Wo die Baubranche auf dem Weg zu Netto-Null steht

Was und wie wir bauen hat einen grossen Einfluss darauf, ob wir das Netto-Null-Ziel erreichen. Die unvermindert hohe Bautätigkeit und damit verbunden die Herstellung, der Transport und die Entsorgung von Baumaterialien verursachen einen massgeblichen Anteil der direkten und indirekten Treibhausgasemissionen. Ob und wie wir klimaneutral bauen können, ist deshalb eine wichtige Frage. Wir haben fünf Expertinnen und Experten gefragt, wo wir stehen.

Klimaneutral bauen: Materialien reduzieren, wiederverwenden und klimaneutral herstellen 

Matthias Sulzer, Departementsleiter «Ingenieurwissenschaften» an der Empa  

In Städten fallen 95 Prozent der von Menschen hergestellten Materialien an. Die Baubranche trägt massgeblich zu diesem Ressourcenverbrauch bei und spielt somit eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel, insbesondere aufgrund der grauen CO2-Emissionen. Nicht nur die Umstellung auf erneuerbare Energien für den Betrieb von Gebäuden ist von grosser Bedeutung, auch die verwendeten Baumaterialien und Bauprozesse müssen klimagerecht gestaltet werden.   

Zirkuläre Materialflüsse und nachhaltige Baumaterialien

Zunächst sollten wir mit weniger Materialien bauen und schlankere Bauformen planen. Zudem gilt es, bestehende Gebäude bzw. deren Strukturen länger zu nutzen. Bei Renovierungen sind zirkuläre Materialflüsse entscheidend: Bauelemente sollten wiederverwendet und Baustoffe recycelt werden.    

Bei der Auswahl der Materialien sollte die Klimaverträglichkeit im Vordergrund stehen. Herkömmlicher Beton etwa trägt erheblich zu den grauen CO2-Emissionen bei, da die Zementproduktion grosse Mengen Kohlendioxid durch energieintensive Prozesse und chemische Reaktionen freisetzt. Der Fokus soll künftig auf nachhaltigeren Materialien liegen: Holz und Lehm finden bereits heute erfolgreich Anwendung in Hochhäusern. Die Beimischung von recyceltem Beton kann mittlerweile standardmäßig bestellt werden. Und der innovative «Limestone Calcined Clay Cement» mit reduziertem Klinkergehalt wird bereits in der Schweiz produziert und reduziert die grauen CO2-Emissionen um bis zu 40 Prozent.   

Innovative Technologien und Forschung sind entscheidend

Zukünftig könnten CO2-negative Baustoffe, die Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden, helfen, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu senken, um das 1,5°C-Ziel zu erreichen. In unseren Laboren können wir heute Kohlenstoff aus Pyrolyseprozessen in Beton und Asphalt einmischen und einzelne Bauteile für Tests und Demonstrationen herstellen. 

Wenn wir unsere Städte mit erneuerbarer Energie versorgen und klimapositiv bauen, können sie sich von Klimaverschmutzern zu Klimaschützern wandeln. Dies erfordert jedoch kontinuierliche Materialforschung und innovative Technologien, um neue, klimagerechte Baustoffe und Bauweisen schnell und effektiv einzuführen.

Blick in einen grossen, hellen Raum des Schulhauses Lätten in Fällanden. Gut sichtbar sind verschiedene Holzmodule und Holzkonstruktionen.
Bauen mit Holz: Das Schulhaus für Kindergärten und Tagesbetreuung Lätten in Fällanden besteht aus vorgefertigten Holzmodulen. Quelle: ZUP / Roland Bernath

Elektrisch und zirkulär: Die fast vollständig klimaneutrale Baustelle ist möglich  

Anita Eckardt, Head Division Specialties und Mitglied des Implenia Executive Committee  

Die Baustelle der Zukunft ist CO2-frei: Die Aktivitäten und Abläufe sind so gestaltet, dass keine oder nur minimale CO2-Emissionen entstehen. Erreicht wird dies unter anderem durch den Einsatz von elektrisch, mit Ökostrom betriebenen Maschinen oder auch HVO (Hydrotreated Vegetable Oils) anstatt von Diesel und mit nachhaltigen, möglichst lokal bezogenen Baumaterialien.    

Grundsätzlich ist es bereits heute möglich, eine Baustelle vollständig zu elektrifizieren. Die Beschaffung elektrischer Baumaschinen und Fahrzeuge ist aber oft mit höheren Kosten verbunden und sie sind nicht immer zum richtigen Zeitpunkt und in der benötigten Ausprägung verfügbar. Zudem bedingt eine elektrische Baustelle eine zuverlässige Infrastruktur sowie eine ausreichende Stromversorgung. Bei staatlichen Bauprojekten könnten die Behörden unterstützend wirken, indem sie etwa den Baustellenstrom zur Verfügung stellen. Dadurch könnten sie einen Anreiz bei einem zentralen Kostenfaktor für das Bauunternehmen setzen. Gleichzeitig wächst der Markt für elektrisch angetriebene Maschinen und Fahrzeuge im Zuge der technologischen Entwicklung.    

Zirkularität auf der Baustelle vorantreiben

Wichtig für klimafreundliches Bauen ist auch die Kreislaufwirtschaft: Auf einer zirkulären Baustelle werden Baumaterialien am Ende ihrer Lebensdauer nicht einfach entsorgt, sondern rezykliert und wiederverwendet. Zirkuläres Bauen setzt auf die gezielte Rückgewinnung von Bauressourcen aus Abfallmaterialien sowie eine optimierte Nutzung vorhandener Materialien. Dies schont die Umwelt und reduziert Abfall. Staatliche Bauträger könnten dies fördern, indem sie in ihren Ausschreibungen zirkuläre Baulogistikleistungen verlangen. In der Schweiz ist das noch nicht Standard, würde aber eine effiziente Verwertung von Materialien ermöglichen.   

Kantonale Bauten: Vom nachhaltigen Betrieb zur nachhaltigen Erstellung  

Kathrin Sindelar, Leiterin Fachstelle Nachhaltigkeit im Hochbauamt Kanton Zürich 

Die kantonalen Bauten haben in den letzten Jahren hinsichtlich Nachhaltigkeit bedeutende Fortschritte erzielt, etwa bei der Optimierung der Betriebsenergie, der Nutzung von Recyclingbeton oder dem Ausbau von Photovoltaikanlagen.    

Nun liegt der Fokus auf der Reduktion der Treibhausgasemissionen in der Erstellung – durch gezielte Materialwahl, Bauteilwiederverwendung und den Erhalt der bestehenden Gebäudesubstanz. Darüber hinaus untersuchen wir ämterübergreifend, wie Gebäude langfristig CO2 speichern können. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz von Beton, der mit Pflanzenkohle angereichert ist, in Pilotprojekten. Weiteres Entwicklungspotential liegt in den Aussenräumen, v.a. hinsichtlich Hitzeminderung und Mikroklima. Unsere Herausforderungen sind, CO2-Einsparungen attraktiver zu machen, Nachhaltigkeit in der Beschaffung stärker zu gewichten und effiziente Prozesse für kreislauforientiertes Bauen zu etablieren. 

Mit Building Information Modeling (BIM) wollen wir Bauteile zukünftig systematisch erfassen. So werden Gebäude zu langfristigen Ressourcenspeichern, die eine spätere Wiederverwendung ermöglichen. 

Das aus Holz gebaute Sporthallenprovisorium Gloriarank der Uni Zürich. Man sieht die Holzfassade der oberen zwei Stockwerke inkl. mehrerer Fenster
Im Fokus: Die Reduktion der Treibhausgasemissionen in der Erstellung durch gezielte Materialwahl. Wie hier beim Sporthallenprovisorium Gloriarank der Universität Zürich. Architektur: Itten+Brechbühl AG. Quelle: Fabian Guggenbühl, Hochbauamt Kanton Zürich

Projektabwicklungsmodelle: Schlüssel für eine nachhaltige Bauwirtschaft 

Joris van Wezemael, Strategieberater für urbane Transformation, Inhaber de plek GmbH

Für nachhaltige und kreislauffähige Bauprojekte braucht es gute und effiziente Prozesse: Die organisatorischen und prozessualen Strukturen für Bauprojekte werden üblicherweise in Projektabwicklungsmodellen festgelegt. Sie definieren, wie Akteure zusammenarbeiten und Entscheidungen treffen.   

Dafür gibt es verschiedene Methoden: Das traditionelle, lineare Phasenmodell zerlegt den Bauprozess in isolierte Schritte, die nacheinander abgearbeitet werden. Diese Fragmentierung verhindert ganzheitliches Lebenszyklusdenken und behindert die Berücksichtigung von Kreislaufwirtschaft. Synergien zwischen Planung und Ausführung bleiben ungenutzt, Rückbaubarkeit und Ressourceneffizienz werden vernachlässigt.  

Integrierte Modelle wie Design-Build ermöglichen dagegen eine frühe, enge Zusammenarbeit aller Akteure. Dies ist entscheidend für Kreislaufwirtschaft: Ein Design, das Zerlegbarkeit und Wiederverwendung ermöglicht, erfordert modulare Komponenten, die leicht demontiert und erneut verwendet werden können. Lebenszyklusbewertung und Ressourceneffizienz optimieren nachhaltige Materialien und Bauweisen von der Planung bis zum Rückbau.  

Kreislauffähige Lösungen sind bekannt, jedoch liegt der Schlüssel in effektiven Entscheidungsprozessen und Anreizsystemen, die eine breite Umsetzung fördern. Dies setzt voraus, dass Material- und Konstruktionsentscheidungen früh und integriert erfolgen. Ein durchgängiges Informationsmanagement über Entwicklung, Design, Bau, Betrieb, Rückbau und Wiederverwendung ist dafür essenziell.  

Gratwanderung – nachhaltige Sanierung statt Neubau 

Stefan Schädle, Mitglied der Geschäftsleitung der BVK, der Pensionskasse des Kantons Zürich   

Ob eine in die Jahre gekommene Liegenschaft saniert oder durch einen Neubau ersetzt werden soll, ist eine komplexe Abwägung. Bei der BVK werden dafür grundsätzlich die Qualität der bestehenden Bausubstanz, die Möglichkeiten für alternative Energieträger und die nötigen Anpassungen an die aktuellen Gesetze und Normen – Stichworte Statik und Verdichtung – geprüft. Nach der Vorprüfung werden die Umsetzungsvarianten unter Einbezug von ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien im Team beurteilt und eine sozialverträgliche Umsetzung angestrebt. Dabei hat die Gewichtung der grauen Energie an Bedeutung gewonnen.   

Ein Beispiel wurde kürzlich in Volketswil fertiggestellt. Die BVK hat sich bei den drei Gebäuden nach der Analyse für eine Sanierung mit Aufstockung entschieden. Für den Grossteil der Energie sorgen neu Wärmepumpen und eine Photovoltaikanlage. Nebst besser gedämmter Fassade, neuen Fenstern und sanierten Küchen sowie Nasszellen entstanden rollstuhlgängige und altersgerechte Wohnungen. Die CO2-Emissionen konnten von 24,6 Kilogramm pro Quadratmeter Energiebezugsfläche auf 5,7 Kilogramm reduziert werden. Bei der Energieeffizienz resultiert eine Verbesserung von 48 Prozent. Die Häuser sind nun SNBS-Gold zertifiziert.   

Die Umsetzung fand in Etappen statt. Die Mietparteien konnten über Rochaden ihre Wohnungen wieder beziehen. Der Weg ohne Leerkündigung ist indes aufwändig und bedingt allseits Flexibilität und Kompromissbereitschaft. 

Eine sanierte Überbauung mit drei Mehrfamilienhäusern in Volketswil. Auf den Dächern sind Photovoltaikanlagen, rundherum viel Grün.
Die sanierte Siedlung am Mythenweg in Volketswil. Quelle: BVK

Nachhaltig bauen – das können die Gemeinden tun

Vorteile:

  • Gemeinden können als öffentliche Bauherrschaften in ihren Verfahren und Ausschreibungen Aspekte wie Kreislauffähigkeit, Recycling und die Elektrifizierung der Baustelle berücksichtigen. 
  • Gemeinden begleiten private Bauträgerschaften bei Projekten und können diese im Rahmen von Beratungen für nachhaltiges Bauen sensibilisieren.

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