Beschaffen zugunsten des Klimaschutzes

41 Milliarden Franken geben Bund, Kantone und Gemeinden in der Schweiz jährlich für Waren, Dienst- und Bauleistungen aus. Mit diesem Beschaffungsvolumen hat die öffentliche Hand einen wirkungsvollen Hebel im Markt. Dank dem neuen Beschaffungsrecht kann sie diesen Hebel noch besser im Sinne des Klimaschutzes einsetzen. Wie das funktioniert, erklärt Gina Spescha, Expertin für nachhaltige Beschaffung in der Koordinationsstelle für Umweltschutz der Baudirektion.

Warum dient das neue Beschaffungsrecht dem Klimaschutz?

Gina Spescha: Weil neu der Grundsatz der Nachhaltigkeit von Beschaffungen ausdrücklich verankert ist. Das ermöglicht es, Umweltkriterien stärker zu gewichten. Und wenn kreislauffähige Materialien, der Einsatz erneuerbarer Energien oder Lebenszykluskosten bei den Eignungs- und Zuschlagskriterien eine grössere Rolle spielen, kann ein Anbieter mit einem klimafreundlichen Angebot den Zuschlag erhalten, auch wenn sein Angebot nicht das preisgünstigste ist. Dieser Paradigmenwechsel belohnt innovative Firmen. Die öffentliche Hand kann so Innovationen stimulieren, klimafreundlichen Produkten den Zugang zum Markt erleichtern und dazu beitragen, dass sie sich etablieren.

Neue Rechtsgrundlage für Beschaffungen

Das Gesetz über den Beitritt zur revidierten Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen – kurz IVöB – ist seit dem 1. Oktober 2023 im Kanton Zürich in Kraft. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich eine bedeutende Rechtsanpassung, die bei allen öffentlichen Ausschreibungen Anwendung findet. Erhielt bisher das «wirtschaftlich günstigste» Angebot den Zuschlag, ist es nun das «vorteilhafteste» Angebot (Art. 41 IVöB). Im Zentrum steht damit nicht mehr nur vornehmlich der Preis. Durch Kriterien wie Lebenszykluskosten, Nachhaltigkeit oder Innovationsgehalt soll die Einkaufspraxis stärker auf Nachhaltigkeitsanliegen, die Kreislaufwirtschaft und die Stärkung des Qualitätswettbewerbs gegenüber dem Preiswettbewerb ausgerichtet werden.

Worauf muss eine Beschaffungsstelle bei der Umsetzung achten?

Klimafreundliche Beschaffung beginnt nicht erst bei der Vergabe, sondern schon bei der Bedarfsklärung. Deshalb muss man sich zuerst folgende Fragen stellen: Welche Bedürfnisse soll die Beschaffung erfüllen und wie werden diese sich verändern? Müssen sie durch ein neues Produkt erfüllt werden oder gibt es Möglichkeiten, einen Service zu mieten, ein Produkt zu teilen oder ein bestehendes Produkt neu zu nutzen?

Und wenn der Bedarf geklärt ist?

Dann kommt die Marktabklärung: Gibt es neue innovative Lösungen? Wo liegen die grössten ökologischen und sozialen Herausforderungen entlang der Wertschöpfungskette? Das neue Beschaffungsrecht ist eine gute Grundlage für die Förderung einer nachhaltigen Wirtschaft. Damit wir sie nutzen können, braucht es nun den Mut und den Willen jeder Beschaffungsstelle, neue Wege zu gehen und die Nachhaltigkeit bei sich selbst und vom Markt einzufordern und klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen konsequent nachzufragen.

Wie lässt sich die Umwelt- und Klimafreundlichkeit von Produkten vergleichen?

Mit dem Kriterium «Lebenszykluskosten» lassen sich die externen Effekte der Umweltbelastung eines Angebots einbeziehen und monetarisieren. So können die Treibhausgasemissionen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produkts – also von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung und Nutzung bis zur Entsorgung – berücksichtigt werden.

Wie gut funktioniert das in der Praxis bereits?

Solide Daten zu den Treibhausgasemissionen bereitzustellen, ist aktuell noch eine Herausforderung für Anbieter. In Zukunft wird es hoffentlich standardisierte Methoden und Tools für die Berechnung von Lebenszykluskosten geben. Bis es soweit ist, können Expertinnen und Experten für Ökobilanzen die Beschaffungsstellen unterstützen, indem sie definieren, welche umweltrelevanten Angaben die Anbieter machen müssen und wie diese gewichtet und bepreist werden.

Gibt es schon konkrete Beispiele, wie das neue Beschaffungsrecht im Sinne der Nachhaltigkeit angewendet werden kann?

Ja, die gibt es. Das kantonale Immobilienamt beispielsweise hat nach der Bedarfsklärung entschieden, eine Submission für die Umnutzung von Mobiliar aus dem Bestand durchzuführen, statt neues Mobiliar anzuschaffen. Der Anbieter, der den Auftrag erhielt, hat nicht mehr verwendete Möbel oder Einzelteile davon wiederverwertet und zu einem ganz neuen Möbelsortiment weiterentwickelt. Ein anderes Beispiel ist die Submission für den Ausbau der Schaffhauserstrasse durch den Hardwald. Hier erhielten die Anbieter die Möglichkeit, mit geeigneten Massnahmen die Reduktion der Umweltbelastung zu offerieren. In einer vom kantonalen Tiefbauamt vorgegebenen Matrix konnten sie die Umweltbelastung ihrer Offerten berechnen. Dank dem neuen Kriterium erhielt ein Unternehmen den Zuschlag, welches das kiesige Aushubmaterial vor Ort für den Einbau in der Fundationsschicht des neuen Belags aufbereitet und so Transportwege und damit CO2-Emissionen vermeidet.

Wie unterstützt der Kanton die Gemeinden bei der Umsetzung der neuen Vorgaben?

Der Kanton Zürich hat auf einer neuen Website seine Leitlinien für eine nachhaltige Beschaffung veröffentlicht. Sie können sowohl von kantonalen wie von kommunalen Beschaffungsstellen genutzt werden und eignen sich auch für kleinere Einkäufe. Zusätzlich bietet die Baudirektion aktuell fünf Gemeinden an, sie bei der Entwicklung eigener Beschaffungsrichtlinien zu unterstützen. Interessierte Gemeinden werden von der Stiftung Pusch begleitet und beraten.
 

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