Anonymisierter Entscheidtext (Auszug)
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Sachverhalt
A. wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Winterthur. vom 2. November 2011 wegen mehrfacher, teilweise versuchter sexueller Nötigung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0), teilweise in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB sowie wegen mehrfacher, teilweise versuchter sexueller Handlungen mit Kindern im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 StGB, teilweise in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig gesprochen und mit einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren bestraft. Zudem wurde eine stationäre Massnahme nach Art. 59 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 3 StGB angeordnet und die Freiheitsstrafe zu diesem Zweck aufgeschoben. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Winterthur. vom 19. Oktober 2016 wurde die stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB mit Wirkung ab 2. November 2016 um weitere drei Jahre bis 1. November 2019 verlängert. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Winterthur vom 20. April 2020 wurde die stationäre Massnahme erneut um zwei Jahre bis 1. November 2021 verlängert.
A. trat per 21. Dezember 2010 im Zuge des vorzeitigen Massnahmenantritts in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies ein. Am 3. August 2011 wurde er vom Normalvollzug auf die Forensisch-Psychiatrische Abteilung (FPA) der JVA Pöschwies verlegt und per 24. November 2016 in die JVA St. Johannsen auf die offene Abteilung versetzt. Die Versetzung ins Arbeitsexternat (AEX) im Haus Lägern erfolgte per 25. August 2020. Am 1. Oktober 2020 nahm der Psychiatrisch Psychologische Dienst (PPD) die therapeutische Behandlung von A. auf.
Mit Verfügung vom 5. März 2021 von Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich (JuWe), Bewährungs- und Vollzugsdienste, Vollzug 3, wurde A. einstweilen bis 30. September 2021 in Sicherheitshaft in den geschlossenen Vollzug der JVA Pöschwies versetzt. Dem Lauf der Rekursfrist sowie einem allfälligen Rekurs wurde die aufschiebende Wirkung entzogen.
Gegen die Verfügung von JuWe vom 5. März 2021 liess A. durch seinen Rechtsvertreter mit Eingabe vom 6. April 2021 Rekurs erheben mit dem Antrag, die angefochtene Verfügung sei vollumfänglich aufzuheben. Der Entzug der aufschiebenden Wirkung sei zu widerrufen und diese im laufenden Rechtsmittelverfahren ordnungsgemäss zu gewähren. Der Beschwerdeführer sei zurück ins AEX im Haus Lägern zu versetzen. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Staates. Zudem sei dem Rekurrenten ab Mandatierung vom 19. März 2021 die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und Rechtsanwalt B. als dessen unentgeltlicher Rechtsbeistand einzusetzen. Auf die Begründung ist, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen einzugehen.
Mit Vernehmlassung vom 21. April 2021 beantragte JuWe die Abweisung des Rekurses und reichte die massgeblichen Akten ein. Mit Eingabe vom 27. Mai 2021 liess der Rekurrent (nach mehrmals gewährter Fristerstreckung) die freigestellte Stellungnahme einreichen. Hierzu nahm JuWe in der Folge keine Stellung, womit die Sachverhaltsermittlungen mit Ablauf der angesetzten Frist als abgeschlossen gelten. Mit Eingabe vom 1. August 2021 liess der Rekurrent einen Ausschnitt aus dem Gutachten vom 12. Juli 2021 einreichen, inklusive die Beantwortung der gutachterlichen Fragen.
Erwägungen
1.[Prozessvoraussetzungen]
2.
2.1
Der Rekursgegner stützte sich in der Begründung der angefochtenen Verfügung auf das Gutachten vom 11. März 2020, den Therapiebericht der JVA St. Johannsen vom 9. Juni 2020 sowie den Therapiebericht des PPD vom 4. März 2021 und hielt fest, dass den aktuellen Behandlern zufolge die grundsätzlich günstige gutachterliche Einschätzung bezüglich Behandlungsverlaufs nicht geteilt werden könne. Auch im Gutachten vom 11. März 2020 werde ein ungünstiges Szenario aufgezeigt: Namentlich sei der Rückzug aus beziehungsweise die Verweigerungshaltung in der therapeutischen Beziehung ein Anzeichen für eine kriminorelevante Krise. Gerade ein solches Verhalten habe sich im aktuellen Berichtzeitraum des PPD gezeigt. Ähnlich kritisch hätten sich bereits die Therapeuten in der JVA St. Johannsen geäussert. Der Rekurrent habe hinsichtlich seiner Therapie eine Verweigerungshaltung gezeigt, weshalb die Evaluation bisher erzielter Fortschritte oder die Arbeit an seinem Risikomanagement nicht möglich gewesen sei. Der Therapieverlauf lasse derzeit nur die Schlussfolgerung der Behandler zu, wonach der Rekurrent kaum über das erforderliche Risikomanagement verfüge. Die Rückfallgefahr für einschlägige Sexualdelikte mit Kindern sei im aktuellen, offenen Setting als deutlich einzuschätzen. Angesichts dessen sei der Rekurrent bis zur Klärung der Massnahmefähigkeit und -willigkeit durch ein neues Gutachten in Sicherheitshaft in den geschlossenen Vollzug zu versetzen und habe die Versetzung des Rekurrenten sofort zu erfolgen, weshalb dem Lauf der Rekursfrist und einem allfälligen Rekurs die aufschiebende Wirkung zu entziehen sei.
2.2
Der Rekurrent lässt zur Begründung seines Rekurses vorbringen, die Vorinstanz stelle den relevanten Sachverhalt unrichtig dar und erlasse mit der Versetzung in die Sicherheitshaft eine unangemessene Anordnung. Sowohl dem Gutachten vom 11. März 2020 als auch dem Beschluss des Bezirksgerichts vom 20. April 2020 sei zu entnehmen, dass eine Fortsetzung der stationären Massnahme zu begrüssen sei, da klare Fortschritte erreicht worden seien. Er sei hinsichtlich der vorgeschlagenen Behandlungsmassnahmen als gut motiviert, geeignet und kooperativ bezeichnet worden. Zudem sei statt einem zuvor hohen nunmehr nur noch ein moderates bis hohes Rückfallrisiko attestiert worden. Ihm seien im Verlaufe der Jahre kontinuierlich Vollzugslockerungen bis hin zur Versetzung in das Arbeitsexternat im Haus Lägern gewährt worden. Selbst die seit über zwei Jahren regelmässig gewährten Urlaube seien ohne jegliche Zwischenfälle verlaufen. Eine Versetzung aus einer weitgehenden Vollzugslockerung direkt in die Sicherheitshaft sei stossend. Es sei auffällig, dass die Versetzung unter dem neuen Therapeuten, Herrn C., welcher erst im Oktober 2020 die Betreuung übernommen habe, erfolgt sei und plötzlich alle erarbeiteten Vollzugslockerungen zu Nichte gemacht würden. Dieser stelle sich in seinem Bericht vom 4. März 2021 auf den Punkt, dass die günstige gutachterliche Einschätzung nicht geteilt werden könne und die stationäre Massnahme zurzeit undurchführbar sei. Diese persönliche Einschätzung habe er bereits anlässlich der ersten Gespräche mit ihm geäussert. Auch der Entzug der aufschiebenden Wirkung sei stossend, denn das kurz- und mittelfristige Rückfallrisiko sei innerhalb eines Jahres einzig im niedrigen bis mittelgradigen Bereich einzustufen. Aus diesen Gründen sei er unverzüglich in das AEX zu versetzen.
2.3
In seiner Rekursvernehmlassung führt der Rekursgegner aus, der Rekurrent berufe sich auf das Gutachten vom 11. März 2020 und den Beschluss des Bezirksgerichts vom 20. April 2020, liefere aber für seine Widerstände, welche im AEX sowie bereits zuvor in der JVA St. Johannsen konstatiert worden seien, keine nachvollziehbare Erklärung. Der Rekurrent blende komplett aus, dass seine aktive Mitwirkung hinsichtlich Risikobewusstsein und Erarbeitung eines nachhaltigen Risikomanagements in der sehr freiheitlichen Vollzugsstufe des AEX weiterhin und noch verstärkt erforderlich sei. Gemäss Gutachten vom 11. März 2020 sei bei Anzeichen für ein ungünstiges Szenario eine Rückführung in ein stationäres Setting und eine Reevaluation vorzunehmen. Angesichts des deutlichen Rückfallrisikos für Sexualdelikte an Kindern sei das öffentliche Interesse an einem gesicherten Setting höher zu gewichten als das Interesse des Rekurrenten am Verbleib im Arbeitsexternat.
2.4
In seiner Replik vom 27. Mai 2021 lässt der Rekurrent im Wesentlichen geltend machen, die Verschlechterung der Situation sowie die negativen Reaktionen des Vollzugs seien auf die alleinige Einschätzung des Therapeuten, Herrn C., zurückzuführen, welcher von Oktober 2020 bis März 2021 beigezogen worden sei. Entgegen den Ausführungen des Rekursgegners habe das bisher erarbeitete Risikomanagement sehr wohl evaluiert und weiter erprobt werden können. Er habe nach seinem Übertritt in das AEX im August 2020 weiterhin wöchentlich zwei zwölfstündige und zusätzlich fünf zweistündige Ausgänge ohne Begleitung absolviert. Er habe die Ausgänge im Voraus selbständig geplant, bei der Durchführung seine Pläne sowie sämtliche Auflagen eingehalten und im Nachgang jeweils Berichte erstellt. Von einer Verweigerungshaltung könne keine Rede sein. Die Therapie sollte weiterhin zukunftsorientiert erfolgen und die bisher von ihm während langer Zeit schrittweise erarbeiteten Fortschritte sollten nicht aufgrund einer abweichenden Einschätzung zunichtegemacht werden (act. 15).
2.5
In seiner zusätzlichen Eingabe vom 1. August 2021 lässt der Rekurrent beantragen, die Einschätzung im neuesten Gutachten vom 12. Juli 2021 (Antwort 11) sei in der Entscheidung zu berücksichtigen. Gestützt auf diese aktuelle Einschätzung im Gutachten sei zwingend die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Die verfügte Versetzung in die Sicherheitshaft habe keine Grundlage, da gemäss Gutachten die Unterbringung in einem offenen, strukturierten und kontrollierten Setting verantwortbar sei (act. 18).
3.
3.1
Grundsätzlich wird eine stationäre Massnahme gemäss Art. 59 Abs. 2 und 3 StGB in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung, einer Massnahmenvollzugsanstalt oder in einer Strafanstalt mit entsprechendem Fachpersonal vollzogen. Ist eine solche freiheitsentziehende Massnahme bereits in Vollzug gesetzt, kann die Vollzugsbehörde die verurteilte Person gestützt auf § 22a des Straf- und Justizvollzugsgesetzes vom 19. Juni 2006 (StJVG; LS 331) in Sicherheitshaft setzen, wenn die Massnahme vorübergehend nicht durchführbar ist und eine Fortsetzung der Massnahme im bisherigen Rahmen zu einer erheblichen Gefährdung der Öffentlichkeit oder des Massnahmenzwecks führt (Abs. 1). Die Sicherheitshaft wird nach den Regeln des Vollzugs von Freiheitsstrafen durchgeführt (Abs. 2).
3.2
Davon zu unterscheiden ist das Verfahren bei Aufhebung der stationären Massnahme nach Art. 62c Abs. 1 lit. a StGB, insbesondere, weil sie sich als erfolglos erweist. Solange die Massnahme allerdings noch nicht aufgehoben wurde und der Aufenthalt in der Anstalt noch mit dem Therapieziel vereinbar ist, bleibt aufgrund des rechtskräftigen Massnahmenentscheids die Zuständigkeit der Vollzugsbehörde erhalten (vgl. BGE 142 IV 105 E. 5.5 und 5.7; LUISA HAFNER, Therapieverweigerung im Massnahmenvollzug, in: SZK 2/2017, S. 40 ff., 43 f.; Urteil des Bundesgerichts 1P.352/2003 vom 7. Juli 2003, E. 2.2). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Unterbringung in einer Strafanstalt ohne Behandlung im Widerspruch zu der rechtskräftigen Anordnung einer stationären therapeutischen Massnahme stehen kann und nur solange zulässig ist, als es sich um eine kurzfristige Überbrückung einer Notsituation handelt. Das Bundesgericht hat zu fehlenden Unterbringungsplätzen und unter Verweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) festgehalten, dass ein übergangsweiser Aufenthalt in einer Strafanstalt zulässig sei, solange dieser erforderlich sei, um eine geeignete Einrichtung zu finden. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit sei insbesondere die Intensität der behördlichen Bemühungen für eine geeignete Platzierung zu berücksichtigen (BGE 142 IV 105 E. 5.8.1 mit weiteren Hinweisen; vgl. auch das Urteil des Bundesgerichts 6B_1213/2016 vom 8. März 2017, E. 2.1).
3.3
§ 22a StJVG ist in diesem Kontext der bundesrechtlichen Vorgaben auszulegen. Demnach kommt die Versetzung in Sicherheitshaft ohne entsprechende therapeutische Behandlung nur vorübergehend infrage, wenn die Massnahme noch nicht definitiv gescheitert ist und nicht nur die alleinige Sicherung der betroffenen Person bezweckt wird; denn in einem solchen Fall wäre die Massnahme aufzuheben und es wäre am Sachgericht, über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Wird die therapeutische Behandlung vorübergehend ausgesetzt, um den weiteren Verlauf des Massnahmenvollzugs zu klären, insbesondere um das Ob, die Art und Weise oder den Ort der Fortführung der Massnahme abzuklären, erfolgen diese Abklärungen noch im Rahmen der Massnahme und dienen deren Zweck. Das Aussetzen der Behandlung darf dem Wortlaut von § 22a StJVG sowie dem Zweck der Massnahme (Resozialisierung des Betroffenen durch eine geeignete Behandlung) entsprechend immer nur vorübergehend angeordnet werden. Die unter diesen Umständen angeordnete Sicherheitshaft ist somit durch den die Massnahme anordnenden Entscheid gedeckt, mit übergeordnetem Recht vereinbar und der Entscheid darüber obliegt den Vollzugsbehörden: Die Sicherheitshaft stellt insoweit lediglich eine Modalität des Massnahmenvollzugs dar und es ist auch keine Überprüfung durch ein Gericht aufgrund von Art. 5 EMRK erforderlich (Urteil des Bundesgerichts 1P.353/2003 vom 7. Juli 2003, E. 2.2; vgl. ABl 2009, 1489 zu § 22a StJVG).
4.
4.1
Vorliegend ist zu prüfen, ob die in Anwendung von § 22a Abs. 1 StJVG angeordnete Sicherheitshaft im Rahmen des Massnahmenvollzugs zu Recht erfolgte.
4.2
Im psychiatrischen Gutachten vom 11. März 2020 diagnostizierten Prof. Dr. med. D. und PD Dr. med. E. beim Rekurrenten Pädophilie (ICD-10: F65.4) beziehungsweise differential-diagnostisch eine sonstige Störung der Sexualpräferenz (ICD-10: F65.7) mit pädophilen, hebephilen und ephebophilen Anteilen sowie eine narzisstische Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.8) mit passiv-aggressiven Anteilen − dies in Bestätigung des Gutachtens vom 20. Mai 2015.
4.3
Gemäss Gutachten vom 11. März 2020 ergibt sich für den Rekurrenten ein moderates bis hohes beziehungsweise hohes Rückfallrisiko für Sexualdelikte. Dieses Risiko basiere massgeblich auf statischen Variablen (Anzahl und Art der Delikte) und den zugrundeliegenden psychischen Störungen (Störung der Sexualpräferenz und Persönlichkeitsstörung). Diese Störungen und andere deliktrelevante Faktoren hätten im Laufe der bis anhin neunjährigen stationären Massnahme deutlich reduziert werden können. Beim Rekurrenten bestehe ein hoher Betreuungs-, Unterstützungs- und Kontrollbedarf. Ohne diesen wären am ehesten erneute sexuelle hands-on-Delikte (sexueller Missbrauch, sexuelle Nötigung bzw. Vergewaltigung) zum Nachteil unbekannter männlicher Kinder oder Jugendlicher, gegebenenfalls unter Anwendung physischer Gewalt oder Bedrohungen zu erwarten. Der Rekurrent habe sich trotz immer wieder aufgetretener Konflikte mit Psychotherapeuten und -innen ernsthaft auf Behandlungsangebote eingelassen und davon profitiert. Er habe sich mit den Hintergründen seiner Delikte auseinandergesetzt, habe deutlich mehr Empathie entwickelt und könne etwaige Risikosituationen erkennen und adäquat bewältigen. Aufgrund dieser Therapiefortschritte liege das kurz- und mittelfristige Rückfallrisiko (Zeitraum von einem Jahr) im niedrigen bis mittelgradigen Bereich. Der Anstieg des Rückfallrisikos sei eher langfristig, das heisst im Verlauf von 1-3 Jahren zu erwarten. Anzeichen für ein ungünstiges Szenario könnten zum Beispiel sein: Rückzug aus beziehungsweise Verweigerungshaltung in der therapeutischen Beziehung (z.B. in Form von unregelmässiger Teilnahme, Unoffenheit), Vernachlässigung der deliktpräventiven Strategien und Kontaktsuche zu Kindern und Jugendlichen. Im Falle solcher Warnsignale sei die Rückführung in ein stationäres Setting und eine Reevaluation vorzunehmen. «Aktuell» werde ein offenes Setting empfohlen, welches es dem Rekurrenten ermögliche, seine Fortschritte im Rahmen weiterführender unbegleiteter Lockerungen weiter zu erproben, unter Beweis zu stellen und auszubauen. Auf diese Weise könne das langfristige Risiko in Fortführung der stationären Massnahme reduziert werden.
4.4
Der Therapiebericht der JVA St. Johannsen vom 9. Juni 2020 basiert auf der Beurteilung der behandelnden Psychotherapeuten lic. phil. F. sowie lic. phil. G. und wurde von Letzterem verfasst. Im ersten Berichtszeitraum bei Frau lic. phil. F. habe der Rekurrent ein gutes Durchhaltevermögen sowie eine konstante Mitwirkung am psychotherapeutischen Prozess gezeigt. Es habe eine tragfähige therapeutische Beziehung etabliert werden können. Im zweiten (und letzten) Berichtszeitraum bei Herrn lic. phil. G. sei es nicht gelungen, eine tragfähige therapeutische Beziehung herzustellen. Der Rekurrent habe sich nicht mehr bereit gezeigt, konstruktiv deliktrelevante Themen zu bearbeiten. Die Gruppentherapie für Sexualstraftäter habe der Rekurrent den ganzen Aufenthalt hindurch verweigert. Die Risikoabklärung vom 7. Februar 2019 hielt fest, dass eine «aktuelle Verweigerungshaltung» bestehe und sprach sich aufgrund noch ungenügender Behandlungsfortschritte gegen weitere Öffnungen des Vollzugs aus (act. 8/219). Im Nachgang zum entsprechenden Standortgespräch sei der Rekurrent wegen Hinweisen auf Suizidalität notfallmässig in die Bewachungsstation des Inselspitals Bern eingewiesen worden. Es sei der Eindruck entstanden, der Rekurrent habe die Suizidalität instrumentell eingesetzt, um Druck auf das Behandlungsteam auszuüben, um seine Ziele, nämlich die schnellstmögliche Versetzung in ein ambulantes Setting, zu erreichen. Zum bisherigen Therapieverlauf lasse sich weiter Folgendes festhalten: Die Entwicklung der Problemeinsicht betreffend bestehe beim Rekurrenten hauptsächlich ein rationales Schuldeingeständnis. Er setze sich zwar mit deliktbegünstigenden Einstellungen auseinander, habe aber das Ausmass seiner Delikte erst teilweise erfasst. Was die Bereitschaft anbelange, am psychotherapeutischen Veränderungsprozess teilzunehmen, erscheine der Rekurrent vor allem extrinsisch motiviert, zukünftig ein deliktfreies Leben zu führen. Er habe angegeben, eine deliktorientierte Therapie sei nur noch möglich, wenn er Freiheitsgrade bekomme. Das Risikomanagement betreffend kenne der Rekurrent einige deliktrelevante Verhaltensweisen und gebe an, konstant dafür sensibilisiert zu sein, risikorelevante Situationen wahrzunehmen. In der «aktuellen» Therapie sei der Rekurrent nicht mehr bereit gewesen, am Risikomanagement weiterzuarbeiten. Im Generellen scheine der Rekurrent eine funktionierende wie eine nicht funktionierende Seite aufzuweisen, was wohl auch die häufig aufgetretene Diskrepanz im Behandlungsteam erklären könne (grundsätzlich gutes Funktionieren auf der Arbeit als auch auf der Wohngruppe, solange es so laufe, wie er gerne hätte gegenüber häufiger Verweigerungshaltung und passiv-aggressivem sowie forderndem Verhalten in der forensischen Psychotherapie sowie in Situationen, in denen es nicht so laufe, wie er gerne möchte). Der Referent, lic. phil. G., komme ähnlich wie die Risikoabklärungen vom 7. Februar 2019 und vom 15. April 2020 zu einer deutlich kritischeren Einschätzung als das Gutachten vom 11. März 2020, der Gerichtsbeschluss vom 20. April 2020 und lic. phil. F. als vorangehende Psychotherapeutin. Es gelte in der nachfolgenden forensischen Psychotherapie zu prüfen, ob der Rekurrent willens und fähig sei, sich kritisch mit sich und seinen deliktrelevanten Problembereichen auseinanderzusetzen.
4.5
Der jährliche Therapiebericht des PPD vom 4. März 2021 wurde vom behandelnden Psychologen, lic. phil. C., verfasst. Gemäss kontextbezogener Risikobeurteilung, welche sich vorliegend auf den Kontext des offenen Massnahmenvollzugs im Haus Lägern beziehe, müsse mindestens von einem deutlichen Rückfallrisiko für Sexualdelikte mit Kindern ausgegangen werden. Der Rekurrent sei im Berichtszeitraum in seiner Persönlichkeitsproblematik mit fehlenden Kompetenzen im Wahrnehmen und funktionalen Einbringen eigener Bedürfnisse sowie dysfunktionalen Abwehrmustern gefangen gewesen. In den Therapiesitzungen sei es zu repetitiven Aktualisierungen dieser Persönlichkeitsproblematik gekommen. Eine Desaktualisierung sei nicht möglich gewesen. Es hätten Verständnis, Akzeptanz und Verantwortungsübernahme für Eigenanteile gefehlt. Mit der Kombination aus einer ausgeprägten passiven Anspruchshaltung gegenüber den involvierten Fachpersonen und einer gleichzeitigen negativen Überzeugung und Empfindlichkeit, nicht das zu erhalten, was er brauche und was ihm zustehe, habe der Rekurrent eigene Schwierigkeiten externalisiert. Nach Jahren intensiver Behandlungsversuche könne dem Rekurrenten eine lediglich partielle Offenheit und ein nur in Ansätzen vorhandenes Störungs- und Deliktbewusstsein attestiert werden. Es sei zudem ein ernüchterndes deliktpräventives Fähigkeitsniveau offensichtlich geworden. Eine Evaluation der Wirksamkeit allfälliger deliktpräventiver Fähigkeiten und ein aktuelles und kontinuierliches Risikomonitoring, welches dem Setting im offenen Vollzug im Haus Lägern und den erweiterten Freiheitsgraden entspreche, seien aufgrund der durchgängigen Reaktanz des Klienten nicht durchführbar gewesen. Zusammenfassend habe der Rekurrent nicht die Bereitschaft und/oder Fähigkeit für eine adäquate, dem Risikoprofil angemessene, substantielle therapeutische Auseinandersetzung aufgebracht. Er verfüge bei Weitem nicht über ein notwendiges, jederzeit abrufbares deliktpräventives Verständnis mit etablierten Handlungskonzepten. Nach den langjährigen therapeutischen Bemühungen werde die Zweckmässigkeit der stationären Massnahme nach Art. 59 StGB ernsthaft in Frage gestellt und nachdrücklich eine neue gutachterliche Einschätzung empfohlen.
4.6
In den vorgenannten Therapieberichten wird schlüssig dargelegt, dass dem Rekurrenten vor dem Erlass der angefochtenen Verfügung während längerer Zeit die Motivation beziehungsweise die Fähigkeit für eine konstruktive Weiterführung der Therapie grundsätzlich gefehlt hat. Beide zuletzt behandelnde Fachpersonen, der Psychotherapeut lic. phil. G. sowie der Psychologe lic. phil. C., die unabhängig voneinander agierten, hielten fest, dass aufgrund der Widerstandshaltung des Rekurrenten keine tragfähige therapeutische Beziehung hat aufgebaut werden können sowie dass das Problembewusstsein und deliktpräventive Fähigkeiten nur partiell vorhanden sind und während der jeweiligen Sitzungen nicht haben weiter ausgebaut werden können. Mit diesem Verhalten hat der Rekurrent klare Anzeichen für ein ungünstiges Szenario, wie im Gutachten vom 11. März 2020 erwähnt, gezeigt. Im Falle solcher Warnsignale wurde von den Gutachtern eine Rückführung in ein stationäres Setting und eine neue Evaluation empfohlen. Weiter ist gemäss der aktuellsten Risikoeinschätzung das Rückfallrisiko im offenen Massnahmenvollzug im Haus Lägern mindestens deutlich gegeben. Dass der Rekursgegner die stationäre Massnahme vor diesem Hintergrund als vorübergehend undurchführbar einstufte, ist nicht zu beanstanden. Der Rekursgegner durfte zum Schutz wichtiger öffentlicher Güter, nämlich der physischen, psychischen und sexuellen Unversehrtheit von Personen im Schutzalter, Sicherheitshaft im Sinne von § 22 a StJVG anordnen.
5.
5.1
Zu prüfen bleibt die Verhältnismässigkeit der angeordneten Sicherheitshaft. Diese darf dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit und den bundesrechtlichen Anforderungen zufolge nur vorübergehend und solange wie nötig aufrechterhalten werden. Die Sicherheitshaft ist nur für die Dauer anzuordnen, während welcher erwartet werden kann, dass der weitere Verlauf des Massnahmenvollzugs geklärt werden kann.
5.2
Der Rekursgegner hat die Sicherheitshaft per 5. März 2021 angeordnet und einstweilen bis 30. September 2021 befristet. Begründet wurde dies damit, dass eine Neubegutachtung in Auftrag gegeben werde, welche bis Ende August 2021 fertiggestellt werden sollte. Die vorliegende Befristung erscheint verhältnismässig, da JuWe im Anschluss an die Begutachtung über das weitere Vorgehen befinden werden muss.
5.3
Nach Abschluss der Sachverhaltsermittlungen im vorliegenden Rekursverfahren ging das von JuWe neu eingeholte Gutachten beim Rekursgegner am 13. Juli 2021 ein (act. 19). Somit ist der Rekursgegner angehalten, möglichst zeitnah einen Entscheid zu fällen.
6.
6.1
Der Rekursgegner entzog der Rekursfrist sowie der Rekurseinreichung aufgrund des erhöhten Rückfallrisikos des Rekurrenten die aufschiebende Wirkung nach § 25 Abs. 3 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG; LS 175.2).
6.2.1
Dem Lauf der Rekursfrist und der Einreichung des Rekurses kommt von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zu (§ 25 Abs. 1 VRG). Gegenteilige Anordnungen können aus besonderen Gründen getroffen werden (§ 25 Abs. 3 VRG).
6.2.2
Besondere Gründe im Sinne von § 25 Abs. 3 VRG liegen vor, wenn es sich um besonders qualifizierte und zwingende Gründe handelt, ohne dass geradezu ausserordentliche Gründe vorliegen müssten. Trotzdem vermögen nur überzeugende Gründe ein solches Vorgehen zu rechtfertigen. Weil die Folgen der in Frage stehenden Anordnung eintreten, bevor die Beschwerdeinstanz die Rechtmässigkeit geprüft hat, ist erforderlich, dass ein schwerer Nachteil droht, wenn die aufschiebende Wirkung nicht entzogen wird. Dieser kann etwa in einer zeitlich unmittelbar bevorstehenden oder inhaltlich schweren Bedrohung bedeutender Polizeigüter bestehen (REGINA KIENER, in: Kommentar VRG, 3. Aufl. 2014, § 55 N 1 und § 25 N 25 f.).
6.3.
Ausgehend vom Therapiebericht des PPD vom 4. März 2021, welcher selbst im strukturierten Rahmen des Haus Lägern von einem deutlichen Rückfallrisiko ausgeht, und der sonstigen Umstände vor Erlass der angefochtenen Verfügung (Rückzug aus der Therapie als Anzeichen für ein ungünstiges Szenario), sowie berücksichtigend, dass das betroffene öffentliche Gut, nämlich die physische, psychische und sexuelle Unversehrtheit von Personen im Schutzalter, sehr hoch wiegt, war der Entzug der aufschiebenden Wirkung in der angefochtenen Verfügung erforderlich und verhältnismässig. Der Schutz des betroffenen öffentlichen Gutes erforderte den sofortigen Vollzug der Sicherheitshaft.
7.
Zu dem von Rekurrenten eingereichten Auszug aus dem von JuWe neu eingeholten Gutachten von Dr. med. H., vom 12. Juli 2021 ist grundsätzlich zu bemerken, dass dieses Gutachten für die Beurteilung der Rechtmässigkeit der vorliegend angefochtenen Verfügung nicht massgeblich sein kann. Auszugehen ist von der Situation im März 2021, die den Rekursgegner dazu bewogen hat, den Rekurrenten in Sicherheitshaft zu versetzen. Soweit im Gutachten vom 12. Juli 2021 unter anderem festgehalten wird, dass eine Unterbringung des Rekurrenten in einem offenen, jedoch stark strukturierten und kontrollierenden Setting verantwortbar erscheine, so bedeutete dies zudem noch nicht, dass der Rekurrent automatisch zurück in das Haus Lägern zu versetzen ist. Vielmehr hat der Rekursgegner nun aufgrund der gesamten Umstände zu entscheiden, welcher Vollzugsort und welche Vollzugsmodalitäten angemessen erscheinen, um den Schutz der genannten Rechtsgüter zu sichern.
8.
Im Ergebnis ist die angefochtene Verfügung nicht zu beanstanden, weshalb der Rekurs abzuweisen ist.
9.
9.1
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Rekurrent kostenpflichtig (§ 13 Abs. 1 und 2 VRG) und eine Parteientschädigung bleibt ihm verwehrt (§ 17 Abs. 2 VRG).
9.2
Der Rekurrent liess indessen ein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege stellen. Privaten, denen die nötigen Mittel fehlen und deren Begehren nicht offensichtlich aussichtslos erscheint, ist auf entsprechendes Ersuchen die Bezahlung von Verfahrenskosten und Kostenvorschüssen zu erlassen (§ 16 Abs. 1 VRG). Nach § 16 Abs. 2 VRG haben sie überdies Anspruch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Rechte im Verfahren selbst zu wahren (vgl. auch Art. 29 Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung vom 18. April 1999).
9.3
Die gesuchstellende Person hat ihre Mittellosigkeit anhand von Belegen darzutun. Bei rechtskundigen und rechtskundig vertretenen Gesuchstellenden besteht in der Regel keine behördliche Hinweispflicht (KASPAR PLÜSS, in: Kommentar VRG, 3. Aufl. Zürich 2014, § 16 N 38, 40).
9.4
Der anwaltlich vertretene Rekurrent hat keinerlei Belege zu seiner wirtschaftlichen Situation eingereicht. Vorliegend ist aber ausnahmsweise von diesem Erfordernis abzusehen. Der Rekurrent befindet sich seit Ende 2010 im Vollzug und hat seither kein regelmässiges Einkommen, aus dem er die Prozessführung bestreiten könnte. Somit ist von der Mittellosigkeit des Rekurrenten auszugehen. Der Rekurs war zudem nicht geradezu aussichtslos. Das Gesuch um unentgeltliche Verfahrensführung für das Rekursverfahren ist daher gutzuheissen. Zudem war der Beizug eines Rechtsbeistandes für die sich stellenden Rechts- und Tatfragen gerechtfertigt. Das Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist deshalb ebenfalls gutzuheissen und Rechtsanwalt B. ist als unentgeltlicher Rechtsbeistand des Rekurrenten in diesem Rekursverfahren einzusetzen.
9.5
Es bleibt der Hinweis, dass eine Partei, der die unentgeltliche Rechtspflege gewährt wurde, zur Nachzahlung verpflichtet ist, sobald sie dazu in der Lage ist. Der Anspruch des Kantons verjährt zehn Jahre nach Abschluss des Verfahrens (§ 16 Abs. 4 VRG).
10.
10.1
Gegen diesen Entscheid kann Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben werden. Die Beschwerdefrist gegen Rekursentscheide beträgt 30 Tage (§ 53 in Verbindung mit § 22 VRG). Dem Lauf der Beschwerdefrist und der Einreichung einer Beschwerde kommt grundsätzlich aufschiebende Wirkung zu, wenn aus besonderen Gründen keine gegenteilige Anordnung getroffen wird (§ 55 in Verbindung mit § 25 Abs. 3 VRG).
10.2
Solange noch nicht über den weiteren Vollzugsverlauf entschieden ist, ist der Schutz des öffentlichen Gutes höher zu gewichten als das Interesse des Rekurrenten an einer Rückversetzung in das Haus Lägern. Dem Lauf der Beschwerdefrist und der Einreichung einer allfälligen Beschwerde ans Verwaltungsgericht ist daher die aufschiebende Wirkung zu entziehen.
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