Leistungseinstellung - Verletzung der Subsidiariatät

Kapitelnr.
14.3.02.
Publikationsdatum
30. Januar 2013
Kapitel
14 Auflagen, Leistungskürzung als Sanktion und Leistungseinstellung
Unterkapitel
14.3. Leistungseinstellung und Nichtgewähren von Leistungen

Rechtsgrundlagen

SKOS-Richtlinien, Kapitel A.8.

Erläuterungen

1.Verzicht auf Erwerbs- oder Ersatzeinkommen

Art. 12 der Bundesverfassung wie auch das Sozialhilfegesetz knüpfen den Anspruch auf fi-nanzielle Unterstützung an eine Notlage. Unerheblich dabei ist es, ob es der zu unterstüt-zenden Person rechtlich verwehrt ist, die nötigen Mittel selbst zu beschaffen oder es ihr fak-tisch unmöglich ist. Keinen Anspruch auf Sozialhilfe (bzw. Nothilfe gemäss Art. 12 BV) hat eine Person, die objektiv in der Lage wäre, sich mit der Annahme einer ihr zumutbaren Arbeit (also aus eigener Kraft) oder mit der Geltendmachung eines ihr zustehenden Ersatzeinkom-mens die für das Überleben notwendigen Mittel selbst zu verschaffen. Wer eine ihm angebo-tene, zumutbare Arbeit ablehnt, oder es versäumt, ein Ersatzeinkommen zu beanspruchen, wäre in der Lage, seine Existenz ganz oder zumindest teilweise zu sichern und sich in die-sem Umfang selber zu helfen. Da sie sich aus eigener Kraft die notwendigen Mittel beschaf-fen könnte, mangelt es an der Voraussetzung für den Bezug von Sozialhilfe oder Nothilfe. Dies entspricht konstanter Praxis des Bundesgerichts (in Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Eigenverantwortung). Es ist in diesem Fall zulässig, das entgangene Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen als hypothetisches Einkommen an die Unterstüt-zungsleistung anzurechnen. Die Leistungen werden in diesem Umfang entzogen (vgl. SKOS-Richtlinien, Kapitel A.8).

2.Voraussetzung für den Leistungseinstellung bzw. die Leistungsverweigerung

Eine teilweise oder gänzliche Einstellung bzw. Verweigerung von Unterstützungsleistungen für die Grundsicherung stellt eine einschneidende Massnahme dar. Sie ist bei einer Verlet-zung der Subsidiarität (vgl. Kapitel 5.1.03) zulässig, wenn die unterstützte Person sich in Kenntnis der Konsequenzen weigert, eine ihr mögliche, zumutbare und konkret zur Verfü-gung stehende Arbeit anzunehmen (vgl. dazu SKOS-Richtlinien, Kapitel A.5.2 und Kapitel A.8.3). Gleiches gilt, wenn sich die unterstützte Person weigert, einen ihr zustehenden, bezif-ferbaren und durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Ersatzeinkommen geltend zu machen, wodurch sie in der Lage wäre, ganz oder teilweise für sich selber zu sorgen.

3.Umfang des Leistungsentzugs

Die betroffene Person ist im Umfang des erzielbaren (Ersatz-)Einkommens nicht bedürftig. Dies gilt in Anwendung des Subsidiaritätsprinzips (vgl. Kapitel 5.1.03). Würde durch eine

abgelehnte Arbeit oder durch ein ausgeschlagenes Ersatzeinkommen lediglich ein Einkom-men erzielt, welches unter dem absoluten Existenzminimum liegt, so ist ein teilweiser Leis-tungsentzug bzw. eine teilweise Leistungseinstellung zu verfügen. Im Umfang der Differenz zwischen dem Bedarf und der teilweisen Leistungseinstellung ist weiterhin Sozialhilfe auszu-richten.

Rechtsprechung

VB.2007.00176 (Gegenleistung Arbeitsbemühungen, Kürzung und Einstellung): Bei Missach-tung einer Weisung ist gegebenenfalls anstelle einer Leistungskürzung eine Leistungsein-stellung zulässig, so etwa dann, wenn der Hilfeempfänger sich beharrlich weigert, eine ihm zumutbare Arbeitsstelle zu suchen (E.2.2). Bereits seit März 2000 wurde der Hilfeempfänger aufgefordert, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen (E.3.3.1). Ungeordnete und unvollstän-dig ausgefüllte Belege von angeblichen Arbeitsbemühungen genügen nicht (E.3.3.2). Eine konkrete Würdigung der Arbeitsbemühungen ergab, dass sich der Hilfeempfänger mehrheit-lich für Stellen, deren Anforderungsprofil er nicht erfüllte, bewarb (E.3.3.3). Angesichts der klaren Missachtung der Weisung durften daher androhungsgemäss die Leistungen einge-stellt werden. VB.2005.00354 (Gegenleistung, Einstellung der Leistungen): Im zu beurteilenden Fall ver-weigerte ein Sozialhilfebeziehender zweimal zu Unrecht eine zumutbare Arbeit. Da er damit eine Anordnung, die geeignet ist, seine Lage zu verbessern, beharrlich missachtete, erwies sich eine Einstellung der Leistungen als zulässig. Zu den Gegenleistungen führt das Verwaltungsgericht unter E.2.3 Folgendes aus: Die neuen SKOS-Richtlinien «halten unter anderem als Grundsatz fest, die immaterielle und materielle Hilfe sei so auszugestalten, dass die Teilnahme und Teilhabe der Betroffenen am Sozial- und Arbeitsleben und damit die Eigenverantwortung und die Hilfe zur Selbsthilfe gefördert würden (Kap. A.2-1, neu mit Schwergewicht auf der beruflichen und sozialen Integration Kap. D.1). Ähnlich ist § 3 Abs. 2 SHG zu verstehen, wonach die Hilfesuchenden aktiv han-delnd in die Hilfstätigkeit einbezogen werden sollen und deren Möglichkeiten zur Selbsthilfe zu fördern sind (…). Gemäss den SKOS-Richtlinien stellt die Sozialhilfe kompensierende Angebote zum sich verengenden Arbeitsmarkt bereit, um wirtschaftlichen und sozialen Aus-schlussprozessen zu begegnen. Dazu entwickle sie Integrationsprogramme, die auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung basierten, und fördere Anreize, um aus der Sozial-hilfeabhängigkeit herauszukommen. Der Hilfsbedürftige habe insbesondere kein Wahlrecht zwischen vorrangigen Hilfsquellen, wozu namentlich der Einsatz der eigenen Arbeitskraft gehöre, und der Sozialhilfe (A.4-1). Zugleich seien die Programme Ausdruck der dem Hilfs-bedürftigen obliegenden Verpflichtung zur Minderung seiner Unterstützungsbedürftigkeit, wonach er alles in seiner Kraft stehende unternehmen müsse, um seine Notlage zu lindern oder zu beheben (Kap. A.5.3). Als Massnahmen zur sozialen und beruflichen Integration gäl-ten neben beruflichen Qualifizierungsmassnahmen namentlich auch Beschäftigungspro-gramme und Freiwilligenarbeit (Kap. D.3-1).― Das Verwaltungsgericht führt weiter aus, dass wer aus eigener Kraft faktisch und rechtlich in der Lage sei, sich die für seine Existenz erfor-

derlichen Mittel aktuell zu verschaffen, nicht in jener Notsituation stehe, auf die das Grund-recht der Existenzsicherung zugeschnitten sei. VB.2004.00534: Voraussetzung für die Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen bildet, dass zunächst alle privat- oder öffentlichrechtlichen Ansprüche des Gesuchstellers ausgeschöpft werden. Infrage kommen dabei insbesondere auch Leistungen der Sozialversicherungen (Felix Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. A., Bern etc. 1999, S. 72; SKOS-Richt-linien, Kap. A.4-2). Der Grundsatz der Subsidiarität ist jedoch immer dann zu durchbrechen, wenn zwar ein Anspruch auf Leistungen Dritter besteht, die Leistungspflicht jedoch nicht o-der nicht rechtzeitig erfüllt wird, sodass eine Notlage eintritt. Beansprucht beispielsweise eine Rentenabklärung einige Zeit, so hat die Sozialhilfe den dadurch entstehenden Engpass zu überbrücken (Wolffers, S. 71). Es steht der Beschwerdeführerin nicht frei, auf eine erneute Anmeldung zum Bezug von Ergänzungsleistungen zu verzichten. Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin jedoch offenbar nicht dazu aufgefordert, ihre finanzielle Situation darzulegen. Ebenso wenig wurde die Beschwerdeführerin formell aufgefordert, ein neues Gesuch um Ausrichtung von Ergänzungsleistungen zu stellen. Es geht daher nicht an, der Beschwerdeführerin eine Verletzung der Mitwirkungspflicht im vorliegenden Verfahren vor-zuwerfen. Die Vorinstanz ging wie die Beschwerdegegnerin davon aus, dass die Beschwer-deführerin ihre Vermögenslage nicht offen gelegt und kein erneutes Gesuch um Ausrichtung von Ergänzungsleistungen gestellt habe. Darin liegt eine im Beschwerdeverfahren nicht zu heilende Verletzung des rechtlichen Gehörs, was zur Aufhebung des vorinstanzlichen Ent-scheides führt, soweit sich dieser auf die Erstattung der verlangten Umzugskosten bezieht (E. 3.2 - 3.3). VB.2004.00333 (Weisung zur Teilnahme an einem Beschäftigungsprogramm - Einstellung): Das Sozialhilferecht will die Eigenverantwortung der Hilfe suchenden Person fördern. Diese hat zur Minderung der Unterstützungsbedürftigkeit beizutragen, namentlich durch den Ein-satz der eigenen Arbeitskraft (E.4.2 am Anfang). Eine Weisung, sich an einem Beschäfti-gungsprogramm zu beteiligen, ist zulässig, insbesondere dann, wenn die damit verbundene Arbeit als zumutbar erscheint (E. 4.2.1-3). Als zulässige Sanktion gegen die Missachtung ei-ner Weisung kommt neben einer Kürzung in besonderen Fällen einer beharrlichen Weige-rung eine Leistungseinstellung in Frage. Im zu beurteilenden Fall handelte es sich um die Verweigerung der Teilnahme an einem Arbeitsintegrationsprogramm, das darin besteht, ausgesteuerte und fürsorgeabhängige Personen durch soziale, gesellschaftliche und berufli-che Integration in die finanzielle Selbständigkeit zurückzuführen. Die vermittelten Arbeiten bestehen in Einzel- oder Gruppeneinsätzen in gemeinnützigen Institutionen, Industrie, Ge-werbe, Landwirtschaft und bei privaten Arbeitgebern. Es handelt sich unter anderem um stunden- und tageweise Einsätze, einzeln oder in Gruppen, im und um das Haus, im Betrieb oder im Büro sowie um Temporäreinsätze zum Abbau von Überstunden, Ferienablösungen, Ablösungen im Krankheitsfall und bei Kapazitätsengpässen, wobei die Leitung des Arbeitsin-tegrationsprojekts mit den örtlichen Betrieben zusammenarbeitet. Berufliche Kenntnisse werden nicht vorausgesetzt, hingegen der Wille zur Arbeit, Deutschkenntnisse, Interesse an sozialer und beruflicher Integration und Offenheit für persönliche Veränderungen. Der Bera-tung kommt dabei grosser Raum zu. Der Sozialhilfebezüger weigerte sich kategorisch, am Beschäftigungsprogramm teilzunehmen, ohne überhaupt in Erfahrung zu bringen, welche

Arbeit ihm angeboten würde. Diese besonderen Umstände liessen eine Leistungseinstellung als gerechtfertigt erscheinen (E.4.3.1-2, 4.4.3-4).

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