Auswirkungen der Verwandtenunterstützungspflicht auf die Sozialhilfe

Kapitelnr.
17.3.02.
Publikationsdatum
8. Januar 2024
Gültig seit / In Kraft seit
1. April 2021

Rechtsgrundlagen

Erläuterungen

1.Günstige Verhältnisse

Gemäss Art. 328 ZGB sind nur diejenigen Verwandten unterstützungspflichtig, die in günstigen Verhältnissen leben (vgl. dazu Kapitel 17.3.01, Ziff. 4).

Für die Prüfung der Verwandtenunterstützungspflicht steht das SKOS Merkblatt «Berechnung der Verwandtenunterstützung» als Praxishilfe zur SKOS-Richtlinie Kapitel D.4.3. zur Verfügung.

2.Beitragsleistungen

Normalerweise wird die Verwandtenunterstützung in Form von Geldzahlungen geleistet. Sie kann aber auch durch Naturalleistungen, durch Aufnahme in den eigenen Haushalt oder in anderer Form geleistet werden. Diesbezüglich haben die Sozialbehörden einen gewissen Ermessensspielraum.

3.Geltendmachung der Verwandtenunterstützung

3.1.Prüfung der Verhältnisse / Einvernehmliche Festlegung von Beiträgen

Bevor Unterstützungsbeiträge geltend gemacht werden, müssen die Verhältnisse im Einzelfall genau geprüft werden. Leisten die pflichtigen Verwandten bereits einen aktiven Beitrag zur Bewältigung von Problemen der hilfebedürftigen Person, so ist dies angemessen zu berücksichtigten. Vor der Einforderung von Beiträgen ist zudem das Verhältnis zwischen der unterstützten Person und den pflichtigen Verwandten abzuklären. Denn nach Art. 329 Abs. 2 ZGB kann die Unterstützungspflicht ermässigt oder aufgehoben werden, wenn es wegen besonderer Umstände unbillig wäre, die Leistung von Beiträgen durch einen pflichtigen Verwandten zu verlangen (z.B. wegen eines schweren Verbrechens gegenüber dem Pflichtigen bzw. einer diesem nahe stehenden Person oder wegen Verletzung von familienrechtlichen Pflichten gegenüber dem Pflichtigen oder dessen Angehörigen). In die Prüfung mit einzubeziehen sind auch die möglichen Auswirkungen einer Geltendmachung der Unterstützungspflicht auf die hilfebedürftige Person. Ergibt die Abklärung der Verhältnisse, dass eine Verwandtenunterstützung grundsätzlich möglich ist, so ist zunächst zu versuchen, eine einvernehmliche Regelung mit den pflichtigen Personen zu finden (vgl. § 25 Abs. 2 SHG).

3.2.Geltendmachung im Streitfall / Legalzession

Gemäss Art. 329 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 289 Abs. 2 ZGB gehen die Ansprüche auf Verwandtenunterstützung durch Legalzession auf das unterstützende Gemeinwesen über. Kommt also eine gütliche Einigung zwischen der unterstützenden Sozialhörde und den pflichtigen Verwandten nicht zustande, kann die Sozialbehörde die betroffene Person anweisen, ihren Anspruch durch Klageerhebung beim Zivilgericht durchzusetzen. Zuständig ist das Gericht am Wohnsitz (bzw. Sitz) einer der Parteien (Art. 26 ZPO). Beantragt werden können dabei Beiträge für die Zukunft und für ein Jahr vor Klageerhebung (Art. 329 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 279 Abs. 1 ZGB).

Bei Alleinerziehenden ist zu beachten, dass seit 1. Januar 2017 keine Verwandtenunterstützung mehr gefordert werden kann, wenn ihre Notlage darauf beruht, dass sie nur eingeschränkt oder gar nicht erwerbstätig sein können, weil sie eigene Kinder betreuen (Art. 329 Abs. 1bis ZGB; vgl. Kapitel 17.3.01, Ziff. 2).

Nicht zulässig ist die Einforderung von Verwandtenunterstützungsbeiträgen durch Beschluss der Sozialbehörde oder eine Berücksichtigung von nicht geleisteten Beiträgen bei der Bedarfsberechnung. Zur verbindlichen Festlegung von umstrittenen Verwandtenunterstützungsbeiträgen ist ausschliesslich das Zivilgericht zuständig.

4.Verwandte im Ausland

Muss gegen im Ausland wohnende unterstützungspflichtige Verwandte geklagt werden, so kommt es darauf an, ob der betreffende Staat den Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht, beide vom 2. Oktober 1973, beigetreten ist (und keine entsprechenden Vorbehalte angebracht hat). Gestützt darauf kann nämlich am schweizerischen Wohnsitz des oder der Berechtigten nach hiesigem Zivilrecht geklagt werden. Damit solche Entscheide dann auch anerkannt bzw. durchgesetzt werden können, sind aber die im entsprechenden Übereinkommen enthaltenen Voraussetzungen zu beachten. Diesbezüglich können Probleme insbesondere dann entstehen, wenn der oder die Beklagte am hiesigen Gerichtsort nicht erscheint und ihm bzw. ihr die Klageschrift nicht ordnungsgemäss zugestellt werden kann. Handelt es sich um keinen Vertragsstaat oder besteht ein entsprechender Vorbehalt, so müsste im jeweiligen Land und wohl auch gemäss dortigem Recht geklagt werden. Wie in einem solchen Fall vorzugehen wäre bzw. ob sich dies überhaupt lohnen würde, könnte unter Umständen über das Bundesamt für Justiz, internationale Rechtshilfe, oder die zuständige Schweizer Botschaft in Erfahrung gebracht werden.

5.Geltendmachung im interkantonalen Verhältnis

Im interkantonalen Verhältnis ist für die Geltendmachung von Unterhaltsbeiträgen, die gestützt auf Art. 329 Abs. 3 ZGB in Verbindung mit Art. 289 Abs. 2 ZGB auf das Gemeinwesen übergegangen sind, der Wohnkanton zuständig, bei Ausländerinnen und Ausländern ohne Wohnsitz in der Schweiz der unterstützende Aufenthaltskanton (Art. 25 Abs. 1 ZUG). Leistet also eine zürcherische Aufenthaltsgemeinde Notfallhilfe (vgl. dazu Kapitel 5.3.02), so liegt es am Wohnkanton, der die Kosten der wirtschaftlichen Hilfe trägt und entsprechend in den Anspruch auf Verwandtenunterstützung der unterstützten Person eintritt, abzuklären, ob von einem Verwandten Unterstützungsbeiträge erhältlich gemacht werden können.

Rechtsprechung

Urteil des Bundesgerichts 5A_122/2012: E.2: Wer in günstigen Verhältnissen lebt, ist verpflichtet, Verwandte in auf- und absteigender Linie zu unterstützen, die ohne diesen Beistand in Not geraten würden (Art. 328 Abs. 1 ZGB). Kommt das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, geht der Unterhaltsanspruch auf dieses über (Art. 329 Abs. 3 i.V.m. Art. 289 Abs. 2 ZGB). (…) In günstigen Verhältnissen im Sinn von Art. 328 Abs. 1 ZGB lebt, wer nebst den notwendigen Auslagen (wie Miet-/Hypothekarzins, Wohnnebenkosten, Krankenkassenprämien, Steuern, notwendige Berufsauslagen, Vorsorge- und eventuelle Pflegefallkosten) auch diejenigen Ausgaben tätigen kann, die weder notwendig noch nützlich zu sein brauchen, zur Führung eines gehobenen Lebensstils jedoch anfallen (wie Ausgaben in den Bereichen Reisen, Ferien, Kosmetik, Pflege, Mobilität, Gastronomie, Kultur etc.), d.h. wer aufgrund seiner finanziellen Gesamtsituation ein wohlhabendes Leben führen kann (BGE 136 III 1 E. 4 S. 4 mit Hinweisen). Massgeblich für die Beurteilung dieser Gesamtsituation ist nicht nur das Einkommen, sondern auch das Vermögen. Ein Anspruch auf dessen ungeschmälerte Erhaltung besteht nur dann, wenn die Unterstützung das eigene Auskommen des Pflichtigen schon in naher Zukunft gefährdet (BGE 132 III 97 E. 3.2 S. 105 f.). Diesbezüglich gilt allerdings der Vorbehalt, dass auch die Bedürfnisse des Pflichtigen im Alter berücksichtigt werden müssen (BGE 132 III 97 E. 3.3 S. 107; vgl. unten E. 3.3). Zu beachten sind ferner die verwandtschaftlichen Beziehungen. Es ist zulässig, bei Verwandtschaft gerader Linie im zweiten Grad (Grosseltern - Enkel) an die Voraussetzungen der Unterstützungspflicht höhere Anforderungen zu stellen als bei der Verwandtschaft ersten Grades zwischen Eltern und ihren Kindern (Urteil 5C.186/2006 vom 21. November 2007 E. 3.2.3, in: FamPra.ch 2008 S. 452 und recht 26/2008 S. 159). Insgesamt sind alle sachlich wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen und eine den besonderen Verhältnissen angepasste Lösung zu finden (BGE 132 III 97 E. 1 S. 99; 136 III 1 E. 4 S. 4).

E.3.1: Das Obergericht hat zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers die SKOS-Richtlinien als grobe Richtschnur beigezogen. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, denn diese Richtlinien sind für die Zivilgerichte zwar nicht verbindlich, dürfen aber im konkreten Einzelfall herangezogen werden (BGE 132 III 97 E. 2.4 S. 103 f.). Das Obergericht hat ausgeführt, eine Verwandtenunterstützungspflicht komme gemäss den Richtlinien bei Alleinstehenden erst bei einem steuerbaren Jahreseinkommen von Fr. 120'000.-- in Frage. Die Pauschale für eine gehobene Lebensführung betrage bei Alleinstehenden Fr. 10'000.-- pro Monat. 

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