Wenn das Geld nirgends hinreicht - Armut im Kanton Zürich

Im Kanton Zürich leben gut 50'000 Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weitere 160'000 Menschen leben in Haushalten, die sich nur mit Mühe über Wasser halten können. Insgesamt ist annähernd ein Viertel der Zürcher Bevölkerung von Armut betroffen oder bedroht. Tendenz: steigend.

Zwei Drittel der 50'000 Armen gehören zu den so genannten Working Poor. Sie leben in einem Haushalt, dessen Mitglieder zusammen mindestens ein volles Arbeitspensum leisten – und dennoch reicht das Einkommen nicht aus, um die grundlegenden materiellen Bedürfnisse der Haushaltsangehörigen zu decken. Beim verbleibenden Drittel ist der Haushaltsvorstand nicht oder nur teilzeitlich erwerbstätig. Es handelt sich meist um alleinerziehende oder nicht erwerbsfähige Personen. Nur in wenigen Fällen hängt die Einkommensschwäche direkt mit Arbeitslosigkeit zusammen. Neben den eigentlichen Armen gibt es im Kanton Zürich eine Bevölkerungsgruppe von rund 160'000 Personen, die unmittelbar von Armut bedroht ist. Bei ihr liegt das Haushaltseinkommen nur knapp über der Armutsgrenze. Schon eine geringe Lohneinbusse, bedingt etwa durch eine unvorhergesehene Kündigung oder durch eine Schwangerschaft, würde den Haushalt verarmen lassen. Insgesamt sind so gut 210'000 Zürcherinnen und Zürcher, nicht ganz ein Viertel der Bevölkerung, mit Armut konfrontiert.

Lohn reicht nicht für Essen und Kleider

Dies sind die wichtigsten Resultate einer Studie, die das Statistische Amt des Kantons Zürich soeben veröffentlicht hat. Als arm gelten dabei Haushalte, deren Einkommen so gering ist, dass nach Abzug der Fixkosten für Steuern, Krankenkasse und Wohnung nicht mehr genug übrig bleibt, um den Grundbedarf zu decken. Dieser umfasst Ausgaben für Nahrungsmittel, Kleider, Körperpflege, Bildung und ähnliche lebensnotwendige Güter. Für eine vierköpfige Familie etwa beläuft er sich – gemäss den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) – auf monatlich 2375 Franken.

Armutsquote (noch) tiefer als im Rest der Schweiz

Nimmt man die SKOS-Richtlinien als Richtschnur, so sind 5,7 Prozent der Zürcher Bevölkerung als arm zu bezeichnen. Mit dieser Armutsquote steht der Kanton Zürich vergleichsweise gut da, beträgt doch das Mittel der übrigen Deutschschweizer Kantone 8,2 Prozent, dasjenige der lateinischen Schweiz sogar 11,2 Prozent. Innerhalb des Kantons gibt es ein deutliches Stadt-Land-Gefälle: Während die Armen in der Stadt Zürich 7,3 Prozent der Bevölkerung ausmachen, ist die Armutsquote im Rest des Kantons mit 5,1 Prozent markant geringer. Im zeitlichen Verlauf zeichnet sich ein Trend ab, der die Unterschiede zwischen dem Kanton Zürich und der übrigen Schweiz etwas relativiert. Diese nämlich scheinen sich zu verringern. Das würde heissen, dass die Zürcher Armutsquote am Steigen ist. Zumindest für das vergangene Jahrzehnt stimmt dieser Befund: Im Verlauf der Neunzigerjahre hat sich die Zahl der Armen und der Armutsgefährdeten im Kanton Zürich deutlich vergrössert.

Verschiedene Risikogruppen

Laut der Studie des Statistischen Amts gibt es eine Reihe von Faktoren, die – zumal wenn sie sich gegenseitig überlagern – Armut begünstigen. So sind Frauen eher arm als Männer, Junge eher als Alte, Menschen ausländischer Herkunft eher als Einheimische. Ein besonders wichtiges Merkmal ist das Bildungsniveau. Je höher der Bildungsstand, desto geringer ist das Risiko, in einem armen Haushalt zu leben. Wer dagegen nur das Schulobligatorium absolviert und auf eine eigentliche Berufsausbildung verzichtet hat, ist in einem von zwei Fällen mit Armut konfrontiert. Der Grund dafür ist klar: Unqualifizierte Arbeit wird schlecht bezahlt. Unter den mangelhaft Ausgebildeten gibt es denn auch besonders viele Working Poor sowie Haushalte, die sich nur deshalb über der Armutsgrenze halten können, weil mehrere Mitglieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Ein weiterer wichtiger Armutsfaktor sind Kinder: In Familien mit minderjährigem Nachwuchs ist Armut stärker verbreitet als in Einpersonenhaushalten oder in kinderlosen Paarhaushalten. Eine spezielle Risikogruppe sind dabei Alleinerziehende, von denen 21 Prozent unter der Armutsgrenze leben. In der Regel ist der alleinerziehende Elternteil die einzige erwerbsfähige Person im Haushalt. Wegen der Erziehungsaufgaben kann er oftmals nur mit reduziertem Pensum arbeiten, was auf das Einkommen drückt. Unsichere oder gar ausbleibende Alimentenzahlungen und vergleichsweise hohe Wohnkosten tragen ebenfalls zum hohen Armutsrisiko der Einelternfamilien bei.

Schmerzliche Einschränkungen

Wer aus statistischer Sicht als arm gilt, muss sich selbst nicht unbedingt als arm empfinden. Ent-scheidend ist vielmehr die subjektive Einschätzung der eigenen finanziellen Situation. Die Studie des Statistischen Amts zeigt jedoch, dass die Richtlinien der SKOS die Armutsgrenze wohl ange-messen ziehen. Laut der Studie fühlt sich nämlich ein Grossteil der Armen in den meisten Le-bensbereichen finanziell stark eingeschränkt. Die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze muss bei der Anschaffung von langlebigen Konsumgütern massive Abstriche machen. 30 Prozent müssen sich beim Kauf von Kleidern, 20 Prozent bei der medizinischen Grundversorgung und immerhin 10 Prozent beim täglichen Einkauf von Nahrungsmitteln stark einschränken. Stärker als materielle scheinen jedoch soziale Entbehrungen ins Gewicht zu fallen. Bis zu 90 Prozent der Ar-men fühlen sich finanziell eingeschränkt, wenn es um Ferien, Ausgang oder eine abwechslungs-reiche Freizeitgestaltung geht. Die Armut kann sogar soweit gehen, dass auch eine private Einla-dung von Freunden nicht mehr drin liegt. Soziale Isolation – und damit eine massiv verminderte Lebensqualität – ist dann fast unausweichlich.

Ohne Betagte

Diie Studie des kantonalen Statistischen Amts basiert auf einer Sonderauswertung der Schweizeri-schen Arbeitskräfteerhebung, einer jährlich durchgeführten repräsentativen Befragung des Bundes, die im Kanton Zürich jeweils 3000 Interviews umfasst. Aus methodischen Gründen erfasst sie nur die Bevölkerung bis 60 Jahre. Sie klammert deshalb die Bevölkerung im Pensionsalter aus – und Armut im Alter, obwohl es sie zweifelsohne gibt, findet dementsprechend keinen Niederschlag in den Resultaten. Kinder und Jugendliche dagegen sind in den Zahlen berücksichtigt.

(Medienmitteilung des Statistischen Amts)

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Diese Meldung ist vor 2018 erschienen. Gegenüber der ursprünglichen Fassung sind alle Bilder, Links und Downloads entfernt worden. Dies beim Wechsel zum neuen kantonalen Webauftritt 2020.
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