Jahresrückblick 2022 der Staatsanwaltschaft: Stärkste Fallzunahme seit 10 Jahren

Nach den pandemiebedingten Einschränkungen des Vorjahres hat das öffentliche Leben im Jahr 2022 wieder voll Fahrt aufgenommen, was sich bei der Zürcher Staatsanwaltschaft in einer sehr hohen Zahl von neuen Fällen manifestierte. Neben der Bearbeitung dieser zahlreichen Fälle stand das Jahr ganz im Zeichen des Bezugs des PJZ.

Am heutigen Mediengespräch präsentieren Vertreterinnen und Vertreter der Zürcher Staatsanwaltschaft ihren Jahresbericht 2022. Neben den wichtigsten Kennzahlen und Schwerpunkten des vergangenen Geschäftsjahres gehen sie vertieft auf die beiden ausgewählten Schwerpunktthemen Häusliche Gewalt und das Strafbefehlsverfahren ein.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft verzeichnete 2022 die stärkste Zunahme an neu eingegangenen Fällen seit zehn Jahren. Rund 30’400 Fälle gingen bei der Strafverfolgungsbehörde ein, was im Vergleich zum Vorjahr einer Zunahme von 9,1 Prozent entspricht. Dieser bedeutende Anstieg ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die pandemiebedingten Einschränkungen fast vollständig weggefallen sind und das öffentliche Leben in allen Bereichen wieder voll Fahrt aufgenommen hat. Im Vergleich zum Vorjahr haben insbesondere Urkundendelikte (etwa im Zusammenhang mit Corona-Zertifikaten), Gewaltdelikte sowie Verstösse gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz deutlich zugenommen.

Die Zahl der Verfahrensabschlüsse lag im Berichtsjahr bei 30'191 Fällen und somit um 5,6 Prozent über dem Wert des Vorjahres. Auch bei den pendenten Fällen (Gesamtzahl der per Jahresende noch offenen Strafverfahren) ist eine Zunahme zu verzeichnen auf insgesamt 11'311 Fälle (+ 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr). Zusammenfassend lässt sich mit Blick auf die Fallbearbeitung folgendes festhalten: Die Mitarbeitenden der Staatsanwaltschaft konnten zwar mehr Verfahren abschliessen als im Vorjahr, wegen den rekordhohen Eingangszahlen jedoch nicht im erhofften Masse, weshalb die Zahl der pendenten Verfahren nochmals angestiegen ist. Verfahrensverzögernd und damit direkt auf die Zahl der Pendenzen wirkt sich zudem die Tatsache aus, dass der Aufwand im Strafverfahren stetig zunimmt (z.B. wegen der vermehrten Siegelung von sichergestellten Daten durch Beschuldigte).

Bezug des PJZ: Angekommen unter dem grossen gemeinsamen Dach

2022 wird als Meilenstein in die Geschichte der Zürcher Staatsanwaltschaft eingehen. Nachdem die auf bestimmte Deliktsarten spezialisierten Staatsanwaltschaften und die Oberstaatsanwaltschaft während Jahrzehnten an verschiedenen Standorten dezentral über die Stadt Zürich verteilt waren, arbeiten diese im PJZ seit dem vergangenen Jahr unter einem grossen gemeinsamen Dach. Die räumliche Nähe wirkt sich positiv auf die Zusammenarbeit aus. Zahlreiche neue Abläufe im riesigen Gebäude und die Zusammenarbeit mit den ansässigen Schnittstellenpartnern funktionieren dank minutiöser Vorbereitung bereits auf hohem Niveau, dort wo es noch Kinderkrankheiten gibt, werden laufend Verbesserungen angestrebt und umgesetzt.

Häusliche Gewalt konsequent bekämpfen

Häusliche Gewalt ist auch im Kanton Zürich ein sehr ernstzunehmendes Problem. Im Jahr 2022 rückten Polizeikräfte durchschnittlich 20-mal pro Tag wegen familiärer Streitereien aus. Oft münden solche Einsätze in Strafuntersuchungen durch die Staatsanwaltschaft. Am heutigen Mediengespräch gewährte die beim Thema Häusliche Gewalt federführende Staatsanwältin einen Einblick in das staatsanwaltschaftliche Vorgehen und die Herausforderungen bei der Bekämpfung von Häuslicher Gewalt.

Rund zwei Drittel der Opfer von Häuslicher Gewalt wünschen noch während des laufenden Strafverfahrens dessen Beendigung und erklären ihr Desinteresse. Der Wunsch nach sofortiger Beendigung der Gewalt wiegt dabei oft stärker als die Bestrafung des Täters. Seit Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes zum Schutz gewaltbetroffener Personen im Juli 2020 hängt die Durchführung eines Strafverfahrens in gewissen Konstellationen nicht mehr ausschliesslich vom Willen des Opfers ab. Die Verantwortung für die Weiterführung eines Strafverfahrens liegt neu verstärkt bei der zuständigen Verfahrensleitung. Sie ist verpflichtet, Desinteresseerklärungen von Opfern zu hinterfragen und vor der Sistierung und vor der Einstellung des Verfahrens ein persönliches Gespräch mit dem Opfer zu führen – und dabei zu prüfen, ob sich dessen Situation tatsächlich stabilisiert und verbessert hat.

Ebenfalls als direkte Folge des neuen Bundesgesetzes zum Schutz gewaltbetroffener Personen haben die Zuweisungen der Staatsanwaltschaft in das Lernprogramm «Partnerschaft ohne Gewalt» markant zugenommen. In diesem Lernprogramm von Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) setzen sich gewalttätige Personen mit ihrem Verhalten auseinander und reflektieren dabei ihr eigenes Rollenbild und ihre Stressfaktoren. Indem Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die Lernprogramme bereits in einer sehr frühen Phase des Strafverfahrens anordnen, kann das Risiko von erneuter Delinquenz verringert werden.

Verschiedene Erfolgsfaktoren begünstigen die behördlichen Bemühungen im Kampf gegen Häusliche Gewalt. Neben den Zuweisungen in das Lernprogramm gehören dazu die professionelle und gute Zusammenarbeit unter allen involvierten Behörden (z.B. Polizei, Staatsanwaltschaft, Opferhilfe) oder regelmässige und obligatorische Aus- und Weiterbildungen von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten. Die Mitarbeitenden der Zürcher Strafverfolgungsbehörden setzen alles daran, Häusliche Gewalt bestmöglich zu bekämpfen und die bestehenden rechtlichen Instrumente zum Schutz der Opfer konsequent einzusetzen.


Das Strafbefehlsverfahren: bewährtes und unverzichtbares Instrument für die Strafverfolgungsbehörden

Zur Bearbeitung von weniger schwerwiegenden Massendelikten hat der Gesetzgeber mit der Inkraftsetzung der Schweizerischen Strafprozessordnung im Jahre 2011 das landesweit einheitliche Instrument des Strafbefehls geschaffen. Die Täterschaft wird in diesem besonderen Verfahren ohne Gerichtsverfahren (Hauptverhandlung und Urteil) von der Staatsanwaltschaft bestraft. Rund 15'000 Strafbefehle haben die Staatsanwältinnen und –anwälte im Kanton Zürich in ihrem Zuständigkeitsbereich (Verbrechen und Vergehen) im vergangenen Jahr erlassen. Obwohl Strafbefehle viel häufiger zur Anwendung gelangen als Anklagen an ein Gericht, ist diese Verfahrensform in der breiten Öffentlichkeit weniger bekannt.

Im Strafbefehlsverfahren prüft die Staatsanwaltschaft anhand der von der Polizei erstellten Akten, ob ein plausibles Geständnis der beschuldigten Person vorliegt oder der Sachverhalt anderweitig ausreichend geklärt ist (z.B. durch Radarfotos bei Strassenverkehrsdelikten). Wenn die Staatsanwaltschaft dazu kein Strafmass über sechs Monate Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen für ausreichend hält, erlässt sie einen Strafbefehl. Sind die Parteien damit nicht einverstanden, so haben sie die Möglichkeit, Einsprache zu erheben. Erstmals hat die Staatsanwaltschaft eine detaillierte Auswertung vorgenommen, wie oft die verschiedenen Verfahrenswege nach einer Einsprache gegen einen Strafbefehl vorkommen. Dabei zeigt sich unter anderem, dass in knapp zwei Dritteln der Fälle zu einem Rückzug der Einsprache kommt oder dass die Staatsanwaltschaft nach dem Beweisverfahren einen neuen Strafbefehl erlässt.

Neben den vom Gesetzgeber vorgesehenen verfahrensökonomischen Gründen berücksichtigt das Strafbefehlsverfahren auch Interessen der beschuldigten Person. Diese wird damit nicht unnötig einer förmlichen Anklage und öffentlichen Hauptverhandlung ausgesetzt. Beschuldigten Personen in weniger schwerwiegenden Delikten kann so Zeit, Geld und andauernde Belastung erspart werden. Der Strafbefehl ist ein Arbeitsinstrument, das sich im Alltag aus Sicht der Staatsanwaltschaft weitestgehend bewährt hat und zur Bewältigung der Flut an Strafverfahren unter den heutigen Strukturen und Rahmenbedingungen der Justiz nicht mehr wegzudenken ist.
 

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