Bei Schulabsentismus müssen Schule, Eltern und Behörden zusammenarbeiten

Teenagerjunge sitzt verlassen am Strassenrand, daneben steht sein Schul-Rucksack.

Wer spielt nicht manchmal mit dem Gedanken, sich aus dem Alltag auszuklinken und einfach zu tun, was Spass macht. Wenn aber Kinder regelmässig den Schulbesuch verweigern oder Jugendliche schwänzen, steckt oft mehr dahinter als Lustlosigkeit. Damit Hintergründe aufgedeckt und weitreichende Folgen vermieden werden können, müssen Eltern, Schule und andere Institutionen eng zusammenarbeiten.

Gelangweilt vom Unterricht, aufbegehrend gegen Regeln, belastet von Problemen, gemobbt von der Klasse, überfordert von fremden oder eigenen Ansprüchen, unterfordert vom Lehrstoff, eingeschüchtert vom Lehrer, vernachlässigt von den Eltern, mitgezogen von der Clique oder besorgt um Familienmitglieder – so fühlen sich Kinder und Jugendliche, die morgens, oft mit Kopf- oder Bauchschmerzen, nicht zur Schule gehen wollen oder aber sich unentschuldigt draussen herumtreiben.

Die verschiedenen Formen der Abwesenheit vom Unterricht werden unter dem Oberbegriff Schulabsentismus zusammengefasst. Dazu gehören Schulangst, Schulverweigerung oder Schulschwänzen sowie weitere schuldistanzierte Verhaltensweisen, die sich als Nichterscheinen, Zuspätkommen oder vorzeitiges Verlassen einzelner Unterrichtsstunden zeigen. Dabei können die Eltern informiert sein und das Verhalten durch Entschuldigungen und Arztzeugnisse legitimieren oder aber von allem nichts wissen oder nichts wissen wollen. Die Ursachen dafür sind komplex, jeder Fall muss individuell betrachtet werden.

Angst und Opposition

Angst vor der Schule, vor der Lehrerin, der Klasse oder dem eigenen Versagen sei eher bei jüngeren Kindern verbreitet, sagt Marie-Claire Frischknecht, Leiterin des Schulpsychologischen Dienstes (SPD) Dübendorf. «Die aus dieser Angst entstehenden körperlichen Beschwerden sind nicht gespielt. Es ist den Kindern tatsächlich nicht möglich, zur Schule zu gehen. Das unentschuldigte Schwänzen hingegen ist meist ein rebellisches Aufbegehren gegen Regeln, zeigt sich fast nie in körperlichen Symptomen und gehört eher zum Jugendalter.» Die Gründe sind vielfältig: ungenügende elterliche Kontrolle, Vernachlässigung oder Überbehütung, Gruppendruck im Kollegenkreis. Vereinzelt werden Kinder vom Schulbesuch abgehalten durch ihre Eltern, die krank sind, Hilfe benötigen oder der Schule keine Relevanz beimessen.

Aktuelle Zahlen zu schulischen Absenzen in der Schweiz gibt es nicht. Vor gut zehn Jahren stellte die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm in einer Studie fest, dass jede/r zweite Oberstufenschüler/in der Schule hin und wieder unentschuldigt fern blieb. Und die Pisa-Studie von 2015 zeigte, dass zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler in den zwei Wochen vor der Befragung mindestens einmal geschwänzt hatten. Fachleute vermuten eine stete Zunahme der Absenzen, speziell seit der Corona-Pandemie, und beobachten gleichzeitig eine seltsame Toleranz von Seiten der Eltern und der Lehrerschaft.

Hinschauen und handeln

Schulabsentismus darf aber keine Bagatelle sein. Schwänzen ist kein Kavaliersdelikt. Zu gross ist die Gefahr, dass aus einem andauernden Fehlen ein schulischer Misserfolg oder Abbruch wird, der zu Problemen bei Ausbildung und beruflicher Zukunft führt. Zu gross ist die Möglichkeit, dass hinter einer Schulangst schwerwiegende psychische Probleme liegen und hinter dem Schwänzen schwierige Familienverhältnisse oder gar eine Kindswohlgefährdung. Schulabsenzen sind fast immer Hilferufe. Deshalb müssen alle Beteiligten hinschauen und so rasch als möglich handeln.

«Eltern müssen die Schule ernst nehmen und gewährleisten, dass ihre Kinder hingehen. Das ist ihre Pflicht», sagt Matthias Möller, Regionalleiter der Schulsozialarbeit (SSA) der Bezirke Hinwil, Meilen, Pfäffikon und Uster. «Manchmal sind sie aber mit dem Problem der Schulabsenz überfordert, sehen die Schuld bei allen anderen oder zeigen Mitleid. Das kann eine Lösung verhindern.»

Lehrpersonen wiederum sind verantwortlich für wertschätzende Beziehungen in der Klasse, müssen sich für ihre Schüler/innen engagieren, bei Problemen nachfragen, und sich interessiert zeigen. «Ich respektiere total, dass die Kapazitäten der Lehrerschaft beschränkt sind», sagt Patrick Wyss, vom kjz Dübendorf. «Es ist aber wirklich wichtig, dass sie sich bei Absenzen zeitnah mit den Eltern und weiteren Stellen in Verbindung setzen.»

«Es braucht eine enge Zusammenarbeit von Eltern, Schule und weiteren Institutionen mit dem Ziel, das Kind so rasch als möglich wieder in die Schule zurückführen.»
Dr. Marie-Claire Frischknecht, Leitung Schulpsychologischer Dienst, Dübendorf

Information und Zusammenarbeit

Die Anforderungen sind hoch. Aber Eltern und Lehrpersonen werden mit dem vielschichtigen Problem des Schulabsentismus nicht allein gelassen. Verschiedene Stellen bieten Unterstützung:

Die Klassenlehrperson oder die Schulleitung übernimmt die Fallführung, leitet Massnahmen ein wie Elterngespräche, Einbezug der Schulärztin, Arztzeugnis vom ersten Tag an, macht evtl. eine Gefährdungsmeldung, und fordert die Entbindung von der Schweigepflicht ein. Die Schulpflege wiederum kann weiterführende Massnahmen verhängen wie ausserschulische Arbeitseinsätze oder Bussen bis Fr. 500.– gemäss Volksschulgesetz Art. 76.

Der Schulpsychologische Dienst (SPD) kann die Fallführung übernehmen oder eine Abklärung durchführen, übernimmt Information und Triage (z.B. zu kinder- und jugendpsychiatrischen Abklärungen, Tageskliniken, Kinder- und Jugendpsychologen oder Ärztinnen), v.a. in Fällen von Schulangst, Schulverweigerung und anderen psychischen Problemen mit dem Ziel, die Kinder psychisch zu stärken und die grundlegenden Probleme zu lösen.

Die Schulsozialarbeit (SSA) berät Lehrpersonen und Schulleitung, führt Gespräche mit den Eltern durch, begleitet die Kinder beim Wiedereinstieg in die Schule, leistet Früherkennung und Frühintervention bei möglicher Gefährdung des Kindeswohls und triagiert zu weiteren Fachstellen.

Die schulexternen Fachstellen der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) wie z.B. die kjz, bieten Elternbildung sowie freiwillige Beratung und organisieren in schwierigen Lebenssituationen Unterstützung der Eltern vor Ort (Sozialpädagogische Familienhilfe).

Die drei befragten Fachleute aus SPD, SSA und kjz sind sich einig: Schulabsentismus darf nicht unterschätzt werden. Nur durch eine rasche Intervention und intensive Zusammenarbeit können Kinder und Jugendliche in ihren Problemen erkannt und wieder in den regulären Unterricht eingegliedert werden. Hilfreich dabei sind klare Abläufe und eine gute Vernetzung der einzelnen Fachstellen. Marie-Claire Frischknecht vom SPD Dübendorf erarbeitet zurzeit mit einzelnen Schulgemeinden einen Handlungsplan bei Absenzen für Schulen (vgl. Kasten) und Patrick Wyss vom kjz Dübendorf will einen regelmässigen Online-Austausch für Schulen und andere Beteiligte in seinem Einzugsgebiet initiieren.

Erste Handlungsschritte bei Schulabsentismus

Bei entschuldigter Absenz

Lehrperson erfasst die Absenz im System (Lehreroffice o.ä. Software)

Bei entschuldigter Absenz in ungewöhnlicher Häufung

Wenn das Kind innert 6 Wochen mehr als 3 Mal entschuldigt fehlt, informiert die Lehrperson die Schulleitung und nimmt Kontakt mit dem Schulpsychologischen Dienst (SPD) und/oder der Schulsozialarbeit (SSA) auf. Die Schule wird anonym zum Fall beraten, um die nächsten Schritte zu planen (sofortiger Kontakt zu den Eltern, Teilnahme von Schulleitung, SSA oder SPD am Elterngespräch, thematisierte Ziele etc.).

Bei unentschuldigter Absenz

Lehrperson informiert bei unentschuldigtem Nichterscheinen des Kindes innert 20 Minuten die Eltern und vereinbart innerhalb der nächsten Woche ein Gespräch. Wichtige Themen: Absenz, Sorge um Kind, Ziele.

Handlungsplan nach Marie-Claire Frischknecht, SPD Dübendorf in Zusammenarbeit mit den Sekundarschulen Dübendorf-Schwerzenbach und Fällanden

Unterstützung und Information

Der Schulpsychologische Dienst (SPD) berät Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrpersonen und Schulbehörden.

Die Schulsozialarbeit (SSA) hilft, den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule umzusetzen.

Die Kinder- und Jugendzentren (kjz) bieten Unterstützung bei Fragen rund um den Familienalltag.

Das Heft «Schulabsentismus» vermittelt weitere Informationen zum Thema (Kanton SG)

Kontakt

Amt für Jugend und Berufsberatung - Geschäftsstelle der Bezirke Hinwil, Meilen, Pfäffikon und Uster

Adresse

Guyer-Zeller-Strasse 6
Postfach 1299
8620 Wetzikon
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