Neues Lernprogramm für Sexualstraftäter
Im Zuge der Reform des Schweizer Sexualstrafrechts vom Juli 2024 wurde das Lernprogramm DoLaS entwickelt. Es richtet sich an Personen, die eine Straftat im Bereich der sexualisierten Gewalt begangen haben, und soll nachhaltige Verhaltensänderungen fördern.
Mehr Prävention, mehr Schutz: Wie ein Lernprogramm Rückfälle verhindern soll
Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Grenzüberschreitungen hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Heute besteht ein breiter Konsens darüber, dass sexuelle Belästigung, grenzverletzendes Verhalten und sexuelle Gewalt in keiner Form akzeptabel sind – weder am Arbeitsplatz noch in der Öffentlichkeit oder in Beziehungen. Dieser Wandel spiegelt sich auch im Rechtssystem wider: Im Juli 2024 trat die erste umfassende Revision des Schweizer Sexualstrafrechts seit 1992 in Kraft. Die Reform stärkt den Schutz von Betroffenen und bringt neue rechtliche Grundlagen und Mittel mit sich.
Eine wesentliche Neuerung ist die Möglichkeit, Personen, die gegen die sexuelle Integrität anderer verstossen haben, zu einem Lernprogramm zu verpflichten. Dies gilt nicht nur für (teil-)bedingte Strafen, sondern auch bei Verurteilungen wegen sexueller Belästigung nach StGB Art. 189. Um diese Vorgabe umzusetzen, haben die Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD) des Kantons Zürich das deliktorientierte Lernprogramm für angepasstes Sexualverhalten, kurz DoLaS, entwickelt, das seit Januar 2025 zur Verfügung steht.
Jeder sexuelle Übergriff ist einer zu viel
Im Jahr 2024 gab es in der Schweiz laut polizeilicher Kriminalstatistik 9’386 Verbrechen gegen die sexuelle Integrität, davon 1’086 Vergewaltigungen. Das ist eine Zunahme von 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2024). Ein Teil dieser Zunahme lässt sich mit der im Juli 2024 erfolgten Änderung im Sexualstrafrecht und dem veränderten Grundstraftatbestand erklären: Neu werden gewisse Delikte als Vergewaltigung erfasst, die früher in den Bereich der sexuellen Nötigung fielen. Die Statistik zeigt dennoch: Schwere Gewalt- und Sexualstraftaten nehmen schweizweit zu, wobei die Dunkelziffer noch deutlich höher liegt, da viele Straftaten erst gar nicht zur Anzeige gebracht werden. Nur rund 10 Prozent der Opfer sexueller Gewalt erstatten eine Anzeige, und lediglich 8 Prozent wenden sich an die Polizei (Quelle: gfs.bern, Befragung sexuelle Gewalt, 2019).
«Viele straffällig gewordene Menschen wollen kein Delikt mehr begehen, doch Strafe und guter Wille allein verhindern keine Rückfälle. Es ist nötig, das Verhalten zu reflektieren und neue Gewohnheiten zu entwickeln. Genau hier setzen Lernprogramme an.»
Mirjam Schlup, Amtsleiterin
Neues Lernprogramm schafft eine zusätzliche Behandlungsmöglichkeit
Die Reform des Sexualstrafrechts bringt einen entscheidenden Schritt in der Prävention: Personen, die gegen die sexuelle Integrität einer anderen Person verstossen haben, können nun zur Teilnahme an einem Lernprogramm verpflichtet werden. Diese Massnahme betrifft jene Straftäterinnen und Straftäter, die entweder wegen sexueller Belästigung verurteilt wurden oder eine (teil-)bedingte Strafe erhalten haben. In der sogenannten Probezeit bei (teil-)bedingten Strafen sollen sie ihr Verhalten reflektieren und nachhaltig ändern.
Lernprogramme sind dabei kein Ersatz für bestehende Sanktionen, sondern ergänzen diese. Als neue Behandlungsmöglichkeiten sollen sie Verhaltensänderungen fördern und Rückfälle verhindern. Viele Straftäterinnen und Straftäter, sind sich ihrer Taten bewusst und haben die Absicht, sich zu bessern, doch oft reicht die Strafe allein nicht aus, um tatsächliche Verhaltensänderungen herbeizuführen. Damit ein straffreies Leben gelingen kann, ist es notwendig, neue Gewohnheiten zu entwickeln und das begangene Fehlverhalten zu reflektieren.
Die Zürcher Lernprogramme setzen genau an diesem Punkt an. Sie bieten den Teilnehmenden die Möglichkeit, ihr Verhalten zu reflektieren und präventive Kompetenzen zu entwickeln. Damit leisten die Lernprogramme einen wichtigen Beitrag dazu, dass straffällige Personen nicht nur bestraft, sondern auch in die Lage versetzt werden, ein straffreies Leben zu führen.
Verhalten ändern, aber wie?
Wie alle Lernprogramme setzt auch DoLaS auf einen strukturierten, dreiphasigen Aufbau. Der erste Schritt ist die Abklärung, bei der geprüft wird, ob eine Person für das Programm geeignet ist. Diese Abklärung dient auch der ersten Kontaktaufnahme und ist entscheidend für den Erfolg des Programms, da sie Vertrauen schafft und ablehnendes Verhalten in Motivation umwandeln kann. Das Programm richtet sich ausschliesslich an Erwachsene, die Delikte gegen die sexuelle Integrität oder sexuelle Belästigung begangen haben und bereit sind, ihr Verhalten zu reflektieren. Nicht geeignet sind Personen, bei denen Hinweise auf eine schwere psychische Erkrankung vorliegen, die im Rahmen eines Lernprogramms nicht wirkungsvoll behandelt werden kann und daher einen nachhaltigen Lernprozess verhindert (z. B. sexuelle Präferenzstörung, Schizophrenie, Manie, akute Suchtproblematik, Suizidalität). Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen benötigen psychiatrische oder psychologische Behandlung.
Ist eine Person für das Programm geeignet, folgt die Teilnahme im Gruppen- oder Einzelsetting. Gruppensitzungen finden an 16 Abenden zu je zweieinhalb Stunden statt, Einzeltermine sind flexibel auf die Lebensumstände der Teilnehmenden abgestimmt und umfassen eine Gesamtzeit von 15 bis 20 Stunden. In den Sitzungen lernen die Teilnehmenden unterstützt durch ein Unterrichtsbuch und weitere Lehr-mittel ihr Verhalten zu verstehen, Ziele für eine deliktfreie Zukunft zu setzen, Rückfallstrategien zu entwickeln und Risikosituationen zu identifizieren. Nach Abschluss der Sitzungen folgen drei Nachkontrollgespräche im Abstand von jeweils drei Monaten, um den Lernerfolg zu überprüfen und die Verhaltensänderungen weiter zu stabilisieren.
Diese strukturierte Vorgehensweise basiert auf jahrelanger Erfahrung und wissenschaftlicher Überprüfung anderer Lernprogramme, wie beispielsweise dem bewährten Lernprogramm PoG – Partnerschaft ohne Gewalt.
«Nach ihrer Teilnahme am Lernprogramm DoLaS sollen Sexualstraftäter und Sexualstraftäterinnen einen Notfallplan im Gepäck haben, mit dem sie Risikosituationen deliktfrei bewältigen können. So sollen Rückfälle verhindert und die sexuelle Integrität anderer Menschen noch besser geschützt werden.»
Martin Schiesser, Projektleiter und Entwickler von DoLaS
Kostengünstige Programme mit niedrigen Rückfallraten
Das Lernprogramm PoG ist eines von zehn Programmen der BVD und aufgrund der intensiven Medien-berichterstattung sowie der hohen Deliktzahlen im Bereich häusliche Gewalt vermutlich das Bekannteste. Eine Evaluation der Abteilung Forschung & Entwicklung von JuWe hat gezeigt, dass Personen, die dem Lernprogramm PoG zugewiesen wurden, ein um 80 Prozent geringeres Rückfallrisiko haben als Personen, die nicht zugewiesen wurden. Auch aus finanzieller Sicht sind solche Programme für den Staat und somit für die Steuerzahler interessant: Aufgrund der berichteten Rückfallraten und der damit verbundenen geschätzten Kosten der häuslichen Gewalt zeigt die Evaluation für das Lernprogramm PoG ein Kosten-Nutzen-Verhältnis von etwa CHF 1 zu CHF 7 aus. Das bedeutet, dass für jeden investierten Franken sechs Franken eingespart werden können.
Diese Ergebnisse bestärkten die Entscheidung, das neue Lernprogramm DoLaS nach ähnlichen Ansätzen zu gestalten wie bereits etablierte JuWe-Lernprogramme. In der Pilotphase sollen wertvolle Erkenntnisse zu erfolgskritischen Aspekten gewonnen werden, die dazu beitragen, das Programm weiter zu optimieren und langfristig zu etablieren.
Seit 2000 bieten die Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD) des Kantons Zürich Lernprogramme an, die das Rückfallrisiko straffälliger Personen senken sollen. Mitte der 90er-Jahre stellte der Sozialdienst der Justizdirektion fest, dass gezielte Interventionen zur Rückfallprävention fehlten, insbesondere bei Strassenverkehrsdelikten. Da es zu dieser Zeit in der Schweiz keine geeigneten Programme gab, entschloss sich Zürich, eigene Programme zu entwickeln. Diese Initiative wurde von 1999 bis 2003 vom Bundesamt für Justiz unterstützt.