0439

Entscheidinstanz
Bezirksräte
Geschäftsnummer
US.2023.11
Entscheiddatum
27. Juli 2023
Rechtsgebiet
Schulrecht (Volksschule)
Stichworte
Schulhauszuteilung Schulweg Regelklassengrösse Schülertransport
Verwendete Erlasse
§ 8 Abs. 3 Satz 1 VSV § 21 VSV § 25 VSV Art. 19 BV Art. 62 Abs. 2 BV § 10 Abs. 1 Satz 1 VSG § 42 Abs. 3 Ziff. 6 VSG § 25 Abs. 3 VRG § 55 VRG
Zusammenfassung (verfasst von der Staatskanzlei)
Strittig ist vorliegend die Einteilung eines Primarschulkindes in ein bestimmtes Schulhaus. Die rekurrierende Mutter argumentiert mit der Unzumutbarkeit des Schulwegs, die betroffene Gemeinde als Rekursgegnerin verweist darauf, dass mit einer anderen Zuteilung die Regelklassengrössen in einem der beiden fraglichen Schulhäuser unterschritten werden würde. Der Rekurs wird abgewiesen, da die Einteilung im Ermessen der Rekursgegnerin liege und nicht rechtswidrig sei. Zudem habe die Rekursgegnerin die Zumutbarkeit des Schulwegs mittels eines Schülertransports mit einem Schulbus sichergestellt.

Anonymisierter Entscheidtext (Auszug):

Sachverhalt:

Am 17. Mai 2023 teilte die Schulverwaltung der Gemeinde X (Rekursgegnerin) [das Schulkind] A der 1. Primarklasse des Schulhauses Y zu. Mit Eingabe vom 19. Mai 2023 beantragte B, die Mutter von A (Rekurrentin), die Umteilung in das Schulhaus Z. Mit Beschluss-Nr. […] vom 8. Juni 2023 lehnte die Schulpflege X diesen Antrag ab. Mit Eingabe vom 20. Juni 2023 (persönlich überbracht) erhob die Rekurrentin Rekurs beim Bezirksrat Horgen und beantragte sinngemäss die Zuteilung von A in das Schulhaus Z. Mit Präsidialverfügung vom 22. Juni 2023 nahm der Bezirksrat vom Rekurs Vormerk und setzte der Rekursgegnerin Frist zur Vernehmlassung an. Diese reichte mit Eingabe vom 29. Juni 2023 ihre Vernehmlassung sowie die vollständigen Akten ein und beantragte die Abweisung des Rekurses.

Mit Präsidialverfügung vom 4. Juli 2023 wurde der Rekurrentin die Vernehmlassung der Rekursgegnerin inklusive Beilagen zugestellt und es wurde ihr eine Frist zur freigestellten Stellungnahme angesetzt. Mit Eingabe vom 7. Juli 2023 replizierte die Rekurrentin, mit Eingabe vom 12. Juli 2023 duplizierte die Rekursgegnerin, am 17. Juli 2023 liess sich die Rekurrentin erneut vernehmen. Diese Eingabe wird der Rekursgegnerin mit dem Endentscheid zugestellt. Die Sache erweist sich als spruchreif.

Erwägungen:

2.
[Prozessvoraussetzungen]

3.
3.1
Im angefochtenen Beschluss begründet die Rekursgegnerin die Einteilung von A im Wesentlichen damit, aufgrund der Regelklassengrössen nach § 21 der Volksschulverordnung vom 28. Juni 2006 (VSV; LS 412.101) hätten drei Kinder aus dem Wohngebiet von A der 1. Primarklasse des Schulhauses Y zugeteilt werden müssen. Der Schulweg betrage 950 Meter und sei zumutbar. Die Strasse P könne über eine Mittelinsel überquert werden. Am Morgen und am Mittag würden die 1. und 2 Primarklasse von einem Schülertransport gefahren.

3.2
Im Rekurs bringt die Rekurrentin im Wesentlichen vor, A sei wegen dem umständlichen Schulweg verunsichert und werde aus seiner «eigentlichen Klasse»herausgerissen. Entwicklungspsychologisch und wegen der kindlichen Wahrnehmung müsse der Schulweg sichere Querungsstellen haben, d.h. mit ungehinderter Sicht oder Markierungen bzw. Abgrenzungen. Es fehle auf dem Schulweg ein Gehweg, sodass A auf der Strasse gehen müsse. Für diese komplexe Aufgabe brauche ein Kind viel Erfahrung. Auf der befahrenen Strasse seien die Kinder einer grösseren Gefahr ausgesetzt. Vor allem im Herbst und Winter könne A nicht allein durch den Wald laufen. Erschwerend komme eine Höhendifferenz von 85 Meter hinzu. A benötige 18 Minuten. Weiter bringt die Rekurrentin vor, die Distanz zum Schulhaus Z sei kürzer und Kinder aus demselben Haus seien im Schulhaus Z eingeteilt. Dies habe die Rekursgegnerin nicht begründet. 

3.3
In der Vernehmlassung bringt die Rekursgegnerin ergänzend vor, A werde 6 Jahre im Schulhaus Y sein und die Möglichkeit haben, neue Kameradinnen und Kameraden kennenzulernen. Der Schulweg liege gemäss Reglement Schulweg und Schülertransport im zumutbaren Bereich. Dank des Schülertransports habe A genug Pause über Mittag und müsse nicht im Herbst und Winter bei Dunkelheit über die Strasse Q ins Schulhaus Y laufen, wobei von einem dunklen Wald keine Rede sein könne.

Die Rekursgegnerin führt weiter aus, im Schulhaus Y seien aktuell 42 Schülerinnen und Schüler in die ersten Klassen eingeteilt, je 21 pro Klasse. Im Schulhaus Z seien 29 Schülerinnen und Schüler in eineinhalb erste Primarklassen eingeteilt. Bei einer Einteilung der drei Kinder aus demselben Einzugsgebiet wie A ins Schulhaus Z würde die «Regelklassengrösse» im Schulhaus Y stark unterschritten werden. Dass andere Kinder aus demselben Wohnhaus ins Schulhaus Z eingeteilt worden seien, habe den Grund, dass diese schon Geschwister im Schulhaus Z hätten. 

3.4
In der Replik verweist die Rekurrentin darauf, dass sie alleinerziehend sei und dass der Vater von A in einer anderen Schweizer Stadt wohne, was die Rekursgegnerin in keiner Weise würdige. Auf dem Situationsplan erkenne man unmittelbar, dass A im Schulhaus Z eingeteilt werden müsse. A sei über Mittag in der schulergänzenden Betreuung und komme am Mittag nicht nach Hause. Zudem möchte sie nicht, dass A mit dem Schülertransport fahre. Der Transport sei eine Katastrophe, die beunruhigenden Vorfälle mit diesem nähmen praktisch kein Ende. Mit der Zuteilung zum Schulhaus Z würde der Transport entfallen.

3.5
In der Duplik ergänzt die Rekursgegnerin, es sei kein ausschlaggebendes Kriterium für eine Umteilung, dass die Rekurrentin alleinerziehend sei. 

Auf dem Situationsplan habe es nur ein Kind, welches weiter oberhalb der Wohnadresse von A wohne und ins Schulhaus Z gehe. Dieses habe Geschwister in jenem Schulhaus. Mit der Zuteilung ins [Schulhaus] Z würde der Transport für A nicht wegfallen, da er für die schulergänzende Betreuung so oder so einen Transport benötige. A hätte nur einen Transport mehr. Es habe nur einen Vorfall mit dem Transport gegeben, die Schule habe Massnahmen ergriffen.

3.6
In ihrer Stellungnahme vom 17. Juli 2023 ergänzt die Rekurrentin unter anderem, im Schulhaus Z sei ein Platz frei, da ein bestimmtes Kind nun in eine andere Schule gehe. Gemäss einer Mitarbeiterin der Schulpflege X gehe es nicht um die Klassengrösse, sondern der Platz müsse für allfällige Zuzüger freigehalten werden. Dies widerspreche den früheren Angaben der Rekursgegnerin.

3.7
Die weiteren Vorbringen der Parteien werden – soweit diese für den Entscheid relevant sind – in den nachfolgenden Erwägungen berücksichtigt.

4.
4.1
Nach Art. 19 in Verbindung mit Art. 62 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101) ist der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht gewährleistet (im Kanton Zürich: Kindergarten- bis Sekundarstufe I; vgl. dazu Urteil Verwaltungsgericht des Kantons Zürich [VGer] VB.2008.00537, vom 21.01.2009, E. 3.1). Der Anspruch gilt gemäss § 10 Abs. 1 Satz 1 des Volksschulgesetzes vom 7. Februar 2005 (VSG; LS 412.100) am Wohnort. Aus dem Grundsatz der Schulung am schulrechtlichen Wohnort folgt nicht das Recht, innerhalb des Wohnorts das Schulhaus oder die Klasse frei zu wählen. Für Entscheide über die Zuteilung zu den Schulen innerhalb der Schulgemeinde bzw. des Schulkreises ist vielmehr die Schulpflege zuständig (§ 42 Abs. 3 Ziff. 6 VSG), welcher in diesem Zusammenhang ein gewisser Ermessensspielraum zukommt. Sie hat ihr Ermessen allerdings pflichtgemäss auszuüben und sich an den in § 25 VSV statuierten Kriterien zu orientieren. Als massgebliche Zuteilungskriterien nennt § 25 Abs. 1 VSV dabei die Länge und Gefährlichkeit des Schulwegs sowie eine ausgewogene Zusammensetzung der Klassen (Satz 1) namentlich hinsichtlich Leistungsfähigkeit, sozialer und sprachlicher Herkunft der Schülerinnen und Schüler sowie der Verteilung der Geschlechter (Satz 2). Zudem sind bei der Zuteilung der Schülerinnen und Schüler zu den Schulen und Klassen die zulässigen Klassengrössen zu beachten: Gemäss § 21 Abs. 1 lit. b VSV darf auf der Primarstufe in der Regel die Klassengrösse von 25 Schülerinnen und Schülern in einklassigen Klassen bzw. 21 Schülerinnen und Schülern in mehrklassigen Klassen nicht überschritten werden (Urteil VGer VB.2021.00559 vom 5.1.2022, E. 3.2).

Aus der Garantie eines ausreichenden Unterrichts ergibt sich unter anderem auch ein verfassungsmässiger Anspruch auf einen zumutbaren Schulweg. Gemäss Lehre und Rechtsprechung richtet sich die Zumutbarkeit eines Schulwegs nach den konkreten Umständen im Einzelfall. Massgeblich sind die Länge des Schulwegs und die zu überwindende Höhendifferenz, die Beschaffenheit des Wegs und die damit verbundenen Gefahren sowie das Alter und die Konstitution des betroffenen Kindes. Können Schülerinnen und Schüler den Schulweg aufgrund der Länge oder Gefährlichkeit nicht selbständig zurücklegen, ordnet die Schulpflege auf eigene Kosten geeignete Massnahmen an (§ 8 Abs. 3 Satz 1 VSV). Sie verfügt diesfalls über ein Auswahlermessen, welches sie pflichtgemäss auszuüben hat. Als schulwegsichernde verkehrstechnische oder organisatorische Massnahmen kommen beispielsweise Transport der Kinder mit einem Schulbus, Übernahme von Abonnementskosten bei Benützung des öffentlichen Verkehrs, entsprechende Schulhausein- und -zuteilung, Begleitdienst, Lotsendienst oder Fussgängerüberführungen bei gefährlichen Strassen infrage (Urteil VGer VB.2016.00474 vom 23.11.2016, E. 3.1. mit weiteren Hinweisen).

4.2
Die Rekursgegnerin hat die Schulhauszuteilung nach geografischen Kriterien vorgenommen und dabei auch auf ausgewogene Klassenbestände über die verschiedenen Schulhäuser der Schulgemeinde hinweg geachtet. Dieses Vorgehen ist grundsätzlich nicht zu beanstanden (VGer VB.2016.00474 vom 23.11.2016, E. 5.2.). 

4.3
Es stellt sich die Frage nach der Zumutbarkeit des Schulwegs. In Anwendung von Ziff. 3 des kommunalen Reglements Schulweg und Schülertransport gelten für 6-8 Jährige 1'200 bis 2'000 Leistungsmeter nur situationsbedingt als zumutbar. Der Schulweg über die Strasse Q ist 1'100 m lang bei 85 Höhenmetern. Diese sind nach der eben zitierten Norm mit dem Faktor 10 zu multiplizieren, also 850 Meter. Es resultiert ein Schulweg von gesamthaft 1'950 Leistungsmetern, mithin am oberen Ende des Bereichs, welcher für 6-8 Jährige nur situationsbedingt zumutbar ist. 

Entscheidend ist vorliegend, dass die Rekursgegnerin hiergegen die Massnahme ergriffen hat, einen Schülertransport mit einem Schulbus zu organisieren. Dabei handelte sie nach pflichtgemässem Ermessen. Dass es – aktenkundig – einen Vorfall mit dem konkreten Transportunternehmen gab, ändert nichts an der grundsätzlich geeigneten Massnahme. Soweit nicht dargelegt ist oder sich aus den Akten ergäbe, dass der Schülertransport als Massnahme zur Behebung des langen Schulwegs ungeeignet wäre, kann damit dem Problem des langen Schulwegs begegnet werden. Beim Heimweg sind die 85 Höhenmeter nach unten nicht hinzuzuzählen, weswegen der Heimweg für A zumutbar ist. Auch kann er nach dem Grundsatz «links gehen – Gefahr sehen» auf der nicht an den Wald angrenzenden Seite der Strasse gehen.

4.4
In allgemeiner Hinsicht hat die Rekursgegnerin A nicht etwa willkürlich dem Schulhaus Y zugewiesen, sondern weil das Schulhaus Y sonst zu kleine Klassen aufweisen würde. Um dies zu vermeiden, wies sie drei Kinder aus dem Wohngebiet von A dem Schulhaus Y zu. Nach Ziff. 1.1 der Verordnung Schülerzuteilung an der Primarstufe ist ein Zweck der Zuteilung auch die Sicherstellung vergleichbarer Klassengrössen. Nach Ziff. 1.2 der Verordnung kann bei Vorliegen ausserordentlicher Gründe eine Einteilung in ein anderes als das geographische Einzugsgebiet beschlossen werden. 

Vor dem Hintergrund dieser Ziele der Verordnung ist es nicht zu beanstanden, dass die Rekursgegnerin im Rahmen ihres weiten Ermessens A (und zwei weitere Kinder aus dem Wohngebiet von A) dem Schulhaus Y zuteilte. Sie stellte die Zumutbarkeit dieses Schulwegs durch einen Schülertransport sicher. Dass sie dabei A und nicht andere Kinder einteilte, mag aus Sicht der Rekurrentin unbillig sein, ist indes nicht rechtswidrig.

Dass es für A allenfalls sinnvollere Lösungen gegeben hätte und dass angesichts der Arbeits- und Betreuungssituation der Rekurrentin eine angemessenere Lösung im Einzelfall hätte gefunden werden können, genügt nicht, um die ermessensweise Zuteilung von A als rechtswidrig auszuweisen, insbesondere da sich der lange Schulweg durch einen Schülertransport relativiert. Was die Betreuung von A über Mittag betrifft, handelt es sich dabei nicht um ein Kriterium nach § 25 VSV oder nach den kommunalen Rechtsnormen. Dass dieses nicht in ausschlaggebender Weise berücksichtigt wurde, bewegt sich vorliegend im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens der Rekursgegnerin, zumal ihre Aufgabe der Klassenzuweisung bei Berücksichtigung aller Betreuungslösungen der Kinder deutlich erschweren würde. Aus den letzten Eingaben der Rekurrentin ergibt sich zudem, dass diese die Betreuungslösung offenbar anpassen konnte.

Zusammenfassend ist der Rekurs nach dem Gesagten abzuweisen.

5.
[Kosten- und Entschädigungsfolgen]

6.
Um verhindern zu können, dass A im Zeitpunkt des Schulbeginns keiner Schule rechtswirksam zugeteilt ist, rechtfertigt es sich vorliegend, dem Lauf der Rechtsmittelfrist und der Einreichung eines allfälligen Rechtsmittels die aufschiebende Wirkung zu entziehen, womit die Einteilung von A sofort rechtswirksam und vollstreckbar wird (§ 55 i.V.m. § 25 Abs. 3 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 [VRG; LS 175.2]).

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