Interessenabwägung in der Raumplanung
Die Abwägung zwischen unterschiedlichen und sich oft widersprechenden Interessen gehört in der Raumplanung zum Berufsalltag. Dabei hilft die Methode der Interessenabwägung, gute Lösungen zu finden.
Kurz erklärt
Interessenabwägung als Methode zur Entscheidungsfindung
Räumliche Veränderungen haben Auswirkungen auf die Menschen und ihre Umwelt. Je mehr Interessen dabei aufeinandertreffen, umso grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass nicht alle Interessen wie erhofft oder erwünscht verwirklicht werden können. Die Methode der Interessenabwägung ermöglicht es, Konflikte in einem geregelten Prozess anzugehen und dadurch zu nachvollziehbaren, überprüfbaren und damit letztendlich zu guten Lösungen zu gelangen.
Handlungsspielraum und Grenzen
Eine Interessenabwägung findet immer dann statt, wenn bei der Erfüllung und Abstimmung raumwirksamer Aufgaben – Änderung eines Nutzungsplans, Umgestaltung einer Strasse, Errichtung einer Deponie, Neubau einer Siedlung – Handlungsspielräume bestehen (Art. 3 RPV).
Je grösser der Handlungsspielraum, umso eher muss eine Interessenabwägung vorgenommen werden, um zu guten Lösungen zu kommen. Je kleiner der Handlungsspielraum, umso weniger ist eine Interessenabwägung möglich oder überhaupt zulässig.
Abwägungsverfahren
Die Interessenabwägung ist ein standardisiertes Verfahren, das gemäss Art. 3 RPV drei Schritte umfasst:
- Ermittlung der Interessen
- Bewertung der ermittelten Interessen
- Optimierung der ermittelten und bewerteten Interessen
Die einzelnen Schritte bauen aufeinander auf. Es ist deshalb wichtig, dass im ersten Schritt alle betroffenen Interessen ermittelt werden. Nur so kann der Abwägungsprozess unter Berücksichtigung aller Interessen durchgeführt werden.
Anleitung
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Ermittlung der Interessen
Ziel der Ermittlung ist es, eine Auslegeordnung aller Gesichtspunkte zu erstellen, die für den Entscheidungsprozess für ein Vorhaben relevant sind.
Dies können zum einen Schutzinteressen sein wie z.B. Biodiversität, Lärm, Naturdenkmäler, Ortsbilder, Wasser oder das Klima. Zum anderen können es aber auch Nutzungsinteressen sein wie z.B. Infrastrukturen für Deponien, Schaffung von Wohnraum oder Sportanlagen. Ebenso können rechtliche Prinzipien für die Abwägung bedeutsam sein. Zu letzterem gehören bspw. Gutglaubensschutz, Gleichbehandlung, Verhältnismässigkeit, Eigentumsgarantie oder die Willkürfreiheit.
Wichtig ist, dass in diesem ersten Schritt alle ermittelten Interessen zunächst grundsätzlich als gleichwertig gelten. Ihre (Be-)Wertung und Gewichtung erfolgt erst im zweiten Schritt.
Beispiel «Abenteuerspielplatz»
Es besteht die Absicht, einen Abenteuerspielplatz mit Feuerstelle auf Landwirtschaftsland und in der Nähe eines Gewässers zu erstellen. Verschiedene Interessen könnten von diesem Vorhaben mehr oder weniger stark betroffen sein.
Im ersten Schritt der Interessenermittlung gilt es nun, alle diese Interessen zu identifizieren. Dazu würden in diesem Fall unter anderem der Erholungsnutzen, der Gewässerschutz sowie der Schutz von Fruchtfolgeflächen gehören.
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Bewertung der ermittelten Interessen
Bei der Bewertung wird bestimmt, inwiefern die Verwirklichung eines Interesses erwünscht ist. Dazu müssen die ermittelten Interessen beurteilt bzw. gewichtet werden. Hierfür braucht es einen Massstab. Wichtig sind beispielsweise Wertmassstäbe, die im Gesetz bezeichnet sind, wie der Erhalt von Fruchtfolgeflächen, der Schutz des Grundwassers oder der Erhalt eines schützenswerten Ortsbildes.
So wird anknüpfend an das erwähnte Beispiel der Erholungsnutzung ins Verhältnis zum Gewässerschutz und zum Schutz der Fruchtfolgeflächen gesetzt. Wichtig ist in diesem Schritt, dass aufgezeigt wird, was es bedeutet, wenn ein Interesse dem anderen vorgezogen wird, welche Konsequenzen dies hat und was mögliche Alternativen bzw. Varianten wären.
Fortsetzung Beispiel «Abenteuerspielplatz»
Im ersten Schritt wurden die verschiedenen Interessen ermittelt. Nun sind sie im Zuge der Bewertung ins Verhältnis zueinander zu setzen. Damit dies möglich wird, sind gezielte Fragen zum Vorhaben zu stellen, welche eine gegenseitige Abwägung der Interessen ermöglichen.
Zur geplanten Erholungsinfrastruktur könnten bspw. folgende Fragen gestellt werden:
- Von wie vielen Menschen würde sie genutzt werden?
- Zu welchen Tageszeiten würde sie benutzt werden?
- Würde es sich um eine ganzjährige oder nur saisonale Nutzung handeln?
- Besteht das Einzugsbezug bloss aus lokalen Nutzerinnen und Nutzer oder würde sie Menschen aus der ganzen Region anziehen?
- Handelt es sich um ein einzigartiges Erholungsgebiet und/oder könnten dadurch andere Gebiete besser geschützt und vom Erholungsdruck entlastet werden?
Mit solchen Fragen lässt sich die Bedeutung des Vorhabens und des Eingriffs bewerten und ins Verhältnis setzen zu jenen Interessen, die davon betroffen sind. Attribute wie «Einzigartigkeit» und «Intensität der Nutzung» helfen dabei, die Bewertung zu begründen. Auch für die Dokumentation und Nachvollziehbarkeit ist die Bewertung anhand von Attributen hilfreich. Dadurch kann die Frage, warum der Spielplatz genau an diesem Ort und mit dieser Ausstattung und Grösse erstellt werden soll, möglichst präzise beantwortet werden. Diese Art der Bewertung müsste nun auf analoge Weise für alle betroffenen Interessen durchgeführt werden.
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Optimierung der ermittelten und beurteilten Interessen
Im letzten Schritt erfolgt die «eigentliche» Abwägung. Ziel ist es, dass ein Vorhaben alle betroffenen Interessen möglichst umfassend berücksichtigt. Dabei ist auf die Gewichtung der Interessen zu achten.
Eine Herausforderung besteht darin, dass sich bei entgegenstehenden Interessen das Für und das Wider kaum ganz genau gegeneinander abwägen lassen: Wie ist zu gewichten, wenn sich bei einem Projekt Hochwasserschutz, Natur- und Landschaftsschutz dem Interesse der Öffentlichkeit an einem erleichterten Zugang zu den Gewässern gegenüberstehen? Oder wenn die Förderung erneuerbarer Energien zur nachhaltigen Versorgung mit dem Erhalt eines wertvollen Natur- und Landschaftsraums im Widerspruch steht?
Die Abwägung ist immer auch ein Wertungsprozess. Dabei gibt es kein «richtig» oder «falsch». Interessenabwägungen führen kaum je zu völlig unstrittigen Lösungen. Zentral ist aber, dass die Interessenbewertung und Optimierung mit sinnvollen Argumenten begründet, und verständlich gemacht werden.
Dokumentation und Nachvollziehbarkeit
Die Dokumentation der Interessenabwägung (Ermittlung, Beurteilung, Optimierung) ist ebenso zentral wie der Abwägungsprozess selbst. Sie dient der Transparenz und dem Verständnis aller Betroffenen. Sie dient dazu, Entscheidungen nachvollziehen zu können und die planerischen Absichten und Ziele zu verstehen.
Ein Entscheid sollte so dokumentiert sein, dass die Betroffenen ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten können. In diesem Sinne müssen alle Überlegungen genannt werden, die im Verfahren massgeblich waren und auf die sich der Entscheid stützt.
Varianten und Alternativen
Die Prüfung von Alternativen (ein anderer Standort für eine Deponie oder ein Schulgebäude usw.) sowie die Prüfung verschiedener Varianten an einem gegebenen Standort sind zentrale Bestandteile von Interessenabwägungen. Sie dürfen nie fehlen und müssen ausführlich dokumentiert sein.
Nicht selten werden umstrittene Vorhaben vom Gericht abgelehnt, weil Alternativen bzw. Varianten nicht geprüft wurden. Die Interessenabwägung wird dann häufig mit der Begründung ihrer Lückenhaftigkeit zur Neubeurteilung an die Planungsbehörde zurückgewiesen.
Checkliste für ein erfolgreiches Vorgehen
Vorteile:
- Allen Beteiligten ist klar, welche Rolle(n), welche Funktion und welche Kompetenzen sie im Prozess haben.
- Allen sind die Ziele bekannt, die mit dem Vorhaben erreicht werden sollen.
- Die betroffenen Interessen werden frühzeitig und vollständig ermittelt und in den Abwägungsprozess einbezogen.
- Die Beteiligten erläutern zu Beginn ihre ortsbezogenen Nutzungs- und Schutzinteressen, losgelöst vom konkreten Projekt.
- Die Beteiligten kennen ihre rechtlichen Grundlagen und wenden diese situationsgerecht auf den Einzelfall an. Sie objektivieren dadurch ihre Interessen.
- Die Beteiligten zeigen Spielräume auf und begründen ihre Anforderungen. Sie setzen ihre Interessen in Beziehung zu den anderen Interessen am Ort.
- Kompromisse werden fallweise ausgehandelt.
- Alle Beteiligten arbeiten lösungsorientiert und möglichst ergebnisoffen. Ziel ist ein optimiertes, regelkonformes Projekt.
- Die Vertretenden der Nutzungsinteressen bringen frühzeitig und aktiv Alternativen und Variantenvorschläge ein.
- Beratungsleistungen werden von den Vertretenden der Schutzinteressen sowohl vor als auch nach einer Stellungnahme bereitgestellt.
- Wer abwägt, hält Kontakt zu den involvierten Fachstellen und gibt Rückmeldungen.
- Ausgehandelte Kompensationsleistungen für im Wert geschmälerte Schutzobjekte werden durch geeignete Vorkehrungen langfristig gesichert.
- Die hervorgehenden Entscheide sind in sich widerspruchsfrei und der Abwägungsprozess ist transparent.
- Das Abwägungsergebnis ist nachvollziehbar dokumentiert.
Erklärvideos
Die Kantonsplanerkonferenz (KPK) hat in Zusammenarbeit mit sechs Kantonen (u.a. dem Kanton Zürich) und mit fachlicher Unterstützung von EspaceSuisse fünf Erklärvideos erstellt, in denen die wichtigsten Punkte der raumplanerischen Interessenabwägung erläutert werden.
1) Einführung in die Interessenabwägung

2) Methode der Interessenabwägung

3) Dreistufiger Prozess der Interessenabwägung

4) Akteure und ihre Rollen in der Interessenabwägung

5) Grenzen der Interessenabwägung

Weiterführende Informationen
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