Gutachten im «Fall Bonstetten» präsentiert

Die Vorgeschichte zum Fall des im Februar 2010 mutmasslich durch seinen Vater getöteten Knaben ist in einem unabhängigen Gutachten beleuchtet worden. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob die zuständige Vormundschaftsbehörde richtig gehandelt hat und wie künftig mit solchen Fällen umgegangen wird. Die Direktion der Justiz und des Innern wird eine Weisung zu Gefährlichkeitsprognosen erteilen und Vormundschaftsbehörden ermutigen, Kindern in gewissen Verfahren einen juristischen Beistand zu bestellen. Am 1. Januar 2013 tritt zudem schweizweit das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft, das für die Behandlung derartiger Fälle Fachbehörden verlangt.

Am 26. Februar 2010 verstarb in Winterthur ein vierjähriger Knabe mutmasslich durch die Hand seines Vaters. Das Vorleben des Kindsvaters – namentlich eine versuchte Tötung an einem Sohn aus einer früheren Beziehung – warf damals viele Fragen auf. Die Vormundschaftsbehörde der Gemeinde Bonstetten war bereits längere Zeit vor der Tat mit den schwierigen Familienverhältnissen und Fragen zur Obhut des Kindes befasst, sie wusste ebenso um die frühere Tat des Kindsvaters. Die Direktion der Justiz und des Innern gab in der Folge bei Prof. Dr. Peter Breitschmid ein Gutachten in Auftrag, das die Handlungsweise der Behörden in diesem Fall – also der Vormundschaftsbehörde
Bonstetten und des Bezirksrates Affoltern a. A. – beurteilen sollte. Im Vordergrund stand dabei die Frage, wie die Behörden eine mögliche Gefährdung des Kindes durch seinen Vater eingeschätzt und ob sie dieser genügend Rechnung getragen haben.  

Aus aufsichtsrechtlicher Sicht – die Direktion der Justiz und des Innern ist zweitinstanzliche Aufsichtsbehörde über die Vormundschafsbehörden – sind verschiedene Punkte anzumerken:

  • Die Vormundschaftsbehörde hat stets ohne Verzug und mit rechtsmittelfähigen Entscheiden über die Belange befunden. Sie hat auch, wie in solchen Fällen üblich, eine Beistandsschaft für das Kind errichtet.
  • Ebenso hat der Bezirksrat die an ihn gerichteten Beschwerden fristgemäss und mit voller Kognition überprüft und entsprechende Entscheide gefällt, die nicht angefochten worden sind.
  • Die Vormundschaftsbehörde (VB) hat jedoch die nötige professionelle Distanz zum Kindsvater nur beschränkt bewahrt. Dies ist zwar teilweise nachvollziehbar, weil sich der Vater im Gegensatz zur Mutter stets um einen guten Kontakt zu den Behörden bemüht hat. Dennoch muss der punktuell sehr einvernehmliche Kontakt zum Kindsvater als problematisch betrachtet werden.
  • Die Vormundschaftsbehörde hat auf eine vertiefte spezialgutachterliche Abklärung des Risikoprofils des Kindsvaters verzichtet. Zwar wurde der Sohn nach Bekanntwerden der früheren Tat des Kindsvaters fremdplatziert, später gelangte er jedoch wieder in die Obhut des Vaters, ohne dass eine eigentliche Risikoüberprüfung stattgefunden hätte. Ein früheres Gutachten hat zwar eine Rückfallgefahr verneint, es entstand jedoch in einem anderen Kontext und einer anderen Lebenssituation des mutmasslichen Täters. Ein Kurzbericht einer behandelnden Therapeutin erfüllte nicht die an ein Gefährlichkeitsgutachten zu stellenden Anforderungen.
  • Es lässt sich hingegen nicht sagen, dass die Situation während der Wochen vor der Tat für die mit dem Fall befassten Personen in einer Art und Weise eskaliert wäre, dass ein erhöhtes Risiko – vor allem für eine Laienbehörde – erkennbar gewesen wäre.

Ziel der Abklärungen zu diesem Fall muss sein, Erkenntnisse zu gewinnen, wie sich in Zukunft im Fall ähnlicher Konstellationen tragische Entwicklungen vermeiden lassen. Drei Aspekte fallen hierzu in Betracht:

Neues Recht: Das auf Januar 2013 in Kraft tretende neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht verlangt eine Professionalisierung der Behörden. Sie müssen neu interdisziplinär zusammengesetzt sein, dem Spruchkörper gehören künftig ein/e Jurist/in, ein/e Sozialarbeiter/in sowie eine Person aus dem Bereich Pädagogik/Psychologie an. Der Regierungsrat hat mit Beschluss vom 24. November 2010 die Direktion der Justiz und des Innern ermächtigt, einen Entwurf unter anderem über die neue Organisation der Behörden in die Vernehmlassung zu geben. Die Gemeinden haben nun bis zum 31. März 2011 Zeit, sich dazu zu äussern. Die neuen Behörden müssen Anfang 2013 ihre Arbeit aufnehmen.

Gefährlichkeitseinschätzung: Die Direktion der Justiz und des Innern erteilt den Vormundschaftsbehörden die Weisung, die mögliche Gefährdung eines Kindes durch einen Elternteil mit risikobehafteter Vergangenheit durch ein Gutachten abklären zu lassen. Dabei sollen Gutachterinnen und Gutachter bestellt werden, die in das neu beim Obergericht geführte Sachverständigenverzeichnis gemäss der Verordnung über psychiatrische und psychologische Gutachten in Straf- und Zivilverfahren vom 1. September 2010 eingetragen sind.

Juristische Vertretung eines Kindes im vormundschaftlichen Verfahren: Die Direktion der Justiz und des Innern ruft den Vormundschaftsbehörden in Erinnerung, dass in Verfahren um die Obhutszuteilung ein juristischer Beistand für ein Kind bestellt werden kann. Die Bildungsdirektion wird gebeten, das Amt für Jugend und Berufsberatung bzw. die Jugend- und Familienberatungsstellen darauf aufmerksam zu machen, dass Beiständinnen und Beistände den Vormundschaftsbehörden die Anordnung einer Kindesvertretung beantragen können.

(Medienmitteilung der Direktion der Justiz und des Innern)

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