0470

Entscheidinstanz
Direktion der Justiz und des Innern
Geschäftsnummer
JI-2024-729
Entscheiddatum
26. März 2024
Rechtsgebiet
Straf- und Massnahmenvollzug
Schlagworte
Bedingte Entlassung Legalprognose Unentgeltlicher Rechtsbeistand Wegweisung
Verwendete Erlasse
Art. 86 StGB § 16 Abs. 1 und 2 VRG Art. 29 Abs. 3 BV

Zusammenfassung (verfasst von der Direktion der Justiz und des Innern):

Der Rekurrent befand sich zum Vollzug zweier (mehrmonatiger) Freiheitsstrafen in C. Zwei Drittel der Strafen waren am 13. Februar 2024 erstanden. Das Strafende fiel auf den 13. Mai 2024. Der Rekursgegner lehnte die bedingte Entlassung des Rekurrenten aus dem Strafvollzug nach Art. 86 StGB auf den Zweidrittel-Termin ab.

Dem Rekurrenten kann keine günstige Legalprognose gestellt werden: Er hat sich zwar im Strafvollzug gut verhalten. Jedoch musste er in der Vergangenheit bereits 16-mal verurteilt werden. Die Delinquenz betraf – nebst Widerhandlungen gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) – auch Vermögendelikte (Diebstahl) und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Auch eine in der Vergangenheit einmal gewährte bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug änderte nichts an der fortlaufenden Delinquenz des Rekurrenten. Zudem hat er sich drei Mal einem Strafvollzug durch Flucht zu entziehen versucht. Der Rekurrent verfügt hier über kein Aufenthaltsrecht und es liegt ein rechtskräftiger Wegweisungsentscheid vor, was er ebenfalls wiederholt nicht beachtet hat. Seine Zukunftspläne sind vage und widersprüchlich und zeugen nicht davon, dass er ernsthaft gewillt ist, von Straffälligkeit Abstand zu nehmen. Den zu verbüssenden Strafrest kann der Rekurrent allenfalls nutzen, um den im Ausland geplanten Aufenthalt bzw. die dafür notwendigen Papiere zu organisieren.

Die Bestellung des erst während des Rekursverfahrens beigezogenen Rechtsvertreters als unentgeltlicher Rechtsbeistand war nicht zu gewähren: Der Beizug war nicht notwendig.

Der Rekurs ist abzuweisen.
 

Anonymisierter Entscheidtext (Auszug):

Sachverhalt:

A. A. verbüsst zurzeit in C. folgende Freiheitsstrafen:

  • 90 Tage Freiheitsstrafe, abzüglich 1 Tag erstandenen Freiheitsentzug, wegen rechtswidriger Einreise (Strafbefehl der Staatsanwaltschaft D. vom 6. Juli 2023)
  • 180 Tage Freiheitsstrafe, abzüglich 2 Tage erstandenen Freiheitsentzug, wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, etc. (Strafbefehl der Staatsanwaltschaft E. vom 3. April 2023).

B. Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich (JuWe) hat mit Verfügung vom 30. Januar 2024 die bedingte Entlassung von A. aus dem Strafvollzug auf den 2/3-Termin abgewiesen. Am 29. Januar 2024 war A. persönlich angehört worden.

C. Gegen die Verfügung von JuWe erhob A. am 18. Februar 2024 Rekurs bei der Direktion der Justiz und des Innern. Er beantragte sinngemäss die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug.

D. JuWe beantragte mit Stellungnahme vom 29. Februar 2024 die Abweisung des Rekurses und reichte die Vollzugsakten ein. A. wurde die Gelegenheit zur nochmaligen Stellungnahme eingeräumt. Am 11. März 2024 teilte B. mit, dass ihn A. um Übernahme der (unentgeltlichen) Rechtsvertretung ersucht habe. Die Frist zur Stellungnahme wurde daher erstreckt und dem Rechtsvertreter wurden die Akten zur Einsicht zugestellt. Mit Stellungnahme vom 18. März 2024 liess A. durch seinen Rechtsvertreter am Rekurs festhalten. JuWe äusserte sich dazu nicht mehr. Damit sind die Sachverhaltsermittlungen abgeschlossen.

Erwägungen:

1.
Die Legitimation des Rekurrenten und die Zuständigkeit der Direktion der Justiz und des Innern sind gegeben. Auf den rechtzeitig erhobenen Rekurs ist einzutreten.

2.
2.1 Der Rekursgegner führt in der angefochtenen Verfügung aus, der Rekurrent zeige grundsätzlich ein gutes Vollzugsverhalten. Erhebliche Bedenken gebe es aber zur Legalprognose des Rekurrenten: Seit 2013 sei dieser 16-mal rechtskräftig verurteilt worden; wiederholt wegen Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 16. Dezember 2005 (AIG; SR 142.20), aber auch wegen Diebstahl sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Ein weiteres solches Verfahren sei hängig. Dem Strafvollzug habe sich der Rekurrent drei Mal durch Flucht zu entziehen versucht. Im Jahre 2012 sei ihm die bedingte Entlassung aus einer Strafe gewährt worden; wegen erneuter Straffälligkeit während der Probezeit musste dies widerrufen werden. Der Rekurrent zeige sich demnach unbeeindruckt von Verurteilungen und Strafvollzug. Zudem seien seine Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und zu seiner in Deutschland geplanten Zukunft wenig glaubhaft.

2.2 Der Rekurrent macht im Wesentlichen geltend, er habe sich im Strafvollzug nichts zuschulden kommen lassen; dies werde auch im aktuellen Führungsbericht bestätigt. Er sei auch älter und reifer geworden. Sein Risikopotential werde als gering eingestuft und es wäre unverhältnismässig, die bedingte Entlassung nicht zu gewähren. Was die Delikte «Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte» anbelange, so sei er provoziert worden (das Vollzugspersonal in der Schweiz sei teilweise unprofessionell). Die Frage der bedingten Entlassung habe nichts mit den Asyl-Entscheiden zu tun. Hier gehe es nur um die Resozialisierung. Er habe ein soziales Umfeld und pflege regelmässig telefonischen Kontakt zu seiner Familie. Nach seiner Entlassung könnte er auch eine stationäre oder ambulante Therapie betreffend seine psychischen Probleme machen. Nach einer Entlassung werde er aber ohnehin nach Deutschland ausgeschafft, was problemlos sei. Dort warte eine Freundin auf ihn.

3.
3.1 Nach Art. 86 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0) ist der Gefangene nach Verbüssung von zwei Dritteln, mindestens aber drei Monaten seiner Strafe, bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde in Freiheit weitere Verbrechen oder Vergehen begehen. Die zuständige Behörde hat von Amtes wegen zu prüfen, ob der Gefangene bedingt entlassen werden kann; dabei hat sie diesen anzuhören und einen Bericht der Anstaltsleitung einzuholen (Art. 86 Abs. 2 StGB).

3.2 Die bedingte Entlassung stellt die vierte und letzte Stufe des Strafvollzuges dar und bildet die Regel, von der nur aus guten Gründen abgewichen werden darf. In dieser Stufe soll der Entlassene den Umgang mit der Freiheit erlernen, was nur in Freiheit möglich ist. Diesem rein spezialpräventiven Zweck stehen die Schutzbedürfnisse der Allgemeinheit gegenüber, welchen umso höheres Gewicht beizumessen ist, je hochwertiger die gefährdeten Rechtsgüter sind (BGE 125 IV 113 E. 2a).
3.3 Die Prognose über das künftige Wohlverhalten ist in einer Gesamtwürdigung zu erstellen, welche nebst dem Vorleben, der Persönlichkeit und dem Verhalten des Täters während des Strafvollzugs vor allem deren neuere Einstellung zu seinen Taten, seine allfällige Besserung und die nach der Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnisse berücksichtigt. Dabei steht der zuständigen Behörde ein Ermessensspielraum zu (BGE 133 IV 201 E. 2.2 und 2.3). Blosses Wohlverhalten im Strafvollzug darf nicht ohne Weiteres als prognostisch positiv gewertet werden. Das Verhalten im Vollzug ist als Gesamtheit und unter Berücksichtigung seiner Entwicklung im Zeitverlauf in die Prognose einzubeziehen (CORNELIA KOLLER, in: Marcel Alexander Niggli/Hans Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Strafrecht I [BSK-StGB], 4. Aufl., Basel 2019, Art. 86 N. 10 mit Hinweisen). Anhand der erwähnten Kriterien ist eine Individualprognose vorzunehmen, aber auch im Sinne einer Differenzialprognose zu fragen, ob die Gefahr einer Begehung weiterer Straftaten bei einer bedingten Entlassung oder bei einer Vollverbüssung der Strafe höher einzuschätzen ist. Zu prüfen ist zudem, ob die bedingte Entlassung mit der Möglichkeit von Auflagen und Bewährungshilfe eher zu einer Resozialisierung des Täters führt (BGE 124 IV 193). Die differenzialdiagnostische Abwägung kann dann belanglos sein, wenn dem Verurteilten grundsätzlich eine schlechte Prognose gestellt werden muss und es daher im Interesse der öffentlichen Sicherheit unabdingbar erscheint, ihn die gesamte Strafe verbüssen zu lassen (KOLLER, BSK-StGB, Art. 86 N. 16).

4.
4.1 Der Rekursgegner ist mit überzeugender Begründung zum Schluss gelangt, dass die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung des Rekurrenten aus dem Strafvollzug nicht gegeben sind. Um Wiederholungen zu vermeiden, kann in Anwendung von § 28 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG; LS 175.2) auf die zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Was der Rekurrent dagegen vorbringt, vermag eine bedingte Entlassung nicht zu rechtfertigen.

4.2 a) So trifft es zwar zu, dass das gute Vollzugsverhalten des Rekurrenten einer bedingten Entlassung nicht entgegensteht. Allerdings ist das Vorleben des Rekurrenten bedenklich: Gemäss aktuellem Auszug aus dem Schweizer Strafregister musste er seit dem Jahr 2013 (die aktuell zu verbüssenden Strafen mitgerechnet) 16-mal verurteilt werden. Die Delinquenz betraf – nebst Widerhandlungen gegen das AIG – auch Vermögensdelikte (Diebstahl) und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte. Einmal wurde der Rekurrent bedingt aus dem Strafvollzug entlassen (2012), wobei dies widerrufen und der Strafrest zum Vollzug angeordnet werden musste, da der Rekurrent während der Probezeit erneut straffällig geworden war. Der Rekurrent versuchte sich zudem drei Mal einem Strafvollzug durch Flucht zu entziehen (2013, 2014 und 2015). Aktuell musste das Bezirksgericht F. den Rekurrenten zudem mit rechtskräftigem Urteil vom 8. Januar 2024 erneut wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte schuldig sprechen; er wurde mit 140 Tagen Freiheitsstrafe, abzüglich 3 Tage erstandene Haft, bestraft.

b) Der Rekurrent verfügt hier über kein Aufenthaltsrecht. Gegen ihn liegt ein rechtskräftiger Wegweisungsentscheid vom 6. September 2022 vor. Die Kantonspolizei Zürich hat den Rekurrenten am 11. Januar 2023 in den zuständigen Dublin-Staat Deutschland ausgeschafft und das Staatssekretariat für Migration (SEM) ordnete ein dreijähriges Einreiseverbot für die Schweiz an (11. Januar 2023 bis 10. Januar 2026). Dies hielt den Rekurrenten nicht davon ab, kurze Zeit später wieder unberechtigt einzureisen und hier erneut zu delinquieren (u.a. auch mit Drohung / Gewalt und Drohung gegen Behörden oder Beamte).

c) Der Rekurrent wird die Schweiz nach dem Strafvollzug also verlassen müssen. Die von ihm dazu geäusserten Zukunftspläne sind vage, widersprüchlich und zeugen nicht davon, dass er ernsthaft gewillt ist, von Straffälligkeit Abstand zu nehmen. So führte er anlässlich seiner persönlichen Anhörung vom 29. Januar 2024 unter anderem aus, er werde nach einer Entlassung nach Deutschland gehen, wo er «Asyl» habe; er werde dort «schwarz» arbeiten; die Polizei kontrolliere das nicht. Danach gefragt, ob eine Rückkehr nach Algerien möglich sei, führte er aus, er sei eigentlich von Marokko, habe aber keine Papiere. Er wolle in Deutschland seine dortige Freundin heiraten und so seinen Aufenthalt legalisieren; er müsse aber wegen der Papiere schauen. Nach Marokko gehe er nicht zurück. Er sei vor 20 Jahren nach Europa geflüchtet und habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Er telefoniere ab und zu mit Kollegen, und nicht mit seiner Familie wie es im Vollzugsbericht von C. stehe.

4.3 Bei Betrachtung all dieser Umstände kann dem Rekurrenten keine günstige Legalprognose gestellt werden. Der Rekurrent hat sich bisher weder durch Verurteilungen, Strafvollzug, eine bedingte Entlassung oder Wegweisung/Ausschaffung/Einreisesperre von erneuter Delinquenz abhalten lassen. Gegenteils ist er jeweils innert kürzester Zeit wieder mit verschiedenen Delikten rückfällig geworden. Zudem sind seine Angaben zu den persönlichen Verhältnissen und seiner Zukunft wenig glaubhaft und zeugen nicht von Einsicht. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Rekurrent nach einer bedingten Entlassung wohl verhalten wird. Auch wenn bei einer Rückfälligkeit nicht schwere Gewaltstraftaten zu erwarten sind (vgl. Bericht Abteilung für Psychologische Abklärungen vom 3. August 2022), kann dies nicht bedeuten, dass dem Rekurrenten nun gleichwohl bei jeglichem Strafvollzug die Wohltat der bedingten Entlassung zu gewähren wäre. Daran ändert auch nichts, dass der Rekurrent die zwischenzeitlich hinzugekommene Strafe gemäss Bezirksgericht F. ebenfalls zu verbüssen haben wird (vgl. oben, E. 4.2). Gegenteils bestätigt jene erneute Verurteilung die Einschätzung zur Legalprognose des Rekurrenten. Angesichts des erwähnten Vorlebens, der vagen Zukunftspläne und der nicht erkennbaren Einsicht des Rekurrenten, hat der Rekursgegner die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug zu Recht verweigert. Der Rekurrent ist hier – entgegen seiner Meinung – auch nicht zu «resozialisieren»; wie erwähnt verfügt er über kein Aufenthaltsrecht und hat hier keine sozialen Bindungen. Den zu verbüssenden Strafrest kann der Rekurrent allenfalls nutzen, um den Aufenthalt in Deutschland und die dafür notwendigen Papiere – u.a. betreffend seine geplante Heirat – zu organisieren.

5.
Der Rekurs ist abzuweisen.

6.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Rekurrent kostenpflichtig (§ 13 Abs. 1 und 2 VRG).

7.
7.1 Der Rekurrent beantragt sinngemäss, sein Rechtsvertreter sei als unentgeltlicher Rechtsbeistand für das vorliegende Rekursverfahren zu bestellen. Private, welchen die nötigen Mittel fehlen und deren Begehren nicht offensichtlich aussichtslos erscheint, haben Anspruch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Rechte im Verfahren selbst zu wahren (vgl. § 16 Abs. 1 und 2 VRG; vgl. Art. 29 Abs. 3 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV; SR 101]).

7.2 Der Rekurrent hat sein Gesuch nicht begründet. Namentlich fehlen Angaben zur Mittellosigkeit. Weitere Ausführungen dazu – wie auch zur Frage der Aussichtslosigkeit des Rekursbegehrens – erübrigen sich, da das Gesuch (auch) wegen fehlender Notwendigkeit der Rechtsvertretung abzulehnen ist: Einerseits war der Rekurrent offensichtlich in der Lage, Rekurs zu erheben und das Erforderliche auszuführen. Andererseits verwies der Rekursgegner in der Rekursantwort einzig auf die angefochtene Verfügung und machte inhaltlich keine Ausführungen. Der Beizug eines Rechtsvertreters (erst) in jenem Stadium des Verfahrens drängte sich deshalb umso weniger auf; es ergaben sich denn auch keine wesentlichen neuen Einwände. Das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist abzuweisen.

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