Forschung & Entwicklung (F&E) bringt Praxis und Wissenschaft im Justizvollzug zusammen. Eine umfangreiche Übersicht der wissenschaftlichen Publikationen, veröffentlichten Interviews, Medien- sowie Audio- und Videobeiträge zur Forschung im Justizvollzug finden Sie hier.
Wissenstransfer in die Praxis - Impact für die Gesellschaft
Erst der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Welt ausserhalb der Wissenschaft führt zu Veränderung. Durch Wissenstransfer finden Einsichten aus der Forschung ihren Weg in die Praxis und die Gesellschaft. Dazu gehört auch der Dialog mit der Öffentlichkeit. Mitarbeitende von F&E tragen auf vielfältige Art und Weise dazu bei, die öffentliche Debatte zu relevanten Themen des Justizvollzugs mitzugestalten und den Auftrag von JuWe zu vermitteln.
Ringvorlesung Psyche trifft Justiz 2025/2026
Die forensische Psychologie ist mehr als eine faszinierende Wissenschaft. Sie schlägt eine Brücke zwischen Psychologie, Recht und Gesellschaft. Ihre gesellschaftspolitische Bedeutung reicht weit über Gerichtssäle und Gefängnisse hinaus – sie betrifft uns alle.
Justizvollzug und Wiedereingliederung unterstützt in Kooperation mit der Universität Zürich die Durchführung der ersten öffentlichen Ringvorlesung «Psyche trifft Justiz» der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz. Die Vortragsreihe richtet sich an die interessierte Öffentlichkeit sowie Fachpersonen und bietet Einblicke in aktuelle Fragestellungen und Entwicklungen der forensischen Psychologie.
Die Teilnahme ist kostenfrei, um Anmeldung wird gebeten.
F&E in den Medien
TV- und Videobeiträge
Neuester TV-Beitrag mit Prof. Dr. Jérôme Endrass zu Femiziden und häuslicher Gewalt
SRF-Sendung «Club» vom 25.11.2025
Die Prävention von Femiziden und häuslicher Gewalt bleibt in der Schweiz ein drängendes gesellschaftliches Thema. Obwohl die Fallzahlen seit Jahren hoch sind, ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit vergleichsweise jung. In der Diskussionsrunde des «Club» erläutert Jérôme Endrass, welchen Herausforderungen die Forschung in diesem Themenfeld gegenübersteht und welche Fragen deshalb noch immer offen sind.
Übergeordnet hebt Endrass hervor, dass Täterarbeit zugleich Opferschutz ist. Deliktpräventive Interventionen können Rückfälle verhindern und sind volkswirtschaftlich sinnvoll, da sie langfristig Kosten reduzieren.
| Pädosexuelle Straftaten & Selbstjustiz | J. Endrass | SRF News & Impact | 10/2025 |
|---|---|---|---|
| Extremismus & Radikalisierung | J. Endrass | TeleZüri, TalkTäglich | 09/2025 |
| Tötungsdelikte | J. Endrass | Tele M1 | 06/2025 |
| Wirkung von Interventionen | A. Rossegger | ZDF heute | 04/2025 |
| Incels | J. Endrass | SRF News | 04/2025 |
| Kriminalstatistik | J. Endrass | SRF Club | 03/2025 |
| Einwilligungspflicht im Sexualstrafrecht | J. Endrass | SRF 10 vor 10 | 02/2025 |
| Antisemitismus bei Fussballspielen | A. Rossegger | SRF 10 vor 10 | 11/2024 |
| Unbegleitete Freigänge | J. Endrass | tele Basel Punkt 6 | 08/2024 |
| Bedrohungsmanagement & Amok | A. Rossegger | SRF Schweiz aktuell | 08/2024 |
| Jugendliche Radikalisierte | J. Endrass | SRF Tagesschau | 06/2024 |
Radiobeiträge & Podcasts
Neuestes Interview mit Prof. Dr. Jérôme Endrass über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Generierung von Kinderpornografie.
Zu hören auf Radio SRF 1, In der Sendung «Rendez-vous» vom 15.10.2025
Wer Kinderpornografie konsumiert, macht sich strafbar – unabhängig davon, ob man Filme schaut oder Comics liest, in denen Kinder sexuell missbraucht werden. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wirft aber auch in diesem ansonsten klar geregelten Bereich heikle Fragen auf, die von Expertinnen und Experten wie dem forensischen Psychologen Jérôme Endrass diskutiert werden. Zum Beispiel, ob es sinnvoll sein könnte, Kinderpornografie mit Künstlicher Intelligenz zu kreieren und diese in bestimmten therapeutischen Settings zu erlauben.
| Pädosexualität & Künstliche Intelligenz | J. Endrass | SRF 1 | 10/2025 |
|---|---|---|---|
| Extremismus & Antisemitismus | J. Endrass | SRF 4 News | 12/2024 |
| Jugendradikalisierung | J. Endrass | SRF News | 08/2024 |
| Unbegleitete Freigänge | J. Endrass | SRF Echo der Zeit | 08/2024 |
| Rehabilitation | A. Rossegger | Podcast «Auf Bewährung: Leben mit Gefängnis» | 06/2024 |
| Sicherheitsempfinden | J. Endrass |
Podcast «Auf Bewährung: Leben mit Gefängnis» | 07/2024 |
| Hate Speech | J. Albrecht | SRF Regional Diagonal | 02/2024 |
Interviews in Print- und Onlinemedien
Neuestes Interview mit Prof. Dr. Jérôme Endrass zum Tod von Charlie Kirk und der Grenze zum Extremismus.
Erschienen im Tagesanzeiger vom 18.09.2025
Darf man sich über die Ermordung eines politischen Gegners freuen?
Der ultrakonservative Charlie Kirk, der am 10. September bei einem öffentlichen Auftritt ermordet wurde, vertrat Ansichten, die mitunter schwer erträglich waren. Die Reaktionen im Internet reichten von Entsetzen bis zu Jubel wie «Rest in Piss» und «jetzt als nächstes J.K. Rowling». Im Interview mit dem Tagesanzeiger erklärt der forensische Psychologe Jérôme Endrass, dass Personen, die den Tod von Charlie Kirk bejubeln, nicht nur intolerant seien, sondern die Grenze zu Gewaltlegitimation und damit zum Extremismus überschritten hätten. Zudem zeigt er auf, warum die inflationäre Verwendung von Begriffen wie «Faschist» und «Nazi» das Gegenüber entmenschlicht und den Begriff normalisiert, wie wichtig die Differenzverträglichkeit in einer Demokratie ist und warum es gefährlich ist, nicht auf Gewalt zu reagieren und sich stattdessen «tolerant» zu geben.
| Pädosexualität & Künstliche Intelligenz | J. Endrass | Blick | 10/2025 |
|---|---|---|---|
| Extremismus & Antisemitismus | J. Endrass | Tages-Anzeiger | 10/2025 |
| Aberglaube & Verschwörungstheorien | J. Endrass | core | Das Magazin der Coop Rechtsschutz | 10/2025 |
| Pädosexuelle Straftaten & Selbstjustiz | J. Endrass | NZZ | 09/2025 |
| Radikalisierung in Communities | J. Endrass | Tages-Anzeiger | 09/2025 |
| Psychisch Kranke im Strafvollzug | J. Endrass | Tages-Anzeiger | 07/2025 |
| Sexualstraftäter | J. Endrass | NZZ | 06/2025 |
| Pädosexuelle Straftaten | J. Endrass | Hamburger Abendblatt | 06/2025 |
| Sexuelle Gewalt & Radikalisierung | J. Endrass | Tages-Anzeiger | 05/2025 |
| Amok | J. Endrass | MDR | 05/2025 |
| Forensische Psychologie | A. Rossegger | bajour | 04/2025 |
| Psychisch Kranke im Strafvollzug | J. Endrass | NZZ | 04/2025 |
| Gewalt von Asylsuchenden | J. Endrass | NZZ | 02/2025 |
| Sexualstrafrecht | J. Endrass | Tages-Anzeiger | 02/2025 |
| Anschläge | J. Endrass | Blick | 01/2025 |
Justizvollzug erklärt
Vollzugsfairness und Sprachbarrieren
Rückkehrorientierung und -beratung
Hate Speech
Neue Technologien im Justizvollzug
Islamistisch motivierte Terroranschläge
Anwendungsorientierte Forschung - was wirkt?
«Wir tun, was wirkt» - an diesem Grundsatz richtet sich der Zürcher Justizvollzug aus. Die Frage nach der Wirksamkeit ermöglicht es, ideologische Debatten zu überwinden und so die Diskussion darauf zu lenken, mit welchen Methoden das Ziel der Wiedereingliederung am effektivsten erreicht werden kann. Die Orientierung an der Wirksamkeit bildet auch eine solide Grundlage für rechtliche Fragestellungen, etwa bei Entscheidungen zu Vollzugslockerungen oder der Anordnung von Lernprogrammen.
Im Vollzugsalltag spielt die Ausrichtung an empirischen Erkenntnissen, d.h. auf Grundlage der systematischen Sammlung und Analyse von Daten, eine entscheidende Rolle. Wenn es beispielsweise zu entscheiden gilt, ob Inhaftierten Zugang zu Ego-Shooter-Spielen bewilligt werden kann oder die Videospiele das Gewaltpotenzial erhöhen. Forschung und Entwicklung (F&E) hat in verschiedenen Projekten die Wirksamkeit von Angeboten im Justizvollzug untersucht und damit Grundlagen für die Weiterentwicklung bestehender Interventionen sowie die Konzeption neuer Ansätze geschaffen.
Wissenschaftliche Veröffentlichungen
Forschung & Entwicklung veröffentlicht zu den Erkenntnissen dieser Projekte regelmässig wissenschaftliche Beiträge in nationalen und internationalen Fachzeitschriften und macht sie damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
Neueste Publikation
Die Relevanz von Basisraten: Eine systematische Übersicht und Metaanalyse über den positiven prädiktiven Vorhersagewert von vier Risk-Assessment Instrumenten (Weber, M. A., Schnyder, N., Kirschstein, M. A., Graf, M., Endrass, J. & Rossegger, A.).
Entwicklungen im Justizvollzug / Neue Technologien
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Autorenschaft: Endrass, J., Gerth, J., Noll, T. & Rossegger, A. (2024)
Der Beitrag zeichnet die Entwicklung des Zürcher Justizvollzugs hin zu einer stärker empirisch fundierten Praxis nach. Ausgehend von einer historischen Zäsur – dem Tötungsdelikt am Zollikerberg 1993 – wird dargestellt, wie sich ein zunächst primär risikovermeidendes, oft anekdotisch begründetes Vorgehen durch die Einführung standardisierter Risikoeinschätzungen, deliktpräventiver Psychotherapieansätze und einer interdisziplinären Bewährungshilfe weiterentwickelte. Zentrale Elemente dieser Transformation waren die systematische Validierung forensischer Instrumente, die Abkehr von autoritätsbasierten Methoden sowie die Integration salutogenetischer Perspektiven, etwa durch das «Good Lives Model». Der Beitrag illustriert damit exemplarisch, wie wissenschaftliche Evidenz zu einem Leitprinzip wurde, das nicht nur Rückfallprävention stärkt, sondern auch Ressourcenaktivierung und gesellschaftliche Wiedereingliederung fördert.
Autorenschaft: Müller, C., Kirschstein, M. A., Moeller, J., Boonmann, C. & Huber, C. (2024)
Sie befinden sich in einer Bar mit einer Person, die Sie beeindrucken wollen. Sie bestellen zwei Drinks, woraufhin der Barkeeper antwortet, dass Sie bereits genug getrunken haben. Sie begegnen in der Stadt zufällig einer Person, die Ihnen Geld schuldet. Sie sprechen sie an, worauf die Person antwortet, es interessiere sie nicht. So könnten die Szenarien aussehen, die Patienten und Therapeuten im Rahmen des Virtual Reality Aggression Prevention Trainings (VRAPT) (1) in Rollenspielen einüben. VRAPT wurde auf Basis kognitiv-verhaltenstherapeutischer Prinzipien von einer Forschungsgruppe der Universität Groningen entwickelt. In 16 Sitzungen von je 45–60 Minuten werden Patienten darin geschult, dysfunktionale Aggressionen besser zu verstehen und zu bewältigen. Das Training kombiniert evidenzbasierte Strategien zur Aggressionsprävention mit den therapeutischen Vorteilen virtueller Realität.
Autorenschaft: Kirschstein, M. A., Singh, J. P., Rossegger, A., Endrass, J. & Graf, M. (2023)
Although the global diffusion of e-mental health has increased in recent years, research on the use of technologies in criminal justice settings is limited. To bridge this knowledge gap, we conducted an international online survey (N = 555) of forensic and correctional mental health professionals from Germany, Switzerland, the United Kingdom, the United States, and 20 additional countries. Telecommunication technologies and mental health platforms had the highest numbers of users, the broadest scope, and the largest increase in use due to the coronavirus disease 2019 (COVID-19) pandemic. In contrast, the use of social media and advanced technologies was lower, narrower in scope, and remained the same or decreased during the COVID-19 pandemic. Respondents’ age, professional discipline, country, and clinical setting significantly predicted total technology use in clinical practice. The study findings provide an overview of the current patterns of technology use and point to opportunities for research and development.
Autorenschaft: Kirschstein, M. A., Batastini, A. B., Singh, J. P., & Graf, M. (2023)
Although research on e-mental health in criminal justice settings continues to accumulate, the evidence base on this topic remains limited. In recent years, technological innovations have increasingly entered forensic and correctional mental health care, and the COVID-19 pandemic has accelerated their diffusion. The present special issue aims to promote evidence-based best practices and inform clinical decision-making in criminal justice settings by presenting recent developments and findings relevant to the use of e-mental health. In this introduction, we summarize the eight articles in the special issue and discuss directions for future research.
Straf- und Massnahmenvollzug
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Autorenschaft: Albrecht, J. N., Rossegger, A., Dreifuss, M. S., Singh, J. P., Naegeli, A., & Endrass, J. (2025)
Prozedurale Gerechtigkeit (PG) beschreibt die wahrgenommene Fairness von Abläufen und Entscheidungsprozessen. Forschungsergebnisse im Kontext des Justizvollzugs zeigen, dass ein als fair erlebter Vollzug mit positiven Auswirkungen auf Verhalten, Gesundheit und Sicherheit von Inhaftierten zusammenhängt, während als unfair wahrgenommene Vollzugsbedingungen negative und langfristig dysfunktionale Hafterfahrungen begünstigen können. Zentrale Elemente der PG — wie Zugang zu Informationen, Mitsprache, Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen sowie respektvolle Interaktion – sind unmittelbar sprachabhängig. Entsprechend können eingeschränkte Sprachkompetenzen die Wahrnehmung fairer Behandlung beeinträchtigen. Die vorliegende Studie untersucht diesen Zusammenhang anhand einer Stichprobe männlicher Inhaftierter (N = 241) in der grössten Justizvollzugsanstalt der Schweiz. Die Erhebung erfolgte mit einem validierten, in elf Sprachen übersetzen Fragebogen zur PG, ergänzt um Items zu expressiven (Sprechen) und rezeptiven (Verstehen) Sprachbarrieren während der Inhaftierung. Die durchschnittlichen PG-Werte der Gesamtstichprobe lagen im mittleren Skalenbereich, was auf eine insgesamt neutrale Wahrnehmung hinweist. Allerdings berichtete über ein Drittel der Befragten von Sprachbarrieren; diese Personen bewerteten die PG signifikant negativer als Inhaftierte ohne entsprechende Einschränkungen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Fairnesswahrnehmung massgeblich auch von einer gelingenden Kommunikation abhängt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit wirksamer Sprachvermittlungs- und Kommunikationsstrategien, damit in multilingualen Vollzugssystemen Fairness für alle Inhaftierten erfahrbar wird – unabhängig von Herkunft und Sprachkompetenz.
Autorenschaft: Lanzi, E., Dreyer, J., Sidler, C., Forgó Baer, É., Campanello, C., Castelli, F., Urwyler, T., Graf, M., & Aebi, M. (2025)
Junge Erwachsene begehen häufiger Delikte als ältere Personen. Ihre noch fortschreitende Hirnentwicklung und die damit einhergehende psychosoziale Unreife stehen in kausalem Zusammenhang mit einem erhöhten Delinquenzrisiko. Mit der Massnahme für junge Erwachsene nach Art. 61 StGB besteht in der Schweiz die Möglichkeit, bei einer zum Tatzeitpunkt 18-25-jährigen Person, bei welcher eine erhebliche Störung der Persönlichkeitsentwicklung im Zusammenhang mit dem Tatverhalten sowie dem Rückfallrisiko besteht, eine spezifische, auf das Alter zugeschnittene Massnahme anzuordnen. Die gerichtliche Praxis zur Anordnung der Massnahme sowie die Indikationsstellung der beigezogenen Sachverständigen für das Vorliegen einer erheblichen Störung der Persönlichkeitsentwicklung wurden bisher wenig systematisch untersucht. Die vorliegende Studie basiert auf einer explorativen Analyse von Akten und Gutachten junger Erwachsener, bei welchen eine Massnahme nach Art. 61 StGB vorzeitig (Art. 236 StPO) oder im Anlassurteil rechtskräftig angeordnet wurde. Es werden deren aus forensisch-psychiatrischer und psychologischer Sicht relevante Charakteristika der Demografie sowie der Delinquenz im Vergleich zur Referenzpopulation von ambulant behandelten jungen Erwachsenen nach Art. 63 StGB beleuchtet. Zudem soll die gutachterliche Beurteilung der Persönlichkeitsentwicklung beleuchtet werden.
Autorenschaft: Schnyder, N., Endrass, J., Albrecht, J. N., Dreyer, J., Graf, M., Habermeyer, E., & Rossegger, A. (2025)
Die Prävalenz psychischer Symptome ist bei inhaftierten Personen deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Bislang ist jedoch wenig darüber bekannt, wie unterschiedliche Formen der Inhaftierung – darunter Untersuchungshaft, Strafhaft sowie Administrativhaft ausschliesslich im Rahmen von Wegweisungs- und Ausschaffungsverfahren – mit psychischen Symptomen zusammenhängen. Ziel der vorliegenden Studie war es, die Prävalenz psychischer Symptome in dieser vulnerablen Population zu erfassen und den Einfluss verschiedener Haftarten sowie relevanter Risikofaktoren zu untersuchen.
Durch die Kombination zweier Querschnittserhebungen wurde eine heterogene Stichprobe erwachsener Inhaftierter im Kanton Zürich gewonnen. Die Erhebungen fanden zwischen Juli und Oktober 2022 bzw. 2023 in Polizeigefängnissen (provisorische Festnahme) sowie in Einrichtungen der Strafhaft, Untersuchungshaft und Administrativhaft statt. Zur Erfassung aktueller psychischer Symptome wurde die Brief Symptom Checklist (BSCL) eingesetzt; demographische Fragebögen erfassten potenzielle Risikofaktoren. Mithilfe logistischer Regressionsmodelle wurden Zusammenhänge zwischen psychischen Symptomen, Haftart und Risikofaktoren untersucht.
Von insgesamt N = 1’868 teilnahmeberechtigten Personen lieferten N = 951 ausreichend Daten (Rücklaufquote = 50.9 %). Die Stichproben waren hinsichtlich Alter, Geschlecht und Haftart weitgehend repräsentativ. Die Prävalenzschätzungen zeigten, dass nahezu die Hälfte der Inhaftierten klinisch relevante psychische Symptome aufwies (44.9 %, 95 %-Unsicherheitsintervall: 41.7–48.1 %). Risikofaktoren umfassten Alter, Geschlecht und frühere psychische Behandlung: Jüngere Personen, Frauen und Personen, die sich als non-binär identifizieren, sowie Personen mit früherer psychischer Behandlung hatten ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko. Auch die Haftart zeigte deutliche Zusammenhänge: Personen in provisorischer Festnahme und Administrativhaft wiesen ein vierfach erhöhtes Risiko auf.
Die Befunde verdeutlichen die erhebliche Prävalenz psychischer Symptome unter Inhaftierten und heben spezifische Risikofaktoren dieser vulnerablen Gruppe hervor. Die psychische Versorgung von Frauen, non-binären Personen sowie von Personen in provisorischer Festnahme oder Administrativhaft ist von zentraler Bedeutung für wirksame Vollzugspraxis. Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit standardisierter Screeningverfahren sowie massgeschneiderter Interventionen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit in unterschiedlichen Haftkontexten.
Autorenschaft: Noll, T., Hill, A., Endrass, J., Rossegger, A. & Urwyler, T. (2025)
In der Justizvollzugspraxis wird die Abgabe von PDE-5-Hemmern wie Sildenafil (Viagra® u.a.) kritisch hinterfragt. Dabei werden insbesondere das Risiko eines unerlaubten Handels sowie die Gefahr sexueller Übergriffe hervorgehoben. Die vorliegende Analyse zeigt auf, dass diese Bedenken medizinisch unbegründet sind und Gesundheitsdienste im Justizvollzug bei entsprechender Indikation somit verpflichtet sind, bei sexualmedizinischer Indikation Inhaftierten Sildenafil oder einen analogen PDE-5-Hemmer abzugeben.
Autorenschaft: Baur, A., Messerschmidt, T., Sackl, S., Sautner, L. & Urwyler, T. (2024)
Ziel: Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, den strafrechtlichen Umgang mit suchtmittelbezogener Delinquenz im deutschsprachigen Raum zu untersuchen und dabei Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede herauszuarbeiten.
Methode: Rechtsvergleichende Analyse des strafrechtlichen Sanktionenrechts im DACH-Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz).
Ergebnisse: Die drei Rechtsordnungen weisen in den Grundzügen strukturelle Gemeinsamkeiten auf (Zweispurigkeit des Sanktionenrechts, spezifische Massregeln bzw. Massnahmen für suchtbezogene Delinquenz, Vollzugsreihenfolge, positive Behandlungsprognose). Es manifestieren sich aber auch Unterschiede bei der Ausgestaltung des Instrumentariums sowie im Vollzug (Anrechnung an die Strafe, diversionelle Möglichkeiten, ambulant v. stationär etc.). Der in Deutschland stärkere Fokus auf freiheitsentziehende Massregeln hat zu einem starken Anstieg der Anordnungsraten geführt. In der Schweiz und Österreich lässt sich diese Entwicklung nicht beobachten.
Schlussfolgerungen: Die Untersuchung legt nahe, dass Wechselwirkungen zwischen dem Bestehen von diversionellen/ambulanten Optionen und der Anordnung von freiheitsentziehenden Massnahmen bzw. Massregeln bestehen. Darüber hinaus ergeben sich aus dem Rechtsvergleich relevante Erkenntnisse zum juristischen Entwicklungsbedarf des Sanktionenrechts bei suchtbezogener Delinquenz.
Autorenschaft: Urwyler, T., Weber, M., Dreifuss, M., Wehrhold, T., Tatjes, A., Naegeli, A., Rossegger, A. Endrass, J. & Aebi, M. (2024)
Die Studie untersucht Gemeinsamkeiten und Unterschiede männlicher Klienten in Massnahmen nach Art. 59, Art. 63 und Art. 64 StGB, um zu prüfen, welchem Grad die Massnahmenpraxis dem rechtlichen Rahmenmodell entspricht. Massnahmenpatienten sind überwiegend vorbestraft und wurden im Anlassurteil erneut für Gewalt- oder Sexualdelikte zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Gruppe ist durch substanzbezogene Störungsbilder sowie Persönlichkeits-/Verhaltensstörungen charakterisiert und weist ein akzentuiertes Risikoprofil auf. Innerhalb der Massnahmenformen bestehen aber auch Gruppenunterschiede.
Autorenschaft: Noll, T. & Urwyler, T. (2024)
Grundsätzlich sind Ärzte und Ärztinnen frei in ihrer Entscheidung, wen sie wie behandeln möchten. Bei der Behandlung von inhaftierten Personen existieren wesentlich Einschränkungen dieser Freiheit.
Autorenschaft: Urwyler, T. (2024)
Verurteilte Personen ohne Aufenthaltsrecht bzw. mit Landesverweis sind gemäss den Deutschschweizer Strafvollzugskonkordaten von der gemeinnützigen Arbeit ausgeschlossen. Der Beitrag zeigt auf, dass sich diese Vorgabe weder mit Art. 79a StGB noch mit übergeordnetem Verfassungs- und Völkerrecht in Einklang bringen lässt. Demzufolge müssen grundsätzlich auch Personen ohne Bleiberecht in der Schweiz zu dieser liberalen Vollzugsform zugelassen werden.
Autorenschaft: Noll, T., Dreifuss, M., Bürgi, S., & Patzen, H.-J. (2023)
Der Beitrag diskutiert aktuelle und künftige Herausforderungen im Schweizer Justizvollzug aus der Sicht der Praxis. Anhand von 15 Positionen werden Ansätze skizziert, wie Strafvollzug wirkungsorientierter, differenzierter und humaner gestaltet werden kann. Themen sind unter anderem Alternativen zur Freiheitsstrafe wie gemeinnützige Arbeit, Electronic Monitoring oder ambulante Therapien, die Neugestaltung der Untersuchungshaft, Fragen der Vollzugsfairness, die Angehörigenarbeit und die Rückkehrorientierung bei ausländischen Inhaftierten. Ziel ist es, die Diskussion über die Rolle des Strafvollzugs in einem demokratischen, pluralistischen Rechtsstaat anzuregen und Impulse für eine qualitätsorientierte Praxis im Sinn von Best-Practice-Standards zu geben.
Autorenschaft: Aebi, M., Fenner, C., Schlüsselberger, M., Urwyler, T. & Sidler, C. (2023)
In der vorliegenden Untersuchung wurden Begutachtungen und strafrechtliche Massnahmen im Kanton Zürich von 2013 bis 2020 im Zusammenhang mit dem Alter der Personen analysiert. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass bei unter 25-jährigen Personen weniger therapeutische Massnahmen als bei über 25-jährigen Personen angeordnet werden. Beim Vorliegen einer Begutachtung zeigt sich ein positiver Zusammenhang mit dem Alter. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Beurteilung der Indikation für eine Begutachtung nach systematische(re)n Kriterien erfolgen sollte. Dabei ist der Fokus auf früh manifestierende psychische Störungen und die Eingangsmerkmale der gestörten Persönlichkeitsentwicklung zu richten.
Autorenschaft: Dreifuss, M. (2023)
Die Resozialisierung ist das allgemeine Vollzugsziel des Strafvollzugs und gilt beim Massnahmenvollzug sinngemäss. Unter Vorbehalt überwiegender Sicherheitsinteressen ist der Sanktionenvollzug auf die schrittweise Rückkehr in die Freiheit auszurichten. Laut Gesetz und Rechtsprechung gilt dies unbeachtet dessen, ob die Person nach Haftentlassung bzw. Aufhebung oder Beendigung der Massnahmen ein Bleiberecht in der Schweiz hat. Da jedoch bei Vorliegen eines rechtskräftigen Wegweisungsentscheids nicht auf den Verbleib in der Schweiz bzw. auf die Integration in die Schweizer Gesellschaft hingesteuert wird, entfallen grundsätzlich die auf die Schweiz ausgerichteten Resozialisierungsmassnahmen. Um in diesen Fällen Benachteiligungen zu verhindern, soll die sog. «Rückkehrorientierung» als Ansatz- und Bezugspunkt für eine gleichwertige freiheitsorientierte Vollzugsausgestaltung dienen. Konkret sind die Wiedereingliederungsbemühungen bei Personen ohne Bleiberecht konsequent «rückkehrorientiert» an jenen Empfangsraum auszurichten, in welchen die ausländische Person entlassen wird. In der Praxis stellt sich diesbezüglich die Frage, wie die verantwortliche Vorbereitung für eine wirkungsorientierte Resozialisierung ausserhalb der Schweiz umzusetzen ist. Die Herausforderungen, ein adressatengerechtes Übergangsmanagement über die Landesgrenzen hinaus zu strukturieren, potenzieren sich im stationären Massnahmenvollzug, in welchem Personen mit schweren psychischen Störungen eingewiesen werden, die oftmals stark von einer angemessenen medizinisch-psychiatrischen Nachbehandlung abhängig sind. In diesem Beitrag werden spezifische Elemente des stationären Massnahmenvollzugs hervorgehoben, die mit Blick auf die rückkehrorientierte Ausgestaltung zu berücksichtigen sind.
Autorenschaft: Dreyer, J., Urwyler, T., Schnyder, N., Naegeli, A. & Rossegger, A. (2023)
Der Einsatz von weiblichem und männlichem Personal ist im heutigen Justizvollzug gelebte Praxis. Gerade in Haftanstalten für männliche Inhaftierte ist weibliches Personal aber nach wie vor stark in der Unterzahl. Der vorliegende Beitrag greift Argumente auf, welche sich als Hemmnisse für ausgeglichene Personalbestände erweisen können, und gleicht sie mit der bestehenden Evidenz ab. Die Befunde zeigen, dass den beschriebenen Stereotypen das Tatsachenfundament fehlt. Darüber hinaus wird anhand unterschiedlicher Konstellationen erörtert, inwiefern der Einsatz gemischtgeschlechtlicher Teams eine individualisierte Aufsicht und Betreuung der Inhaftierten rechtlich erforderlich macht. Abschliessend werden die Ergebnisse im Hinblick auf ihre praktischen Auswirkungen diskutiert.
Autorenschaft: Noll, T. & Aebi, M. (2023)
Der Nutzen von Gefangenenbesuchen für die inhaftierte Person ist weitgehend unbestritten. Weniger eindeutig ist der Nutzen der Besuche für die Kinder der Inhaftierten. Wenn die Besuchsbedingungen positiv sind, wird in der Regel auch das Kind von den Besuchen profitieren, sei es affektiv auf direktem Weg, sei es indirekt dadurch, dass es von den positiven Auswirkungen des Besuchs auf den inhaftierten Elternteil sekundär profitiert (z. B. durch die bessere Resozialisierung des inhaftierten Elternteils). Vorsicht bei der Bewilligung von Kinderbesuchen bei einem inhaftierten Elternteil ist jedoch dann geboten, wenn das Kind vor der Inhaftierung der Gewalt des betreffenden Elternteils ausgesetzt war, sei dies direkt als Opfer, sei es als Zeugin und Zeuge von Gewalt gegen den andern Elternteil, oder wenn das Kind von einem Elternteil im Rahmen der Besuche instrumentalisiert wird. In solchen Fällen sind Besuche kontraindiziert. Am Schluss werden die Empfehlungen von Aebi et al. (2022) für Angehörigenbesuche im Gefängnis zusammengefasst.
Autorenschaft: Noll, T. & Urwyler, T. (2023)
Betäubungsmittel des Wirkungstyps Cannabis durften bisher grundsätzlich weder angebaut, eingeführt, hergestellt noch in Verkehr gebracht werden. Daher liefen Behandlungen mit verwendungsfertigen Arzneimitteln auf Cannabisbasis mehrheitlich über das System der betäubungsmittelrechtlichen Ausnahmebewilligungen durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Dieses System war sehr aufwendig für alle Beteiligten und entsprach aufgrund der steigenden Anzahl von Ausnahmebewilligungen nicht mehr dem Ausnahmecharakter der beschränkten medizinischen Anwendung im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG).
Prävention von Straftaten / Wirksamkeit forensischer Interventionen
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Autorenschaft: Kirschstein, M. A., Endrass, J., Rossegger, A., Graf, M., & Gerth, J. (2025)
Die Rückfallraten von Personen, die Intimpartnergewalt (IPV) verübt haben, sind hoch und verdeutlichen die Notwendigkeit wirksamer Präventionsmassnahmen. Während international bereits zahlreiche Studien zu diesem Thema vorliegen, existieren für die Schweiz bislang nur begrenzte Daten. Um diese Wissenslücke zu schliessen, untersuchte die vorliegende Studie die Wirksamkeit des Lernprogramms «Partnerschaft ohne Gewalt» im Hinblick auf die Verringerung von Rückfällen. Es handelt sich um eine Sekundäranalyse von Daten aus zwei früheren Studien mit erwachsenen Männern, die von der Polizei wegen IPV registriert worden waren. Mittels eines retrospektiven Quasi-Experiments wurden die Rückfallraten von Personen, die der Intervention zugewiesen wurden (n = 66), mit denjenigen von Personen verglichen, die dem Programm nicht zugewiesen wurden (n = 204). Als Rückfall zählte jede erneute polizeiliche Registrierung durch die Kantonspolizei Zürich wegen IPV innerhalb eines festen Nachbeobachtungszeitraums von zwei Jahren. Die Rückfallraten waren in der Interventionsgruppe (6.06 %) niedriger als in der Kontrollgruppe (22.55 %). Eine Ereigniszeitanalyse zeigte einen statistisch signifikanten Interventionseffekt nach Kontrolle potenzieller konfundierender Variablen (HR = 0.21, p = .003, 95 %-KI [0.07, 0.59]). Trotz der Limitationen der Studie liefern die Ergebnisse unterstützende, wenn auch vorläufige Evidenz für die Wirksamkeit des Interventionsprogramms. Zukünftige Forschung sollte diese Befunde mit einem methodisch stringenteren Studiendesign überprüfen, das die Limitationen der aktuellen Untersuchung adressiert. Darüber hinaus werden im Artikel Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Programms sowie neue Perspektiven für die Forschung und Praxis diskutiert.
Autorenschaft: Aebi, M., Krause, C., Barra, S., Vogt, G., Vertone, L., Manetsch, M., Imbach, D., Endrass, J., Rossegger, A., Schmeck, K. & Bessler, C. (2023)
Die Wirksamkeit von spezialisierten Behandlungen zur Verhinderung krimineller Rückfälligkeit bei Jugendlichen, welche sexuelle Grenzverletzungen (Jugendliche mit Sexualdelikten, JS) begangen haben, ist unklar. Obwohl die meisten dieser Behandlungsprogramme auf den Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie basieren, gibt es kaum entsprechende wissenschaftliche Evidenz. In der vorliegenden Studie wurde die Wirksamkeit des ambulanten Kurzprogramms, des Forensischen Therapieprogramms für ein angemessenes Sexualverhalten (ThePaS), überprüft. Es wurden zwei Versionen einander gegenübergestellt (ThePaS-I mit spezifischen Rückfallpräventionsstrategien vs. ThePaS-II mit Kompetenztraining). Während keine allgemeine Überlegenheit des ThePaS gegenüber sonstigen/keinen Therapiemassnahmen nachgewiesen werden konnte, so zeigte sich doch, dass es bei JS, die das ThePaS-I absolviert hatten, nach der Behandlung zu niedrigeren Raten sexueller Rückfälligkeit kam als bei JS, die das ThePaS-II durchlaufen hatten. In Bezug auf die Rückfälligkeit unterstützen die vorliegenden Ergebnisse die deliktfokussierte Version des ThePaS, obschon die kompetenzorientierte Version zu einer schnelleren Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes der JS führte. Die Ergebnisse können weitere methodisch fundierte Studien bei straffälligen Jugendlichen oder Erwachsenen anregen.
Autorenschaft: Urwyler, T. (2023)
Mit der Verbreitung des Internets haben kinderpornografische Straftaten (Art. 197 Abs. 4 und 5 StGB) an Bedeutung gewonnen. Der Beitrag zeigt auf, welche empirischen Kenntnisse hinsichtlich der Personengruppe, die Kinderpornografie konsumiert, bestehen (Prävalenz, Motive, empirische Profile, Rückfallraten). Darauf aufbauend werden Möglichkeiten und Grenzen des strafrechtlichen Sanktionen-Instrumentariums bei der Bekämpfung von Kinderpornografie herausgearbeitet.
Autorenschaft: Vertone, L., Aebi, M., Imbach, D., Best, T. & Bessler, C. (2023)
Das Therapieprogramm für angemessenes Sexualverhalten (ThePaS) richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene, die grenzverletzendes Sexualverhalten gezeigt haben. Das primäre Ziel ist es, eine Verhaltensänderung bei den Teilnehmenden zu erreichen und so weiteren Delikten vorzubeugen. Das wissenschaftlich evaluierte Programm kombiniert kompetenz- und ressourcenorientierte Inhalte mit einem deliktfokussierten Vorgehen. Durch den modularen Aufbau ist es möglich, die Inhalte auf die jeweiligen Bedürfnisse der Jugendlichen abzustimmen.
Kernstück des Programms bilden die 12 deliktfokussierten Pflichtmodule, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit den verübten Grenzverletzungen ermöglichen. Je nach Bedarf können flexible Module hinzugezogen werden, die auf Wissenserwerb (Sexualaufklärung, Recht und Gesetze) oder auf das Erlernen sozialer und emotionaler Fertigkeiten (z.B. Umgang mit Gefühlen, mit schwierigen Situationen sowie Konflikten, Beziehungsaufbau) fokussieren. Das therapeutische Vorgehen orientiert sich dabei an kognitiv-verhaltenstherapeutischen Prinzipien und wird ausführlich für jedes Modul beschrieben. Zahlreiche Arbeitsmaterialien unterstützen die Durchführung und können nach erfolgter Registrierung von der Hogrefe Website heruntergeladen werden.
Das Programm eignet sich für das Gruppensetting ebenso wie für das Einzelsetting und lässt sich sowohl im ambulanten als auch im stationären Rahmen durchführen. Das ThePaS schliesst somit eine Versorgungslücke im deliktpräventiven Umgang mit jungen Personen mit grenzverletzendem Sexualverhalten.
Risikoeinschätzungen und forensische Gutachten
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Autorenschaft: Weber, M. A., Schnyder, N., Kirschstein, M. A., Graf, M., Endrass, J., & Rossegger, A. (2025)
Aims of the study: Many countries have seen a decline in recidivism rates over the past decades. These base rates are pertinent information for assessing the recidivism risk of offenders. They provide a foundation for clinical assessment and an empirical basis for risk assessment instrument norms, which inform expected recidivism rates. The present study explored the extent to which base rates influence the validity of risk assessment instruments.
Methods: We systematically reviewed the available evidence on the discrimination ability of four well-established risk assessment instruments used to estimate the probability of recidivism for general (Level of Service Inventory-Revised [LSI-R]), violent (Violence Risk Appraisal Guide [VRAG]), sexual (Static-99R), and intimate partner violent offences (Ontario Domestic Assault Risk Assessment [ODARA]). We conducted a bivariate logit-normal random effects meta-analysis of sensitivity and false positive rates and modelled the positive and negative predictive values. We used base rates as reported in (a) the construction samples of each risk assessment instrument and (b) recent official statistics and peer-reviewed articles for different offence categories and countries. To assess the risk of bias, we used the Joanna Briggs Institute Critical Appraisal Checklist for Diagnostic Test Accuracy Studies.
Results: We screened 644 studies and subsequently analysed 102, of which 96 were included in the systematic review and 24 in the meta-analyses. Discrimination was comparable for all four instruments (median area under the curve = 0.68–0.71). The information needed to calculate summary statistics of sensitivity and false positive rate was often not reported, and a risk of bias may be present in up to half of the studies. The largest summary sensitivity and false positive rate were estimated for the ODARA, followed by the LSI-R, the VRAG, and the Static-99R. If base rates are low, positive predictive values tend to be relatively low, while negative predictive values are higher: positive predictive value = 0.032–0.133 and negative predictive value = 0.985–0.989 for sexual offences; positive predictive value = 188–0.281 and negative predictive value = 0.884–0.964 for intimate partner violence; positive predictive value = 0.218–0.241 and negative predictive value = 0.907–0.942 for violent offences; positive predictive value = 0.335–0.377 and negative predictive value = 0.809–0.810 for general offences.
Conclusions: When interpreting the results of individual risk assessments, it is not sufficient to provide the discrimination of the instrument; the risk statement must also address the positive predictive value and discuss its implications for the specific case. As recidivism rates are neither stable over time nor uniform across countries or samples, the primary interpretation of risk assessment instruments should rely on the percentile rank. Expected recidivism rates should be interpreted with caution. However, our results are drawn from a limited database, as studies not reporting sufficient information were excluded from analyses and it was only possible to identify current base rates for modelling positive and negative predictive values for certain countries. International standards for consistently collecting and reporting base rates are important to better identify crime trends. Future research on the validity of risk assessment instruments should follow rigorous reporting standards.
Autorenschaft: Albrecht, J.N., Schnyder, N., Endrass, J., Graf, M., Baier, D., & Rossegger, A. (2025)
Einzelfallorientierte Risikoeinschätzungen stützten sich auf Basisraten ab, respektive bauen auf diesen auf. Entsprechend kann das Heranziehen einer unpassenden Basisrate zu einer Verzerrung der Risikoeinschätzung führen. Die Identifikation und Auswahl geeigneter Basisraten stellt grosse Anforderungen an Fachpersonen. Im folgenden Beitrag werden die mit Basisraten verbundenen Herausforderungen geschildert und es werden die wesentlichen Faktoren dargestellt, welche bei der Nutzung von Basisraten zu berücksichtigen sind.
Autorenschaft: Noll, T. & Iseli, M. (2025)
Basisraten sind essenzieller Bestandteil evidenzbasierter Risikoeinschätzungen. Bei der Wahl geeigneter Basisraten können sich Konflikte zwischen Spezifität und Robustheit ergeben. Angesichts der potenziell einschneidenden Bedeutung solcher Risikoeinschätzungen, insbesondere für Betroffene, widmet sich dieser Beitrag dem (grund-)rechtlichen Rahmen, den Fachpersonen im Umgang mit Basisraten einzuhalten haben.
Autorenschaft: Weber, M. A., Albrecht, J. N., Endrass, J., Humbel, D., Meier, D. R., Singh, J. P., & Gerth, J. (2024)
Decision-making processes are vulnerable to cognitive biases like hindsight bias, with particularly fateful consequences in forensic contexts. However, while debiasing strategies have been effective in various areas, their impact in forensics is underexplored. We investigated hindsight bias and a simple awareness-based debiasing strategy in novices (n = 52) and forensic professionals (n = 49). Participants were assigned to baseline, biased, or debiased conditions and rated an offender’s risk of reoffending using case vignettes. Significant hindsight bias was found in novices, but not experts who were also more aware of biases. Debiasing proved effective in novices, indicating that raising awareness may enhance equitable forensic decision-making.
Autorenschaft: Urwyler, T. (2024)
Privatgutachten haben in der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht denselben Stellenwert wie amtliche Gutachten. Der vorliegende Beitrag zeigt auf, dass diese Rechtsprechung auf einer verbotenen Beweisregel beruht. Der Beweiswert von Privatgutachten ist wie bei amtlichen Gutachten im Einzelfall anhand inhaltlicher Qualitätskriterien zu beurteilen.
Autorenschaft: Urwyler, T. et al. (2024)
Nach aktueller Rechtsprechung ist die Begutachtung der Schuldfähigkeit und Massnahmenindikation Personen mit Facharzttitel für Psychiatrie und Psychotherapie vorbehalten. Der damit verbundene Ausschluss von Psychologinnen und Psychologen ist angesichts der Entwicklungen in den letzten zehn Jahren nicht gerechtfertigt. Die Autorinnen und Autoren zeigen auf, unter welchen Weiterbildungsbedingungen Psychologinnen und Psychologen als Sachverständige geeignet sind.
Autorenschaft: Bevilacqua, L., Caflisch, A., Endrass, J., Rossegger, A., Hachtel, H. & Graf, M. (2023).
Background: Criminal courts of law rely on forensic psychiatric/psychological reports when clarifying legal questions of culpability, dangerousness, and the need for therapeutic measures for offenders. Incorrect decisions owing to a lack of expert report quality and comprehensibility can have serious consequences for potential victims, offenders themselves, or societal use of resources. In this pilot study, we started from the hypothesis that forensic psychiatric/psychological reports meet the minimum requirements for legally admissible expert opinions.
Methods: Within the framework of assessment by the Concordat Expert Commission of Northwestern and Central Switzerland, 58 adult criminal law reports were randomly selected. Two researchers extracted and analyzed standardized data descriptively. For quality assurance, they followed the extended codebook of the Research and Development Department of the Zürich Office of Corrections and Reintegration.
Results: Psychopathological findings accounted for only 1% of the reports, which seemed problematic considering that these findings reflect the personality traits of offenders. Furthermore, only 7% of offenders underwent physical examinations, and the reasons for not performing physical examinations were noted in fewer than half of these offenders. Of 26 sexual offenders, only one was physically assessed. Additional imaging or neurophysiological examinations (e.g. electroencephalogram) were conducted in only one offender. Furthermore, published baseline recidivism rates were used in only 37.9% of the reports.
Conclusions: The results of this study suggest that current forensic psychiatric assessment is deficient. The infrequent use of published recidivism rates for risk communication denies prosecutors and judges solid reference values for the actual recidivism probability. Moving away from somatic medicine contradicts the federal court judgment, which disqualifies psychologists from providing a forensic report owing to their lack of expertise in physical examination. The authors recommend the multidisciplinary involvement of forensic psychiatrists and psychologists and, in certain cases, of specialists in somatic medicine to produce accurate and well-founded reports.
Extremismus
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Autorenschaft: Noll, T., Dreifuss, M. & Markwalder, N. (2023)
Vorurteilskommunikation nimmt zu und hat als Vorstufe von Vorurteilsverbrechen resp. «hate crimes» gesellschaftliche Relevanz, wie Rossegger et al. in ihrem Beitrag in der vorletzten Ausgabe der AJP aufzeigen konnten. Vorliegend wird diskutiert, auf welchem Weg diesem schädlichen Phänomen juristisch begegnet werden kann. Es werden verschiedene Vorschläge präsentiert, wobei ein besonderer Fokus auf die Möglichkeit der Schaffung einer neuen, spezifischen Norm zur Bekämpfung von Nazisymbolen gerichtet wird.
Autorenschaft: Noll, T., Hans, D. & Weber, M. (2023)
Islamistische Attentate sind seltene, aber für Betroffene und Gesellschaft sehr einschneidende Ereignisse. Im Interesse von Forschung und Praxis steht insbesondere die «radikalisierte» Täterschaft. Im vorliegenden Beitrag werden einige der wichtigsten Radikalisierungsmodelle vorgestellt. Begriffe wie Radikalisierung, Extremismus und Jihadismus werden erläutert und verschiedene Annahmen wie diejenige, dass bei islamistischen Anschlägen religiöse Ideologien handlungsleitend seien, kritisch diskutiert.
Autorenschaft: Ritter, L., Weber, M., Witt, R., Profes, V., Singh, J. P., Endrass, J. & Rossegger, A. (2023)
The effective communication of the risk of violent extremism using either numerical or semantic systems represents an important challenge for police agencies. The aim of the present study was to examine the perceived usefulness of an 8-category risk communication scheme widely used by German police. An online survey was completed by members of both federal as well as state police threat management teams throughout the country (N = 158). Results suggest that threat managers perceive the use of a common risk communication scheme to be crucial for successful cooperation across different police agencies to prevent acts of violent extremism. However, it was also found that threat managers do not share a mutual understanding of the meaning behind the eight risk categories in the present scheme. The authors review established best practices in the nomothetic and idiographic communication of risk and make constructive recommendations about how to improve the utility of the currently used system. If these recommendations are implemented, they could result in more effective preventative efforts by threat management teams collaborating throughout Germany, with positive implications for public safety and national security.
Autorenschaft: Rossegger, A., Graf, M., Urbaniok, F., Lau, S., Witt, R. & Endrass, J. (2023)
Die öffentliche Verwendung nationalsozialistischer Symbole und Gesten ist in der Schweiz nicht grundsätzlich unter Strafe gestellt. Aus einer forensischen Perspektive können diese Symbole und Gesten als Vorurteilskommunikation im Sinne einer destruktiven Propaganda eingestuft werden. Destruktive Propaganda verdichtet symbolisch Vorurteile und erleichtert die Rezeption von destruktiven Verschwörungstheorien. Forensisch relevant ist eine Vorurteilskommunikation deshalb, weil sie die Grundlage für Vorurteilskriminalität («hate crimes») bildet. Sieben Prozent der in der EU lebenden Jüdinnen und Juden wurden in den vergangenen fünf Jahren Opfer antisemitisch geprägter physischer Gewalt, viele Jüdinnen und Juden denken über eine Emigration nach. Ohne konsequenten Schutz von Grundrechten für Jüdinnen und Juden steigt die Bedrohung für Jüdinnen und Juden, aber auch für andere Minoritäten und die Gesellschaft als Ganzes. Dem Strafrecht kommt hier eine wichtige Rolle zu.
Gesellschaft
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Autorenschaft: Winds, K., Aebi, M., & Plattner, B. (2024)
Problematische Internetnutzung (Problematic Internet Use; PIU) ist in klinischen Jugendstichproben von Bedeutung für die Therapieplanung. Geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale und psychopathologische Symptome sind bislang unklar. In einer klinischen Jugendstichprobe (n = 104; 69 Mädchen) wurden PIU, Psychopathologie, Temperaments- und Charaktermerkmale sowie emotionale und Verhaltensprobleme erfasst. 62% der Stichprobe zeigten eine subklinische PIU und 34% eine voll ausgeprägte PIU. Jungen berichteten häufiger über Gaming, während Mädchen vor allem soziale Netzwerke nutzten. Geschlechtsspezifische Analysen zeigten Unterschiede: Mädchen mit PIU wiesen signifikant höhere Werte bei internalisierenden und externalisierenden Problemen/Verhalten, Neuheitssuche und Transzendenz sowie niedrigere Werte bei Persistenz, Selbstlenkung und Kooperativität auf als Mädchen ohne PIU. Jungen mit PIU erzielten signifikant höhere Werte bei internalisierenden Problemen und Selbsttranszendenz sowie niedrigere Werte bei Schadensvermeidung als Jungen ohne PIU. Das Geschlecht spielt eine wichtige Rolle bei PIU. Geschlechtsspezifische Unterschiede sowohl in der Nutzung von Anwendungen als auch in Symptomen, Temperaments- und Charaktermerkmalen unterstreichen die Notwendigkeit eines geschlechtsspezifischen Ansatzes in Prävention und Therapieintegration.
Autorenschaft: Albrecht, J. N., Endrass, J., Dreifuss, M. S., Schnyder, N. & Rossegger, A. (2024)
Politicians may be particularly vulnerable to hate speech because of their public visibility and exposure to deviating opinions. They play a critical role in the functioning of a democratic system, and therefore, hate speech poses a potential threat because it can impede politicians’ freedom of expression or even lead politicians to resign from office. However, little is known about the prevalence and impact of hate speech targeting politicians. We therefore surveyed the politicians in the Canton of Zurich, Switzerland, 667 of whom participated (39.8% response rate). The prevalence of hate speech experiences was 29.7% in their total time as politicians and 20.6% in the past 12 months. Participants who had held a political office for longer and were affiliated with a political party on the poles of the political spectrum were more susceptible. Crucially, 29.4% of the affected politicians had contemplated resigning from politics due to hate speech. Thus, our study underlines a need for action. As the participants indicated they wanted to deal with hate speech as little as possible but still desired some form of intervention, political measures should strive for intervention options that require minimal contributions from the victims.
Autorenschaft: Endrass, J. (2024)
Der Beitrag Unverhoffte Libellensicht von Jérôme Endrass reflektiert in essayistischer Form die Bedeutung unerwarteter Perspektivwechsel im Denken und Wahrnehmen. Am Beispiel einer zufälligen Begegnung mit einer Libelle zeigt der Autor auf, wie überraschende Eindrücke Denkgewohnheiten irritieren und neue Einsichten ermöglichen können. Der Text plädiert dafür, vermeintlich Selbstverständliches bewusst zu hinterfragen und das Staunen als produktive Haltung im Umgang mit komplexen gesellschaftlichen und individuellen Fragestellungen zu kultivieren.
Praxis der Rechtspsychologie: Sonderausgabe Antisemitismus
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Autorenschaft: Rossegger, A. (Hrsg.). (2024)
Die Sonderausgabe vereint sechs Beiträge, die Antisemitismus aus rechtspsychologischer Perspektive untersuchen. Endrass et al. analysieren historische Dimensionen und Gewaltpotenzial antisemitischer Feindseligkeit. Schnyder et al. und Albrecht et al. präsentieren empirische Befunde zu antisemitischen Einstellungen in der Schweiz und deren Zusammenhang mit soziodemografischen Merkmalen und Gewalterfahrungen. Gerth et al. zeigen auf, dass antisemitisch motivierte Gewalt im Vergleich zu anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein besonders hohes Risiko aufweist. Profes et al. beleuchten Antisemitismus als ideologische «Brückenideologie» zwischen extremistischen Lagern und der gesellschaftlichen Mitte. Haas untersucht aus geisteswissenschaftlicher Perspektive die Legitimierung antisemitischer Diskurse im linken Milieu. Abgerundet wird das Heft durch Beiträge zu Rechtsprechung, Rezensionen sowie eine Diskussion zum Einfluss Künstlicher Intelligenz auf aussagepsychologische Verfahren.
Autorenschaft: Rossegger, A. (2024)
Das Editorial führt in die Sonderausgabe zum Thema Antisemitismus ein und zeichnet nach, wie gesellschaftliche und politische Entwicklungen neue Forschungsfelder in der Rechtspsychologie etablieren. Rossegger skizziert den historischen Hintergrund antisemitischer Feindseligkeit, ihre tiefgreifende Verankerung in gesellschaftlichen Narrativen und die hohe Relevanz für Risiko- und Extremismusforschung. Sie stellt die sechs Fachbeiträge des Hefts vor, die Antisemitismus in seinen psychologischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Dimensionen beleuchten, und plädiert für eine intensivere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema.
Autorenschaft: Albrecht, J. N., Schwarz, L., Pickel, G. & Schnyder, N. (2024)
Theoretischer Hintergrund: Etwa jede dritte Person in der Schweiz berichtete von Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen in den letzten fünf Jahren. Empirische Befunde deuten darauf hin, dass Viktimisierungserfahrungen sowohl mit weniger Empathie als auch mit weniger prosozialem Verhalten einhergehen. Noch nicht erforscht wurden bislang Auswirkungen von Viktimisierungserfahrungen auf feindselige Einstellungen.
Fragestellung: Um diese Forschungslücke zu schliessen, wurde in der Schweiz der Einfluss von Diskriminierungs-/Gewalterfahrungen auf feindselige Einstellungen gegenüber jüdischen, muslimischen und Schwarzen Personen untersucht.
Methode: Es wurden die Daten «Zusammenleben in der Schweiz (ZidS) 2022» des Bundesamts für Statistik verwendet, die Antworten von 2 908 zufällig ausgewählten Personen der 15- bis 88-jährigen Schweizer Wohnbevölkerung enthalten. Der Einfluss von Diskriminierungs-/Gewalterfahrungen auf Feindseligkeit wurde mit Regressionsmodellen analysiert.
Ergebnisse: Personen mit einer Diskriminierungs- oder Gewalterfahrung wiesen eine stärker ausgeprägte Feindseligkeit auf. Dies zeigte sich bei allen Regressionsmodellen, einzig gegenüber Jüdinnen und Juden ergab sich kein signifikanter Einfluss von Diskriminierungserfahrungen. Schlussfolgerungen: Möglicherweise verstärken Viktimisierungserfahrungen feindselige Einstellungen gegenüber anderen Gruppen. Insofern könnte Prävention dabei unterstützen, intergruppale Feindseligkeit zu reduzieren.
Autorenschaft: Endrass, J., Weber, M., Cavelti, L., Urbaniok, F., Graf, M. & Rossegger, A. (2024)
80 Jahre nach der Befreiung der Juden aus den Konzentrationslagern und dem Ende der Shoah ist Feindseligkeit gegenüber Jüdinnen und Juden aktuell wie nie zuvor. Dieser Beitrag soll aufzeigen, warum eine vertiefte Auseinandersetzung mit Antisemitismus heute nach wie vor notwendig ist – gesamtgesellschaftlich und aus der Perspektive der Rechtspsychologie. Dafür wird zunächst ein Überblick über zentrale Merkmale und die Geschichte des Judentums und des Zionismus geliefert. Unterschiedliche Herangehensweisen bei der Operationalisierung von Antisemitismus werden diskutiert. Antisemitismus wird zudem in historische und soziale Kontexte eingebettet und die tiefe Verankerung von Judenfeindlichkeit in der Gesellschaft – damals wie heute – herausgearbeitet. Antisemitismus stellt eine Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar und ist ein relevanter Gegenstand der Rechtspsychologie. Aus historischer Sicht erwächst eine besondere ethische Verantwortung im Umgang mit Antisemitismus für die Disziplinen der Psychiatrie und der (Rechts–)Psychologie.
Autorenschaft: Gerth, J., Hans, D. & Hecker, T. (2024)
Antisemitismus ist eine historisch tief verankerte Form der Feindseligkeit gegenüber Jüdinnen und Juden, die aktuell wieder mit einer stark zunehmenden Gewaltbereitschaft einhergeht. Die erheblichen psychischen Auswirkungen von Antisemitismus sind vielfältig und werden durch wiederholte, häufig mehrdimensionale Diskriminierung und die besonderen Effekte der Hasskriminalität verschärft. Angststörungen, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen sind Beispiele häufiger Folgen. Als Bewältigungsstrategien neigen viele Jüdinnen und Juden dazu, ihre jüdische Kultur zu verbergen, sich sozial zurückzuziehen oder ihre Identität aufzugeben, um nicht Opfer antisemitischer Vorfälle zu werden. Weil sie sich kontinuierlich mit Vorurteilen konfrontiert sehen, kann sich bei den Betroffenen sogar eine Perspektive der (Mit–)Schuld entwickeln – das Gefühl, selbst für die erfahrene Gewalt verantwortlich zu sein, was die Fähigkeit zur Bewältigung der erfahrenen Diskriminierungen zusätzlich erschwert. Ziel des Artikels ist es, einen Einblick in die Prävalenz und die weitreichenden individuellen Auswirkungen von Antisemitismus zu geben und damit zu verdeutlichen, welche Relevanz Antisemitismus in der Gesellschaft hat.
Autorenschaft: Profes, V., Dreyer, J. & Weber, M. (2024)
Tradierte judenfeindliche Vorurteile und Verschwörungserzählungen sind in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet. Zudem sind sie Bestandteil der derzeit prominenten extremistischen Ideologien und werden entsprechend von verfassungsfeindlichen Personen und Gruppierungen verbreitet. Antisemitische motivierte Gewalttaten haben in den letzten Jahren zugenommen. Jüdinnen und Juden werden im Vergleich zu anderen Minoritäten häufiger Opfer schwerer Gewalt, insbesondere durch Personen mit extremistischem Hintergrund, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft. Der Beitrag beleuchtet aus der Perspektive der Kriminologie und der Rechtspsychologie, wie sich Antisemitismus in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen auf die Gewaltbereitschaft Einzelner auswirkt. Antisemitismus dient als doppelte Brückenideologie: einerseits als Bindeglied zwischen Angehörigen unterschiedlicher extremistischer Strömungen und andererseits zwischen extremistischen Strömungen und der gesellschaftlichen Mitte. Besonderes Augenmerk kommt dabei antisemitischen Verschwörungserzählungen zu. Sie schüren in der Gesellschaft Feindseligkeit und Hass gegenüber Jüdinnen und Juden und dienen der Legitimation von Gewalt. Zudem sind sie geeignet, unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zu mobilisieren und zum Überschreiten der Handlungsschwelle zur Gewalt beizutragen.
Autorenschaft: Schnyder, N., Wrede, N., Zick, A., Kiefer, M. & Albrecht, J. N. (2024)
Feindselige Einstellungen gegenüber religiösen und ethnischen Minoritäten sind weit verbreitet. Ziel dieser Studie ist es, Einstellungsmuster in der Schweizer Bevölkerung empirisch zu identifizieren und zu prüfen, wie diese mit Kontakthäufigkeit zu Minoritäten zusammenhängen. Grundlage ist ein repräsentativer Survey, der im Jahr 2022 durchgeführt wurde (N = 2 701). Dazu wurden Fragen zu feindseligen Einstellungen gegenüber Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslimen sowie Schwarzen Menschen gestellt. Befragte mit vergleichbaren Einstellungen wurden mit einer Reihe latenter Klassenanalysen gruppiert. Mittels Bayesian Information Criterion wurde das am besten zu den Daten passende Modell identifiziert. Es fanden sich sechs distinkte Einstellungsgruppen: keine Feindseligkeit, nicht antisemitisch geprägte Kulturangst, antisemitische Feindseligkeit, Fremdenfeindlichkeit, antisemitisch geprägte Kulturangst und unspezifische Feindseligkeit. Mittels multinomialer logistischer Regression konnte gezeigt werden, dass die Kontakthäufigkeit mit der Gruppe nicht antisemitisch geprägte Kulturangst zusammenhängt. Personen mit feindseligen Einstellungen stellen keine homogene Gruppe dar. Antisemitismus und Kulturangst sind bei der Unterscheidung der Gruppen zentral, wobei Antisemitismus ein eigenständiges Phänomen ist.
Fachbücher
Verwenden Sie die Akkordeon-Bedienelemente, um die Sichtbarkeit der jeweiligen Panels (unterhalb der Bedienelemente) umzuschalten.
Autorenschaft: Urwyler, T., Endrass, J., Hachtel, H. & Graf, M. (2022)
Strafrecht, Psychiatrie und Psychologie treffen im Strafverfahren aufeinander – mit unterschiedlichen Ansätzen und Sprachen. Die Zusammenarbeit erfordert viel, die Gefahr von Missverständnissen und Rollenkonflikten ist gross. Ein stetiger Dialog und gegenseitiges Verständnis sind unverzichtbar. Dieses Werk hilft Fachleuten und Studierenden, rechtlich fundierte und ausgewogene Entscheidungen an dieser Schnittstelle zu treffen.
Autorenschaft: Nedopil, N., Endrass, J., Rossegger, A. & Wolf, T. (2021)
Die Ansprüche an forensische Risikoeinschätzungen sind gewachsen: Sie sollen nicht nur Chancen und Risiken künftigen Legalverhaltens erfassen, sondern auch das Risikomanagement stützen. Diesem Ziel widmet sich ein interdisziplinäres Lehrbuch von Norbert Nedopil, Jérôme Endrass, Astrid Rossegger und Thomas Wolf. Es bündelt aktuelles Wissen, beleuchtet etwa die Qualität von Gutachterinnen und Gutachtern und bietet praktische Werkzeuge für die Risikoeinschätzung.
Magazin «Wendepunkte»
Wendepunkte sind entscheidende Ereignisse im Leben von Straftätern und Straftäterinnen, die ihre Rückkehr in die Gesellschaft fördern. «Wendepunkte» heisst auch das jährlich erscheinende Magazin, das die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich (JI) herausgibt. Die Beiträge von F&E spielen, wie der Titel andeutet, eine zentrale Rolle im Inhalt.