«Ein finanziell solider Kanton, der seine Investitionen stemmen kann, ist im Interesse der Gemeinden»

Der Kanton Zürich ist finanziell gefordert. Er kann derzeit seine Investitionen nicht aus eigener Kraft finanzieren, und Aufwandverschiebungen von den Gemeinden zum Kanton schränken seinen Spielraum ein. Finanzdirektor Ernst Stocker macht vor allem die weitere Finanzierung der Infrastruktur Kopfzerbrechen, wie er sagt.

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Portraitaufnahme von Regierungsrat Ernst Stocker
Mit der Investitionspriorisierung sei der Schuldenaufbau bis 2028 halbiert worden, sagt Finanzdirektor Ernst Stocker. Quelle: Staatskanzlei

Der Regierungsrat lässt prüfen, wie der Kanton am Ertrag der Grundstückgewinnsteuer beteiligt werden könnte. Warum dieser Auftrag?

Ernst Stocker: Unsere hervorragende Infrastruktur ist eine der grossen Stärken des Standorts Zürich. Um die Finanzierung der künftigen Vorhaben zu sichern, brauchen wir neue Lösungen. Denn der Kanton steht vor grossen finanziellen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund kamen wir auf die Grundstückgewinnsteuer.

Wie ist die finanzielle Lage des Kantons?

Der Kanton kann derzeit seine Investitionen nicht aus eigener Kraft finanzieren. 2023 musste er erstmals seit acht Jahren wieder zusätzliche Schulden aufbauen, und zwar um 359 Millionen Franken. Der Selbstfinanzierungsgrad des Budgets 2024 fiel unter 50 Prozent. Zudem waren die Aussichten düster. Laut der Planung 2024-2027 hätten sich die Schulden in vier Jahren fast verdoppelt.
 

Wie hat der Regierungsrat reagiert?

Um einen stetigen und dauerhaften Anstieg der Verschuldung zu verhindern, unterzog der Regierungsrat erstmals alle Investitionsvorhaben einer Priorisierung. In den nächsten zwei Jahren werden hauptsächlich noch Vorhaben vorangetrieben, die schon beschlossen sind, schon gebaut werden oder aus Sicherheitsüberlegungen zwingend notwendig sind. Ab 2027 greift dann die Priorisierung. Die übrigen, vorerst nicht berücksichtigten Investitionsvorhaben werden allerdings nicht gestoppt, sondern in der nächsten Planungsrunde neu beurteilt.
 

Entwicklung der Nettoschulden I

Das Säulendiagramm zeigt die Entwicklung der Verschuldung
Gemäss dem Finanzplan 2024-2027 hätte die Verschuldung ohne Gegensteuer rasant zugenommen. Quelle: Finanzdirektion

Heisst das, dass der Kanton jetzt spart?

Der Kanton hat schon immer sämtliche Investitionen auf ihr Kosten-/Nutzen-Verhältnis geprüft. Die Sparsamkeit der Haushaltsführung ist ein wichtiger gesetzlich verankerter Grundsatz. Trotz Investitonspriorisierung bewegen sich die Investitionen weiterhin auf hohem Niveau. In der Finanzplanung sind im Schnitt Investitionen von rund 1,3 Milliarden Franken eingestellt. Zum Vergleich: Von 2020 bis 2023 bewegten sich die Investitionsausgaben im Schnitt auf dem gleichen Niveau. Mit der Investitionspriorisierung konnte der Schuldenaufbau bis 2028 auf rund 1,5 Milliarden Franken halbiert werden.
 

«Wir stellen vermehrt fest, dass bereits die Planung von Infrastrukturvorhaben zu höheren Quadratmeterpreisen führt.»

Worauf geht das hohe Investitionsvolumen zurück?

Ein wichtiger Faktor ist das Bevölkerungswachstum. Die Zürcher Bevölkerung ist im vergangenen Jahrzehnt rund 1,2 Prozent pro Jahr gewachsen. Zürich ist gemessen am Medianalter der jüngste Kanton der Deutschschweiz. Gerade in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Verkehr investiert der Kanton Zürich stark. Neben dem Wachstum darf aber eines nicht vergessen werden.
 

Nämlich?

Unser finanzieller Spielraum wird auch durch Aufwandverschiebungen von den Gemeinden an den Kanton reduziert. Das sind die Folgen verschiedener Gesetzesbeschlüsse, zum Beispiel zu den Zusatzleistungen, zum Strassenunterhalt, zum Finanzierungsschlüssel der Kinder- und Jugendheime oder zu den Musikschulen. Seit 2022 fliessen so 278 Millionen Franken pro Jahr vom Kanton an die Gemeinden, was rund vier Steuerfussprozenten entspricht.
 

Die Beteiligung an der Grundstückgewinnsteuer wird wegen der Finanzierung der Infrastrukturvorhaben geprüft. Wo liegt da die Herausforderung?

Wir stellen vermehrt fest, dass bereits die Planung solcher Vorhaben durch den Kanton zu höheren Quadratmeterpreisen in der jeweiligen Umgebung führt. Das bedeutet für uns konkret: Der Landerwerb wird teurer und senkt damit die Wirtschaftlichkeit dieser Projekte.
 

«Überall in der Schweiz sind die Kantone am Ertrag der Grundstückgewinnsteuer zumindest beteiligt – nur Zürich und Zug bilden Ausnahmen.»

Worin besteht die Verbindung zu den Grundstückgewinnsteuern?

Die höheren Landpreise führen zu höheren Grundstückgewinnsteuern. Und diese fallen zu hundert Prozent bei den Gemeinden an. Der Kanton finanziert somit Vorhaben, die zu besseren Siedlungserschliessungen und zu höheren Grundstückgewinnsteuern führen, ist aber an diesen Erträgen nicht beteiligt. Der Regierungsrat möchte deshalb wissen, ob die heutige Lösung noch zeitgemäss ist.
 

Wie hoch sind die Erträge aus der Grundstückgewinnsteuer?

Im Jahr 2023 lag der Gesamtertrag über alle Zürcher Gemeinden bei 1,255 Milliarden Franken. Seit 2008 hat sich der Ertrag verdreifacht. Es handelt sich also insgesamt um eine stattliche Summe. Man muss sich aber auch vor Augen halten: Über 15 Jahre betrachtet macht der Ertrag aus der Grundstückgewinnsteuer bei einer Mehrheit der Gemeinden unter zehn Prozent aus.
 

Die Grundstückgewinnsteuer geht vollumfänglich an die Gemeinden. Ist das in anderen Kantonen auch der Fall?

Nur noch im Kanton Zug. Der Kanton Zürich und er bilden die Ausnahmen. Überall sonst in der Schweiz sind die Kantone am Ertrag zumindest beteiligt. In fünf Kantonen fliesst die Grundstückgewinnsteuer ganz an den Kanton.
 

Wie sieht das weitere Vorgehen aus?

Im ersten Quartal 2025 wird die Vernehmlassungsvorlage zur entsprechenden Änderung des Steuergesetzes ausgearbeitet. Die Vernehmlassung ist für das zweite Quartal 2025 geplant. Das Ziel ist, dass der Kantonsrat die Vorlage ab 2026 behandeln kann.
 

Wie wollen Sie die Gemeinden von der Vorlage überzeugen?

Der Kanton Zürich ist ein finanziell robuster Kanton. Die Ratingagentur S&P Global hat das Triple-A und somit die Bestnote unlängst bestätigt. Und Zürich soll ein finanziell solider und starker Kanton bleiben, der genügend Handlungsspielraum für künftige Investitionen in die Bildungs-, Gesundheits- und Verkehrsinfrastruktur hat, und der auch in Krisen reagieren kann. Das liegt auch im Interesse der Gemeinden, und darum geht es.
 

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