Regierungsrat lehnt Einschränkung der kantonalen ÖV-Tarifhoheit entschieden ab

Der Bund möchte im öffentlichen Personenverkehr sogenannte Systemführer bestimmen können. Ein solcher könnte schweizweit den Tarif des öffentlichen Verkehrs festlegen und dem Kanton Zürich so die Tarifhoheit entziehen. Die nationalrätliche Verkehrskommission befasst sich heute im Rahmen der Vorlage «Organisation der Bahninfrastruktur» (OBI) mit der entsprechenden Gesetzesänderung. Der Regierungsrat lehnt diese massive Einschränkung des kantonalen Handlungsspielraums kategorisch ab, weil die finanziellen Folgen für den Kanton Zürich beträchtlich wären. Zusammen mit den Kantonen Aargau, Glarus, Schaffhausen, Schwyz, St. Gallen, Thurgau und Zug fordert der Regierungsrat die Streichung des Artikels 18a E-PBG aus der Vorlage OBI.

Im November 2016 verabschiedete der Bund die OBI-Botschaft zuhanden des Bundesparlaments. Obwohl es sich dem Namen nach um eine Vorlage zur Bahninfrastruktur handelt, fügte der Bund auch Änderungen des Personenbeförderungsgesetzes (PBG) in die Botschaft ein. Diese Änderungen des PBG wurden vom Bund ohne vorhergehende Absprache mit den Kantonen in die Vorlage eingearbeitet. Unter anderem will der Bund im öffentlichen Personenverkehr Organisationen oder Unternehmen als sogenannte Systemführer einsetzen. Diese nähmen übergeordnete Aufgaben für die gesamte öV-Branche wahr und würden dazu mit weit reichenden Befugnissen ausgestattet. Beispielsweise hätte ein Systemführer die Kompetenz, schweiz­weit die Billettpreise oder das Billettsortiment festzusetzen. Dem Kanton Zürich entzöge dies die Möglichkeit, im Gebiet des Zürcher Verkehrsverbundes (ZVV) weiterhin die Tarife selber festzulegen.  

Massive Einschränkung des kantonalen Handlungsspielraums und negative Folgen

Als Besteller des Verkehrsangebotes tragen die Kantone und Gemeinden den überwiegenden Teil der ungedeckten Kosten im öffentlichen Verkehr. Diese Kosten werden direkt durch den Tarif beeinflusst, denn dieser bestimmt die Höhe der Einnahmen. Der Tarif ist demzufolge einer der zentralen Hebel, um die finanzielle Entwicklung des öffentlichen Verkehrs zu steuern. Der Kanton Zürich wäre besonders stark von Tariffestsetzungen durch einen Systemführer betroffen: Im Kanton Zürich betragen die Einnahmen aus dem ZVV-Tarif pro Jahr beinahe 800 Millionen Franken und machen einen Anteil von rund 90 Prozent am Gesamtertrag aus. Die Einnahmen aus den nationalen Billetten wie dem Generalabonnement oder dem Halbtax betragen demgegenüber lediglich 10 Prozent. Ein Tarifdiktat eines Systemführers, wie es die Regelung des Bundes vorsieht, schränkt den kantonalen Handlungsspielraum massiv ein: Wenn die Kosten des öffentlichen Verkehrs steigen, jedoch über den Tarif nicht höhere Einnahmen erwirtschaftet werden können, resultiert für die Kantone und Gemeinden ein grösseres Defizit. Diese Mehrbelastung kann letztlich nur durch Einsparungen bei anderen staatlichen Leistungen oder aber durch den Abbau des öffentlichen Verkehrsangebots erfolgen. Für das Defizit des ZVV, den Finanzhaushalt des Kantons und die Qualität des öV im Grossraum Zürich ist es darum wesentlich, dass die Hoheit über den Verbundtarif und das Ticketsortiment weiterhin beim Kanton bleibt.

OBI missachtet die Finanzierungsrealität und staatstragende Prinzipien

Die Vorlage OBI missachtet die Rolle der Besteller und die Finanzierungsmechanismen im öffentlichen Verkehr grundlegend. Aus dem Betrieb von Regional-, Agglomerations- und Ortsverkehrs resultieren schweizweit jährlich ungedeckte Kosten in der Höhe von 3,2 Milliarden Franken. Gemäss einer Erhebung des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV) aus dem Jahr 2016 begleichen Kantone und Gemeinden pro Jahr rund 2,3 Milliarden Franken dieser Summe. Der Bund beteiligt sich demgegenüber mit 0,9 Milliarden Franken am Regionalverkehr. Der Bund, der nur knapp 30 Prozent der Gesamtkosten übernimmt, könnte aufgrund der Gesetzesvorlage OBI alleine einen Systemführer in Tariffragen bestimmen. Dieser wiederum könnte Entscheidungen treffen, ohne selbst für die finanziellen Konsequenzen verantwortlich zu sein. Die Kantone jedoch, die zusammen mit den Gemeinden den Grossteil der ungedeckten Kosten tragen, hätten kein Mitbestimmungsrecht. In dieser Hinsicht unterläuft die Vorlage gleich mehrere staatstragende Prinzipien: Sie aberkennt den Grundsatz, wonach Entscheidungskompetenz und Finanzverantwortung übereinstimmen müssen, und negiert das Prinzip des föderalistischen Staatsaufbaus.  

Unausgereifte Gesetzesvorlage

Der Gesetzesartikel über die Systemführerschaften im Personenverkehr weist elementare Mängel auf. Zu diesem Schluss kommt auch ein rechtliches Gutachten von Prof. Dr. Felix Uhlmann, Experte für Rechtssetzungslehre: Art. 18a E-PBG ist unausgereift und erfüllt die Anforderungen an eine gute Gesetzgebung nicht. Weder legte der Bundesrat in seiner Botschaft die Problemstellung noch die Notwendigkeit einer derart folgenschweren Regelung dar, obwohl die Kantone eine solche in der Vernehmlassung verlangt haben. Vielmehr soll für den Bund ohne Not eine Generalermächtigung im Gesetz verankert werden. In der öV-Branche sind aktuell Arbeiten im Gang, um die Schweizer Tarif- und Vertriebslandschaft zu vereinfachen. Es widerspricht dem Subsidiaritätsprinzip, dass der Bund inmitten dieses Prozesses mit einer zentralisierten Lösung vorprescht. Der Kanton Zürich – gemeinsam mit den anderen Kantonen der regionalen Konferenz des öffentlichen Verkehrs Zürich (Aargau, Glarus, Schaff­hausen, Schwyz, St. Gallen, Thurgau, Zug) – stellt sich klar gegen diese Zentralisierungsbestrebungen und fordert, dass die Änderungen des PBG betreffend die Systemführerschaften aus der Vorlage OBI gestrichen werden.

(Medienmitteilung des Regierungsrates)

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