Modernisierung der Untersuchungshaft

Inhaftierte Person trainiert auf dem Gefängnishof an einem Fitnessgerät.

Das oberste Ziel der Untersuchungs- und Sicherheitshaft ist die Sicherung des Strafverfahrens. Der Kanton Zürich hat mit zahlreichen Massnahmen die Haftbedingungen in der Untersuchungshaft angepasst, um der Unschuldsvermutung besser Rechnung zu tragen. Erfahren Sie mehr über die Untersuchungshaft und die Reformen.

Nicht restriktiver als nötig

Besteht ein dringender Tatverdacht, ordnet das Zwangsmassnahmengericht Untersuchungshaft an. So können die Strafverfolgungsbehörden verhindern, dass die verdächtigte Person flieht, erneut straffällig wird, sich mit anderen Beteiligten abspricht oder Beweismittel manipuliert. In der Untersuchungshaft herrschten lange restriktive Bedingungen – und dies trotz der Unschuldsvermutung.

Seit 2017 wird die Untersuchungshaft im Kanton Zürich nach und nach reformiert. Einerseits muss selbstverständlich das Strafverfahren gesichert sein, anderseits sollen den inhaftierten Personen keine unnötigen Restriktionen auferlegt werden. Die moderne Untersuchungshaft setzt sich zum Ziel, die Ressourcen der inhaftierten Personen zu schützen und schädliche Auswirkungen der Haft möglichst zu verhindern. 

Normalisieren und Fördern

Früher konnten sich die inhaftierten Personen in der Untersuchungshaft eine Stunde lang ausserhalb der Zelle bewegen, heute sind es bis zu acht Stunden. Der sogenannte Gruppenvollzug ermöglicht es den inhaftierten Personen, den Tag im Gefängnis freier zu gestalten. So können die Betroffenen einen grossen Teil des Tages mit Beschäftigungen wie Sport oder Arbeit ausserhalb der Zelle verbringen. Auch Bildungsangebote gehören zur Tagesstruktur.

Während früher Besuche von Angehörigen oder Bekannten nur tagsüber möglich waren, geht dies heute auch abends und am Wochenende. Eine weitere Möglichkeit der Kontaktpflege mit der Aussenwelt ist die Videotelefonie, sofern die Staatsanwaltschaft dies bewilligt.

Auf dem Bild zu sehen ist ein Spazierhof mit Wandgraffiti, Basketballkorb und Volleyballnetz.
Das Gefängnis Dielsdorf ist auf die Unterbringung von Frauen spezialisiert. Vollzogen werden dort Untersuchungshaft, Sicherheitshaft sowie Kurz- und Ersatzfreiheitsstrafen. Quelle: JuWe/Dominic Büttner. Bild «Auf dem Bild zu sehen ist ein Spazierhof mit Wandgraffiti, Basketballkorb und Volleyballnetz.» herunterladen

Die Reformen der Untersuchungshaft folgen dem Prinzip der Normalisierung und Förderung der inhaftierten Personen. Das Ziel ist, dass sie nach ihrer Freilassung möglichst schnell in ein normales Leben zurückfinden. Der Alltag der inhaftierten Personen soll sich deshalb am Leben in der Freiheit orientieren und diesem möglichst nahe kommen. Dazu gehört, dass inhaftierte Personen selber aktiv werden müssen, um ihr Leben im Gefängnis zu gestalten. So können sie ihre vorhandenen Fähigkeiten nutzen und stärken oder neue aufbauen. 

Ein Porträtfoto von Nathalie Dorn, Direktorin der UNtersuchungsgefängnisse Zürich

«Die moderne Untersuchungshaft des Kantons Zürich sorgt sowohl für unsere Sicherheit als auch für die Wiedereingliederung der inhaftierten Personen. Sie gewährleistet eine reibungslose Strafverfolgung und eine menschenwürdige Haft, welche schädliche Konsequenzen minimiert. Beides ist für eine sichere Gesellschaft unabdingbar und somit unser oberstes Ziel.»

Nathalie Dorn, Direktorin der Untersuchungsgefängnisse Zürich

Sozialarbeit in der Untersuchungshaft 

Anna Zürcher leitet seit November 2024 den Sozialdienst der Untersuchungsgefängnisse Zürich. Zuvor war die Sozialarbeiterin in den Vollzugs- und Bewährungsdiensten des Kantons Thurgau tätig, wo sie die Bewährungshilfe führte.

Portrait von Anna Zürcher, Leiterin des Sozialdienstes der Zürcher Untersuchungsgefängnisse.

«Es ist wichtig, persönliche Fähigkeiten und externe Ressourcen wie Arbeit oder familiäre Beziehungen zu fördern oder zu erhalten.»

Anna Zürcher, Leiterin des Sozialdienstes der Zürcher Untersuchungsgefängnisse

Anna Zürcher wusste schon früh, dass sie sich in der Sozialarbeit engagieren möchte, da auch ihre Mutter bereits Sozialarbeiterin war. Nach ihrer kaufmännischen Grundausbildung absolvierte Anna ein Vorpraktikum in der
Arbeitsintegration «stadtmuur» und widmete sich anschliessend dem Studium der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Ost.

Auf die Frage, wieso sie sich für die Arbeit im Justizvollzug entschieden hat, antwortet sie: «Hier gibt es meist nur ganz oder gar nicht: Entweder man brennt für die Arbeit im Gefängnis oder tut es nicht.». Darüber hinaus, so Anna, kann man in der Sozialarbeit im Gefängnisbereich viel bewirken, auch wenn dies oft nur in kleinen Schritten möglich ist. Wer in der Sozialarbeit in der Untersuchungshaft tätig sein möchte, sollte daher Geduld mitbringen, flexibel sein und über ein hohes Mass an Spontanität verfügen. Denn oft ist unklar, wie lange eine Person in U-Haft bleibt und damit auch, wie lange man sie überhaupt begleiten und unterstützen kann.

Als Leiterin des Sozialdienstes schätzt Anna Zürcher die Vielseitigkeit der Herausforderungen, die ihre Führungsrolle im Sozialdienst der
Untersuchungsgefängnisse mit sich bringt. Den Sinn ihrer Arbeit sieht sie auf drei Ebenen: Zum einen in der gesellschaftlichen Relevanz, Menschen in schwierigen Lebenslagen zu unterstützen; zum anderen in der Aufklärungsarbeit, denn die Realität des Justizvollzugs ist in der Gesellschaft nach wie vor von Unwissen und Tabuisierung geprägt. Und schliesslich spürt der Sozialdienst gerade in der Untersuchungshaft oft unmittelbar die Dankbarkeit der Menschen, die der Sozialdienst unterstützt.

Ressourcenorientierte Betreuung ist in der Sozialarbeit schon lange ein bekanntes Konzept, in der Untersuchungshaft hingegen wird nach diesem Ansatz erst seit einigen Jahren gearbeitet. Im Mittelpunkt steht dabei, die Stärken und Fähigkeiten jeder einzelnen Person in den Vordergrund zu rücken, mit Blick auf die Resozialisierung. «Es ist wichtig, persönliche Fähigkeiten und externe Ressourcen wie Arbeit oder familiäre Beziehungen zu fördern oder zu erhalten, damit die Inhaftierten sich von Anfang an auf ihre mögliche Entlassung aus der U-Haft oder auf einen Übertritt in den Vollzug und die spätere Wiedereingliederung vorbereiten können. Dabei kann die Sozialarbeit einen entscheidenden Beitrag leisten», meint Anna Zürcher. 

Weitere spannende Einblicke in die Sozialarbeit in der Untersuchungshaft erhalten Sie in unserem Podcast:

Der Modellversuch Untersuchungshaft

Mit dem Modellversuch die Wiedereingliederung fördern 

Das oberste Ziel des gesamten Justizvollzugs ist: Die Wiedereingliederung der betroffenen Personen in die Gesellschaft. Im Kanton Zürich ist darum bereits die Untersuchungshaft auf die Reintegration der inhaftierten Personen ausgerichtet. Es geht darum, Haftschäden zu reduzieren oder im Idealfall zu vermeiden. Während der Untersuchungshaft soll kein Potenzial zerstört werden, das danach im Strafvollzug, von der Bewährungshilfe oder in Freiheit wiederaufgebaut werden muss.

 Jacqueline Fehr., Regierungsrätin.

«Es ist unser Anspruch, dass bereits in der Untersuchungshaft die Wiedereingliederung der betroffenen Personen im Zentrum steht.»

Jacqueline Fehr, Regierungsrätin

Um die Wiedereingliederungschancen von inhaftierten Personen weiter zu verbessern, leitet der Kanton Zürich gemeinsam mit dem Kanton Bern die nächste Phase des Reformierungsprozesses ein. Mit dem fünfjährigen Modellversuch wollen die beiden Kantone die inhaftierten Personen dabei unterstützen, ihre externen Ressourcen, etwa ihre Arbeitsstelle, ihre Wohnung und ihre Beziehungen, zu erhalten. Gleichzeitig sollen sie mehr Selbstverantwortung übernehmen, damit sie die Fähigkeit zur Strukturierung ihres Alltags beibehalten. 

Was ist ein Modellversuch?

Ein Modellversuch ist eine wissenschaftliche Studie, die bestimmte Angebote, Produkte und Vorgehensweisen auf ihre Wirksamkeit und Praxistauglichkeit untersucht. Das Bundesamt für Justiz unterstützt den Modellversuch finanziell.

Jacqueline Fehr, Vorsteherin der Direktion der Justiz und des Innern, über den Modellversuch in der Untersuchungshaft.
Philippe Müller, Regierungspräsident und Sicherheitsdirektor im Kanton Bern, zum Modellversuch in der Untersuchungshaft.

Der Modellversuch umfasst sechs Bereiche. In diesen werden zwischen 2022 und 2027 in elf Untersuchungsgefängnissen der beiden Kantone Massnahmen umgesetzt. Ein Forschungsteam der ETH und UZH wird untersuchen, welche Wirkungen diese Massnahmen auf die inhaftierten Personen haben und wie sich die Erkenntnisse auf andere Kantone übertragen lassen.

Die sechs Bereiche des Modellversuchs

  1. Eintrittsverfahren mit Sofortmassnahmen
  2. Case Management
  3. Angehörigenarbeit
  4. Übergangsmanagement
  5. PRISMA – Prison Stress Management
  6. Schulungs- und Trainingsprogramm für Mitarbeitende

Verwenden Sie die Akkordeon-Bedienelemente, um die Sichtbarkeit der jeweiligen Panels (unterhalb der Bedienelemente) umzuschalten.

Wenn eine Person in die Untersuchungshaft kommt, wird sie von einem Moment auf den anderen aus ihrem Alltag gerissen. Die Verbindung zur Aussenwelt ist für unbestimmte Zeit abgeschnitten. Das kann für die inhaftierten Personen schädliche Folgen wie Arbeits-, Wohnungs- und Beziehungsverlust bedeuten. Daher kommt den Sozialarbeitenden in den Untersuchungsgefängnissen eine wichtige Funktion zu. Sie beraten inhaftierte Personen beispielsweise bei der Wohnsituation, bei Finanzen und Sozialversicherungen, führen Eintrittsgespräche mit den Inhaftierten und bieten psychosoziale Beratungen und Betreuungen an.

Beim Eintritt in die Untersuchungshaft führt der Sozialdienst neu ein umfassenderes Gespräch mit der inhaftierten Person. Sollte sich im Rahmen des Gesprächs zeigen, dass im persönlichen Bereich akute Probleme bestehen, ergreift der Sozialdienst Sofortmassnahmen. Eine solche Massnahme kann zum Beispiel sein, dass der Sozialdienst mit dem Arbeitgeber Kontakt aufnimmt, um die Arbeitsstelle zu erhalten.  

Die Bereiche Aufsicht/Betreuung, Sozial- und Gesundheitsdienst arbeiten stärker zusammen. So wird eine individuelle Betreuung der inhaftierten Personen sichergestellt. Dadurch erhalten die Betroffenen die nötige Unterstützung, um sich nach der Entlassung wieder erfolgreich in die Gesellschaft einzugliedern.

Die Umstände des Strafverfahrens können es mit sich bringen, dass insbesondere zu Beginn der Untersuchungshaft die Kontakte zu den Angehörigen erschwert sind. Dies obschon Beziehungen zu vertrauten Menschen eine starke Ressource für die Wiedereingliederung ist. Mit dem Modellversuch soll der Kontakt zwischen Inhaftierten und deren Angehörigen einfacher werden. Erreicht wird das unter anderem durch eine direkte Kontaktaufnahme mit Angehörigen, bessere Besuchszeiten und die kinderfreundliche Einrichtung der Besuchszimmer.

2021 hat sich Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) zu den Mindeststandards für die Angehörigenarbeit bekannt. Diese sollen allen Institutionen des JuWe als Grundlage dienen, um Massnahmen für verbesserte Kontaktmöglichkeiten umzusetzen. 

Nach der Untersuchungshaft kommt die Person entweder frei oder sie muss ihre Strafe in einer Institution verbüssen. Übergangsmanagement bedeutet, dass man gemeinsam gute Anschlusslösungen sucht, wie beispielsweise Übernachtungsmöglichkeiten nach der Untersuchungshaft, sowie den Informationsfluss an andere Institutionen gewährleistet.

Ein Programm zur Problem- und Stressbewältigung soll die psychische Situation von inhaftierten Personen in der Untersuchungshaft stärken. Speziell ausgebildete Trainerinnen und Trainer schulen inhaftierte Personen in ihrer jeweiligen Muttersprache mit Übungen und Inputs.

In einem neu entwickelten Ausbildungsprogramm setzen sich die Mitarbeitenden damit auseinander, wie sie die Beziehungen zu den inhaftierten Personen bestmöglich gestalten können. Auch bei der Betreuung und in der Beziehungsgestaltung geht es darum, die Fähigkeiten und Kompetenzen der Betroffenen zu schützen zu und zu stärken. Das Gefängnis Meilen wird dafür neu als erste Schulungseinrichtung der Schweiz genutzt.

Ein ehemaliges Gefängnis als Ort des Lernens

Das ehemalige Kurzstrafengefängnis Meilen wurde zum ersten Ausbildungsgefängnis der Schweiz umgebaut. Die Untersuchungsgefängnisse Zürich werden es ab Mitte 2024 für die Schulungen im Zusammenhang mit dem Modellversuch nutzen. Durch praxisnahes Lernen wird die ressourcenorientierte Betreuung für die teilnehmenden Fachpersonen Justizvollzug erfahrbar. Da die Kantone Zürich und Bern den Modellversuch gemeinsam durchführen, nehmen an diesen Trainings Kolleginnen und Kollegen aus beiden Kantonen teil.

Weiterführende Informationen

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