Anonymisierter Entscheidtext (Auszug)
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Sachverhalt
A. wurde mit Urteil des Obergerichts des Kanton Zürich vom 1. Juli 2013 des versuchten Mordes und der mehrfachen qualifizierten einfachen Körperverletzung schuldig gesprochen und mit einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren (unter Anrechnung von 1'595 Tagen Untersuchungs- und Sicherheitshaft) bestraft. Bereits mit Urteil des Bezirksgerichts B. vom 11. Mai 2011 wurde eine ambulante Massnahme während des Vollzugs der Freiheitsstrafe angeordnet. Diese wurde nicht angefochten und letztmals mit Beschluss des Bezirksgerichts B. vom 28. April 2020 bis zum 30. Juni 2021 verlängert. Zwei Drittel der Freiheitsstrafe hat A. am 16. Februar 2017 erstanden. Ab dem 30. Juli 2018 befand sich A. im Arbeitsexternat im team72. Am 12. August 2019 entfernte er sich unerlaubterweise aus dem team72. Er fuhr mit dem Auto nach Frankreich und wieder zurück in die Schweiz, wo er bereits am nächsten Tag verhaftet werden konnte. Das effektive Strafende wäre auf den 16. Februar 2021 gefallen. Zuletzt befand sich A. erneut im Arbeitsexternat im team72.
Mit Verfügung vom 22. Januar 2021 hat Justizvollzug und Wiedereingliederung Kanton Zürich (JuWe), Bewährungs- und Vollzugsdienste, Vollzug 3, entschieden, dass A. per 1. Februar 2021 bedingt aus dem Strafvollzug entlassen wird. Die Probezeit beträgt ein Jahr. Für diese Zeit wurde Bewährungshilfe angeordnet. Zudem wurde A. die Weisung erteilt, die Therapie weiterzuführen, an den Gesprächen mit der Bewährungshilfe teilzunehmen und den Wohn- und Arbeitsort nur in vorgängiger Absprache mit der Bewährungshilfe zu ändern. Dem Lauf der Rekursfrist sowie einem allfälligen Rekurs wurde die aufschiebende Wirkung entzogen.
Gegen diese Verfügung erhob A. mit Schreiben vom 30. Februar 2021 (wohl 30. Januar 2021; Eingang: 2. Februar 2021) Rekurs bei der Direktion der Justiz und des Innern. Er beantragt sinngemäss die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Entlassung auf das ordentliche Strafende. Weiter sei auf die Bewährungshilfe und ab Juli 2021 die Therapie zu verzichten. Das JuWe beantragte mit Vernehmlassung vom 11. Februar 2021 die Abweisung des Rekurses und reichte die Vollzugsakten ein. Am 1. März 2021 reichte das JuWe die Risikoabklärung des forensisch-psychiatrischen Dienstes vom 22. Februar 2021 ein. A. nahm zur Vernehmlassung und zur Risikoabklärung keine Stellung. Damit sind die Sachverhaltsermittlungen mit Ablauf der angesetzten Frist abgeschlossen.
Erwägungen
1.
1.1
Der Rekurrent wehrt sich zunächst gegen die bedingte Entlassung und beantragt die Vollverbüssung der Strafe. Zwar mag es für den Rekurrenten wünschenswert sein, die Strafe vollständig zu verbüssen, anstatt bei einem Widerruf der bedingten Entlassung den Strafrest zu einem späteren Zeitpunkt verbüssen zu müssen. Zu einem Widerruf kommt es jedoch nur bei einem erneuten Delikt. An der Begehung eines solchen besteht jedoch kein schutzwürdiges Interesse. Folglich ist auf den Rekurs insoweit nicht einzutreten, als er sich gegen die bedingte Entlassung richtet.
1.2
An der Überprüfung der mit der bedingten Entlassung verbundenen Probezeit und den Weisungen besteht hingegen ein schutzwürdiges Interesse. Auf den rechtzeitig erhobenen Rekurs ist insoweit einzutreten.
2.
2.1
Nach Art. 86 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0) ist der Gefangene nach Verbüssung von zwei Dritteln, mindestens aber drei Monaten seiner Strafe, bedingt zu entlassen, wenn es sein Verhalten im Strafvollzug rechtfertigt und nicht anzunehmen ist, er werde in Freiheit weitere Verbrechen oder Vergehen begehen. Die zuständige Behörde hat von Amtes wegen zu prüfen, ob der Gefangene bedingt entlassen werden kann; dabei hat sie diesen anzuhören und einen Bericht der Anstaltsleitung einzuholen (Art. 86 Abs. 2 StGB). Wird die bedingte Entlassung verweigert, so hat die zuständige Behörde mindestens einmal jährlich neu zu prüfen, ob sie gewährt werden kann (Art. 86 Abs. 3 StGB).
2.2
Auf die Anhörung kann nur verzichtet werden, wenn eine bedingte Entlassung von vornherein feststeht und keine belastenden Massnahmen vorgesehen sind oder wenn sich der Gefangene mit allfälligen Auflagen einverstanden erklärt. Ansonsten stellt die unterlassene Anhörung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, die im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nicht geheilt werden kann (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts VB.2012.00569 vom 8. November 2012, E. 2; CORNELIA KOLLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019, Art. 86, N 29 mit weiteren Hinweisen).
2.3
An der Standortsitzung VIII vom 23. Oktober 2020 wurde unter anderem diskutiert beziehungsweise festgehalten, dass die Frage der bedingten Entlassung der Fachkommission vorgelegt werde. Gegen Ende der Sitzung wurde der Rekurrent dazu geholt, ihm wurde der bisherige Verlauf der Sitzung zusammengefasst und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Damit sind die Anforderungen an eine Anhörung im Sinn von Art. 86 Abs. 1 StGB jedoch nicht erfüllt, insbesondere da weder die Bewährungshilfe noch die Weisungen thematisiert wurden. Eine weitere Anhörung ist nicht aktenkundig. Auf Rückfrage hat der Rekursgegner bestätigt, dass keine solche stattgefunden hat. Folglich wurde das rechtliche Gehör des Rekurrenten verletzt. Die kurze Rekurseingabe kann die mündliche Anhörung nicht ersetzen. Deshalb kommt eine Heilung nicht in Betracht. Vielmehr ist die Sache dem Rekursgegner zurückzuweisen. Dieser hat den Rekurrenten anzuhören und erneut über die Probezeit, die Bewährungshilfe und die Weisungen zu verfügen.
2.4
Demnach ist der Rekurs gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, und die Sache dem Rekursgegner zurückzuweisen.
3.
Aufgrund der teilweisen Gutheissung des Rekurses wären Dispositiv II-V der angefochtenen Verfügung grundsätzlich aufzuheben. Die angefochtene Verfügung war aufgrund des Entzugs der aufschiebenden Wirkung jedoch bereits in Vollzug. Insbesondere wurde der Rekurrent am 1. Februar 2021 bedingt entlassen. Die Fachkommission hat die bedingte Entlassung aufgrund des verbleibenden Rückfallrisikos jedoch nur unter Auflagen als vertretbar erachtet. Würden diese Auflagen nun aufgehoben, bestünde ein erhöhtes Rückfallrisiko. Auf der anderen Seite ist die Weitergeltung der Auflagen für den Rekurrenten keine übermässige Einschränkung, da der Rekursgegner bereits in Kürze erneut in der Sache entscheiden kann. Somit ist die Weitergeltung der Auflagen nicht nur notwendig, sondern auch verhältnismässig. Dispositiv II-V sind nicht aufzuheben, sondern als vorsorgliche Massnahme bis zu einem neuen Entscheid von Justizvollzug und Wiedereingliederung aufrechtzuerhalten (vgl. § 6 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 [VRG; LS 175.2]).
4.
4.1
Die Rückweisung zur erneuten Entscheidung bei offenem Ausgang ist in Bezug auf die Verlegung der Verfahrens- und Parteikosten als Obsiegen zu behandeln, wenn die Rechtsmittelinstanz reformatorisch oder kassatorisch entscheiden kann (Urteil des Bundesgerichts 2C_846/2013 vom 28. April 2014, E. 3.2 mit Hinweisen). Demnach hat der Rekurrent als obsiegend zu gelten. Das teilweise Nichteintreten fällt dabei nicht ins Gewicht. Die Kosten des vorliegenden Verfahrens sind dem Rekursgegner aufzuerlegen (§ 13 Abs. 2 VRG) beziehungsweise – praxisgemäss bei Ämtern der Rekursinstanz – auf die Staatskasse zu nehmen.
4.2
Ein Rückweisungsentscheid wird grundsätzlich als Zwischenentscheid qualifiziert. Zwischenentscheide, die weder die Zuständigkeit noch den Ausstand betreffen, sind an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich weiterziehbar, wenn sie einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken können oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würden (§ 41 Abs. 3 in Verbindung mit § 19a Abs. 2 VRG und Art. 92 und Art. 93 Abs. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG; SR 173.110]).
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