Interkantonale Zuständigkeitskonflikte

Kapitelnr.
3.3.03.
Publikationsdatum
6. Januar 2019
Kapitel
3 Zuständigkeit
Unterkapitel
3.3. Zuständigkeitsklärung

Rechtsgrundlagen

Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger vom 24. Juni 1977 (ZUG), SR 851.1 Sozialhilfegesetz vom 14. Juni 1981(SHG), LS 851.1 Verordnung zum Sozialhilfegesetz vom 21. Oktober 1981 (SHV), LS 851.11

Erläuterungen

1.Interkantonale Zuständigkeit

Das ZUG bestimmt, welcher Kanton für die Unterstützung einer bedürftigen Person zustän-dig ist (zur Zuständigkeitsordnung des ZUG vgl. Kapitel 3.1 und Kapitel 3.2). Welche Behör-de innerkantonal zuständig ist, ergibt sich aus der Sozialhilfegesetzgebung der einzelnen Kantone.

2.Zuständigkeitsprüfung von Amtes wegen

Gemäss § 26 SHV prüft die Zürcher Fürsorgebehörde ihre Zuständigkeit von Amtes wegen. Im innerkantonalen Bereich sieht § 26 SHV vor, dass die Fürsorgebehörde, welche sich als nicht zuständig erachtet, die Hilfe suchende Person an die gemäss § 32 SHG oder § 33 SHG hilfepflichtige Gemeinde verweist und dieser gleichzeitig Mitteilung macht (vgl. dazu Kapitel 3.3.01). Differenzierter ist vorzugehen, wenn es sich bei dieser um eine ausserkantonale Gemeinde handelt. Ergibt eine Anfrage bei dieser Gemeinde, dass sie die Zuständigkeit ebenfalls ablehnt oder ist die entsprechende Haltung jener Gemeinde bereits anderweitig bekannt (z.B., weil sie eine Nichteintretensverfügung mangels örtlicher Zuständigkeit erlas-sen hat), ist das Kantonale Sozialamt unter Beilage aller sachdienlicher Unterlagen über den Sachverhalt zu informieren. Kommt das Kantonale Sozialamt zum Schluss, dass eine Zu-ständigkeit der zürcherischen Gemeinde nicht oder zumindest gestützt auf die bis dahin be-kannten Fakten nicht zuständig ist, versucht es über die nach Art. 29 ZUG zuständige aus-serkantonale Stelle eine Klärung der Zuständigkeit herbeizuführen.

3.Arten von negativen Kompetenzkonflikten

Verneinen die um Hilfe ersuchten Gemeinden ihre Zuständigkeit, liegt ein so genannter ne-gativer Kompetenzkonflikt vor. Solche Zuständigkeitsstreitigkeiten können sich z.B. ergeben, wenn

  • umstritten ist, ob sich eine Person lediglich zu einem Sonderzweck in einem anderen

Kanton aufhält (vgl. dazu Kapitel 3.2.01, Ziff. 5.3),

  • eine Person aus der bisher bewohnten Wohnung in der Gemeinde X wegzieht und in ei-ne lose begleitete Wohnform im Nachbarkanton eintritt, bei der die Qualifikation als Heim im Sinne von Art. 5 ZUG (vgl. dazu Kapitel 3.2.01, Ziff. 3) umstritten ist,
  • eine Person über keinen Unterstützungswohnsitz verfügt und sich in zwei verschiedenen Gemeinden aufhält, so dass unklar ist, welcher der nach Art. 11 ZUG zuständige Auf-enthaltskanton bzw. welche die zuständige Aufenthaltsgemeinde ist (vgl. dazu Kapitel 3.2.02),
  • ein Kind fremdplatziert wird, die Eltern in den Nachbarkanton ziehen und umstritten ist, ob das Kind bloss vorübergehend oder dauernd fremdplatziert ist (vgl. dazu Kapitel 3.2.03).

4.Verpflichtung zur vorsorglichen Unterstützung bei negativen Kompetenzkon-flikten

Negative Kompetenzkonflikte dürfen sich nicht zulasten der hilfesuchenden Person auswir-ken. Ist diese sofort auf Hilfe angewiesen, ist sie dort, wo sie sich aktuell aufhält, einstweilen, d.h. unpräjudiziell und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, zu unterstützen.

5.Unterstützungsanzeige

Kommt im Rahmen eines Meinungsaustausches zwischen den nach Art. 29 ZUG zuständi-gen Amtsstellen keine Einigung über die Zuständigkeit zustande (vgl. vorstehend Ziff. 2), be-darf es einer förmlichen Klärung der Zuständigkeit, d.h. einer Entscheidung, die Rechtswir-kungen entfaltet und das unterliegende Gemeinwesen rechtskräftig zur Unterstützung der betreffenden Person verpflichtet. Das ZUG kennt - im Unterschied zum SHG (vgl. § 9 lit. e SHG, Kapitel 3.3.01) - kein spezielles Verfahren für die Klärung von negativen Kompetenz-konflikten. Es ist daher in solchen Fällen auf das Instrument der Unterstützungsanzeige (vgl. Art. 30 ZUG und Art. 31 ZUG) zurückzugreifen. Wie vorstehend in Ziff. 3 dargestellt kann entweder umstritten sein, welche Gemeinde bzw. welcher Kanton der Unterstützungswohnsitz der bedürftigen Person ist oder es ist umstritten, wer als zuständiger Aufenthaltskanton hilfepflichtig ist. Es handelt sich hier also weder um den klassischen Fall einer Notfallunterstützung nach Art. 30 ZUG (zumal in den hier zur Dis-kussion stehenden Fällen in aller Regel keine Nothilfe, sondern normale Sozialhilfeleistun-gen auszurichten sind), noch geht es um eine Weiterverrechnung von Sozialhilfekosten an den Heimatkanton nach Art. 31 ZUG. Derjenige Kanton, in welchem sich die auf sofortige Hilfe angewiesene Person aufhält, nimmt aber die Unterstützung auf, weil ein Notfall vorliegt und sich der negative Kompetenzkonflikt nicht zulasten der betreffenden Person auswirken darf. Dementsprechend ist nach Aufnahme der Unterstützung zuhanden des mutmasslichen Wohnkantons bzw. mutmasslich zuständigen Aufenthaltskantons eine Notfallunterstützungs-anzeige im Sinne von Art. 30 ZUG einzureichen (im Kanton Zürich: Formular D). Auf der An-

zeige ist anzugeben, dass ein negativer Kompetenzkonflikt vorliegt und die Unterstützung demzufolge lediglich einstweilen und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erfolgt. Zudem ist bei Personen ohne Unterstützungswohnsitz anzugeben, dass die Unterstützung der Auf-enthaltsgemeinde an den nach Art. 11 ZUG zuständigen Aufenthaltskanton bzw. die zustän-dige Aufenthaltsgemeinde erfolgt (vgl. auch Kapitel 18.2.03). Mit der Einreichung einer Notfallunterstützungsanzeige wird zum einen erreicht, dass die Zu-ständigkeit auf dem Weg eines Einspracheverfahrens nach Art. 33 ZUG (vgl. dazu Kapitel 18.2.06) geklärt werden kann, ist doch davon auszugehen, dass der im Einsprache- und al-lenfalls nachfolgenden Beschwerdeverfahren (Art. 34 ZUG) unterliegende Kanton bzw. die letztlich zuständige Gemeinde auch die Fallführung übernehmen wird. Zum anderen wird mit der Unterstützungsanzeige sichergestellt, dass der vorläufig unterstützende Kanton bzw. die vorläufig unterstützende Gemeinde die bis zur Fallübergabe angefallenen Kosten erstattet bekommt, wenn sich herausstellt, dass sie sozialhilferechtlich nicht zuständig war (vgl. auch Kapitel 18.2.01).

Rechtsprechung

VB.2008.00291 (bestätigt durch das Bundesgericht mit Urteil 8C_852/2008 vom 25. Februar 2009 mit Verweis in E.3.3 auf Urteil 2A.55/2000 vom 27. Oktober 2000 E. 5a, welches sich zum Wechsel des Aufenthaltskantons äussert, der nur mit Zurückhaltung angenommen wer-den darf: A, Staatsangehöriger des Landes W, der 1964 in der Schweiz geboren wurde und bis in das Jahr 2000 im Kanton X lebte, zog zu seinen Eltern nach W und kehrte im Herbst 2007 in die Schweiz zurück. Vom 1. Dezember 2007 bis 31. Januar 2008 lebte er in einer Unterkunft der Heilsarmee im Kanton X. Seine Ex-Ehefrau mit den gemeinsamen Kindern sowie seine Schwester wohnen im Kanton X. Am 5. Februar 2008 wurde er von der Kantonspolizei Zü-rich am Hauptbahnhof Zürich aufgegriffen und in der Folge mittels fürsorgerischer Freiheits-entziehung (FFE) in die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) eingewiesen, wo er wegen akuter paranoider Schizophrenie behandelt wurde. Der Kanton X lehnte eine Kosten-gutsprache ab, worauf ihm der Kanton Zürich eine Notfall-Unterstützungsanzeige zukommen liess. Die dagegen erhobene Einsprache wies die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich ab. Rechtsgrundlagen der Unterstützungspflicht für Ausländer (E. 2.1). Definition des Aufenthalts nach dem Zuständigkeitsgesetz (ZUG; E. 2.2). Wann ein die kantonale Unterstützungszu-ständigkeit ändernder Aufenthaltswechsel vorliegt, regelt das ZUG nicht; ein solcher ist bei Ausländern ohne Wohnsitz in der Schweiz zurückhaltend anzunehmen (E. 2.3). A wollte im Kanton X Wohnsitz nehmen, doch konnte er sich in der Unterkunft der Heilsar-mee nicht polizeilich anmelden. Er hätte sich somit auf einen Unterstützungswohnsitz beru-fen können und war als EU-Bürger berechtigt, sich in der Schweiz niederzulassen oder min-destens aufzuhalten (E. 4.1.1+2). Es ist fraglich, ob er die Heilsarmeeunterkunft freiwillig ver-liess (E. 4.2). Er verfügt über eine engere Beziehung zum Kanton X und hielt sich dort über zwei Monate tatsächlich auf, so dass er dort seinen Aufenthalt begründete (E. 4.2.2). Als er

im Hauptbahnhof Zürich aufgegriffen wurde, war er auf dem Weg zum Konsulat; dies und die blosse Leistung der Nothilfe durch den Kanton Zürich führte nicht zu einem Wechsel des Aufenthaltskantons. Deshalb bleibt der Beschwerdeführer als sein Aufenthaltskanton unter-stützungspflichtig (E. 4.3.2+3). Abweisung der Beschwerde.

Praxishilfen

Empfehlung der Kommission Rechtsfragen der SKOS zu negativen Kompetenzkonflikten

Kontakt

Kantonales Sozialamt - Abteilung Öffentliche Sozialhilfe

E-Mail

sozialhilfe@sa.zh.ch

Für Fragen zur Interinstitutionellen Zusammenarbeit: iiz@sa.zh.ch


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