Ausserkantonale Platzierungen in Kinder- und Jugendheimen

Kapitelnr.
12.2.03.
Publikationsdatum
20. September 2012
Kapitel
12 Stationäre Massnahmen
Unterkapitel
12.2. Massnahmen für Kinder/Jugendliche

Rechtsgrundlagen

§§ 9a und 9b Gesetz über Jugendheime und Pflegekinderfürsorge, LS 852.2 Interkantonale Vereinbarung über soziale Einrichtungen (IVSE) Art. 276 ZGB, Art. 279 ZGB, Art. 285 ZGB, Art. 289 ZGB Richtlinien der Bildungsdirektion vom 25. März 2011 zur Finanzierung der beitragsberechtig-ten Kinder-, Jugend- und Sonderschulheime im Kanton Zürich Verfügung der Bildungsdirektion vom 15. August 2008 über die Versorgertaxen in beitrags-berechtigten Sonderschulen und Schulheimen sowie Jugendheimen Tarife der beitragsberechtigten Heime im Kanton Zürich (alphabetisch nach Standortgemein-de) ab 1. Januar 2012

Erläuterungen

1.Allgemeines

Eine ausserkantonale Platzierung liegt vor, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher bzw. eine Jugendliche in ein Kinder- oder Jugendheim platziert wird, welches nicht im Kanton liegt, in welchem das Kind oder der bzw. die Jugendliche seinen bzw. ihren zivilrechtlichen Wohnsitz hat. Ausserkantonale Platzierungen werden z.B. notwendig, wenn im zivilrechtlichen Wohnkanton kein geeignetes oder innert nützlicher Distanz zum Wohnort erreichbares Angebot vorhan-den ist oder wenn aus Gründen des Kindesschutzes ein Verlassen des bisherigen Umfeldes angebracht erscheint. Bei einer Platzierung muss immer das Kindeswohl die oberste Leitlinie sein. Kantonsgrenzen dürfen daher kein Hindernis sein. Ein offenes Angebot, welches die Nutzung ausserkantonaler Einrichtungen ermöglicht, setzt aber voraus, dass gerechte Re-geln für die gegenseitige Kostenübernahme aufgestellt und eingehalten werden. Diesem Zweck dient die Interkantonale Vereinbarung für soziale Einrichtungen (IVSE). Nach § 9a Gesetz über Jugendheime und Pflegekinderfürsorge kann der Regierungsrat mit anderen Kantonen Vereinbarungen treffen über die Beteiligung an den Kosten von Kinder- und Jugendheimen. Beiträge, die gestützt auf solche Vereinbarungen für zürcherische Kin-der und Jugendliche (Kinder und Jugendliche, die ihren zivilrechtlichen Wohnsitz im Kanton Zürich haben) an andere Kantone oder ausserkantonale Heime ausbezahlt werden müssen, übernimmt der Kanton. Sie gelten nicht als öffentliche Unterstützung, sind also nicht aus Mit-teln der öffentlichen Sozialhilfe zu leisten (§ 9b Gesetz über die Jugendheime und Pflegekin-derfürsorge).

Von der Kompetenz zum Abschluss von Vereinbarungen über die Beteiligung an den Kosten von Kinder- und Jugendheimen hat der Regierungsrat bereits im Jahre 1984 Gebrauch ge-macht, indem er den Beitritt des Kantons Zürich zum Bereich A der IHV per 1. Januar 1985 beschlossen hat (RRB Nr. 3861/1984). Per 1. Januar 2008 ist der Kanton Zürich der IVSE in allen Bereichen beigetreten. Die IHV wurde auf diesen Zeitpunkt durch die IVSE abgelöst. Mit Bezug auf Kinder- und Jugendhei-me kommt der Bereich A der IVSE zur Anwendung. Davon erfasst werden stationäre Einrich-tungen, die gestützt auf eidgenössisches oder kantonales Recht Personen bis zum vollende-ten 20. Altersjahr, längstens jedoch bis nach Abschluss der Erstausbildung beherbergen, so-fern sie vor Erreichen der Volljährigkeit in eine Einrichtung eingetreten oder dort unterge-bracht worden sind (vgl. Art. 2 IVSE). Die Standortkantone entscheiden, welche Einrichtungen sie der IVSE unterstellen wollen. Das Zentralsekretariat der Sozialdirektoren-Konferenz (SODK) führt eine Liste der Einrich-tungen beziehungsweise derjenigen Abteilungen von Einrichtungen, welche der IVSE unter-stellt sind (Art 32 IVSE). Diese Liste kann auf www.ivse.ch (Datenbank) eingesehen werden.

2.Finanzierung

2.1. Platzierung eines Zürcher Kindes in eine ausserkantonale IVSE-Einrichtung Die Abgeltung der Leistungen der Einrichtung setzt sich aus einem Subventionsteil (Versor-gertaxen und Defizitüberschuss) und aus einem Beitrag der Unterhaltspflichtigen (BU) zu-sammen. Geregelt ist die Leistungsabgeltung in Art. 19 ff. IVSE. Der Betrag der Leistungs-abgeltung wird durch die Kostenübernahmegarantie (KÜG) garantiert (Art. 26 f. IVSE). Das ausserkantonale Kinder- oder Jugendheim stellt ein Gesuch für die Kostenübernahme-garantie, und zwar bei der IVSE-Verbindungstelle des Standortkantons. Diese prüft das Ge-such und leitet es der IVSE-Verbindungsstelle des Kantons Zürich weiter. Im Kanton Zürich amtet das Kantonale Sozialamt, Abteilung Soziale Einrichtungen, als IVSE-Verbindungsstelle, wobei Gesuche für die Kostenübernahmegarantie im Bereich A vom Amt für Jugend und Berufsberatung behandelt werden. Letzteres leistet auch die Kostenüber-nahmegarantie. Die Rechnungsstellung durch das Heim erfolgt dann grundsätzlich direkt an die zahlungspflichtigen Stellen (vgl. Art. 25 IVSE). Nach ständiger Praxis des Amtes für Jugend und Berufsberatung hat die zivilrechtliche Wohngemeinde des platzierten Kindes unabhängig davon, ob eine inner- oder ausserkanto-nale Platzierung vorliegt, für die Kosten der Fremdplatzierung im Umfang der von der Bil-dungsdirektion festgelegten Versorgertaxen (vgl. Verfügung der Bildungsdirektion vom 15. August 2008 über die Versorgertaxen in beitragsberechtigten Sonderschulen und Schul-heimen sowie Jugendheimen) aufzukommen. Allfällige die Zürcher Versorgertaxen überstei-gende Platzierungskosten werden gestützt auf § 9b Gesetz über die Jugendheime und Pfle-gekinderfürsorge vom Kanton als Restdefizit bzw. Defizitüberschuss übernommen. Mit Bezug auf den Beitrag der Unterhaltspflichtigen hält Art. 22 Abs. 1 IVSE fest, dass des-

sen Höhe im Rahmen der IVSE den mittleren Tagesaufwendungen für Kost und Logis für ei-ne Person in einfachen Verhältnissen entspricht. Gemäss dem Kommentar zur IVSE liegt dieser Betrag zwischen Fr. 25.-- und Fr. 30.-- pro Tag. Im Kanton Zürich wird von einem Be-trag von Fr. 30.-- pro Tag ausgegangen. Nach Art. 25 IVSE stellt die Einrichtung den zah-lungspflichtigen Stellen und Personen die jeweilige Leistungsabgeltung in Rechnung. Kom-men die Eltern nicht selbst für den Beitrag der Unterhaltspflichtigen auf, hat die Sozialbehör-de am Unterstützungswohnsitz des Kindes (vgl. Kapitel 3.2.03) hierfür Kostengutsprache zu leisten. Der Unterhaltsanspruch des Kindes geht in diesem Umfang gestützt auf Art. 289 Abs. 2 ZGB auf die für das Kind sozialhilferechtlich zuständige Gemeinde, d.h. auf den Un-terstützungswohnsitz des Kindes, über. Sie kann die Eltern zur Leistung eines entsprechen-den Unterhaltsbeitrages anhalten und, falls keine Einigung zustande kommt, die Eltern auf Leistung eines entsprechenden Unterhaltsbeitrages einklagen (Art. 279 ZGB). Sind die El-tern nicht leistungsfähig, verbleibt die Kostentragung beim Unterstützungswohnsitz des Kin-des. Dasselbe gilt für die Nebenkosten (z.B. Taschengeld, Kleider und Schuhe, Telefonkarten, Toilettenartikel). Entsprechend hat die Sozialbehörde am Unterstützungswohnsitz des Kin-des auch hierfür Kostengutsprache zu leisten, wenn die Eltern nicht selbst für die Nebenkos-ten aufkommen (können). Beiträge der Unterhaltspflichtigen und Nebenkosten, welche von der öffentlichen Sozialhilfe übernommen werden, können nach den Regeln des ZUG (Kapitel 18.2) bzw. des SHG (Ka-pitel 18.3) weiterverrechnet werden. Die Auslagen sind gestützt auf § 45 SHG staatsbei-tragsberechtigt (Kapitel 19.1). Verfügt das Kind nicht über einen eigenen Unterstützungswohnsitz, bildet es zusammen mit der Familie eine Unterstützungseinheit. Reichen die Mittel der Familie nicht aus, um für die Beiträge der Unterhaltspflichtigen und für die Nebenkosten aufzukommen, würden in solchen Fällen alle Familienmitglieder sozialhilfeabhängig. Um dies zu vermeiden, rechtfertigt es sich, in Abweichung von den SKOS-Richtlinien (vgl. § 17 Abs. 1 letzter Satz SHV) die Unterstüt-zungsauslagen für das im Heim platzierte Kind so zu berechnen, wie wenn es über einen ei-genen Unterstützungswohnsitz verfügen würde und es somit als eigenen Unterstützungsfall zu führen. 2.2. Platzierung eines ausserkantonalen Kindes in einer zürcherischen IVSE-Einrichtung In diesen Fällen wird die vom Kanton Zürich für das entsprechende Angebot festgelegte Ta-gespauschale von der ausserkantonalen zivilrechtlichen Wohngemeinde bzw. dem Wohn-kanton übernommen. Eine Mitfinanzierungspflicht einer zürcherischen Gemeinde besteht höchstens dann, wenn sich der Unterstützungswohnsitz des Kindes (vgl. Kapitel 3.2.03) in einer Gemeinde des Kantons Zürich befindet. Diese hat unter den vorstehend in Ziff. 2.1 geschilderten Voraus-setzungen für den Beitrag der Unterhaltspflichtigen und die Nebenkosten aufzukommen. Kommt die zürcherische Gemeinde als sozialhilferechtlich zuständiges Gemeinwesen für

den Beitrag der Unterhaltspflichtigen und die Nebenkosten auf, kann sie diese Auslagen ge-gebenenfalls nach den Regeln des ZUG (Kapitel 18.2) bzw. des SHG (Kapitel 18.3) weiter-verrechnen. Die Auslagen sind gestützt auf § 45 SHG staatsbeitragsberechtigt (Kapitel 19.1). Zum Zwecke der Vermeidung einer Sozialhilfeabhängigkeit der ganzen Familie kann in Ab-weichung von den SKOS-Richtlinien (vgl. § 17 Abs. 1 letzter Satz SHV) das im Heim platzier-te Kind als eigener Unterstützungsfall geführt werden kann, auch wenn es keinen eigenen Unterstützungswohnsitz hat und die Mittel der Familie zudem nicht ausreichen, um für die Beiträge der Unterhaltspflichtigen und für die Nebenkosten aufzukommen. Weigern sich die Eltern, für die Beiträge der Unterhaltspflichtigen und für die Nebenkosten aufzukommen, ob-wohl sie dazu in der Lage wären, ist das über keinen eigenen Unterstützungswohnsitz verfü-gende Kind gestützt auf § 23 SHG als eigener Unterstützungsfall zu führen. Der Unterstüt-zungswohnsitz des Kindes hat für die betreffenden Auslagen Kostengutsprache zu leisten und kann gegen die Eltern Unterhaltsklage erheben (Art. 289 Abs. 2 ZGB in Verbindung mit Art. 279 ZGB).

3.Platzierungen in nicht der IVSE unterstellten Einrichtungen

In der Regel werden Kinder und Jugendliche in Einrichtungen platziert, welche sich in ihrem zivilrechtlichen Wohnkanton befinden. Wird jedoch eine ausserkantonale Platzierung not-wendig, sollte dies wenn immer möglich in eine Einrichtung erfolgen, welche der IVSE unter-stellt ist. Die IVSE bietet einheitliche Regeln bezüglich Qualität (vgl. IVSE-Rahmenrichtlinien zu den Qualitätsanforderungen vom 1. Dezember 2005), Rechnungslegung (vgl. IVSE-Richtlinien zur Leistungsabgeltung und zur Kostenrechnung vom 7. Dezember 2007), und Verfahren und gewährleistet dadurch einen qualitativ und organisatorisch klaren Rahmen, der im Interesse aller Beteiligten liegt. Bei Platzierungen in Einrichtungen, welche der IVSE nicht unterstehen, kommen weder die Finanzierungsregelungen der IVSE noch die zürcherische Regelung gemäss dem Gesetz über die Jugendheime und Pflegekinderfürsorge zur Anwendung. Sind die Eltern nicht in der Lage, für die von ihnen zu tragenden Platzierungskosten selbst aufzukommen, sind die Kosten, soweit die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, als situationsbedingte Leistungen (vgl. Kapitel 8.1.01) aus Mitteln der öffentlichen Sozialhilfe zu übernehmen. Vor der Platzierung ist bei der zuständigen Sozialbehörde ein Gesuch um Kostengutsprache zu stellen. Diesbezüglich ist zu beachten, dass die Sozialbehörde nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 135 V 134) an den rechtskräftigen Platzierungsentscheid der zu-ständigen Vormundschaftsbehörde gebunden ist. Das bedeutet, dass die Sozialbehörde bei ausgewiesener Bedürftigkeit Kostengutsprache leisten muss, selbst wenn sie mit der Platzie-rung in die betreffende Einrichtung nicht einverstanden ist, weil beispielsweise auch eine Platzierung in eine andere, kostengünstigere Einrichtung möglich gewesen wäre, die dem Kindeswohl aus ihrer Sicht gleich gut Rechnung getragen hätte. Auch eine verspätete Einrei-chung des Kostengutsprachegesuches (Kapitel 10) berechtigt die Sozialbehörde nicht dazu, die Kostenübernahme abzulehnen. Einzig in den Fällen, in denen die Unterbringung aus so-

zialhilferechtlicher Sicht rechtsmissbräuchlich ist, kann die Sozialbehörde die Übernahme der Kosten für die rechtskräftig beschlossene Unterbringung ablehnen. Dass ein Rechtsmiss-brauch vorliegt, hätte dabei die Sozialbehörde zu beweisen, was in der Regel sehr schwierig ist. Nach Ansicht des Bundesgerichts hat die Sozialbehörde aber die Möglichkeit, ihre Rechte im vormundschaftlichen Verfahren zu wahren. Sie kann also ihre Einwendungen und Vorbehalte vor dem Erlass des Platzierungsentscheides vorbringen. Beschliesst die Vormundschaftsbe-hörde dennoch die fragliche Unterbringung, kann die Sozialbehörde gegen diesen Beschluss ein Rechtsmittel ergreifen. Ihre Rechte kann die Sozialbehörde aber auch wahren, wenn sie nicht bereits während des vormundschaftsrechtlichen Entscheidungsprozesses angehört wurde. In diesen Fällen kann sie, sobald sie vom betreffenden Platzierungsentscheid Kennt-nis erhält, von der zuständigen Vormundschaftsbehörde die formelle Zustellung des Be-schlusses verlangen. Ist die Zustellung erfolgt, kann sie den Beschluss unter Einhaltung der Rechtsmittelfrist anfechten.

Rechtsprechung

Entscheide des Bundesgerichts: BGE 135 V 134 (Die Sozialhilfebehörde ist an den (bundesrechtskonform gefällten) Ent-scheid der zuständigen Vormundschaftsbehörde zur Unterbringung eines unmündigen Kin-des in einem Heim gebunden. Sie kann gestützt auf kantonalrechtliche Sozialhilfebestim-mungen die Übernahme der Kosten der angeordneten Massnahme nicht verweigern.)

Praxishilfen

Vgl. zur rechtlichen Qualifikation der Versorgertaxen auch

  • Prof. Dr. Isabel Häner/Dr. Christine Ackermann, Rechtsgutachten über die Finanzierung der Kinder-, Jugend- und Schulheimplatzierungen vom 25. August 2011.
  • Prof. Dr. Isabel Häner/Dr. Christine Ackermann, Ergänzungsgutachten vom 3. November 2011. Zur schematischen Übersicht über die Finanzierung vgl. Kapitel 12.2.06.

Kontakt

Kantonales Sozialamt - Abteilung Öffentliche Sozialhilfe

E-Mail

sozialhilfe@sa.zh.ch

Für Fragen zur Interinstitutionellen Zusammenarbeit: iiz@sa.zh.ch


Für dieses Thema zuständig: