Verwandtenunterstützungspflicht - Auswirkungen auf die Sozialhilfe

Kapitelnr.
17.3.02.
Publikationsdatum
1. April 2015

Rechtsgrundlagen

§ 25 SHG Art. 25 ZUG Art. 328 ZGB Art. 329 ZGB SKOS-Richtlinien, Kapitel F.4

Erläuterungen

1.Günstige Verhältnisse

Gemäss Art. 328 ZGB sind nur diejenigen Verwandten unterstützungspflichtig, die in günsti-gen Verhältnissen leben (vgl. dazu Kapitel 17.3.01, Ziff. 4). Massgebende Bemessungs-grundlage ist das steuerbare Einkommen zuzüglich Vermögensverzehrs. a. Einkommen Nach den SKOS-Richtlinien, Kapitel F.4, soll die Verwandtenunterstützungspflicht nur näher geprüft werden, wenn die Einkommenszahlen der in Privathaushalten lebenden Verwandten über folgenden Sätzen liegen: Alleinstehende Fr. 120'000.-- Verheiratete (und eingetragene Partner) Fr. 180'000.-- Zuschlag pro minderjähriges oder in Ausbil-dung befindliches Kind Fr. 20'000.-- b. Vermögen Vom steuerbaren Vermögen ist ein Freibetrag abzuziehen, nämlich für Alleinstehende Fr. 250'000.-- Verheiratete (und eingetragene Partner) Fr. 500'000.-- Zuschlag pro minderjähriges oder in Ausbil-dung befindliches Kind Fr. 40'000.-- Der verbleibende Betrag soll aufgrund der durchschnittlichen Lebenserwartung umgerechnet (Jahresbetrag) und zum Einkommen gezählt werden.

Zur Berechnung des Verwandtenunterstützungsbeitrages vgl. SKOS-Richtlinien, Kapitel H.4).

2.Beitragsleistungen

Normalerweise wird die Verwandtenunterstützung in Form von Geldzahlungen geleistet. Sie kann aber auch durch Naturalleistungen, durch Aufnahme in den eigenen Haushalt oder in anderer Form geleistet werden. Diesbezüglich haben die Sozialbehörden einen gewissen Ermessensspielraum.

3.Geltendmachung der Verwandtenunterstützung

2.1. Prüfung der Verhältnisse / Einvernehmliche Festlegung von Beiträgen Bevor Unterstützungsbeiträge geltend gemacht werden, müssen die Verhältnisse im Einzel-fall genau geprüft werden. Leisten die pflichtigen Verwandten bereits einen aktiven Beitrag zur Bewältigung von Problemen der hilfebedürftigen Person, so ist dies angemessen zu be-rücksichtigten. Vor der Einforderung von Beiträgen ist zudem das Verhältnis zwischen der unterstützten Person und den pflichtigen Verwandten abzuklären. Denn nach Art. 329 Abs. 2 ZGB kann die Unterstützungspflicht ermässigt oder aufgehoben werden, wenn es wegen be-sonderer Umstände unbillig wäre, die Leistung von Beiträgen durch einen pflichtigen Ver-wandten zu verlangen (z.B. wegen eines schweren Verbrechens gegenüber dem Pflichtigen bzw. einer diesem nahe stehenden Person oder wegen Verletzung von familienrechtlichen Pflichten gegenüber dem Pflichtigen oder dessen Angehörigen). In die Prüfung mit einzube-ziehen sind auch die möglichen Auswirkungen einer Geltendmachung der Unterstützungs-pflicht auf die hilfebedürftige Person. Ergibt die Abklärung der Verhältnisse, dass eine Ver-wandtenunterstützung grundsätzlich möglich ist, so ist zunächst zu versuchen, eine einver-nehmliche Regelung mit den pflichtigen Personen zu finden (vgl. § 25 Abs. 2 SHG). 2.2. Geltendmachung im Streitfall / Legalzession Gemäss Art. 329 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 289 Abs. 2 ZGB gehen die Ansprüche auf Verwandtenunterstützung durch Legalzession mit allen Rechten auf das unterstützende Gemeinwesen über, dieses tritt an die Stelle der unterstützten Person. Kommt also eine güt-liche Einigung zwischen der unterstützenden Sozialhörde und den pflichtigen Verwandten nicht zustande, kann die Sozialbehörde ihren Anspruch durch Klageerhebung beim Zivilge-richt durchzusetzen versuchen. Zuständig ist das Gericht am Wohnsitz (bzw. Sitz) einer der Parteien (Art. 26 ZPO). Beantragt werden können dabei Beiträge für die Zukunft und für ein Jahr vor Klageerhebung (Art. 329 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 279 Abs. 1 ZGB). Nicht zulässig ist die Einforderung von Verwandtenunterstützungsbeiträgen durch Beschluss der Sozialbehörde oder eine Berücksichtigung von nicht geleisteten Beiträgen bei der Be-darfsberechnung. Zur verbindlichen Festlegung von umstrittenen Verwandtenunterstüt-zungsbeiträgen ist ausschliesslich das Zivilgericht zuständig.

4.Verwandte im Ausland

Muss gegen im Ausland wohnende unterstützungspflichtige Verwandte geklagt werden, so kommt es darauf an, ob der betreffende Staat den Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (SR 0.211.213.02) und über das auf Un-terhaltspflichten anzuwendende Recht (SR 0.211.213.01), beide vom 2. Oktober 1973, bei-getreten ist (und keine entsprechenden Vorbehalte angebracht hat). Gestützt darauf kann nämlich am schweizerischen Wohnsitz des oder der Berechtigten nach hiesigem Zivilrecht geklagt werden. Damit solche Entscheide dann auch anerkannt bzw. durchgesetzt werden können, sind aber die im entsprechenden Übereinkommen enthaltenen Voraussetzungen zu beachten. Diesbezüglich können Probleme insbesondere dann entstehen, wenn der oder die Beklagte am hiesigen Gerichtsort nicht erscheint und ihm bzw. ihr die Klageschrift nicht ord-nungsgemäss zugestellt werden kann. Handelt es sich um keinen Vertragsstaat oder besteht ein entsprechender Vorbehalt, so müsste im jeweiligen Land und wohl auch gemäss dorti-gem Recht geklagt werden. Wie in einem solchen Fall vorzugehen wäre bzw. ob sich dies überhaupt lohnen würde, könnte unter Umständen über das Bundesamt für Justiz, internati-onale Rechtshilfe, oder die zuständige Schweizer Botschaft in Erfahrung gebracht werden.

5.Geltendmachung im interkantonalen Verhältnis

Im interkantonalen Verhältnis ist für die Geltendmachung von Unterhaltsbeiträgen, die ge-stützt auf Art. 329 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 289 Abs. 2 ZGB auf das Gemeinwesen übergegangen sind, der Wohnkanton zuständig, bei Ausländerinnen und Ausländern ohne Wohnsitz in der Schweiz der unterstützende Aufenthaltskanton (Art. 25 Abs. 1 ZUG). Der Heimatkanton ist dafür zuständig, wenn er dem Aufenthaltskanton die Kosten voll vergütet hat oder vergüten muss (Art. 25 Abs. 2 ZUG). Der Wohnkanton überweist von den einge-nommenen Beiträgen dem Heimatkanton den Betrag, der dessen Anteil an den Unterstüt-zungskosten entspricht (Art. 25 Abs. 3 ZUG). Leistet also eine zürcherische Aufenthaltsge-meinde Notfallhilfe (vgl. dazu Kapitel 5.3.02), so liegt es an der Wohngemeinde, die die Kos-ten der wirtschaftlichen Hilfe trägt und entsprechend in den Anspruch auf Verwandtenunter-stützung der unterstützten Person eintritt, abzuklären, ob von einem Verwandten Unterstüt-zungsbeiträge erhältlich gemacht werden können. Zu beachten ist, dass der Bundesgesetzgeber am 14. Dezember 2012 beschlossen hat, die Kostenersatzpflicht des Heimatkantons abzuschaffen. Die Änderungen werden am 8. April 2017 in Kraft treten (vgl. dazu Kapitel 18.2.01 und Kapitel 18.2.02). Eine Folge dieser Ände-rungen ist die Aufhebung von Art. 25 Abs. 2 und 3 ZUG: Ab dem 8. April 2017 ist die Ver-wandtenunterstützung zugunsten von Personen ohne Unterstützungswohnsitz durch die zu-ständigen Stellen des unterstützenden Aufenthaltskantons geltend zu machen. Ferner muss der Heimatkanton dem Wohnkanton nur jenen Anteil an allfälligen Leistungen aus Verwand-tenunterstützung überweisen, der Sozialhilfeleistungen betrifft, welche vor dem 7. April 2017 ausgerichtet wurden.

Rechtsprechung

Urteil des Bundesgerichts 2A.485_2005 vom 17. Januar 2006: Nach Art. 25 ZUG ist der Wohnkanton für die Geltendmachung von Unterhalts- und Unterstützungsbeiträgen, die nach dem Zivilgesetzbuch auf das Gemeinwesen übergegangen sind, zuständig. Die Behörden im Aufenthaltskanton werden oftmals schon nicht legitimiert sein und auch keine andere Hand-habe haben, von Dritten Zahlungen zu verlangen, geschweige denn durchzusetzen. Sodann wird ein Aufenthaltskanton, der sich veranlasst sieht, einen Bedürftigen "im Notfall" (vgl. Art. 14 und 30 ZUG) zu unterstützen und damit meist kurzfristig handeln muss, kaum die Möglichkeit zu umfassenden Abklärungen über die Leistungspflicht Dritter haben. Schliess-lich ist die Notfallhilfe ausserhalb des Wohnkantons regelmässig nur auf eine kurze Zeit aus-gerichtet (E. 2.6). VB.2005.00267: Die familienrechtliche Unterstützung geht der öffentlich-rechtlichen vor (vgl. Art. 293 Abs. 1 ZGB; Cyril Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts, 5. A., Bern 1999, S. 239). Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist gemäss Art. 328 Abs. 1 ZGB verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten wür-den. Der Anspruch ist gegen die Pflichtigen in der Reihenfolge ihrer Erbberechtigung geltend zu machen (Art. 329 Abs. 1, 1. Halbsatz ZGB). Die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines Unterhaltsanspruchs auf das Gemeinwesen fin-den entsprechende Anwendung (Art. 329 Abs. 3 ZGB). Es entspricht der gegenseitig ge-schuldeten Rücksicht zwischen Eltern und Kindern im Sinne von Art. 272 ZGB, dass Unter-haltsansprüche zuerst auf dem Verhandlungsweg geltend gemacht werden. Dies gilt auch im Rahmen der Verwandtenunterstützungspflicht (Judith Widmer, Verhältnis der Verwandtenun-terstützungspflicht zur Sozialhilfe in Theorie und Praxis, Zürich 2001, S. 53). Ist es jedoch notwendig den Unterstützungsanspruch auf dem Klageweg geltend zu machen, so steht die Klage dem Unterstützungsbedürftigen zu und richtet sich gegen den Unterstützungspflichti-gen (Art. 329 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 279 Abs. 1 ZGB; E. 2.1).

Anmerkung:

Im vorliegenden Fall hat die Sozialbehörde keine Unterstützungszahlungen geleistet, der Anspruch auf Verwandtenunterstützung ging also nicht auf sie über. VB.2003.00362: Von der Sozialhilfe zu unterstützenden Personen, die mit engen Angehöri-gen in gemeinsamem Haushalt wohnen, ist es zuzumuten, sich an der Haushaltsführung mit eigener Arbeit so zu beteiligen, dass sie hierfür den Angehörigen keine Entschädigung schulden. Anders verhält es sich dort, wo die zu unterstützende Person krankheitsbedingt sich an der Haushaltsführung nur beschränkt oder gar nicht beteiligen kann. Zwar kann auch in solchen Situationen angesichts der Subsidiarität der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 2 SHG) sowie der Verwandtenunterstützungspflicht erwartet werden, dass enge Angehörige derartige Dienstleistungen bis zu einem gewissen Grad ohne Verrechnung eines Entgelts, das dann von der Sozialhilfe zu tragen wäre, erbringen (vgl. § 25 Abs. 2 SHG). Allerdings darf die So-zialhilfebehörde die Verweigerung einer Leistung nicht ausschliesslich mit der Verwandten-unterstützungspflicht begründen, da sonst die Regelung von § 25 Abs. 1 SHG, wonach die Behörde die Verwandtenunterstützungspflicht grundsätzlich auf dem Zivilweg geltend zu ma-chen hat, unterlaufen würde. Soweit solche Kosten von der Sozialhilfe zu übernehmen sind,

sind sie bei der Bedarfsbemessung als situationsbedingte Leistungen zu berücksichtigen. Letztere umfassen auch krankheits- und behinderungsbedingte Spezialkosten. In Betracht fiele allenfalls die analoge Anwendung jener Ansätze, welche gemäss Ziff. F.5.2 der SKOS-Richtlinien mass-gebend für die Bemessung des Entgelts sind, das sich eine unterstützte Person gemäss § 16 Abs. 3 SHV als Einkommen anrechnen lassen muss, wenn sie den Haushalt auch für andere, nicht unterstützte Personen führt (E. 3.3.2). VB.2003.00048: Gemäss Art. 329 Abs. 3 ZGB finden betreffend die Unterstützungspflicht der Verwandten die Bestimmungen über die Unterhaltsklage des Kindes und über den Übergang seines Unterhaltsanspruches auf das Gemeinwesen entsprechende Anwendung. Über Strei-tigkeiten betreffend die Unterhaltspflicht entscheidet der Richter im Zivilprozess, nicht die Vormundschafts- oder eine Verwaltungsbehörde (Cyril Hegnauer, Grundriss des Kindes-rechts, 5. A., Bern 1999, N. 21.05; Judith Widmer, Verhältnis der Verwandtenunterstüt-zungspflicht zur Sozialhilfe in Theorie und Praxis, Zürich 2001, S. 88 f.). Dem Bezirksrat kam vorliegend somit keine Kompetenz zu darüber zu entscheiden, ob den Eltern der Beschwer-deführerin eine Unterstützungspflicht oblag bzw. immer noch obliegt. § 25 SHG, wonach die Fürsorgebehörde zu prüfen hat, ob Verwandte zur Unterstützung einer hilfeempfangenden Person verpflichtet sind, und diese zur Hilfe auffordern oder zwischen den Beteiligten vermit-teln kann, führt zu keinem anderen Ergebnis; diese Bestimmung begründet keine Entschei-dungskompetenz der Sozialbehörde bzw. – im Rechtsmittelverfahren – des Bezirksrats (vgl. Widmer, S. 87). Es handelt sich bei der Problematik der Verwandtenunterstützungspflicht auch nicht um eine Vorfrage, deren Beantwortung für den Entscheid über die Gewährung wirtschaftlicher Hilfe notwendig ist (Ulrich Häfelin/Georg Müller, Allgemeines Verwaltungs-recht, 4. A., Zürich 2002, Rz. 58 ff.). Vielmehr haben die Gesetzgeber eine andere Vorge-hensweise festgelegt, von der nicht abzuweichen ist. Dazu kommt, dass die Verwandtenun-terstützungspflicht "günstige Verhältnisse" der Verpflichteten voraussetzt. In solchen lebt, wer die Unterstützungsbeiträge ohne wesentliche Beeinträchtigung einer wohlhabenden Le-benshaltung aufbringen kann und über Mittel verfügt, die den erweiterten Notbedarf beträcht-lich überschreiten (Hegnauer, N. 29.11; vgl. auch 20.25; Widmer, S. 38 ff.). Dass dies bei ih-ren Eltern der Fall ist, wird von der Beschwerdeführerin bestritten und erscheint mit Blick auf die durch die Gemeinden des Kantons Zürich geübten Praktiken (vgl. Widmer, S. 172 ff., 182 ff.) zumindest fraglich. Jedenfalls aber ging es, abgesehen von der fehlenden Zuständigkeit, nicht an, ohne Abklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine Unterstützungspflicht anzu-nehmen (E. 3b). RRB Nr. 1849/1996 (nicht publiziert): Auch wenn mündige Klientinnen und Klienten bei Ver-wandten wohnen und dafür Zins bezahlen müssen, ist es nicht zulässig, einen allfälligen An-spruch auf Verwandtenunterstützung durch Nichtberücksichtigung der Mietkosten direkt durchzusetzen. Zur verbindlichen Festlegung von umstrittenen Verwandtenbeiträgen wäre ausschliesslich das Zivilgericht und nicht die Fürsorgebehörde zuständig. RRB Nr. 521/1996 (nicht publiziert): Die Verwandtenunterstützung kann in Geld, Naturalleis-tungen, durch Aufnahme in den eigenen Haushalt oder in anderer Form geleistet werden. Diesbezüglich haben die Fürsorgebehörden einen gewissen Ermessensspielraum, in den die Rekursinstanz nur mit Zurückhaltung eingreift.

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