vereinbart habe. In diesem Plan ist ganz genau geregelt, wann ich zuhause sein muss, wann ich zur Arbeit soll und wann ich am Wochenende nach draussen darf. Die wichtigsten Regeln: Montag bis Donnerstag muss ich zwischen 8 und 8.30 Uhr das Haus verlassen und zur Arbeit gehen, abends spätestens um 18.15 Uhr wieder zuhause sein. An meinem freien Tag sowie am Wochenende habe ich drei Stunden freie Zeit, jeweils von 13 bis 16 Uhr. Nur drei Stunden pro Tag? Mal sehen …

Bevor Milena geht und mich meinem neuen Schicksal überlässt, erklärt sie mir, dass mein Hausarrest ab 18.15 Uhr aktiviert ist und ich das Haus erst um 13 Uhr am Folgetag wieder verlassen darf. Dann ist sie auch schon weg und ich muss grinsen. Was habe ich mir hier eingebrockt? Der Bildschirm meines iPhones leuchtet auf: «Hey, wettsch morn abig ‹Babygirl› go luege?» Mit dieser Nachricht beginnt eine lange Woche gefüllt mit Plänen, die ich absagen muss, verwirrten Gesichtern meines Umfelds und einigen Regelverstössen gefolgt von Telefongesprächen mit meinem Fallverantwortlichen Stephan, in denen ich verzweifelt nach Erklärungen und Ausreden für meine Verstösse suche.

Aber der Reihe nach.

Es ist Freitag und ich habe heute frei. An diesem Tag tue ich eigentlich immer das, wonach mir gerade ist; manchmal bin ich sehr aktiv, manchmal hänge ich mehr oder weniger bis 16 Uhr zuhause rum und treffe mich dann mit Freundinnen. Beide Optionen stehen mir nun nicht mehr zur Verfügung, ich bin fremdbestimmt. Für mich, als sehr spontane Person, die fast nie vorausplant, ein sehr unangenehmes Gefühl. Und schon jetzt wird mir bewusst: EM ist eine Strafe. EM zwingt mich dazu, dass ich meine Woche plane, insbesondere am Wochenende Prioritäten setzen muss und meine sozialen Kontakte nur in stark reduzierter Form pflegen kann.

Eine Person, elektronische Fussfessel am rechten Fuss, steht für einem Velo.
EM schränkt spontane Freiheit stark ein: Wer überwacht wird, muss planen, Prioritäten setzen – sich auf wesentliche soziale Kontakte konzentrieren. Quelle: JuWe / Daniel Winkler.

Den ersten Tag meistere ich erfolgreich, ich nutze die drei Stunden am Nachmittag und gehe raus, komme dann auf dem Nachhauseweg aber ziemlich in Stress, da ich im Stau stehe. Die kleine schwarze Box – das EM-Empfangsgerät, das Milena bei mir zuhause eingerichtet hat und das meine An- und Abwesenheiten prüft – zeigt schliesslich peinlich genau an, dass ich zwei Minuten zu spät bei mir eingetroffen bin. Mal sehen, ob das Stephan bemerkt.

Die Herausforderung des Wochenendes

Ganz so erfolgreich wie am Freitag bin ich dann für das restliche Wochenende nicht mehr. Kurz gesagt, ich versage auf ganzer Ebene. Das entgeht natürlich auch meinem Fallverantwortlichen nicht, weshalb ich am Montag kurz nach 8 Uhr schon einen Anruf von ihm bekomme. Er erinnert mich an die Vollzugsvereinbarung, die ich vorab unterzeichnet habe, und verlangt nach einer Erklärung, wieso ich gegen die Regel verstossen habe. Was meine Erklärung ist? Kurzum: Ich habe mich nicht an die Regeln gehalten, weil es eben nur ein Experiment ist. Meine Regelverstösse haben keine Konsequenzen wie etwa der Abbruch der EM-Anordnung oder die Umwandlung in eine Gefängnisstrafe. In Realität ist den überwachten Personen wahrscheinlich klar: EM ist die bessere Option, als ins Gefängnis zu gehen. Meine Ausgangslage ist eine andere und das ist ein zentraler Unterschied, den man stets im Hinterkopf behalten sollte. Dieser Selbstversuch gibt mir lediglich eine Idee davon, wie Hausarrest funktioniert, jedoch kann meine Situation nicht mit einer realen EM-Anordnung verglichen werden.

Nach dem Telefonat mit Stephan nehme ich mir fest vor, die Regeln konsequenter einzuhalten – und unter der Woche gelingt mir das auch. Während der Arbeitstage ist es relativ gut machbar. Die wahre Herausforderung für mich war das Wochenende, denn gerade dann spürte ich den Verzicht besonders stark: Während alle anderen ihren Tag frei gestalten können, bleiben einem selbst nur wenige Stunden, um alles ausser Haus zu erledigen, wofür unter der Woche die Zeit fehlt.

Auf dem Comupterbildschirm ist eine Liste mit Regelverstössen zu sehen, eine davon sind rot markiert.
Ein Blick auf den Monitor zeigt: Regelverstösse beim Electronic Monitoring werden genau erfasst – ein zentrales Instrument, um Auflagen zu überprüfen und gezielt reagieren zu können. Quelle: JuWe / Daniel Winkler.

Das Ende des EM-Selbstversuchs

Freitagmorgen, 8 Uhr. Eine Woche ist um und mein EM-Versuch ist beendet. Ich darf der kleinen schwarzen Box, die eine Woche lang über mich bestimmte, den Stecker ziehen. Der Sender war nur kurze Zeit an meinem Fuss und doch bin ich froh, ihn nun wieder los zu sein. Electronic Monitoring kann rechtlich gesehen für bis zu 12 Monate angeordnet werden und ich scheiterte schon an sieben Tagen. Von aussen betrachtet wirkt die elektronische Überwachung auf den ersten Blick vielleicht gar nicht wie eine Strafe – so ging es auch mir anfangs. Doch in dem Moment, als ich den Sender am Fuss trug, spürte ich sofort die Fremdbestimmung. Eine Fussfessel bedeutet, dass Spontanität verloren geht, die Freizeit stark eingeschränkt ist und das Umfeld sich anpassen muss. Gleichzeitig bewahrt sie einen davor, ins Gefängnis zu müssen.

EM ermöglicht es straffällig gewordenen Personen, ihre Strafe zu verbüssen, ohne aus ihrem Leben herausgerissen zu werden. Sie können ihren Job und ihre Wohnung behalten, ihre Beziehungen aufrechterhalten – und bleiben so in der Gesellschaft verankert, anstatt mühsam wieder zurückfinden zu müssen. Für den Staat und die betroffene Person bedeutet das weniger Hürden und geringere Kosten bei der Wiedereingliederung. EM ist also beides: eine spürbare, reelle Sanktion und zugleich die Chance, eine Strafe zu verbüssen, ohne das eigene Leben pausieren zu müssen.

Das EM-Empfangsgerät steht auf einem Möbel, davor steht eine Pflanze.
Das Empfangsgerät registriert das Verlassen und Zurückkehren in die Wohnung nach festgelegtem Plan – Verstösse lösen eine Meldung aus. Quelle: JuWe / Daniel Winkler.

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