Zusammenfassung (verfasst von der Direktion der Justiz und des Innern):
Der Rekurrent (A) befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug in B. Mit Disziplinarverfügung vom 17. Mai 2024 wurde er wegen einem tätlichen Angriff auf einen Mitgefangenen in der Vollzugseinrichtung, Störung der Ordnung oder Sicherheit in der Vollzugseinrichtung, Konsum von Drogen in der Vollzugseinrichtung sowie Vereitelung von Kontrollen mit vier Tagen Arrest bestraft. Gegen diese Disziplinarverfügung erhob A mit Schreiben vom 27. Mai 2024 bei der Direktion der Justiz und des Innern Rekurs und beantragte deren Aufhebung.
Nachdem ein Mitinsasse (C) den Rekurrenten in den Frigo gelockt hatte, kam es zu einer physischen Auseinandersetzung. Der Rekurrent trug eine Rissquetschwunde über dem rechten Auge davon, die genäht werden musste. Der Rekurrent bestritt nicht, in der Folge versucht zu haben, C zu treten. Da bereits der Versuch eines tätlichen Angriffs bestraft werden kann, war die Disziplinierung diesbezüglich gerechtfertigt, auch wenn der Rekurrent C nicht getroffen hat. Da zwischen dem Rekurrenten und C bereits vor der tätlichen Auseinandersetzung ein Spannungsverhältnis herrschte, kam der Rekursgegner zu Recht zum Schluss, dass sich der Rekurrent bewusst auf die Konfrontation eingelassen und dadurch eine Störung der Ordnung oder Sicherheit der Vollzugseinrichtung zumindest in Kauf genommen habe. Auch was die Verweigerung der angeordneten Urinprobe betrifft, erscheint es unwahrscheinlich, dass es dem Rekurrenten bei allen drei Aufforderungen unmöglich gewesen war, Wasser zu lassen. Insgesamt brachte der Rekurrent keine Gründe vor, die geeignet waren, die Sachverhaltsdarstellung des Rekursgegners in Zweifel zu ziehen. Die Disziplinarverfügung vom 17. Mai 2024 war gerechtfertigt.
Die ausgesprochene Sanktion erwies sich als angemessen. Der Rekurrent musste innert kurzer Zeit bereits mehrfach diszipliniert werden, was sich strafschärfend auswirkt. Der Rekurs wird abgewiesen.
Anonymisierter Entscheidtext (Auszug):
Sachverhalt:
A. A. befindet sich zurzeit im vorzeitigen Strafvollzug in B. Mit Disziplinarverfügung von Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich (JuWe) vom 17. Mai 2024 wurde er wegen tätlichen Angriffs auf einen Mitgefangenen in der Vollzugseinrichtung, Störung der Ordnung oder Sicherheit in der Vollzugseinrichtung, Konsums von Drogen in der Vollzugseinrichtung sowie Vereitelung von Kontrollen mit vier Tagen Arrest (von Donnerstag, 16. Mai 2024, nachmittags, bis Montag, 20. Mai 2024, nachmittags) belegt. Die Disziplinarmassnahme wurde sofort vollzogen. Als A am 18. Mai 2024 die Disziplinarverfügung ausgehändigt erhielt, verweigerte er die Unterschrift.
B. Mit Rekurs vom 27. Mai 2024 gelangte A an die Direktion der Justiz und des Innern und beantragte sinngemäss, die Disziplinarverfügung vom 17. Mai 2024 sei aufzuheben.
C. Mit Vernehmlassung vom 6. Juni 2024 beantragte JuWe die Abweisung des Rekurses und verwies zur Begründung auf die Untervernehmlassung der B vom selben Datum. Ausserdem reichte JuWe die massgeblichen Akten sowie einen USB-Stick mit Aufnahmen einer Überwachungskamera ein.
D. A liess sich dazu nicht vernehmen. Die Sachverhaltsermittlungen gelten damit als abgeschlossen. Das Verfahren ist spruchreif.
Erwägungen:
1.
Zum Rekurs ist berechtigt, wer durch die angefochtene Anordnung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (§ 21 Abs. 1 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 [VRG; LS 175.2]). Rekursen gegen Disziplinarverfügungen kommt grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zu (§ 23 d Abs. 2 Straf- und Justizvollzugsgesetz vom 19. Juni 2006 [StJVG; LS 331]). Auch wenn die angefochtene Disziplinarmassnahme bereits vollzogen wurde, besteht ein schutzwürdiges Interesse an der Überprüfung der angefochtenen Disziplinarverfügung, da sonst kaum je die Möglichkeit einer (rechtzeitigen) Überprüfung von deren Rechtmässigkeit bestünde (vgl. Urteile BGer 6B_729/2018 vom 26. September 2018 E. 1.2 und 1P.4/2004 vom 4. August 2004 E. 1.2; BGE 124 I 231 E. 1b). Da auch die Zuständigkeit der Direktion der Justiz und des Innern gegeben ist und der Rekurs rechtzeitig erhoben wurde, ist darauf einzutreten.
2.
2.1 Gemäss Art. 91 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0) können gegen Gefangene, die in schuldhafter Weise gegen Strafvollzugsvorschriften oder den Vollzugsplan verstossen, Disziplinarsanktionen verhängt werden. Im Kanton Zürich ist das Disziplinarrecht für den Straf- und Massnahmenvollzug gestützt auf Art. 91 Abs. 3 StGB in den §§ 23 b ff. StJVG geregelt. Nach § 23 b Abs. 1 lit. a und b StJVG werden Personen, die in Vollzugseinrichtungen eingewiesen sind, mit Disziplinarmassnahmen belegt, wenn sie gegen Hausordnungen, Reglemente oder andere Vollzugsvorschriften oder gegen ihnen im Rahmen der Vollzugsplanung auferlegte Verpflichtungen verstossen. Ein Disziplinarvergehen verübt unter anderem, wer Personen in der Vollzugseinrichtung tätlich angreift, bedroht oder beschimpft (§ 23 b Abs. 2 lit. a StJVG), wer die Ordnung oder Sicherheit der Vollzugseinrichtung stört oder gefährdet (§ 23 b Abs. 2 lit. c StJVG), wer in der Vollzugseinrichtung Drogen konsumiert (§ 23 b Abs. 2 lit. g StJVG) oder wer Kontrollen vereitelt, umgeht oder verfälscht (§ 23 b Abs. 2 lit. j StJVG). Gemäss § 83 Abs. 1 der Hausordnung vom 1. November 2022 (HO B) können auf Anordnung der Anstaltsdirektion, der Abteilungsleitung, des Pikettchefs oder des medizinischen sowie therapeutischen Personals Alkohol- und Drogentests durchgeführt werden. Urinproben werden unter Sichtkontrolle abgenommen. Die Verweigerung der Kontrolle oder Nichtabgabe innert angesetzter Frist gelten gemäss § 83 Abs. 2 HO B als positiver Befund und werden disziplinarisch geahndet.
2.2 An die Beweisführung und die Begründung werden in einem Disziplinarverfahren nicht dieselben Anforderungen gestellt wie in einem Strafverfahren (vgl. Urteil BGer 1P.4/2004 vom 4. August 2004 E. 3 mit weiteren Hinweisen; vgl. betreffend freie Beweiswürdigung auch Kaspar Plüss, in: Alain Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [Kommentar VRG], 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, § 7 N 136 und 138).
3.
3.1 Der Rekursgegner wirft dem Rekurrenten in der Verfügung vom 17. Mai 2024, die sich insbesondere auf einen Rapport vom 16. Mai 2024 und die Anhörung des Rekurrenten vom 17. Mai 2024 stützt, im Wesentlichen Folgendes vor:
Am Donnerstag, 16. Mai 2024, habe der diensthabende Werkmeister den Rekurrenten mit einer Platzwunde über dem rechten Auge in der Abwaschküche vorgefunden. Die anwesenden Werkmeister hätten ihn daraufhin von den anderen Gefangenen separiert. Der Rekurrent habe sich dahingehend geäussert, dass er von einem anderen Insassen (C) geschlagen worden sei. Das Pickettteam habe die beiden Kontrahenten danach in den Arrest verbracht. Der Rekurrent sei vor Arresteintritt zum Arzt gebracht worden, wo seine Rissquetschwunde über dem rechten Auge genäht worden sei. Eine angeordnete Urinprobe habe er verweigert.
Anlässlich der Anhörung vom 17. Mai 2024 habe der Rekurrent Folgendes angegeben: Er habe die Urinprobe nicht verweigert, er habe in dieser Zeit einfach keinen Urin lassen können. Zur tätlichen Auseinandersetzung habe der Rekurrent ausgesagt, dass er den Boden geputzt habe. Dabei sei er von C immer blöd angeschaut worden. Deshalb habe er ihn gefragt, weshalb er ihn immer anschaue. C habe aber keine Antwort gegeben. Danach habe er (der Rekurrent) C gefragt, weshalb er in den letzten Tagen nicht zur Arbeit erschienen sei, worauf C auf ihn zugekommen sei und fragte, weshalb er das wissen wolle und ob er ein Problem mit ihm habe. Der Rekurrent habe das verneint. Danach seien zwei Arbeitskollegen dazugekommen und C sei weggegangen. Später habe C dem Rekurrenten gesagt, er solle mit in den Frigo kommen. Der Rekurrent habe gedacht, dass C in Ruhe mit ihm reden wolle, da es überall Leute gehabt habe. Daraufhin sei er von C in den Frigo gestossen, an der Arbeitsbluse gepackt und geschüttelt worden. Er habe fast keine Luft mehr bekommen und habe versucht, sich zu befreien. C habe ihm dann zwei Mal mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Er (der Rekurrent) sei dann zu Boden gefallen. C habe die Tür des Frigos geöffnet und sei hinausgerannt. Als der Rekurrent Blut gesehen habe, sei er auch rausgerannt; er habe C einen Fusstritt geben wollen. Er wisse nicht, ob er C getroffen habe oder nicht.
3.2
3.2.1 Der Rekurrent bestreitet nicht, dass er versuchte, C einen Fusstritt zu verpassen. Er bringt aber vor, dass er diesen gar nicht getroffen habe. Auf den Videoaufnahmen lässt sich zwar klar feststellen, dass der Rekurrent versuchte, C zu treten. Ob er diesen tatsächlich getroffen hat, erscheint fraglich, lässt sich gestützt auf die Aufnahmen aber nicht mit Sicherheit sagen. Aus diesem Umstand kann der Rekurrent aber im vorliegenden Verfahren nichts zu seinen Gunsten ableiten. Denn wie der Rekursgegner zu Recht festhält, wird der Versuch eines Disziplinarvergehens gemäss § 23 b Abs. 3 StJVG wie das Vergehen selbst bestraft. Ebenso ist zwar grundsätzlich nachvollziehbar, dass sich der Rekurrent – nachdem er von C zwei Faustschläge erhalten hatte – aufgeregt oder gar wütend war. Dies ändert jedoch nichts daran, dass er versuchte, einen Mitgefangenen tätlich anzugreifen. Der Rekurrent wurde somit zu Recht gestützt auf § 23 b Abs. 2 lit. a (in Verbindung mit § 23 b Abs. 3) StJVG diszipliniert.
3.2.2 Aufgrund der Aussagen des Rekurrenten anlässlich der Anhörung vom 17. Mai 2024 ist sodann auch eine Störung der Ordnung oder Sicherheit der Vollzugseinrichtung (§ 23 b Abs. 2 lit. c StJVG) hinreichend erstellt. Der Rekurrent hat sich bewusst auf eine (zunächst verbale) Konfrontation mit C eingelassen, weil dieser ihn «immer blöd angeschaut» habe. Ebenso hat der Rekurrent mit seiner Frage zur Abwesenheit von C vom gemeinsamen Arbeitsort die offenbar bereits angespannte Stimmung zwischen den beiden weiter aufgeheizt. Mit diesem Verhalten hat der Rekurrent zumindest in Kauf genommen, dass er die Ordnung oder Sicherheit in der Vollzugseinrichtung stört.
3.2.3 Der Rekurrent wendet sich sodann gegen die Sanktionierung wegen Drogenkonsums (§ 23 b Abs. 2 lit. g StJVG in Verbindung mit § 83 Abs. 2 HO B.). Er bringt vor, er habe die Urinprobe nicht verweigert. Vielmehr sei er drei Mal aufgefordert worden, eine solche abzugeben. Beim ersten und dritten Mal habe er versucht «zu pinkeln», aber er habe nicht gekonnt. Beim zweiten Mal hätte er zwar Wasser lassen können; dabei habe er eine kleine Menge in den Becher gefüllt und den beiden Aufsehern gegeben. Diese hätten jedoch seinen Urin nicht getestet, sondern die Probe einfach als positiv gewertet.
Mit dem Rekursgegner sind diese Angaben des Rekurrenten als wenig glaubhaft zu qualifizieren. Es erscheint kaum wahrscheinlich, dass der Rekurrent sowohl bei Arrestantritt als auch am Morgen des Folgetags keine Urinprobe hat abgeben können. Sodann bringt der Rekurrent in seinem Rekurs erstmals vor, er habe eine Urinprobe abgeben können, diese sei jedoch von den Aufsehern – zu Unrecht – für Wasser gehalten und deshalb nicht getestet worden. Es bestehen denn auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Personal tatsächlich so vorging. Der Sachverhalt ist somit hinreichend erstellt und die Sanktionierung wegen Drogenkonsums (§ 23 b Abs. 2 lit. g StJVG in Verbindung mit § 83 Abs. 2 HO B) erfolgte zu Recht.
Schliesslich durfte der Rekurrent nach dem Gesagten auch wegen Vereitelung von Kontrollen im Sinn von § 23 b Abs. 2 lit. j StJVG diszipliniert werden. Die Verfälschung einer Probe durch Beifügen von Wasser oder die Abgabe von Wasser anstatt einer Urinprobe würde den Zweck der in § 83 Abs. 1 HO B vorgesehenen Drogentestes vereiteln.
3.3 Insgesamt durfte der Rekurrent somit wegen (versuchten) tätlichen Angriffs auf einen Mitgefangenen in der Vollzugseinrichtung, Störung der Ordnung oder Sicherheit in der Vollzugseinrichtung, Konsums von Drogen in der Vollzugseinrichtung sowie Vereitelung von Kontrollen diszipliniert werden.
4.
Es bleibt zu prüfen, ob Art und Umfang der verhängten Disziplinarmassnahme verhältnismässig sind. Die zulässigen Disziplinarmassnahmen sind in § 23 c Abs. 1 StJVG geregelt. Unter anderem ist Arrest bis zu 20 Tagen vorgesehen (vgl. § 23 c Abs. 1 lit. i StJVG). Der Rekursgegner belegte den Rekurrenten mit vier Tagen Arrest. Diese Art und Dauer der Disziplinarsanktion erscheint mit Blick auf die Verfehlungen des Rekurrenten gerechtfertigt und angemessen. Dabei ist strafschärfend zu berücksichtigen, dass der Rekurrent seit März 2023 bereits sechs Mal diszipliniert werden musste. Zuletzt war er Ende Februar 2024 unter anderem wegen mehrfacher Bedrohung von Personen in der Vollzugseinrichtung und Konsums von Drogen mit sechs Tagen Arrest belegt worden (vgl. dazu JI 2024-893)
5.
Nach dem Gesagten erweist sich die angefochtene Disziplinarverfügung als rechtmässig. Der Rekurs ist abzuweisen.
6.
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Kosten dem Rekurrenten aufzuerlegen (§ 13 Abs. 2 VRG).
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