Schwammstadt – grün, blau und grau gemeinsam denken
Mitteilung 08.04.2025
Was steckt hinter dem Konzept der Schwammstadt? Wie können Kanton und Gemeinden ihre Umsetzung vorantreiben? Die Expertinnen und Experten Bettina Walch (Plan Biodivers), Andrea Saluz (Grün Stadt Zürich), Thomas Stoiber (Sektion Klima und Mobilität AWEL) und Stefan Schmid (Sektion Siedlungsentwässerung AWEL) erläutern, wie Städte klimaresilienter werden können und welche Herausforderungen es zu meistern gilt, um das Potenzial der Schwammstadt voll auszuschöpfen.

Was bedeutet «Schwammstadt»?
Thomas Stoiber: Das Konzept der Schwammstadt verfolgt das Ziel, einen natürlichen Wasserkreislauf im Siedlungsraum zu etablieren. Anstatt Regenwasser schnell abzuleiten, soll es vermehrt versickern und verdunsten. Nach dem Prinzip «Grün und Blau statt Grau» werden Grün- und Wasserflächen anstelle versiegelter Flächen geschaffen. Begrünte Dächer, Fassaden und Pärke verbessern das Stadtklima und helfen, Trockenperioden zu überbrücken. Wie ein Schwamm soll die Stadt Wasser aufnehmen und später wieder abgeben.
Bettina Walch: Der Klimawandel zwingt uns, beim Wassermanagement umzudenken. Hitzetage, Tropennächte, Trockenperioden nehmen zu, Starkregenereignisse überlasten die Kanalisation und verschmutzen unsere Gewässer. Bisher wurde Wasser möglichst schnell abgeleitet – neu soll es vor Ort gehalten, versickert und gezielt genutzt werden. Dieser Paradigmenwandel muss auf allen politischen Ebenen sichtbar werden, in Bauvorschriften und Stadtplanungen. Eine ökologische, ganzheitliche Umsetzung schafft nicht nur Nachhaltigkeit, sondern verbessert auch das Stadtklima und die Lebensqualität, indem mehr Grünflächen für Verdunstungskühle und ein angenehmeres Mikroklima sorgen.
Stefan Schmid: Im AWEL befassen wir uns seit Jahrzehnten mit der nachhaltigen Wassernutzung. Seit der Einführung des Gewässerschutzgesetzes 1991 gilt das Prinzip, Regenwasser versickern zu lassen, um den Wasserkreislauf zu unterstützen. Heute erfährt das Thema ein Momentum, das wir nutzen müssen. Im Kanton Zürich fällt im Jahr rund ein Meter Niederschlag – das ist eigentlich genug Wasser, um sich damit für Trocken- oder Hitzeperioden wappnen zu können. Entscheidend ist, dass wir es effizient speichern und nutzen. Die Generelle Entwässerungsplanung, die kontinuierlich weiterentwickelt wird, bildet eine wichtige Grundlage für ein zukunftsfähiges Wassermanagement.
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«Der Klimawandel zwingt uns beim Wassermanagement umzudenken. Dieser Paradigmenwandel muss nicht nur auf politischer Ebene sichtbar werden, sondern auch bei den Privaten ankommen. Nur gemeinsam können wir das Schwammstadtprinzip umsetzen.»
Bettina Walch, Geschäftsführerin Plan Biodivers GmbH
Wo setzt die Stadt Zürich an, um sich zu einer Schwammstadt zu entwickeln?
Andrea Saluz: Wir verfolgen in der Stadt Zürich zwei Ansätze: Zum einen das Bottom-up-Prinzip, bei dem kurzfristig Schwammstadtelemente wie entsiegelte Parkplätze umgesetzt werden. Zum anderen das Top-down-Prinzip im Sinne einer gesamtheitlichen Stadtplanung. Dabei geht es um natürliche Wasserflüsse, Topografie und die Anpassung von Bau- und Zonenordnungen – ein langfristiger Prozess mit politischen Entscheidungen, Ziel- und Interessenskonflikten. Aktuell setzen wir in der Stadt Zürich deshalb auf schnell realisierbare Einzelmassnahmen. Ein Fachplan für Regenwasser im Siedlungsraum ist in Arbeit, ergänzt durch bestehende Konzepte und Fachplanungen für Hitzeminderung und Stadtbäume. Die Umsetzung erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit und integrale Planung.
Wie können Kanton und Gemeinden die Schwammstadt gezielt vorantreiben?
Thomas Stoiber: Die öffentliche Hand muss mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn Kanton und Gemeinden das Schwammstadtprinzip nicht selbst umsetzen, können wir nicht erwarten, dass private Immobilienfirmen es freiwillig tun. Die öffentliche Bauherrschaft hat erheblichen Einfluss, besonders bei Vergabeprozessen. Planungs- und Architekturbüros sollten stärker für das Thema sensibilisiert werden. Gemeinden spielen hier eine zentrale Rolle, da sie direkter mit den Bauherrschaften arbeiten. Der Kanton unterstützt sie schon bald durch ein Informationsprogramm, um das nötige Know-how aufzubauen. Auch gesetzliche Vorgaben, wie die Entsiegelung des Gebäudeumschwungs im Planungs- und Baugesetz, sind wichtig, um die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Daneben haben wir für die kantonalen Bauten Standards Nachhaltigkeit für Bauprojekte.
Andrea Saluz: Die aktive Förderung ist ebenfalls entscheidend. Die Stadt Zürich unterstützt Stadtbegrünung und blau-grüne Infrastruktur durch das Förderprogramm Stadtgrün. Wir übernehmen bis zu 50 Prozent der Kosten für konkrete Projekte von Privatpersonen und Unternehmen. Auch Beratungsangebote sind wichtig, um die Akzeptanz und Umsetzung von Massnahmen zu fördern.
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«Die öffentliche Hand muss mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn Kanton und Gemeinden das Schwammstadtprinzip nicht umsetzen, können wir nicht erwarten, dass private Immobilienfirmen es tun. »
Thomas Stoiber, Co-Leiter Sektion Klima und Mobilität im AWEL
Welche Elemente und Massnahmen sind zentral für das Konzept der Schwammstadt, und wo gibt es Herausforderungen?
Thomas Stoiber: Ein zentrales Element ist die Entsiegelung des Gebäudeumschwungs, die nun im neuen Planungs- und Baugesetz gesetzlich verankert ist. Ab sofort ist sie im Baubewilligungs-verfahren Pflicht – ein wichtiger Schritt für die Schwammstadt. Ebenso wichtig sind Dach- und Fassadenbegrünungen, idealerweise in Kombination mit Photovoltaik. Ein oft unterschätztes Thema ist die Unterbauung. Wenn Areale komplett unterbaut werden und nur 50 cm Boden aufgebracht werden, ist kein Baumwachstum möglich. In diesem Bereich ist leider noch zu wenig Bewegung.
Bettina Walch: Neben dem genannten sind auch die Gebäudeabstände ein wichtiges Thema, insbesondere in Bezug auf die Bäume. Die Stadt Zürich strebt an, dass bis 2050 ein Viertel der Fläche von Bäumen beschattet wird, gleichzeitig verschwinden viele alte Gärten durch die Verdichtung. Hier gibt es einen Zielkonflikt: Wo sollen die Bäume hin? Da halte ich klare, «von oben» verordnete Bestimmungen für nötig, und ich hoffe sehr, dass der neue Baumschutz in der BZO hilft. Ohnehin treffen wir im Konzept Schwammstadt auf Problemstelllungen, die sich sehr dynamisch entwickeln, während die Vorgaben und Normen hinterherhinken. Da erlebe ich eine sympathische Bereitschaft bei den Behörden, gemeinsam mit der Bauherrschaft innovative Wege zu gehen.
Andrea Saluz: Das ist eine Herausforderung, liegt aber in der Natur der Sache: Vorgaben und Normen sind immer der Abschluss eines Prozesses. Aus heutiger Sicht könnten viele bestehende Gesetze auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene gerade im Hinblick auf Schwammstadt- Bauweisen von einer Aktualisierung profitieren. Bei der Umsetzung von Projekten stützt man sich auf Normen und gesetzliche Vorgaben. Wenn diese hinter den aktuellen Entwicklungen zurückbleiben, verhindert das eine innovative Umsetzung, und der ganze Prozess verlangsamt sich.
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«Es herrscht echter Pioniergeist. Aber wir dürfen nicht in blinden Aktionismus verfallen. Kontrollinstanzen und Normen haben besonders im Gewässerschutz einen wichtigen Schutzcharakter. »
Andrea Saluz, Leiter Koordination Stadtbäume, Grün Stadt Zürich
Wo seht ihr aktuell das grösste Potenzial für Schwammstadtmassnahmen?
Bettina Walch: Grosses Potenzial liegt bei den privaten Haus- und Liegenschaftsbesitzern, die mehr Fläche besitzen als die öffentliche Hand. Daher ist es wichtig, sie für das Thema Schwammstadt zu sensibilisieren und zu überzeugen. Gemeinden und Kantone können hierbei unterstützen. Ein gutes Beispiel ist die Stadt Winterthur: Diese bietet unter anderem einen Schwammstadtrundgang für die Bevölkerung an, und neu gibt es auch kostenlose Erstberatungen für private Grundbesitzerinnen und -besitzer, die etwa ihren Parkplatz oder Hinterhof entsiegeln und begrünen möchten. Es braucht eine Kombination aus Anreizen, Vorgaben und Freiwilligkeit.
Stefan Schmid: Wir setzen bei den Gemeinden an. Mitarbeitende der Sektion Siedlungsentwässerung des AWEL besuchen regelmässig zahlreiche Gemeinden, um sie über die Generelle Entwässerungsplanung und deren Umsetzung, auch im Liegenschaftsbereich, zu informieren. Dabei geht es darum, den aktuellen Stand der Gemeinde zu erfassen, Ziele festzulegen und notwendige Anpassungen zu identifizieren. Diese Vor-Ort-Information ist aufwändig, aber wichtig, da wir so sowohl die Gemeindemitarbeitenden als auch ihre politischen Vorgesetzten erreichen. Ziel ist es, dass Gemeinden in ihren Baugesuchen blau-grüne Infrastruktur und Schwammstadtelemente einfordern.
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«Neue Lösungen für den Umgang mit Regenwasser sind nötig, um den Siedlungsraum an heutige Bedürfnisse anpassen zu können, ohne das Grundwasser für kommende Generationen zu gefährden.»
Stefan Schmid, Leiter Sektion Siedlungsentwässerung im AWEL
Die Schwammstadt war ein zentrales Thema der ersten Zürcher Klimatagung, auf der sich im Januar Fachleute aus verschiedenen Disziplinen trafen. Was ist Euer Eindruck, wo der Kanton Zürich in Sachen Schwammstadt steht?
Andrea Saluz: Ich habe selten ein Thema erlebt, das so wohlwollend von verschiedenen Disziplinen unterstützt wird. Es scheint, das Vorantreiben des Schwammstadtprinzips hilft, das Silo-Denken zu überwinden, zumindest im Planungsbereich. Es herrscht echter Pioniergeist, aber wir befinden uns noch innerhalb einer «Bubble» aus Fachleuten, die es nun zu öffnen gilt. Trotzdem dürfen wir nicht in blinden Aktionismus verfallen und womöglich Folgeprobleme schaffen. Denn Kontrollinstanzen und Normen haben besonders im Gewässerschutz einen wichtigen Schutzcharakter. In der Stadt Zürich gibt es enormes Potenzial, um Wasser effizient zu nutzen. Dafür ist ein Umdenken notwendig, bei dem verschiedene Interessen zusammengebracht werden müssen.
Bettina Walch: Die Zusammenarbeit zwischen Kanton, Gemeinden, Wissenschaft, Architektur und Privatsektor ist beim Thema Schwammstadt beispielhaft. Entscheidungsträger, Behörden und Verwaltung haben das Thema aber noch nicht überall ausreichend erkannt. Wir müssen die Co-Benefits der Schwammstadt – wie Hochwasserschutz, Gesundheit, Allgemeinwohl, schönere Lebensräume und soziale Sicherheit – deutlicher aufzeigen.
Stefan Schmid: Bei den «klassischen» Aufgaben, wie der Versickerung von Regenwasser, sind wir im Kanton Zürich gut aufgestellt. Bei der gezielten Nutzung von Wasser, zum Beispiel für Strassenrabatten und Bäume, stehen wir jedoch erst am Anfang. Dies hat historische Gründe, da Strassenabwasser oft verschmutzt ist, was dessen Nutzung erschwert. Der Schutz des Grundwassers, unseres Trinkwassers, ist seit jeher zentral. Erst in den letzten Jahren gibt es neue Lösungen zur sicheren Nutzung von Strassenabwasser. Diese Entwicklungen sind wichtig, um den Schutz des Grundwassers für künftige Generationen zu sichern und gleichzeitig den Siedlungsraum an heutige Bedürfnisse anzupassen. Wir sind im Kanton Zürich zum Glück gut vernetzt und profitieren von der Nähe zu Forschungsanstalten, die uns helfen, neues Wissen umzusetzen.
Hilfreiches und Wissenswertes rund um die Schwammstadt
