Leistungskürzung als Sanktion

Kapitelnr.
14.2.01.
Publikationsdatum
1. Juli 2012
Kapitel
14 Auflagen, Leistungskürzung als Sanktion und Leistungseinstellung
Unterkapitel
14.2. Leistungskürzung als Sanktion

Rechtsgrundlagen

§ 24 SHG § 24 SHV SKOS-Richtlinien, Kapitel A.8.2

Erläuterungen

1.Allgemeines

Sozialhilferechtliche Sanktionen wollen die Erfüllung verwaltungsrechtlicher Pflichten erzwin-gen (bzw. den Ausgleich eines unrechtmässigen Zustands erwirken). Sie sind spezielle im Sozialhilferecht vorgesehene Sanktionen (im Gegensatz zu den Sanktionen des allgemeinen Verwaltungsrechts). Die Sanktionierung in der Sozialhilfe untersteht den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Prinzipien: Gesetzmässigkeit, Grundsatz der Rechtsgleichheit, Grundsatz von Treu und Glauben und der Verhältnismässigkeit. Eine Sanktionsform im Sozialhilferecht bildet die in § 24 SHG vorgesehene Leistungskür-zung. Leistungen können aber auch aus anderen Gründen reduziert werden, nämlich insbesondere in folgenden Fällen:

  • Reduktion des Grundbedarfs zwecks Verrechnung bei unrechtmässigem Leistungsbe-zug. Hierbei handelt es sich nicht um eine Leistungskürzung im Sinne einer Sanktion (vgl. dazu Kapitel 15.1.03).
  • (Teilweiser) Leistungsentzug bei veränderten Verhältnissen, z.B. wenn die betroffene Person dank höherer Einnahmen bzw. tieferer Ausgaben nicht mehr im gleichen Umfang bedürftig ist (vgl. Kapitel 14.3.05). Auch diese Kürzung stellt keine Sanktion dar.
  • Reduktion von Wohnkosten, wenn der Mietzins überhöht ist und trotz Aufforderung keine Wohnung zu einem angemessenen Mietzins gesucht wird (vgl. Kapitel 14.3.04).

2.Leistungskürzung als Sanktion

Die Leistungskürzung als Sanktion kann den repressiven Sanktionen zugeordnet werden. Sie zielt auf die Erfüllung der Pflichten: Mittels repressiver Sanktionen soll Druck auf die So-zialhilfe beziehende Person ausgeübt werden, um diese zu veranlassen, ihre Pflichten zu er-füllen. In diesem Sinne erhofft man sich von der Androhung von repressiven Sanktionen prä-ventive Wirkungen, indem der betroffenen Person die Leistungen gekürzt werden, wenn sie

sich nicht wie gewünscht verhält. 2.1. Voraussetzungen § 24 SHG bildet die gesetzliche Grundlage für die Leistungskürzung. Voraussetzung für eine Leistungskürzung ist zunächst, dass die betroffene Person auf die Möglichkeit der Leis-tungskürzung schriftlich hingewiesen worden ist und dass sie trotzdem eine Anordnung nicht erfüllt hat (§ 24 Abs. 1 lit. b SHG). Die Sozialhilfeleistungen sind gemäss § 24 Abs. 1 lit. a SHG dann angemessen zu kürzen, wenn die betroffene Person

  • gegen Anordnungen, Auflagen oder Weisungen der Fürsorgebehörde verstösst,
  • keine oder falsche Auskunft über ihre Verhältnisse gibt,
  • die Einsichtnahme in ihre Unterlagen verweigert,
  • eine ihr zugewiesene zumutbare Arbeit nicht annimmt,
  • Leistungen zweckwidrig verwendet,
  • die Teilnahme an einem zumutbaren Bildungs- und Beschäftigungsprogramm verwei-gert,
  • ein ihr zustehendes Ersatzeinkommen nicht geltend macht. Weiter ist das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten. Gemäss diesem Prinzip muss das Ausmass der Kürzung aufgrund der gesamten persönlichen und sachlichen Umstände ge-eignet und erforderlich sein, um die nicht befolgte Anordnung durchzusetzen. Vor allem aber muss die getroffene Sanktion auch angemessen sein. Sie muss also in einem vernünftigen Verhältnis zum Fehlverhalten und zum Verschulden der betroffenen Person stehen. Immer ist darauf zu achten, dass der betroffenen Person das rechtliche Gehör gewährt wird (insbe-sondere ist die Sanktion also in Form einer anfechtbaren schriftlichen Verfügung zu erlassen und genügend zu begründen). § 24 Abs. 2 SHG hält sodann fest, dass die berechtigten Interessen Minderjähriger ange-messen berücksichtigt werden müssen. 2.2. Vorgehensweise Da die Leistungskürzung für die betroffene Person unter Umständen ein massiver Eingriff darstellt, müssen vor der Beschlussfassung die Verhältnisse (immer) nochmals geprüft wer-den. Folgende Fragen sind – sofern dies nicht bereits geschehen ist – zu klären und es ist dem Klienten oder der Klientin die Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äussern (die Beant-wortung folgender Fragen hilft auch bei der Entscheidung, ob und wie gekürzt werden soll und bei der Begründung der Sanktion):
  • War die Auflage bzw. Weisung zumutbar?
  • Weshalb hat die betroffene Person die Anordnung nicht erfüllt? Gibt es nachvollziehbare

Gründe? Konnte sie objektiv der Forderung der Sozialbehörde nachkommen oder war es ihr aufgrund ihrer psychischen oder physischen Verfassung nicht möglich, der Aufla-ge Folge zu leisten? Gibt es nachvollziehbare Hinderungsgründe? War die Auflage oder Weisung geeignet, die Situation der unterstützten Person zu verbessern?

  • Wurde die Kürzung schriftlich angedroht? War sich die betroffene Person bewusst, wel-che Folgen ihr Tun oder Unterlassen haben wird? Kommt man zum Schluss, dass eine Kürzung grundsätzlich angemessen und zulässig ist, stellt sich die Frage, nach dem Umfang der Kürzung innerhalb des erlaubten Rahmens. Es geht hier um die Frage nach der Verhältnismässigkeit:
  • Wie schwer wiegt das Verschulden der betroffenen Person?
  • Sind Kinder von der Kürzung betroffen? Die Leistungskürzung muss sowohl in Bezug auf die Höhe als auch auf die Dauer verhält-nismässig sein. Ausserdem muss die betroffene Person wissen, was sie tun muss, damit die Kürzung aufgehoben wird.

3.Kürzungsumfang

Es kann maximal für die Dauer von zwölf Monaten und um höchstens 15% gekürzt werden. Im Weiteren können Leistungen mit Anreizcharakter (Einkommensfreibeträge [EFB], Integra-tionszulage [IZU], minimale Integrationszulage [MIZ]) gekürzt oder gestrichen werden. Spä-testens nach einem Jahr ist zu überprüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für eine Kür-zung weiterhin gegeben sind. Falls ja, kann die Massnahme in einem neuen Entscheid um jeweils höchstens weitere zwölf Monate verlängert werden (vgl. dazu SKOS-Richtlinien, Ka-pitel A.8.2).

Rechtsprechung

VB.2009.00116: [Die Beschwerdeführerin erfüllte die Auflage, monatlich zehn schriftliche Bewerbungen vorzulegen, nicht.] Die SKOS-Richtlinien sehen in Kap. A.8.3 vor, dass der Grundbedarf für maximal zwölf Monate um höchstens 15% gekürzt werden kann. Die Sozial-behörde hat bei einem Kürzungsentscheid zwar einen gewissen Ermessensspielraum, sie muss dabei jedoch stets den Grundsatz der Verhältnismässigkeit beachten. Angemessen zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die Schwere der Missachtung der Auflagen und das Verschulden der fehlbaren Person (VGr, 6. Juni 2008, VB.2008.00105, E. 4.3). Daneben sind auch die besonderen Umstände des Einzelfalls zu beachten (E. 4.3). Es verstösst ge-gen das Verhältnismässigkeitsprinzip, wenn die Beschwerdeführerin mit der höchst mögli-chen Sanktion belegt wird, ohne dass die besonderen Umstände des vorliegenden Falls (u.a. Krankheit und Tod der Mutter) berücksichtigt werden (E. 4.4). VB.2008.00105: [Die Sozialbehörde wies den Beschwerdeführer mit Erfahrung im IT-Bereich mehrmals an, sich auch auf Stellen in einem branchenfremden Bereich zu bewerben und an

einer Informationsveranstaltung zu einer Arbeitsstelle teilzunehmen, was er nicht tat. Darauf kürzte sie die wirtschaftliche Hilfe vor der Fassung eines entsprechenden Beschlusses per sofort für sechs Monate um 15%]. Die Kürzung des Grundbedarfs um 15% setzt [den Be-schwerdeführer] auf das Minimum, das zu einer auf Dauer angelegten menschenwürdigen Existenz in der Schweiz nötig ist und deshalb nur in begründeten Ausnahmefällen und zeit-lich befristet unterschritten werden darf. Zu prüfen ist dabei unter anderem, ob die Auflagen und Weisungen der Sozialhilfeorgane zumutbar waren, die betroffene Person vorgängig klar informiert wurde, sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst sein konnte, die Kürzung in einem angemessenen Verhältnis zum Fehlverhalten bzw. Verschulden steht und die be-troffene Person durch eine Änderung ihres Verhaltens selber dafür sorgen kann, dass der Anlass für die Kürzung wegfällt und diese deshalb später aufgehoben werden kann (SKOS-Richtlinien, Kap. A.8.2; E. 4.1). Das Ausmass der Kürzung muss aufgrund der gesamten persönlichen und sachlichen Umstände angemessen, geeignet und erforderlich sein, um die nicht befolgte Anordnung durchzusetzen oder allenfalls zu ersetzen. Insbesondere soll die Kürzung in einem angemessenen Verhältnis zum Fehlverhalten und zum Verschulden der betroffenen Person stehen. Wie dargelegt, bildete die Bewerbung des Beschwerdeführers in anderen Bereichen als im IT-Bereich schon lange Thema der Diskussionen sowohl im RAV als auch in der Fürsorgebehörde (vorn E. 4.2). Der Beschwerdeführer vermag offenkundig nicht einzusehen, dass es nunmehr darum geht, ihn nicht nur im IT-Bereich, sondern über-haupt in den Arbeitsmarkt in irgendeiner zumutbaren Weise zu integrieren. Dabei kann er weder darauf beharren, zumutbar seien nur Stellen, die eine akademische Bildung erforder-ten, noch darauf, für ihn kämen nur Vollzeitstellen in Betracht (vorn E. 3.5). An Mahnungen seitens der Beschwerdegegnerin fehlte es im hier massgebenden Zeitraum sodann nicht (vorn E. 4.2). Schliesslich ist zu bedenken, dass sich der Beschwerdeführer nicht von sich aus auf die Stelle beim Call-Center der E AG (als allenfalls zweite Stelle ausserhalb des IT-Bereichs; vorn E. 3.2.2) bewarb, sondern ihm diese zugewiesen wurde. Dass das Stellenan-gebot zur Weihnachtszeit keine Stellen ausserhalb des IT-Bereichs enthalten hätte, ist dage-gen nicht substantiiert dargetan. Insgesamt hält die Kürzung des Grundbedarfs um 15% für die Dauer von sechs Monaten einer Rechtskontrolle stand, wenn sie auch eher streng er-scheint (E. 4.3). VB.2007.00569: Kürzung des Grundbedarfs wegen Missachtung der Weisung der Sozialbe-hörde durch Aufgabe der unselbständigen Erwerbstätigkeit und Aufnahme einer selbständi-gen Erwerbstätigkeit als Kioskbetreiber. Die Weisung, die selbständige Erwerbstätigkeit bis 31. Dezember 2007 aufzugeben und eine unselbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen, war rechtmässig. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau wurden denn auch schon mehr-mals (in den Verfügungen vom 3. Mai 2006, 31. Oktober 2006 und 14. Dezember 2006) schriftlich darauf hingewiesen, dass sie sich um eine unselbständige Erwerbstätigkeit zu be-mühen hätten und "Pläne zur Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit … in jedem Fall der schriftlichen Zustimmung der Sozialbehörde bedürfen". Nachdem sich der Be-schwerdeführer ohne Rücksprache mit der Sozialbehörde durch Aufgabe seiner bisherigen Teilzeitstelle und Abschluss eines Mietvertrags für den Betrieb eines Kiosks vorsätzlich über diese Weisungen der Sozialhilfeorgane hinweggesetzt hatte und keinerlei Anhaltspunkte für eine erfolgsversprechende selbständige Erwerbstätigkeit ersichtlich waren, durfte er nicht erwarten, dass die Sozialbehörde sein Vorgehen billigen, geschweige denn Hilfestellung bie-

ten würde (E. 4.2). VB.206.00171: Rechtsgrundlagen zur Erteilung von Auflagen im Sozialhilferecht und zur Leistungskürzung (E. 2.1). Der Beschwerdeführer hat sich passiv verhalten, weshalb die Leistungskürzung wegen fehlender Arbeitsbemühungen rechtmässig ist. Der vom Be-schwerdeführer angegebene Bedarf von Fr. 400.--/Monat für Tabakwaren steht der Kürzung nicht entgegen (E. 2.3). VB.2005.00036: Wirtschaftliche Hilfe kann mit der Weisung verbunden werden, eine zumut-bare Arbeit aufzunehmen. Bei Missachtung dieser Weisung kann die wirtschaftliche Leistung gekürzt werden (E.3.1). Die formellen Voraussetzungen für eine Leistungskürzung sind erfüllt (E.3.2). Die Weisung, jede ihm angebotene Arbeit anzunehmen, ist zumutbar (E.3.3). Zu prü-fen ist, ob sich die Kürzung der Sozialhilfeleistungen im Rahmen des Verhältnismässigkeits-prinzips bewegt. Die Streichung von situationsbedingten Leistungen und des Grundbedarfs II erweist sich als verhältnismässig (E.3.4.1). Hingegen erweist sich die Kürzung des Grundbe-darfs I um 15% im vorliegenden Fall als unverhältnismässig (E.3.4.2).

Praxishilfen

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