Wiedereingliederung endet nicht an der Schweizer Grenze

Viele ausländische Personen müssen nach der Verbüssung ihrer Strafe die Schweiz verlassen – oft unfreiwillig und ohne Perspektive. Im Pilotprojekt «Rückkehrberatung und Rückkehrorientierung im Justizvollzug» unterstützt JuWe Betroffene gezielt bei der Ausreise und Perspektivenplanung.

Frau hält einen Flyer zur Rückkehrberatung in der Hand.

Von der Haftstrafe zum Neuanfang: Ein Mann auf dem Weg zur zweiten Chance

Die Geschichte von Herrn R. ist eine von Verlust und Enttäuschung, aber auch von Perspektive und Neuanfang. R. ist in der Schweiz aufgewachsen und hat bosnische Wurzeln. An einem Punkt in seinem Leben begeht er eine Straftat und erhält dafür nebst einer Haftstrafe auch einen Landesverweis. Für ihn ist das ein Schock, da er Bosnien nur aus den Sommerferien kennt, nie dort gelebt hat und die Sprache nicht spricht. Die Vorstellung, dorthin auszureisen und sich ein neues Leben aufzubauen, überfordert ihn.

Mitarbeiterin hält im Gespräch mit einem Inhaftierten einen Flyer in der Hand.
Der Sozialdienst klärt mit den Betroffenen, was sie für einen erfolgreichen Neustart im Herkunftsland benötigen – von Ausbildung bis Familienkontakt. Quelle: JuWe / Daniel Winkler.

Mit der Rückkehrberatung und Rückkehrorientierung unterstützt JuWe Menschen wie R. und bereitet sie auf ihren Neustart im Herkunftsland vor. In Gesprächen entwickelt JuWe mit ihnen eine Perspektive und unterstützt sie frühzeitig bei der Planung und Organisation der Ausreise. Während des Straf- oder Massnahmenvollzugs werden ihnen Möglichkeiten aufgezeigt und Fähigkeiten vermittelt, wie sie sich im Herkunftsland ein neues, legales Leben aufbauen können. Diese intensive Auseinandersetzung mit der bevorstehenden Ausreise kann den Rückkehrwillen und die freiwillige Ausreise der betroffenen Personen fördern.

Der muslimische Seelsorger sitzt am Tisch. Auf dem Tisch liegt der Koran und er spricht mit einem Inhaftierten.
Seelsorge bietet Raum für Gespräche über Ängste und Sorgen – und hilft, die Rückkehr als Chance für einen neuen Lebensabschnitt zu begreifen. Quelle: JuWe / Kanton Zürich.

Rückkehrorientierung und Rückkehrberatung – eine Aufgabe im Verbund

«Das Realisieren ist das Wichtigste. Man muss realisieren, dass man ausgewiesen wird, und dann auch wirklich versuchen, danach zu handeln», sagte R. und tat genau das. Er war im Vollzugszentrum Bachtel (VZB) inhaftiert und meldete sich für die Rückkehrberatung an. Gemeinsam mit seiner Rückkehrberaterin vom Kantonalen Sozialamt sprach er über die bevorstehende Ausreise nach Bosnien, klärte offene Fragen und konnte schliesslich mit der finanziellen Starthilfe ein Projekt im Herkunftsland aufbauen. Herr R. hatte von Verwandten ein Stück Land in Bosnien geerbt und plante, dieses landwirtschaftlich zu nutzen. Er wollte Rinder züchten und Käse produzieren. Für ihn waren die Beratungsgespräche mit seiner Rückkehrberaterin eine wertvolle Unterstützung bei der Vorbereitung seiner Ausreise sowie der Planung seines landwirtschaftlichen Projekts in Bosnien.

Mit den Rückkehrberatungsgesprächen ist die Arbeit aber noch nicht getan. Durch den rückkehrorientierten Justizvollzug stellt JuWe sicher, dass auch alle anderen involvierten Stellen im Strafvollzug straffällig gewordene Personen mit einem Landesverweis, wie R., bestmöglich auf ihre Ausreise ins Herkunftsland unterstützen und vorbereiten.

Sozialdienstmitarbeiterin beratet einen Inhaftierten im Besuchsraum. Sie sitzen am Tisch.
JuWe unterstützt Menschen bei der Rückkehr ins Herkunftsland und hilft ihnen, neue Perspektiven für ein deliktfreies Leben zu entwickeln. Quelle: JuWe / Daniel Winkler.

So klärt der Sozialdienst der jeweiligen Institution gemeinsam mit den betroffenen Personen ab, was erforderlich ist, um im Herkunftsland gute Startchancen zu haben. Das kann eine auf das Heimatland zugeschnittene Aus- oder Weiterbildung sein, aber auch die Kontaktaufnahme mit Angehörigen vor Ort. Kurz: Der Sozialdienst prüft, was den Betroffenen mit auf den Weg gegeben werden kann, damit sie die bestmöglichen Chancen auf einen erfolgreichen Neustart im Herkunftsland haben.

Im Fall von R. wurde schnell klar, dass er im VZB in der Landwirtschaft mitarbeiten soll, um sich so wichtige Fähigkeiten anzueignen, die er später bei seinem eigenen Projekt nutzen kann. Ausserdem setzte er sich in der Bildung im Strafvollzug (BiSt) mit Themen wie Buchhaltung, Budgetplanung und Geschäftsführung auseinander. Und was ebenfalls noch anstand: R. musste mithilfe einer App Bosnisch lernen.

Nicht weniger wichtig und ein weiterer Bestandteil der Rückkehrorientierung ist die Seelsorge. Viele inhaftierte Personen erleben die bevorstehende Ausreise als emotional belastend, weil sie sich von ihrer vertrauten Umgebung und ihrem sozialen Netzwerk in der Schweiz trennen müssen. Die Seelsorge bot Herrn R. einen Raum, um über seine Ängste und Sorgen zu sprechen. Diese Gespräche halfen ihm, seine Gefühle zu verarbeiten und zu verstehen, dass die Rückkehr auch mit Chancen verbunden ist.

Rückkehrorientierung heisst also, dass alle involvierten Stellen, der Sozialdienst, der Arbeits- oder Ausbildungsbetrieb, die Seelsorge und die BiSt, an einem Strang ziehen und gemeinsam mit R. zusammenarbeiten müssen. Unser Erklärvideo zeigt dies anschaulich:

Neuanfang in Bosnien: Vom Gefängnis zur eigenen Käse-produktion und Rinderzucht

Im Fall von R. hatten sowohl er selbst als auch alle involvierten Stellen dasselbe Ziel vor Augen: die freiwillige Rückkehr und erfolgreiche Wiedereingliederung im Herkunftsland. Das führte schliesslich dazu, dass er im September 2022 bedingt aus dem Strafvollzug entlassen wurde und selbstständig nach Bosnien ausreisen konnte.

Einige Monate nach R.s Ausreise erhielten die Rückkehrberaterin und JuWe ein Update von ihm: Inzwischen konnte er bei einem älteren Landwirt ein Praktikum absolvieren, dessen Tiere übernehmen, den Stall ausbauen und schon herausfinden, was er für das weitere Gelingen seines Unternehmens benötigt. Für alle Mitarbeitenden, die mit R. während seiner Zeit in Haft arbeiteten, war es eine Bestätigung, zu sehen, dass ihm der Neuanfang in Bosnien gelungen ist.

Perspektiven vermitteln, Wiedereingliederung fördern und Kosten sparen

Die Geschichte von R. verdeutlicht, wie wichtig die Rückkehrorientierung und Rückkehrberatung im Strafvollzug für einen erfolgreichen Neuanfang sein können. Dank der frühzeitigen Auseinandersetzung mit der Ausreise und der Unterstützung aller Beteiligten konnte R. sich nicht nur auf die Rückkehr vorbereiten, sondern auch die Grundlage für ein neues Leben in Bosnien schaffen. Indem JuWe ausländische, straffällig gewordene Menschen bei ihrer Rückkehr ins Herkunftsland unterstützt und ihnen Perspektiven vermittelt, kommt JuWe seinem Auftrag der Wiedereingliederung auch im Ausland nach. Ausserdem können durch Beratungsgespräche und einen rückkehrorientierten Justizvollzug die Rückkehrmotivation und die freiwillige Ausreise betroffener Personen gefördert werden. Dies erleichtert nicht nur den Wegweisungsvollzug, sondern entlastet auch Haftplätze und spart Kosten ein.

Die Rückkehrorientierung und Rückkehrberatung ist ein Beispiel für sinnvolle, wirksame und kostensparende Politik, von der alle Beteiligten profitieren. Dieser Meinung ist auch der Zürcher Regierungsrat und beschloss deshalb, dass die Rückkehrberatung per Januar 2026 in den Regelbetrieb des Justizvollzugs überführt wird.

Seit dem Beginn des Pilotprojekts «Rückkehrberatung und Rückkehrorientierung im Justizvollzug» im Januar 2023 bis zum Juli 2024 konnten 22 ausländische Straftäterinnen und Straftäter, die Rückkehrberatungen in Anspruch nahmen, bedingt entlassen werden. Dadurch wurden Kosteneinsparungen von CHF 370’000 möglich. Die abschliessende Kosten-Nutzen-Analyse dieses Projekts wird nach Ende der Pilotphase im Dezember 2025 durchgeführt.

Kontakt

Medienstelle

Adresse

Hohlstrasse 552
Postfach
8090 Zürich
Route (Google)

Telefon

+41 43 258 34 32

Telefon

E-Mail

medien-juwe@ji.zh.ch