Merkblatt des kantonalen Steueramtes über das Verfahren bei Bestreitung der Steuerhoheit ab Steuerperiode 1999 nach dem neuen Steuergesetz vom 8. Juni 1997

Thema
Natürliche Personen
Titel
Merkblatt des kantonalen Steueramtes über das Verfahren bei Bestreitung der Steuerhoheit ab Steuerperiode 1999 nach dem neuen Steuergesetz vom 8. Juni 1997
Erlassdatum
24. November 1999
Gültig ab
1. Januar 1999
ZStB-Nummer
3.1
Nummer alt
11/050

A. Gesetzliche Grundlage

1 Die subjektive Steuerpflicht ist für natürliche Personen in §§ 3 - 10 des Steuerge¬setzes vom 8. Juni 1997 (StG) und für juristische Personen in §§ 54 - 59 StG geregelt. Nach § 189 StG gelten die Bestimmungen über die Steuerpflicht für die Staatssteuern unter Vorbehalt der Bestimmungen von §§ 190 und 191 StG auch für die Gemeindesteuern.

2 Ein spezielles Verfahren zur Beanspruchung der Steuerhoheit für die Staatssteuer ist im Steuergesetz nicht vorgesehen. § 192 StG enthält lediglich eine besondere Regelung für das Verfahren bei streitiger kommunaler Steuerhoheit.

B. Art des Verfahrens

3 Die Art des Verfahrens, in dem die Steuerhoheit beansprucht wird, hängt zum einen davon ab, welche Steuerhoheit bestritten wird, und richtet sich zum andern nach dem Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Steuerhoheit.

I. Im interkantonalen und internationalen Verhältnis

4 Da für die Beanspruchung der kantonalen Steuerhoheit kein besonderes Verfahren vorgesehen ist, finden die Bestimmungen zum Einschätzungsverfahren Anwendung.

1. Ordentliches Verfahren (Einschätzungsverfahren)

5 Nach § 130 Abs. 1 StG verjährt das Recht, eine Steuer zu veranlagen, fünf Jahre nach Ablauf der Steuerperiode. Vorbehalten bleibt die Erhebung von Nachsteuern und Bussen.

6 Vor Ablauf dieser fünfjährigen Veranlagungsverjährungsfrist kann die Steuerhoheit stets im ordentlichen Verfahren beansprucht werden. Ab Steuerperiode 1999 wird nicht mehr vorausgesetzt, dass die Steuerhoheit gegenüber dem Steuerpflichtigen im laufenden Steuerjahr in irgend einer Form geltend gemacht wurde (zur Verwirkung des Besteuerungsrechts im interkantonalen Verhältnis vgl. hinten Ziff. 18 f.).

7 Ist die Veranlagungsverjährungsfrist fünf Jahre nach Ablauf der Steuerperiode aufgrund besonderer Umstände im Sinne von § 130 Abs. 2 StG noch am Laufen, wird die Steuerhoheit weiterhin im ordentlichen Verfahren in Anspruch genommen. Eine zeitliche Schranke setzt jedoch die absolute Verjährungsfrist gemäss § 130 Abs. 4 StG.

2. Nachsteuerverfahren

8 Nach Ablauf der Veranlagungsverjährungsfrist von § 130 StG kann die Steuerhoheit nur noch im Rahmen eines Nachsteuerverfahrens beansprucht werden.

9 Voraussetzung für die Erhebung einer Nachsteuer und damit auch für die Inanspruchnahme der Steuerhoheit bildet nach § 160 Abs. 1 StG insbesondere, dass eine Einschätzung aufgrund von Tatsachen oder Beweismitteln, die der Steuerbehörde nicht bekannt waren, unterblieben oder eine unterbliebene Einschätzung auf ein Verbrechen oder Vergehen gegen die Steuerbehörde zurückzuführen ist.

10 Zeitliche Schranken für die Beanspruchung der Steuerhoheit im Nachsteuerverfahren setzt § 161 StG. Danach erlischt das Recht, ein Nachsteuerverfahren einzuleiten, zehn Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, für die eine Einschätzung zu Unrecht unterblieben oder eine rechtskräftige Einschätzung unvollständig ist. Das Recht, die Nachsteuer festzusetzen, erlischt 15 Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, auf die sie sich bezieht.

II. Im interkommunalen Verhältnis

11 Bei streitiger kommunaler Steuerhoheit sieht § 192 StG vor, dass das Gemeindesteueramt in einem besonderen Verfahren über die Gemeindesteuerpflicht entscheidet (vgl. dazu hinten Ziff. 22 ff.). 

C. Vorentscheid über die Steuerhoheit

I. Im interkantonalen Verhältnis

1. Bundesrechtlicher Anspruch auf Vorausbeurteilung

12 Bei unbestrittener Steuerhoheit erfolgt der Entscheid über die Inanspruchnahme der Steuerhoheit zusammen mit der Festsetzung der Steuerfaktoren.

13 Bestreitet jedoch der zur Veranlagung Herangezogene die Steuerhoheit des Kantons, so muss dieser nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung zuerst aufgrund Art. 46 Abs. 2 BV über die Steuerhoheit entscheiden und der Vorentscheid über die subjektive Steuerpflicht rechtskräftig werden, bevor das Veranlagungsverfahren fortgesetzt werden darf, es sei denn, das Bundesgericht habe bereits in einem früheren staatsrechtlichen Verfahren bei gleicher Sachlage die Steuerhoheit des Veranlagungskantons bejaht (BGE 115 Ia 73 E. 3).

14 Der bundesrechtliche Anspruch des Steuerpflichtigen auf Vorausbeurteilung der bestrittenen Steuerhoheit besteht sowohl im ordentlichen Verfahren als auch im Nachsteuerverfahren (RB 1993 Nr. 26).

15 Das kantonale Steueramt kann gestützt auf die mit der Rechtsprechung zum interkantonalen Doppelbesteuerungsverbot geschaffene gesetzliche Grundlage auch von sich aus einen Vorentscheid über den Bestand der subjektiven Steuerpflicht erlassen.

2. Gegenstand des Vorentscheids

16 Gemäss Rechtsprechung muss und darf ein Vorentscheid über die Steuerhoheit nur dann gefällt werden, wenn die kantonale Steuerhoheit als solche, das heisst der Bestand der subjektiven Steuerpflicht, in Frage steht. Bleibt lediglich streitig, ob eine der Steuerhoheit des Kantons unterworfene Person beschränkt oder unbeschränkt Steuerpflichtig ist, so betrifft dies nicht den Bestand, sondern nur den Umfang der subjektiven Steuerpflicht. Der Steuerpflichtige kann einen solchen Vorentscheid von der Steuerbehörde nicht verlangen. Die Steuerbehörde darf ein entsprechendes Verfahren aber auch nicht von sich aus einleiten (RB 1997 Nr. 41 = StE 1997 B 11.3 Nr. 10 = Staatssteuer-Mitteilung 1997 Nr. 15).

17 Ob eine Person im Kanton Zürich oder in der Schweiz beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtig ist, muss daher zusammen mit den Steuerfaktoren im Einschätzungsverfahren bzw. im Nachsteuerverfahren bestimmt werden.

3. Verwirkung des Besteuerungsrechts

18 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung verwirkt ein Kanton, der die für die Steuerpflicht massgebenden Tatsachen kennt oder kennen kann, das Recht auf Besteuerung, wenn er gleichwohl mit der Erhebung des Steueranspruchs ungebührlich lange zuwartet und wenn überdies ein anderer Kanton - bei Gutheissung dieses erst nachträglich erhobenen Steueranspruchs - zur Rückerstattung von Steuern verpflichtet werden müsste, die er formell ordnungsgemäss, in guten Treuen und in Unkenntnis des kollidierenden Steueranspruchs bezogen hat (BGE 123 I 264 E. 2c mit weiteren Hinweisen).

19 Die Einrede der Verwirkung kann nur von anderen Kantonen, nicht aber vom Steuerpflichtigen selber erhoben werden (BGE 123 I 264 E. 2c).

II. Im internationalen Verhältnis

20 Im internationalen Verhältnis besteht an sich keine unmittelbare Bindung an die zum Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung entwickelten Grundsätze. Dennoch ist der Anspruch auf einen Vorentscheid in Ziffer 29 der Dienstanleitung zum alten Steuergesetz nicht auf interkantonale Verhältnisse beschränkt worden. Verfahrensökonomische Gründe und der Umstand, dass das Steuergesetz für die Steuerausscheidung im internationalen Verhältnis regelmässig auf die Grundsätze des interkantonalen Doppelbesteuerungsrechts verweist, rechtfertigen eine Fortführung der bisherigen Praxis.

21 Ein Vorentscheid über die Steuerhoheit kann daher auf Verlangen des Steuerpflichtigen oder von Amtes wegen auch im internationalen Verhältnis getroffen werden.

III. Im interkommunalen Verhältnis

22 Bestreitet ein Steuerpflichtiger sowohl die kommunale als auch die kantonale Steuerhoheit, ist auf kommunaler Ebene kein separater Steuerhoheitsentscheid zu erlassen. Die für die Staatssteuern getroffenen (Vor-)Entscheide gelten nach § 189 Abs. 2 StG auch für die Gemeindesteuern.

23 Ist jedoch nur die kommunale Steuerhoheit streitig, hat das Steueramt der betreffenden Gemeinde nach § 192 Abs. 1 StG über die Gemeindesteuerpflicht zu entscheiden.

24 Gemäss § 193 haben Gemeinden, die erstmals eine Steuerausscheidung verlangen, ihren Anspruch gegenüber dem Steuerpflichtigen und der Einschätzungsgemeinde in der Steuerperiode oder der darauf folgenden Periode anzumelden. Später angemeldete Ansprüche sind verwirkt. Diese gegenüber dem interkantonalen Verhältnis strengere Regelung ist nicht nur für die interkommunale Steuerausscheidung, sondern sinngemäss auch für die Inanspruchnahme der Steuerhoheit im interkommunalen Verhältnis anwendbar. 

IV. Übersicht

     
25    
Streitfrage  Innerhalb der Veranlagungsverjährungsfrist  Nach Ablauf der Veranlagungsverjährungsfrist 
Bestand der subjektiven Steuerpflicht    
- im interkantonalen Verhältnis Vorentscheid des kantonalen Steueramtes Vorentscheid des kantonalen Steueramtes im Nachsteuerverfahren (Abteilung Spezialdienste)
- im internationalen Verhältnis Vorentscheid des kantonalen Steueramtes Vorentscheid des kantonalen Steueramtes im Nachsteuerverfahren (Abteilung Spezialdienste)
- im interkommunalen Verhältnis Entscheid des Gemeindesteueramtes (unter Vorbehalt der rechtzeitigen Anmeldung) Entscheid des Gemeindesteueramtes (unter Vorbehalt der rechtzeitigen Anmeldung)
Umfang der subjektiven Steuerpflicht    
- beschränkte oder unbeschränkte kein Vorentscheid (Entscheid mit Festsetzung der Steuerfaktoren) kein Vorentscheid (Entscheid mit Festsetzung der Nachsteuer)

D. Durchführung des Verfahrens

I. Grundsatz

26 Die Anknüpfungspunkte, die eine Inanspruchnahme der Steuerhoheit rechtfertigen, sind als steuerbegründende Umstände grundsätzlich von den Steuerbehörden nachzuweisen. Wenn der Steuerpflichtige die Steuerhoheit anerkennt, erübrigen sich weitere Untersuchungen. Bei bestrittener Steuerhoheit kann diese jedoch nicht ohne weiteres in Anspruch genommen werden.

II. Untersuchungspflicht bei bestrittener Steuerhoheit

27 Die zuständige Steuerbehörde muss die tatsächlichen Verhältnisse, die zu einer Beanspruchung der Steuerhoheit führen, von sich aus untersuchen. Sie darf sich dabei auf Indizien stützen und auf nach Aussen in Erscheinung tretende Fakten abstellen, die aufgrund natürlicher Vermutung oder allgemeiner Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass eine subjektive Steuerpflicht im Kanton bzw. in der Gemeinde begründet wurde.

28 Für die Inanspruchnahme der unbeschränkten Steuerpflicht kommen als solche Indizien insbesondere in Frage:

  • das Zurverfügunghalten einer Wohnung,
  • ein länger andauernder Aufenthalt im Kanton bzw. in der Gemeinde.

29 Anknüpfungspunkte für die Inanspruchnahme einer beschränkten Steuerpflicht bilden namentlich

  • der Erwerb einer Liegenschaft,
  • die Miete von Geschäftsräumlichkeiten oder die Entwicklung von Geschäftsaktivitäten.

30 Dem Steuerpflichtigen sind die Fakten, die im konkreten Fall auf eine subjektive Steuerpflicht im Kanton bzw. in der Gemeinde schliessen lassen, zu unterbreiten. Der Steuerpflichtige erhält damit seinerseits die Gelegenheit darzutun, weshalb entgegen dem äusseren Anschein keine subjektive Steuerpflicht begründet wurde.

31 Verzichtet der Steuerpflichtige auf Einwendungen, können die Steuerbehörden auf den äusseren Anschein abstellen und die Steuerhoheit in Anspruch nehmen.

32 Bringt der Steuerpflichtige jedoch Tatsachen vor, aus denen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht mehr auf eine subjektive Steuerpflicht im Kanton bzw. in der Gemeinde geschlossen werden kann, muss die zuständige Steuerbehörde die Untersuchung fortführen. Dabei ist insbesondere die Bundesgerichtspraxis zum steuerrechtlichen Wohnsitz bei Wochenaufenthaltern zu beachten (vgl. BGE 125 I 54, 123 I 189 sowie Locher, Die Praxis der Bundessteuern, III. Teil: Doppelbesteuerung, § 3, I A und B).

III. Anforderungen an den Entscheid über die Steuerhoheit

33 Die Voraussetzungen der Steuerhoheit sind zwar für jedes Steuerjahr gesondert zu prüfen. Es ist aufgrund der Rechtsprechung aber zulässig, die Steuerhoheitsentscheide für mehrere Steuerjahre in einer einzigen Verfügung zusammenzufassen. Die vom Entscheid betroffenen Steuerjahre sind konkret und abschliessend zu bezeichnen (RK I, 25.4.1996, I 36/1994).

34 Der Steuerhoheitsentscheid muss begründet werden. Es ist im Entscheid darzulegen, aufgrund welcher konkreten Anhaltspunkte die Steuerhoheit in Anspruch genommen wird.

35 Wie der Einschätzungsentscheid selber ist auch der Steuerhoheitsentscheid mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen.

IV. Rechtsmittel

1. Entscheid über die kantonale Steuerhoheit

36 Der Vorentscheid des kantonalen Steueramtes über die kantonale Steuerhoheit kann mit den gleichen Rechtsmitteln angefochten werden wie der Einschätzungsentscheid selber. Gegen den Steuerhoheitsentscheid kann somit Einsprache beim kantonalen Steueramt, anschliessend Rekurs bei der Rekurskommission und schliesslich Beschwerde beim Verwaltungsgericht erhoben werden.

37 Gegen einen Vorentscheid, der im Rahmen eines Nachsteuerverfahrens erlassen wurde, steht dem Steuerpflichtigen wie gegen den Entscheid über die Nachsteuer selber die Möglichkeit eines Rekurses beim Verwaltungsgericht offen.

38 Wird eine Verletzung des interkantonalen Doppelbesteuerungsverbotes nach Art. 46 Abs. 2 BV gerügt, kann der Vorentscheid vom Steuerpflichtigen zudem mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden. Der kantonale Rechtsmittelweg braucht in diesem Fall nicht ausgeschöpft zu werden. Der Steuerhoheitsentscheid des kantonalen Steueramtes ist auch direkt beim Bundesgericht anfechtbar (Art. 86 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege [OG]).

39 Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Vorentscheid ist definitiv über die Frage der Steuerhoheit entschieden. Im nachfolgenden Veranlagungsverfahren kann darauf nicht mehr zurückgekommen werden.

2. Entscheid über die kommunale Steuerhoheit

40 Die Bestimmungen über das Einsprache- und Rechtsmittelverfahren bei Einschätzungen für die Staatssteuern gelten nach § 192 Abs. 2 und § 196 sinngemäss auch für die Anfechtung von Entscheiden der Gemeindesteuerämter über die kommunale Steuerpflicht. Der Steuerpflichtige kann gegen einen solchen Entscheid zunächst Einsprache beim Gemeindesteueramt erheben und den Einspracheentscheid mit Rekurs an die Rekurskommission und Beschwerde an das Verwaltungsgericht weiterziehen.

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