Angehörige von Inhaftierten

Innenansicht des Familienzimmers mit Schaukel für Kinder, kleinen Stühlen und ein Tischchen sowie Bilder an der Wand

Wenn ein Familienmitglied ins Gefängnis kommt, betrifft das auch seine Angehörigen. Die familiären Bande können ausserdem einen grossen Anteil daran haben, dass eine straffällige Person sich wieder in die Gesellschaft integrieren kann. Der Kanton arbeitet deshalb daran, die Kontaktbedingungen für Angehörige zu verbessern.

Inhaltsverzeichnis

Zwischen Opferschutz und Beziehungspflege

Fachleute sind sich einig: Der Justizvollzug behandelt die Arbeit mit Angehörigen von Inhaftierten zu stiefmütterlich. Denn oft geraten die Familien der Beschuldigten in eine schwierige Situation, wenn diese ins Gefängnis kommen.

Oft wissen sie nicht einmal den Grund für die Festnahme und haben keine Ahnung, in welche Einrichtung sie gebracht wurden. Ausserdem kann eine Familie in Bedrängnis kommen hinsichtlich ihrer finanziellen Sicherheit, oder was ihre Wohn- und Arbeitssituation angeht. Und schliesslich müssen die Angehörigen schnell entscheiden, was sie Vorgesetzten, Lehrpersonen oder auch den Kindern erklären, wo der oder die Beschuldigte abgeblieben ist. Es gibt daher vordergründig kaum Argumente dagegen, dass der Justizvollzug mehr auf die Bedürfnisse der Angehörigen eingehen sollte.

Verschiedene Studien konnten ausserdem aufzeigen, dass es auch für die Inhaftierten wichtig ist, ihre familiären Beziehungen pflegen zu können. Ausserdem müssen die Vollzugsbehörden gemäss Kinderrechtskonvention und den Empfehlungen des Europarats gewährleisten, dass die Kinder ihr Recht auf den Kontakt zu inhaftierten Elternteilen wahrnehmen können.

Angehörigenkontakt darf nicht schaden

Das Problem: Man weiss heute weder genau, wie viele Eltern, Partnerinnen und Partner sowie Kinder betroffen sind, noch, welche Massnahmen bei der Angehörigenarbeit sinnvoll sind und welche nicht. Es gibt bislang keine systematische Erhebung der Angehörigen von Inhaftierten und nur wenige Studien, die evidenzbasiert konkrete Settings der Angehörigenarbeit untersucht haben. Sind Vater-Kind-Gruppen beispielsweise für alle Betroffenen gut – oder in Einzelfällen – sogar schädlich? Oft sind Familienmitglieder nämlich gleichzeitig auch Opfer, so etwa in zwei Dritteln aller Fälle, in denen die Täter wegen Gewalt- und Sexualdelikten einsitzen. Man muss sich daher bei jedem Fall die Frage stellen, für wen der Kontakt gut ist; nur für den Inhaftierten oder auch für seine Familie.

Mindeststandards für Angehörigenarbeit

Justizvollzug und Wiedereingliederung hat daher, abgestützt auf die vorhandene wissenschaftliche Befunde, Checklisten für die Abklärung der Risiken bei Besuchen von Kindern in Haftanstalten erstellt. Weiter definierte das JuWe Mindeststandards für die Angehörigenarbeit in Untersuchungsgefängnissen und Vollzugsinstitutionen.

Diese Mindeststandards sind als Zielsetzungen zu verstehen, die nach und nach umgesetzt werden. Am Ende dieser Seite informieren wir über den jeweiligen aktuellen Stand der Realisierung.
 

Blick in das Familienzimmer mit einem Tisch und Stühlen für Erwachsene sowie auch für Kinder
Familienzimmer im Gefängnis Pfäffikon Quelle: Dominic Büttner/JuWe

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Das JuWe schafft Rahmenbedingungen, die Kontakte zwischen Inhaftierten und Angehörigen ermöglichen und erleichtern.

Es unterstützt die Kontakte von Kindern und Jugendlichen zu ihren inhaftierten Eltern grundsätzlich. Konstruktive Beziehungen sollen so unter fachlicher Begleitung aufgebaut und erhalten werden können. Wenn es darum geht, Besuche in Haftanstalten zu planen und durchzuführen, berücksichtigt das JuWe die Interessen und Rechte der Kinder und Jugendlichen.

Da es als Organisation auch eine Fürsorgepflicht hat, berücksichtigt es auch die Risikoaspekte, die sich für Angehörige im Kontakt mit Inhaftierten ergeben können. Insbesondere berücksichtigt das JuWe den Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des JuWe, die Kontakt zu Inhaftierten haben, sind sensibilisiert für die Rechte von Angehörigen und Inhaftierten auf Familienleben. Diese Rechte richten sich nach den Bangkok-Regeln, der UN-Kinderrechtskonvention sowie nach den Empfehlungen des Europarats von 2018.

Verantwortlich dafür, die Mitarbeitenden für die Angehörigenrechte zu sensibilisieren, ist die Fachgruppe Angehörigenarbeit des JuWe. Schulungen erfolgen im Rahmen des Basiskurses für Fachpersonen Justizvollzug.

Das JuWe schafft eine Datengrundlage dazu, wo Angehörige von Inhaftierten leben und ob es Angehörige mit Kontaktwunsch gibt (z.B. Kinder). Es erfragt und erfasst entsprechende standardisierte Informationen, wenn die Inhaftierten in Institutionen eintreten.

Die Inhaftierten geben über diese Daten freiwillig Auskunft. Sie beziehen sich auf minderjährige Kinder sowie deren Alter, Geschlecht, Aufenthaltsort und das Sorgerecht. Ebenfalls erfragen die Institutionen, ob die inhaftierte Person in einer Partnerschaft lebt.

Diesen Mindeststandard wird das JuWe allerdings erst umsetzen, wenn die Empfehlungen der Studie «Die Situation von Kindern mit einem inhaftierten Elternteil in der Schweiz» der ZHAW vorliegen. Sie wird im Auftrag des Bundesamts für Justiz erarbeitet. Die Studie soll unter anderem klären, ob ein Bedarf für eine schweizweite Statistik besteht und welche Erfordernisse an diese gestellt werden müssten.

Das JuWe verfolgt das Ziel, die Rahmenbedingungen für Kontakte zwischen Inhaftierten und ihren Angehörigen in allen Haftformen möglichst nah an der Normalität zu gestalten. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die inhaftierte Person die Angehörigen nicht beispielsweise durch Manipulation, Drohung oder Aggression belasten oder (re-)traumatisieren könnte. Die Risikoabwägung erfolgt in Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Personen oder Behörden sowie den involvierten Fachpersonen.

Was bedeutet «normaliseren»?

  • Die Institutionen des JuWe bieten mindestens zweimal wöchentlich reguläre Besuchszeiten ausserhalb der Schul- und Bürozeiten an.
  • Es sollen familiengerechte Besuchsräume zur Verfügung gestellt werden.
  • Besuche innerhalb der Institutionen sollen, wenn immer möglich, ohne Trennscheibe stattfinden. Dies gilt auch für Besuche in Untersuchungshaft. Entsprechende Standards für diesen Fall erarbeitet derzeit die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und –direktoren (KKJPD).
  • In den Besuchsräumen sind künftig Spielsachen für verschiedene Altersgruppen in gepflegtem Zustand vorhanden.
  • Mindestens ein Besuchsraum in jeder Institution des JuWe wird für die Pflege familiärer Kontakte eingerichtet und ermöglicht, dass die Familie gemeinsam Zeit in einem angemessenen privaten Rahmen verbringen kann. Neben Spielsachen sollen dort auch Verpflegungsmöglichkeiten (mindestens Getränke und Snacks) vorhanden sein.
  • Alle Institutionen des JuWe sollen die technischen Voraussetzungen für Videotelefonie schaffen, damit Inhaftierte den Kontakt mit Angehörigen auch zwischen oder anstelle von Besuchen pflegen können.

Das JuWe fördert die Zusammenarbeit mit Dritten / freien Trägern, die sich mit den Familien von Inhaftierten befassen.

Das JuWe fördert die Zusammenarbeit mit externen staatlichen, kirchlichen und privaten Sozialdiensten und Beratungsstellen, die Angehörige von Inhaftierten beraten (z.B. Soziale Dienste der Stadt Zürich, Gefängnisseelsorge, Verein Perspektive, Team 72, REPR, etc.).

Das JuWe fördert die Zusammenarbeit mit Dienstleisterinnen und Dienstleistern, die Aktivitäten anbieten, die dazu dienen, die Beziehungen zwischen Inhaftierten und ihren Familien zu pflegen (Besuchsbegleitungen für Kinder, Eltern-Kind-Aktivitäten, Freizeitaktivitäten für Kinder von Inhaftierten, Unterstützung und Begleitung bei der Wiedereingliederung von Inhaftierten in ihre Familien, etc.).

Das JuWe lässt die Angebote und Programme sowohl fachlich als auch wissenschaftlich begleiten. So stellt es sicher, dass die Angebote den Angehörigen sowie den Inhaftierten nützen und nicht schaden.

Die interne Fachgruppe Angehörigenarbeit stellt sicher, dass eine Vernetzung mit Konzepten und der Praxis von Angehörigenarbeit im In- und Ausland stattfindet.

Die Programme der eigenen Institutionen, aber auch der externen Anbieterinnen und Anbieter werden pilotiert, wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

Umsetzung der Mindeststandards

Am Bestreben, die oben genannten Mindeststandards für die Angehörigenarbeit umzusetzen, beteiligen sich alle Hauptabteilungen des JuWe. Die Fachgruppe Angehörigenarbeit rapportiert jährlich zum Stand der Umsetzung.

Bereits umgesetzt werden konnte bislang unter Anderem:

  • Erweiterte Öffnungszeiten und Besuchszeiten in Untersuchungsgefängnissen
  • Besuchszimmer für Familien im Gefängnis Pfäffikon
  • Väter-Gruppe im MZU
  • Väter-Coaching in der JVA Pöschwies

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