0480

Entscheidinstanz
Direktion der Justiz und des Innern
Geschäftsnummer
JI-2024-2118
Entscheiddatum
9. Oktober 2024
Rechtsgebiet
Straf- und Massnahmenvollzug
Schlagworte
Bedingte Entlassung Gemeingefährlichkeit Legalprognose Unentgeltlicher Rechtsbeistand
Verwendete Erlasse
Art. 64 Abs. 1 StGB Art. 75a StGB Art. 86 StGB § 20 Abs. 1 StJVG § 16 VRG

Zusammenfassung (verfasst von der Direktion der Justiz und des Innern):


Der Rekurrent wurde wegen gewerbsmässigen Menschenhandels, mehrfacher Förderung der Prostitution und Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten sowie einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 30.– verurteilt. Gleichzeitig wurde er für acht Jahre des Landes verwiesen. Der Rekursgegner lehnte die bedingte Entlassung des Rekurrenten im Rahmen der jährlichen Überprüfung nach Art. 86 Abs. 3 StGB ab, wogegen der Rekurrent Rekurs erhob.

In der Risikoabklärung stellte die Abteilung für forensisch-psychologische Abklärungen beim Rekurrenten ein sehr hohes Risikopotential fest. Überdies wurde eine geringe Problemeinsicht und Verantwortungsübernahme beobachtet. Gemäss Protokoll der Vollzugskoordinationssitzung I (VKS I) zeige der Rekurrent ein gutes Vollzugsverhalten sowie Kooperation und proaktive Bemühungen betreffend der Rückkehrvorbereitung. Auch seien keine Disziplinierungen vorhanden. Der Rekurrent leiste Arbeit in der Küche, jedoch sei auffallend, dass er sich nicht für einen Wechsel in die Gärtnerei interessiere, obwohl er plane, nach seiner Entlassung in diesem Bereich zu arbeiten. Die Vollzugseinrichtung empfahl in ihrem Vollzugsbericht demzufolge, dem Rekurrenten die bedingte Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu gewähren. Der Rekurrent zeige Offenlegungs- und Mitwirkungsbereitschaft bei der Umsetzung des festgelegten Interventionsbedarfs gemäss vorgenannter VKS I.

Der Rekursgegner ersuchte in der Folge die Fachkommission um Beurteilung der Gemeingefährlichkeit des Rekurrenten im Hinblick auf die Gewährung der bedingten Entlassung. Diese kam unter dem Aspekt der Gemeingefährlichkeit zum Schluss, dass sie eine bedingte Entlassung des Rekurrenten nicht befürworten könne.

Ausschlaggebend war insbesondere, dass die nach wie vor hochgradig belastete Legalprognose als unverändert ungünstig zu beurteilen war. Es wurde zwar erkannt, dass der Rekurrent ein gutes Vollzugsverhalten aufweise und absprachefähig sei, jedoch war die nachvollziehbare Problemeinsicht sowie die authentische Veränderungsbereitschaft nur vordergründig zu erkennen, indem der Rekurrent unbestätigte Angaben zu seinen Perspektiven nach der Entlassung aus dem Strafvollzug machte. Eine Aufarbeitung der tatrelevanten Problembereiche hatte somit noch nicht stattgefunden, so dass es dem Rekurrenten am notwendigen Risikomanagement fehlte, um sich in künftigen Risikosituationen adäquat zu verhalten. Zudem fiel die Biografie des Rekurrenten hinsichtlich der Kriminalitätsentwicklung ungünstig aus. Bei einem Rückfall des Rekurrenten würden die sexuelle und körperliche Integrität von Personen gefährdet. Ferner war aufgrund der Landesverweisung die Erteilung von Weisungen und die Anordnung einer Bewährungshilfe nicht angedacht. Entsprechend erwies sich die Differenzialprognose als kein tragfähiges Argumentarium.

Insgesamt war die abgelehnte bedingte Entlassung des Rekurrenten aus dem Strafvollzug nicht zu beanstanden.

Der Rekurs wurde abgewiesen. Dem Rekurrenten wurde aber die unentgeltliche Verfahrensführung gewährt und ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bestellt.
 

Anonymisierter Entscheidtext (Auszug)

Sachverhalt:
A. Mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 17. Januar 2023 wurde A. (Rekurrent) wegen gewerbsmässigen Menschenhandels, mehrfacher Förderung der Prostitution und Geldwäscherei zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten (abzüglich 1'547 Tage erstandenen Freiheitsentzugs) sowie einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 30.– verurteilt. Gleichzeitig wurde er für acht Jahre des Landes verwiesen. Zwei Drittel der Strafe waren am 12. Mai 2023 verbüsst. Das Strafende fällt auf den 22. August 2025 (Insassen-Stammblatt vom 27. März 2024).
B. Mit Verfügung vom 11. Juni 2024 lehnte Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich, […] (Rekursgegner) die bedingte Entlassung des Rekurrenten aus dem Strafvollzug ab.
C. Dagegen liess der Rekurrent, vertreten durch Rechtsanwalt B, am 12. Juli 2024 Rekurs bei der Direktion der Justiz und des Innern erheben. Er beantragte darin die Aufhebung der Verfügung vom 11. Juni 2024 und die Gewährung der bedingten Entlassung. Eventualiter sei die Vorinstanz aufzufordern, eine neue Risikoabklärung einzuholen, den Sachverhalt neu zu prüfen und einen neuen Entscheid zu fällen. Schliesslich sei ihm für das vorliegende Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und der Unterzeichnete des Rekurses als unentgeltlicher Rechtsvertreter beizuordnen; unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Rekursgegners.
D. Mit Vernehmlassung vom 22. Juli 2024 beantragte der Rekursgegner die Abweisung dieses Rekurses und reichte die Vollzugsakten gemäss separatem Verzeichnis ein.
E. Der Rekurrent liess sich innert der ihm angesetzten Frist nicht mehr vernehmen. Rechtsanwalt B reichte jedoch mit Schreiben vom 12. Juli 2024 seine Honorarnote nach. Damit sind die Sachverhaltsermittlungen abgeschlossen.

Erwägungen:

1.
Die Legitimation des Rekurrenten und die Zuständigkeit der Direktion der Justiz und des Innern sind gegeben, weshalb auf den rechtzeitig erhobenen Rekurs einzutreten ist.

2.
2.1 Nach Art. 86 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0) ist der Gefangene nach Verbüssung von zwei Dritteln seiner Strafe bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde in Freiheit weitere Verbrechen oder Vergehen begehen. Die zuständige Behörde hat von Amtes wegen zu prüfen, ob der Gefangene bedingt entlassen werden kann; dabei hat sie diesen anzuhören und einen Bericht der Anstaltsleitung einzuholen (Art. 86 Abs. 2 StGB). Wird die bedingte Entlassung verweigert, so hat die zuständige Behörde mindestens einmal jährlich neu zu prüfen, ob sie gewährt werden kann (Art. 86 Abs. 3 StGB).

2.2 Der Rekurrent hat am 12. Mai 2023 zwei Drittel seiner Strafe verbüsst. Mit Verfügung vom 18. April 2023 lehnte der Rekursgegner damals die bedingte Entlassung des Rekurrenten ab. Die vorliegende Ablehnung der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug erfolgte im Rahmen der jährlichen Überprüfung nach Art. 86 Abs. 3 StGB.
2.3.1 Die bedingte Entlassung stellt die vierte und letzte Stufe des Strafvollzuges dar und bildet die Regel, von der nur aus guten Gründen abgewichen werden darf. In dieser Stufe soll der Entlassene den Umgang mit der Freiheit erlernen, was nur in Freiheit möglich ist. Diesem rein spezialpräventiven Zweck stehen die Schutzbedürfnisse der Allgemeinheit gegenüber, welchen umso höheres Gewicht beizumessen ist, je hochwertiger die gefährdeten Rechtsgüter sind (BGE 125 IV 113, E. 2a; BGE 124 IV 193, E. 3 und 4d/aa). Die Prognose über das künftige Wohlverhalten ist in einer Gesamtwürdigung zu erstellen, die nebst dem Vorleben, der Persönlichkeit und dem Verhalten des Täters während des Strafvollzugs vor allem dessen neuere Einstellung zu seinen Taten, seine allfällige Besserung und die nach der Entlassung zu erwartende Lebensverhältnisse berücksichtigt (BGE 133 IV 201, E. 2.2 f. mit Hinweisen; Urteil 7B_157/2024 vom 22. April 2024, E. 2.2.1). Bei der Abwägung der für und gegen die bedingte Entlassung sprechenden Punkte ist die Gefährlichkeit des Täters zu beurteilen und ob diese bei einer allfälligen Vollverbüssung der Strafe abnehmend, gleichbleibend oder zunehmend wird. Zudem ist zu prüfen, ob die bedingte Entlassung mit der Möglichkeit von Auflagen und Schutzaufsichten eher zu einer Resozialisierung des Täters führt als die Vollverbüssung der Strafe (vgl. BGE 124 IV 193, E. 4d/aa f.).
2.3.2 Bei der Beurteilung der Legalprognose kommt der zuständigen Behörde Ermessen zu. Eine Ermessensüberschreitung kann etwa darin liegen, auf eine Gesamtwürdigung aller für die Prognose relevanten Umstände zu verzichten und die günstige Legalprognose allein gestützt auf das Bedenken weckende Vorleben der vom Freiheitsentzug betroffenen Person zu verneinen (vgl. BGE 133 IV 201, E. 3.2). Aus dem gleichen Grund darf eine bedingte Entlassung auch nicht einzig aufgrund einzelner günstigen Faktoren – etwa dem Wohlverhalten des Täters im Strafvollzug – bewilligt werden, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Gefahr neuer Rechtsbrüche sprechen (Urteile 6B_2022 vom 23. Mai 2022, E. 2.2.4; 6B_93/2015 vom 19. Mai 2015, E. 5.3; vgl. CORNELIA KOLLER, in: Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Strafrecht I, 4. Auflage, Basel 2019, Art. 86 N. 7).
2.3.3 Gemäss Art. 75 Abs. 1 und 4 StGB sowie § 20 Abs. 1 des Straf- und Justizvollzugsgesetzes vom 19. Juni 2006 (StJVG; LS 331) ist das Ziel einer strafrechtlichen Sanktion, Rückfälle zu vermeiden. Die verurteilte Person ist verpflichtet, an der Erreichung des Vollzugsziels mitzuwirken. Unerheblich ist dabei, ob gerichtlich eine therapeutische Massnahme angeordnet worden ist: Die verurteilte Person kann im Rahmen dieser Mitwirkungspflicht auch während des Strafvollzugs zu einer deliktpräventiven Therapie verpflichtet werden, sofern dies für die Verminderung der Rückfallgefahr als erforderlich erachtet wird. Eine fehlende Tataufarbeitung kann als prognoserelevant erachtet und negativ gewürdigt werden (vgl. Urteile 6B_93/2015 vom 19. Mai 2015 E. 5.6; 6B-593/2012 vom 10. Juni 2013 E.4.3; 6B_4/2011 vom 28. November 2011 E. 2.6 sowie 2.9).
2.3.4 Nach Art. 75a Abs. 1 und 2 StGB ist die Gemeingefährlichkeit des Täters im Hinblick auf die Bewilligung von Vollzugsöffnungen von einer Kommission nach Art. 62d Abs. 2 StGB zu beurteilen, wenn der Täter ein Verbrechen nach Art. 64 Abs. 1 StGB begangen hat und die Vollzugsbehörde die Frage der Gemeingefährlichkeit des Gefangenen nicht eindeutig beantworten kann. Gemeingefährlichkeit ist anzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass der Gefangene flieht oder eine weitere Straftat begeht, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person schwer beeinträchtigt (Art. 75a Abs. 3 StGB).

3.
3.1.1 Einleitend ist auf die Risikoabklärung vom 28. Juni 2022 zu verweisen. Zwar fand diese rund ein halbes Jahr vor der rechtskräftigen Verurteilung des Rekurrenten statt, wie der Rekurrent richtigerweise anführt. Dies vermag jedoch nichts an deren Inhalt zu ändern, welche über die Situation im damaligen Zeitpunkt Aufschluss gibt. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass sich der Rekurrent auf sein Gesuch hin seit dem 22. Juli 2021 im vorzeitigen Strafvollzug befand, was sein Argument, er habe bei seinen Aussagen vom 4. August 2021 noch als unschuldig gegolten, entsprechend relativiert, zielt doch das Gesuch um Antritt des vorzeitigen Strafvollzugs auf die Möglichkeit der früheren Resozialisierung, was mitunter gerade die Auseinandersetzung mit den begangenen Taten umfasst.
3.1.2 In der Risikoabklärung vom 28. Juni 2022 stellte die Abteilung für forensisch-psychologische Abklärungen (AFA) beim Rekurrenten ein sehr hohes Risikopotential fest. Überdies wurde eine geringe Problemeinsicht und Verantwortungsübernahme beobachtet. Die bagatellisierende Angabe des Rekurrenten, dass die begangenen Delikte in seinem Heimatland […] nicht so verwerflich seien, unterstreiche die negative Bewertung der Problemeinsicht. Schliesslich wurde angemerkt, dass eine vertiefte therapeutische Intervention in Anbetracht der Gesamtumstände wenig erfolgsversprechend erscheine, weshalb von der Empfehlung, entsprechende Motivationsarbeit zu leisten abgesehen würde. Dafür werde weiterhin intramural an der Beeinflussbarkeit des Rekurrenten sozialarbeiterisch gearbeitet.
3.2.1 Gemäss Protokoll der Vollzugskoordinationssitzung I (VKS I) vom 21. Juni 2023 zeige der Rekurrent ein gutes Vollzugsverhalten sowie Kooperation und proaktive Bemühungen betreffend der Rückkehrvorbereitung nach […]. Auch seien keine Disziplinierungen vorhanden. Der Rekurrent leiste Arbeit in der Küche, jedoch sei auffallend, dass er sich nicht für einen Wechsel in die Gärtnerei interessiere, obwohl er plane, nach seiner Entlassung in diesem Bereich zu arbeiten. Er pflege den Kontakt zu seinem engen Familienkreis sowie zu seinen Brüdern und seinem Anwalt. Es wurden keine vorliegenden oder geplanten Therapien verzeichnet, dafür sozialarbeiterische Gespräche mit dem Ziel, das Problembewusstsein zu fördern (retrospektive Aufarbeitung und Erarbeitung von zukunftsorientierten Perspektiven).
3.2.2 Im Rahmen der VKS I wurde der Rekurrent zudem angehört. Dabei habe er unter anderem seine Zukunftspläne mitgeteilt, wonach er die Auswanderung nach […] beabsichtige, um dort der Agrararbeit nachzugehen. Zusätzlich habe er einen Auszug aus dem Stellenverzeichnis eines Arbeitslosenamtes in […] vorgelegt, womit er bekräftigen wollte, dass Arbeitnehmer gesucht werden. Auch habe er eingesehen, dass er künftig ein tieferes Einkommen erzielen werde als dasjenige aus den Delikten. Ihm sei damals nicht bewusst gewesen, dass seine Tätigkeiten so schwerwiegend gewesen seien. Auf die Frage, weshalb er innerhalb der JVA nicht im Gartenbau tätig sei, gab er an, er verfüge bereits über viele Erfahrungen im Agrarbereich, zumal er früher mit seiner Familie auf dem Land gelebt habe und solche Arbeiten ständig ausgeführt habe.

3.3 Die Vollzugseinrichtung X empfahl in ihrem Vollzugsbericht vom 27. März 2024, dem Rekurrenten die bedingte Entlassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu gewähren. Der Rekurrent zeige Offenlegungs- und Mitwirkungsbereitschaft bei der Umsetzung des festgelegten Interventionsbedarfs gemäss vorgenannter VKS I vom 21. Juni 2023. Günstig sei seine Aussage hinsichtlich einer künftig deliktfreien Lebensführung, die Auseinandersetzung mit seiner Zukunft, die Teilnahme an einer Rückkehrberatung (RKB) und das gute Vollzugsverhalten inkl. guter Arbeitsleistung. Bei einer Entlassung sei geplant, ein Imbissstand mit seiner Familie zu betreiben und sich so den Lebensunterhalt zu finanzieren. Ausserdem habe er in […] zwei Jobangebote von Bekannten erhalten. Während den regelässigen sozialarbeiterischen Gesprächen habe der Rekurrent grundsätzlich eine Verantwortungsübernahme für seine Delikte gezeigt. Überdies habe er seit dem 7. November 2023 regelmässig Beträge auf das anstaltsinterne Opferhilfekonto überwiesen und total Fr. 110.– angespart. Auch habe er über die Tätigkeit als Zuhälter, seine heutige Einstellung diesbezüglich und seine konkreten Pläne für eine deliktsfreie Zukunft berichtet. Der Rekurrent sei gut vorbereitet erschienen und die aufgetragenen Hausaufgaben seien zuverlässig erledigt worden. Schliesslich geht die Vollzugseinrichtung X davon aus, dass der weitere Verbleib in der Einrichtung die Legalprognose nicht wesentlich beeinflussen würde und die Chance des Rekurrenten auf eine gelingende Reintegration in die Gesellschaft bei weiterer Strafverbüssung wahrscheinlich erschwert werden würde. Im Ergebnis erachtet sie die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung deshalb als gegeben.

3.4.1 Gestützt auf Art. 75a StGB holt die zuständige Behörde im Hinblick auf die Bewilligung von Vollzugsöffnungen die Stellungnahme der Fachkommission des Ostschweizer Strafvollzugskonkordates ein, wenn ein Straftäter ein Verbrechen nach Art. 64 Abs. 1 StGB begangen hat und die Vollzugsbehörde die Frage der Gemeingefährlichkeit des Täters nicht eindeutig beantworten kann (vgl. auch Ziff. 2.3 Abs. 1 der Richtlinien über den Vollzug von Freiheitsstrafen und freiheitsentziehenden Massnahmen bei potenziell gefährlichen Straftätern und Straftäterinnen der Ostschweizer Strafvollzugskommission vom 26. Oktober 2012).
3.4.2 Vorliegend ersuchte der Rekursgegner mit Schreiben vom 25. März 2024 die Fachkommission um Beurteilung der Gemeingefährlichkeit des Rekurrenten im Hinblick auf die Gewährung der bedingten Entlassung. Die Fachkommission nahm am 16. Mai 2024 Stellung und führte aus, dass die nach wie vor hochgradig belastete Legalprognose als unverändert ungünstig zu beurteilen sei. Es werde zwar erkannt, dass der Rekurrent ein gutes Vollzugsverhalten aufweise und absprachefähig sei, jedoch seien die nachvollziehbare Problemeinsicht sowie die authentische Veränderungsbereitschaft nur vordergründig zu erkennen, indem der Rekurrent unbestätigte Angaben zu seinen Perspektiven nach der Entlassung aus dem Strafvollzug mache. Eine Aufarbeitung der tatrelevanten Problembereiche habe somit noch nicht stattgefunden, so dass es dem Rekurrenten am notwendigen Risikomanagement fehle, um sich in künftigen Risikosituationen adäquat zu verhalten. Zudem fiele die Biografie des Rekurrenten hinsichtlich der Kriminalitätsentwicklung ungünstig aus. So würde die diffuse familiäre Verflechtung in die strafrechtlich relevanten Geschäftstätigkeiten eine hohe kriminelle Energie aufweisen. Eine aktive und explizite Distanzierung des kriminellen Gesellschaftskreises bzw. der organisierten Kriminalität sei nicht aktenkundig. Auch sei die Umsetzbarkeit der aufgeführten Rückkehrvorbereitungen nicht hinreichend verifiziert worden. Die Zukunftsplanung basiere primär auf verbalen Zusicherungen des Rekurrenten. Es handle sich um eine unausgereifte Rückkehrvorbereitung nach […]. Bei einem Rückfall des Rekurrenten werde die sexuelle und körperliche Integrität von Personen gefährdet. Ferner sei aufgrund der Landesverweisung die Erteilung von Weisungen und die Anordnung einer Bewährungshilfe nicht angedacht. Entsprechend erweise sich die Differenzialprognose als kein tragfähiges Argumentarium. Aus den genannten Gründen komme die Fachkommission zum Schluss, dass die Legalprognose des Rekurrenten unverändert erheblich belastend sei. Das Rückfallrisiko für erneute Gewalt- und Sexualdelikte sei unverändert hoch und an der Haltung des Rekurrenten habe sich bis heute nichts geändert. Die Zeit bis zum Strafende sei für die Ausgestaltung eines substanzielleren Rückkehrsettings in […] zu nutzen. Bei der aktuellen Fallvorlage fehle es an verifizierten Informationen, die gegen eine baldige und erneute Straffälligkeit sprechen würden. Unter dem Aspekt der Gemeingefährlichkeit könne die Fachkommission die bedingte Entlassung zum Beurteilungszeitpunkt nicht befürworten.

3.5 Schliesslich konnte sich der Rekurrent am 29. Mai 2024 zur Frage der bedingten Entlassung persönlich äussern (Art. 86 Abs. 2 StGB). Dabei führte er aus, dass er mit dem Vollzugsbericht der Vollzugseinrichtung X vom 27. März 2024 einverstanden sei. Bezüglich der Risikoabklärung vom 28. Juni 2022 äusserte er lediglich, dass er die Leute nicht gesehen habe und zur Stellungnahme der Fachkommission vom 16. Mai 2024 gab er an, er fühle sich betrogen, zumal er sich in der Tataufarbeitung und Entlassungsvorkehrungen Mühe gegeben habe.

4.
4.1 Angesichts der vorstehenden Ausführungen muss neben den positiv zu wertenden Bemühungen des Rekurrenten (insbesondere korrektes Verhalten im Vollzug und Kontakt mit der Familie) festgehalten werden, dass bei ihm nach wie vor überdauernde externalisierende und bagatellisierende Persönlichkeitszüge vorliegen. Dies wurde mitunter auch von der Vollzugseinrichtung X im Vollzugsbericht vom 27. März 2024 so vermerkt. Überdies ergibt sich daraus, dass legalprognostisch die deliktische Vergangenheit und das sehr hohe Risikopotenzial gemäss Risikoabklärung weiterhin negativ ins Gewicht fällt. Auch die Angabe des Rekurrenten, wonach in seinem sozialen Umfeld niemand mehr dem delinquenten Geschäftsmodell nachgehe, lässt sich nicht verifizieren. Diese Persönlichkeitszüge standen direkt mit den Anlassdelikten im Zusammenhang und bekräftigen die Befürchtung, der Rekurrent könne sich bei einer bedingten Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt nicht von seinem prokriminellen Umfeld distanzieren und bald einer geregelten Arbeit nachgehen.

4.2 Zwar trifft es zu, dass für den Rekurrenten gerichtlich keine therapeutische Massnahme angeordnet worden ist und auch nie ein Gutachten über ihn erstellt worden ist. Es stand ihm jedoch frei, im Hinblick auf eine positive Entwicklung von sich aus eine rückfallpräventive Therapie oder ein anderweitiges Aufarbeitungsangebot in Anspruch zu nehmen, welches über die sozialarbeiterischen Gesprächstermine hinausgegangen wäre. Das Argument des Rekurrenten, der Rekursgegner erhebe Ansprüche, die zu leisten ihm nicht möglich gewesen seien, verfängt daher nicht. In den mehr als fünf Jahren im Strafvollzug hat er es folglich nicht geschafft, sich ein Risikomanagement zu erarbeiten und sein Vollzugsziel zu erreichen. Sein langjähriger und hochgradig kriminogener Lebensstil blieben weitestgehend unbearbeitet und das Rückfallrisiko für Gewalt- und Sexualdelikte ist entsprechend unverändert hoch. So weigert sich der Rekurrent konsequent, die bei ihm bestehenden Risiken deliktpräventiv, nachhaltig und ehrlich zu bearbeiten. Als Grund hierfür kann lediglich dem VKS I-Protokoll vom 21. Juni 2023 entnommen werden, dass der Rekurrent Bedenken habe, weil er von anderen Insassen gehört habe, dass man eine Massnahme nach Art. 63 StGB gesprochen bekäme, wenn man sich auf therapeutische Gespräche einlasse. Diese Weigerungshaltung ist dem Rekurrenten – entgegen seinen Ausführungen – sehr wohl anzulasten. Im Ergebnis ist denn auch keine Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme seitens des Rekurrenten dokumentiert, was die Legalprognose entsprechend verschlechtert.

4.3 Mit Blick auf die Entlassungssituation ist sodann festzuhalten, dass der Rekurrent ohne nachvollziehbare Gründe davon abgesehen hat, während dem Vollzug in der Gärtnerei zu arbeiten, obwohl eine solche Tätigkeit eine von ihm selbst vorgebrachte nahgelegene Zukunftsperspektive darstellt. Eine solche Tätigkeit während laufendem Vollzug ist keine zwingende Voraussetzung, wäre jedoch für eine erfolgreiche Resozialisierung sicherlich von Vorteil. Aktuell steht zwar das Food Truck-Projekt im Vordergrund, die Anstellung in der Gärtnerei eines Bekannten soll dem Rekurrenten jedoch als Alternative dienen. Dass die möglichen Anstellungsangebote dabei wiederum von Bekannten vermittelt worden sind, erscheint angesichts der Tatsache, dass der Rekurrent seit dem Vollzug kein neues soziales Umfeld hat erlangen können, mindestens fragwürdig. Angesichts der gegen ihn ausgesprochenen Landesverweisung bleibt dem Rekurrenten wohl auch nur die Rückkehr in sein bisheriges soziales Umfeld, welches allerdings aktenkundig stark deliktnah ausfällt. Übereinstimmend mit der Fachkommission erscheint deshalb die angedachte Zukunftsgestaltung als zu wenig belastbar und ausgereift. Gerade bei Straftätern mit einer Vergangenheit in einer international vernetzten und organisierten Kriminalität wäre hierbei jedoch ein besonderes Augenmerk zu legen. Aussichten, die vorwiegend auf den verbalen Zusicherungen des Rekurrenten abstützen, reichen hierfür nicht aus. Die parallel aufgegleiste Idee der Führung eines kleinen Familienunternehmens in Form eines Imbissstandes ist überdies mit weiteren Problemen behaftet. So ist eine selbständige Tätigkeit angesichts der kriminellen Vergangenheit des Rekurrenten grundsätzlich kritisch zu betrachten. Darüber hinaus soll der Food Truck zusammen mit seiner Lebenspartnerin geführt werden, welche ihrerseits in der Vergangenheit Begünstigte der kriminellen Machenschaften des Rekurrenten gewesen ist. Auch diese Entlassungssituation ist mithin mit enormen Unsicherheiten und Risiken verbunden.

4.4 Abschliessend ist kurz auf die verschiedentlich vorgebrachte Differentialprognose einzugehen. Wie die Fachkommission richtig anführt, sind dabei hingegen nicht nur die allenfalls ausbleibende Verbesserung der ungünstigen Legalprognose bei einem weiteren Verbleib im Vollzug zu berücksichtigen, sondern gemäss Ziffer 2.1.3 der Richtlinien betreffend die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug der Ostschweizer Strafvollzugskommission vom 7. April 2006 wird zusätzlich vorausgesetzt, dass bei einem allfälligen Rückfall keine hochwertigen Rechtsgüter wie Leib und Leben oder sexuelle Integrität betroffen sind und der Gefahr neuerlichen Delinquenz durch Erteilung von Weisungen und durch Anordnung von Bewährungshilfe voraussichtlich wirksamer begegnet werden kann. Beide letztgenannten Voraussetzungen sind vorliegend allerdings nicht erfüllt. Aufgrund der Anlasstaten sind hochwertige Rechtsgüter in Gefahr und aufgrund der ausgesprochenen Landesverweisung sind die Anordnung von Weisungen und die Erteilung von Bewährungshilfe nicht angedacht (vgl. hierzu auch BGE 124 IV 193, E. 4a und E. 5b/bb; Urteile 7B_157/2024 vom 22. April 2024, E.2.2.2 und 2.2.2; 7B_243/2023 vom 14. November 2023, E. 3.2.1; je mit Hinweisen). Schliesslich ist zu bedenken, dass es bis zum Endtermin der Strafe des Rekurrenten weniger als ein Jahr dauert. In dieser Zeit kann der Rekurrent eine nachhaltige deliktpräventive Bearbeitung seiner Risiken allenfalls doch noch in Angriff nehmen. Selbst wenn es hierbei nicht zu einem erfolgreichen Abschluss kommen sollte, kann die Zeit genutzt werden, um – wie von der Fachkommission empfohlen – die geplante Rückkehrvorbereitung zu überarbeiten.

5.
Dass der Rekursgegner in Würdigung dieser Aktenlage dem Rekurrenten die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug verweigert hat, ist daher nicht zu beanstanden, sondern lag in dem ihm zustehenden Ermessen (vgl. BGE 133 IV 201, E. 2.3). Im Ergebnis ist der Rekurs demnach abzuweisen.

6.
6.1 Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Rekurrent kostenpflichtig (§ 13 Abs. 2 VRG). Eine Parteientschädigung steht ihm nicht zu (§ 17 Abs. 1 VRG). Er liess indessen ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters stellen.

6.2 Privaten sind auf entsprechendes Ersuchen die Verfahrenskosten zu erlassen, wenn ihnen die nötigen Mittel fehlen und ihre Begehren nicht offensichtlich aussichtslos erscheinen (§ 16 Abs. 1 VRG). Sie haben überdies Anspruch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Rechte im Verfahren selbst zu wahren (§ 16 Abs. 2 VRG; vgl. auch Art. 29 Abs. 3 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV; SR 101]).

6.3.1 Aus dem vorliegenden Rekurs lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob es sich beim Rekurrenten um Mittellosigkeit handelt. Es fehlen Belege, welche die finanzielle Situation sowie die genannten Unterstützungsleistungen des Sohnes in […] darlegen. Gestützt auf das Gerichtsurteil vom 17. Januar 2023 kann jedoch von einer anhaltenden Mittellosigkeit des Rekurrenten ausgegangen werden. Da sich seither sein Einkommen auf die geleistete Arbeit im Vollzug beschränkt.
6.3.2 Sodann erweist sich sein Begehren als nicht offensichtlich aussichtslos. Aus diesem Grund ist dem Rekurrenten die unentgeltliche Prozessführung zu bewilligen. Zudem lassen die sich stellenden Sachverhalts- und Rechtsfragen den Beizug einer Rechtsvertretung nicht von vornherein als ungerechtfertigt erscheinen. Daher ist das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters ebenfalls gutzuheissen und Rechtsanwalt B ist als unentgeltlicher Rechtsbeistand des Rekurrent im Rekursverfahren einzusetzen.

6.4 Rechtsanwalt B macht einen Zeitaufwand […] geltend. Daneben macht er 8,1 % Mehrwertsteuer in der Höhe von […] geltend. Insgesamt beantragt er eine Entschädigung von […]. Rechtsanwalt B hat seinen Zeitaufwand detailliert und nachvollziehbar aufgelistet. Er ist antragsgemäss für seine Bemühungen und Spesen aus der Staatskasse zu entschädigen. Vorbehalten bleibt die in § 16 Abs. 4 VRG vorgesehene Nachzahlungspflicht des Rekurrenten.

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