Von der Handschrift des Pfarrers zum digitalen Volltext

Mit dem Abschluss des Projekts «Elektronische Edition der Zürcher Stillstandsprotokolle des 17. Jahrhunderts» macht das Staatsarchiv eindrückliche Schilderungen der Lebensverhältnisse in insgesamt 35 Kirchgemeinden des alten Stadtstaats Zürich zugänglich. Das neue Online-Angebot erweitert die bestehende Palette von Texten und Daten zur Zürcher Geschichte in der Vormoderne um eine einzigartige Textsammlung.

Rund 3400 Seiten Originaltext hat das Staatsarchiv in den vergangenen fünf Jahren transkribieren lassen und zusammen mit digitalen Bildern der originalen Protokolle aus 35 Kirchgemeinden sukzessive über den elektronischen Archivkatalog publiziert. Das von der Evangelisch-reformierten Landeskirche und dem Staatsarchiv gemeinsam getragene Projekt wurde vom Lotteriefonds finanziert. Mit dem Abschluss des Projekts steht gleichzeitig eine Thematische Schnellsuche (Quickaccess) in den Texten zur Verfügung. Diese erlaubt einfache, massgeschneiderte Abfragen, namentlich pro Kirchgemeinde.

Einzigartiger Einblick in den Alltag des 17. Jahrhunderts

Die anspruchsvolle Aufgabe, die in der Regel vom zuständigen Pfarrer in flüchtiger und individueller Handschrift verfassten Protokolle zu entziffern und zu transkribieren, übernahm der erfahrene freischaffende Historiker Beat Frei aus Horgen. Seiner Arbeit ist es zu verdanken, dass nun lokalgeschichtlich Interessierten, aber auch der wissenschaftlichen Forschung, über wenige Klicks eine Textsammlung zur Verfügung steht. Sie erlaubt einzigartige Einblicke in den Alltag und die Lebenswelt der Bevölkerung auf der Zürcher Landschaft und in der Stadt Zürich vor über 300 Jahren.

Armut, häusliche Gewalt und von der Norm abweichende sexuelle Handlungen ‒ wie vorehelicher Geschlechtsverkehr ‒ kommen in den Texten ebenso zur Sprache wie Alkoholismus, nächtliche Ruhestörung durch die Dorfjugend und andere Verstösse gegen die geltende Moral beziehungsweise gegen die von der Kanzel verlesenen obrigkeitlichen Mandate. Der so genannte Stillstand hiess so, weil die Mitglieder des Gremiums nach dem Gottesdienst in der Kirche wortwörtlich «stillstanden», um über ihre Geschäfte zu beraten. Er war Kirchen-, Schul-, Armen- und Vormundschaftsbehörde in einem, zugleich aber auch Sittenwächter. Im 19. Jahrhundert beschränkten sich seine Befugnisse auf rein kirchliche Angelegenheiten. Später ersetzten die heutigen Kirchenpflegen die Stillstände.

Laufende Erweiterung des Angebots

Das Staatsarchiv verfolgt seit einigen Jahren die Strategie, der interessierten Öffentlichkeit zentrale Quellenserien und Einzelbestände zur Geschichte des Kantons Zürich und seiner Rechtsvorgänger niederschwellig und in zeitgemässer Form im Volltext online zugänglich zu machen. Im thematischen Umfeld der Stillstandsprotokolle stehen bereits die Zürcher Schulumfrage 1771/1772, die Zürcher Ehedaten der Jahre 1525 bis 1700 und die Chronik der Familie Beder in Zürich-Enge zur Verfügung. Die Stillstandsprotokolle erweitern dieses Angebot um inhaltlich vielfältige Quellentexte. Solche Texte sind Rohstoff jeder Beschäftigung mit unserer Vergangenheit. Als nächstes folgen im Rahmen des Projekts «Elektronische Rechtsquellen-Edition Zürich» obrigkeitliche Mandate aus der Zeit vor 1798.

(Medienmitteilung der Direktion der Justiz und des Innern)

Hinweis

Diese Meldung ist vor 2018 erschienen. Gegenüber der ursprünglichen Fassung sind alle Bilder, Links und Downloads entfernt worden. Dies beim Wechsel zum neuen kantonalen Webauftritt 2020.
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