Status S im Kanton Zürich: Von Schutzsuchenden zu Arbeitskräften?

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat die Schweiz etwa 60'000 Schutzbedürftige aufgenommen. Davon lebten Ende Juli mehr als 10'000 im Kanton Zürich. Doch wer ist da eigentlich in den Kanton gekommen? Und wie verläuft die Eingliederung in den Arbeitsmarkt, die mit dem Schutzstatus S erleichtert werden sollte? Die Statistiken des Staatssekretariats für Migration (SEM) liefern einige Antworten.

Inhaltsverzeichnis

Das Wichtigste in Kürze

  • Ende Juli 2022 befanden sich gut 10'000 Personen mit Status S im Kanton Zürich. Zurzeit kommen kaum noch neue hinzu.
  • Vor allem Frauen und Minderjährige haben den Status S. Andere Personen des Asylbereichs sind dagegen häufig junge erwachsene Männer.
  • Unter den Personen mit Status S im Kanton Zürich gab es im Juli 2022 etwa 120 unbegleitete Minderjährige.
  • Die Erwerbsbeteiligung der Personen mit Status S gleicht sich dem Niveau entsprechender Personen mit Status F immer mehr an. Die Erwerbstätigenquote im Kanton Zürich liegt Ende Juli 2022 insgesamt bei ca. 11 Prozent.
  • Bei jungen Frauen mit Status S ist die Erwerbstätigenquote inzwischen sogar höher als bei jungen Frauen mit Status F, die weniger als zwei Jahre in der Schweiz sind.  

Der Schutzstatus S nach Artikel 4 des Asylgesetzes wurde am 12. März 2022 durch den Bundesrat aktiviert. Ziel war es, den Geflüchteten aus der Ukraine «schnell und möglichst unbürokratisch Schutz zu gewähren». Allen Personen mit einer gültigen Aufenthaltsberechtigung in der Ukraine kann der Status S in einem vereinfachten Verfahren gewährt werden. Damit verbunden ist u.a. ein erleichterter Familiennachzug, Anspruch auf Asylsozialhilfe und die Möglichkeit, ohne Wartefrist eine bewilligungspflichtige Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Der Status S ist zum vorübergehenden Schutz gedacht und mit einer «Rückkehrorientierung» verbunden. Allerdings deutet der gegenwärtige Kriegsverlauf in der Ukraine nicht auf eine schnelle Beendigung des Konflikts hin. Eine längere Aufenthaltsdauer ist für die Geflüchteten aus der Ukraine also durchaus wahrscheinlich. Doch ist damit auch ein weiter anhaltender Flüchtlingsstrom verbunden? Wer ist aus der Ukraine zu uns gekommen und wie verteilen sich die Menschen? Und nicht zuletzt: Führt der Wegfall der Wartefrist beim Status S auch zu einer schnelleren Erwerbsbeteiligung? Um diese Fragen zu beantworten, wertet der vorliegende Beitrag monatliche Daten der Asylstatistik und der Ausländerstatistik für den Kanton Zürich aus. Diese werden vom Staatssekretariat für Migration (SEM) bereitgestellt.

Kanton Zürich erfüllt sein Soll

Bis zum 31. Juli 2022 wurden in der Schweiz insgesamt 59'761 Schutzgewährungen ausgesprochen, das entspricht 99 Prozent aller bearbeiteten Gesuche. Dem Kanton Zürich wurden im selben Zeitraum 10'810 Schutzgewährungen zugewiesen. Der Gesamtbestand an Personen mit Status S im Kanton Zürich weicht allerdings leicht davon ab und liegt zum 31. Juli bei 10'330 (10'056 Ukrainerinnen und Ukrainer, 274 Personen mit anderer Staatsangehörigkeit). Dieser Unterschied lässt sich erstens damit erklären, dass in der Zwischenzeit 178 Personen den Schutzstatus wieder verloren haben. Zweitens stammen die Zahlen zu Gewährungen und zum Gesamtbestand aus zwei unterschiedlichen Datenquellen, die nicht immer auf dem gleichen Stand sind und nur zum Teil nachgeführt werden.

                              

Personen mit Status S pro 1'000 Einwohner/innen der ständigen Wohnbevölkerung in den Kantonen der Schweiz, Juli 2022

Balkendiagramm, das die Zahl der Personen mit Status S pro 1000 Einwohner in allen Kantonen und in der Schweiz zeigt. Der Kanton Zürich liegt ganz leicht über dem Schweizerischen Durchschnitt.
Grafik: Statistisches Amt des Kantons Zürich; Quelle: SEM Ausländerstatistik (Bestand zum Monatsende), BfS STATPOP (Bestand Quartal 1/2022). Bild «Balkendiagramm, das die Zahl der Personen mit Status S pro 1000 Einwohner in allen Kantonen und in der Schweiz zeigt. Der Kanton Zürich liegt ganz leicht über dem Schweizerischen Durchschnitt. » herunterladen

Bezogen auf die Wohnbevölkerung kommen im Kanton Zürich auf 1'000 Einwohnerinnen und Einwohner im Juli rund 6.6 Schutzsuchende. Das liegt minimal über dem gesamtschweizerischen Durchschnitt, den nur wenige Kantone merklich überschreiten. Der Kanton Zürich nimmt also ziemlich genau so viele Personen auf, wie nach dem bundesweit geregelten Verteilschlüssel vorgesehen sind. Das sind knapp ein Fünftel (17.9 Prozent) der Personen mit Status S in der Schweiz.

Immer weniger Neuankömmlinge

Verfolgt man die Zahl der Personen mit Status S im Kanton Zürich seit Beginn des Krieges in der Ukraine, so zeigt sich, dass die Zahl der Schutzsuchenden besonders im März und April relativ gross war. Seit Mai sinkt die Zahl der Neuankömmlinge jedoch deutlich. In den ersten zwei Kriegsmonaten sind je rund 4'000 Menschen aus der Ukraine in den Kanton gekommen, im Juli nahm der Bestand hingegen nur noch um 135 Personen zu. Die Bestands-Zahlen lassen jedoch keinen direkten Rückschluss auf Zahl der Zu- und Abwanderungen pro Monat zu. Sie liefern lediglich eine Bilanz zum Monatsende.

                               

Betrachtet man aber die Zahl der monatlich eingegangenen Gesuche und Gewährungen des Status S, bestätigt sich der gewonnene Eindruck. Die meisten Gesuche gingen im März ein, seitdem sinkt die Zahl kontinuierlich (allerdings fehlen hier solche Gesuche, die bei der Gesuchstellung noch keinem Kanton zugewiesen wurden). Die Schutzgewährungen haben im April ihren Höhepunkt erreicht und sinken seitdem ebenfalls stark. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Widerrufe und Erlöschungen des Status S nur minimal zu. Im Juli betraf das nur knapp 90 Personen. Verstetigen sich diese Trends, so dürfte die Gesamtzahl der Menschen mit Status S im Kanton Zürich noch eine gewisse Zeit stabil bleiben.  

Verlust des Schutzstatus S

Gemäss Kapitel C10 des «Handbuch Asyl und Rückkehr» des SEM kann der Status S widerrufen werden, u.a. wenn eine Person im Gesuchsverfahren falsche Angaben macht, die Sicherheit der Schweiz gefährdet oder sich für längere Zeit im Heimatstaat aufgehalten hat. Der Status S erlischt, wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt, auf den Schutz verzichtet, oder eine Niederlassungsbewilligung erhält.

Regionale Verteilung

Innerhalb des Kantons verteilen sich die Menschen mit Status S auf die einzelnen Bezirke weitgehend proportional zu deren Bevölkerungszahl. Demnach befinden sich im Juli die meisten Schutzbedürftigen in den Bezirken Zürich und Winterthur, gefolgt von den Bezirken Horgen, Bülach, Meilen und Uster im Agglomerationsgebiet der Stadt Zürich. Gemeinsam nehmen diese sechs Bezirke fast drei Viertel der Schutzbedürftigen des Kantons auf. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass in der Ausländerstatistik für viele Schutzbedürftige der aktuelle Wohnort nicht bekannt ist. Der Anteil der Personen mit unbekanntem Wohnort sinkt aber von Monat zu Monat, da das SEM die entsprechenden Informationen in der Ausländerstatistik laufend aktualisiert.

                               

Vor allem Frauen und Minderjährige

Die Zusammensetzung der Gruppe der Schutzbedürftigen ist stark durch die Situation in der Ukraine geprägt. Fast 70 Prozent der Menschen mit Status S im Kanton Zürich sind Frauen und dieser Anteil ist seit März recht stabil geblieben. Wenn männliche Personen aus der Ukraine kommen, so handelt es sich etwa zur Hälfte um Minderjährige, also Menschen im Alter zwischen 0 und 17 Jahren (allerdings mit abnehmender Tendenz). Bei den Frauen machen Minderjährige weniger als ein Viertel aus. Stattdessen sind Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren bei Personen mit Status S besonders stark vertreten.

                               

Im Vergleich mit anderen Personen des Asylbereichs (ohne Flüchtlinge, im Juli insgesamt 8'585 Personen) ergibt sich eine nahezu spiegelbildliche Struktur. Ordentliche Asylsuchende (Status N, 1’133 Personen) und vorläufig aufgenommene Ausländer/innen (Status F, 7’452 Personen) sind in Zürich zu fast 60 Prozent männlich und besonders häufig im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Genau diese Gruppe der jungen Männer, die die Asylmigration aus dem globalen Süden prägt, fehlt bei den Schutzsuchenden aus der Ukraine weitgehend. Das ist darauf zurückzuführen, dass Männer im wehrfähigen Alter (18-60) die Ukraine nur unter bestimmten Bedingungen verlassen dürfen, z.B. wenn sie alleinerziehend sind, drei oder mehr Kinder haben, oder körperlich beeinträchtigt sind.  

Auch unbegleitete Minderjährige

Minderjährige mit Status S kommen in den meisten Fällen zusammen mit einem oder zwei Elternteilen in den Kanton Zürich. Allerdings gibt es auch einen gewissen Anteil an unbegleiteten Minderjährigen. Das sind Minderjährige, die nicht in der Obhut erwachsener Angehöriger einreisen. Sie machen knapp 4 Prozent der Minderjährigen und etwa 1.2 Prozent aller Schutzbedürftigen aus. Im Juli waren das etwa 120 Knaben und Mädchen im Kanton Zürich. Unbegleitete Minderjährige werden besonders intensiv betreut, unter anderem wird ihnen eine Beistandsperson zugeteilt.  

                               

Bei den anderen Personen des Asylbereichs (Asylsuchende und vorläufig aufgenommene Ausländer/innen) ist der Anteil an unbegleiteten Minderjährigen deutlich höher. Dort machen sie etwa 8 Prozent aller Minderjährigen bzw. 2.4 Prozent aller Personen aus. Ausserdem gibt es hier einen deutlichen Geschlechterunterschied: bei den Knaben sind etwa 13 Prozent der Minderjährigen unbegleitet, bei den Mädchen nur 2 Prozent. Bei Minderjährigen mit Status S ist dieses Verhältnis ziemlich ausgeglichen (jeweils rund 4 Prozent).

Erwerbsbeteiligung gleicht sich Status F an

Mit dem Wegfall der Wartefrist liegt bei Personen mit Status S ein besonderes Augenmerk auf der Erwerbstätigkeit. Nicht nur, weil in der Schweiz Fachkräfte gesucht werden, sondern auch, weil eine Erwerbstätigkeit für die gesellschaftliche Integration der Schutzbedürftigen zentral ist. Aufgrund der aussergewöhnlichen Altersstruktur befinden sich nur etwa 40 Prozent der männlichen Schutzsuchenden im erwerbsfähigen Alter (18 bis 65 Jahre). Bei den weiblichen Schutzsuchenden liegt dieser Anteil bei fast 70 Prozent. Die Erwerbstätigenquote – also der Anteil der Erwerbstätigen an allen erwerbsfähigen Personen – ist bei Frauen und Männern jedoch auf ähnlichem Niveau. Sie lag im Juli bei gut 11 Prozent (10.3 für Frauen und 13.1 für Männer).

                               

Die Erwerbstätigenquote unterscheidet sich allerdings deutlich zwischen jüngeren und älteren Erwerbsfähigen. Bei Personen im Alter zwischen 18 und 39 Jahren ist sie mit 13.7 Prozent fast doppelt so hoch wie bei Personen zwischen 40 und 65 Jahren (7.8 Prozent). Zieht man in Betracht, dass die Geflüchteten aus der Ukraine sich erst seit kurzer Zeit in der Schweiz befinden, so ist diese Erwerbstätigenquote durchaus beachtlich. Schliesslich müssen Arbeitsstellen nach der Ankunft erst gefunden und durch das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) bewilligt werden. In der Regel dauert es ca. 8. Monate, bis erwerbslose Personen im Kanton Zürich wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden können.

Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass die Informationen zur Erwerbstätigkeit mit einer gewissen Zeitverzögerung in der Ausländerstatistik erscheinen. Es dürften bis zum 31. Juli also mehr Personen eine Bewilligung des AWA erhalten haben als die vorliegenden Daten zeigen. Die Zahl der insgesamt ausgestellten Arbeitsbewilligungen dürfte dann nochmals höher liegen, da pro Person mehrere Bewilligungen ausgestellt werden können (für jedes neue Arbeitsverhältnis ist eine eigene Bewilligung nötig). Ausserdem werden hier nur Personen mit bewilligten Arbeitsverhältnissen in der Schweiz ausgewiesen. Erwerbstätigkeiten im Ausland werden in der Ausländerstatistik nicht erfasst, sind für Personen mit Status S aber prinzipiell möglich. Gerade für Menschen aus der Ukraine, wo die Informatikbranche eine erhebliche Rolle spielt, ist Telearbeit häufig eine gangbare Alternative.

                               

Im Vergleich mit anderen Personen des Asylbereichs, die über eine generelle Arbeitserlaubnis verfügen, ist die Erwerbsbeteiligung beim Status S allerdings noch deutlich reduziert. Im Juli gingen insgesamt etwa 50 Prozent der erwerbsfähigen Ausländerinnen und Ausländer mit Status F einer bewilligten Arbeit nach, gegenüber 11 Prozent beim Status S. Dieser Unterschied reduziert sich jedoch drastisch, wenn man die Aufenthaltsdauer der Personen mit Status F berücksichtigt. Fokussiert man nur auf Personen, die weniger als 2 Jahre in der Schweiz sind, liegt die Erwerbstätigenquote beim Status F zwischen 10 Prozent (Frauen) und 20 Prozent (Männer). Die Schutzsuchenden aus der Ukraine befinden sich diesbezüglich auf ähnlichem Niveau.

Junge Frauen mit Status S – die grösste Gruppe der Menschen aus der Ukraine – haben inzwischen sogar eine höhere Erwerbstätigenquote (12.8 Prozent) als entsprechende Frauen mit Status F (11.6 Prozent). Und das, obwohl sie häufig für die Kinderbetreuung verantwortlich sind. Junge Männer mit Status S haben zwar noch einen gewissen Rückstand auf Männer mit Status F (16.6 Prozent gegenüber 22.7 Prozent), dieser Unterschied schwindet aber zunehmend. Insgesamt steigt die Erwerbsbeteiligung der Personen mit Status S seit März kontinuierlich an, was auf eine positive Entwicklung schliessen lässt. In Anbetracht der unsicheren Bleibeperspektive der Menschen aus der Ukraine, die mit der «Rückkehrorientierung» des Status S einhergeht, ist die wachsende Erwerbsbeteiligung durchaus bemerkenswert.
 

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Dr. Sebastian Weingartner

Wissenschaftlicher Mitarbeiter Bevölkerung und Soziales

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