Stellen Sie sich vor, jemand aus Ihrer Familie wird verhaftet und kommt in Untersuchungshaft. Sie erfahren zuerst einmal… gar nichts.
Unterstützung für Inhaftierte und Angehörige
Was passiert jetzt?
Nach der Verhaftung eines Familienmitglieds haben die Angehörigen ein riesiges, akutes Informationsbedürfnis. Was ist passiert? Wie geht es weiter? Kann ich meinen Vater, meine Frau oder mein Kind besuchen? Wie geht es ihm oder ihr? Wie kann ich helfen?
Diese Fragen stellen sich vor allem, während sich ein Familienmitglied in Untersuchungshaft befindet. Falls die Person dann in den Strafvollzug übertritt, geht es darum, die Beziehung zu ihr zu erhalten. Im Vollzug ist der Kontakt mit Telefongesprächen, Briefen und Besuchen möglich. Im Corona-Jahr 2020 waren Besuche aufgrund der Schutzmassnahmen zeitweise nicht erlaubt. Dafür wurde in allen unseren Gefängnissen Videotelefonie möglich gemacht. Und diese Kontaktmöglichkeit wird auch weiterhin bestehen.
Ungewohnte Besuchssituation
Für den Besuch eines Familienmitglieds im Gefängnis braucht es eine schriftliche Bewilligung und eine telefonische Terminvereinbarung. Für nicht deutsch sprechende Angehörige kann das bereits eine Hürde sein. Die Besuchszeiten sind für Schulpflichtige und Berufstätige in den meisten Gefängnissen ungünstig gelegt. Die Besuchssituation selber ist ungewohnt und kann insbesondere auf Kinder befremdend wirken.
Soziales Kapital für die Wiedereingliederung
Auf der anderen Seite der Mauer sind die inhaftierten Personen selber. Das Aufrechterhalten von konstruktiven Beziehungen während der Haftzeit kann sich positiv auf ihre soziale Integration auswirken. So können die Beziehungen zu Angehörigen ein grosses soziales Kapital für die Wiedereingliederung sein.
Dennoch ist die Angehörigenarbeit eine Gratwanderung – die Chancen bergen auch Risiken. So kann beispielsweise der Besuch eines gewalttätigen Partners für das Opfer eine wiederholte Belastung oder sogar Gefährdung darstellen.
Die Situation ist komplex.
Drei erste Schritte
Wir haben uns intensiv mit Fragen zur gewinnbringenden und sicheren Gestaltung der Angehörigenarbeit auseinandergesetzt. Wie können wir die Situation für die Angehörigen angenehmer gestalten? Wie können wir das Potential der Angehörigenarbeit für die Wiedereingliederung nutzen, ohne die Angehörigen dabei zu belasten oder gar zu gefährden? Wie können wir die Situation insbesondere für Kinder von inhaftierten Elternteilen verbessern?
Diese Fragen werden in der Forschung und auch von unseren Institutionsleitenden kontrovers diskutiert. Auf einer gemeinsamen Basis wurden drei erste Richtungen für Massnahmen festgelegt:
- die Bereitstellung von angehörigengerechter Information,
- die Festlegung von Mindeststandards für Angehörigenarbeit
- und die Vernetzung mit Organisationen ausserhalb des JuWe.
Eine Website mit Informationen für Angehörige von inhaftierten Personen, insbesondere für deren Kinder, kann das Informationsvakuum füllen, das bei einer Inhaftierung entsteht.
Die Festlegung von Mindeststandards für Angehörigenkontakte kann unseren Institutionen helfen, Massnahmen zu konkretisieren und umzusetzen. Das können beispielsweise die kindgerechte Einrichtung von Besuchsräumen oder für Berufstätige geeignete Besuchszeiten am Abend oder am Wochenende sein.
Ein weiterer Schritt ist die Kooperation mit Organisationen, die sich für Angehörige von inhaftierten Personen einsetzen wollen. In Zusammenarbeit können geeignete Angebote für Beratung, Besuchsbegleitungen oder Aktivitäten für Angehörige aufgebaut werden.
Diese drei ersten Schritte bringen uns dem Ziel näher, einen gewinnbringenden und sicheren Kontakt von inhaftierten Personen mit ihren Angehörigen zu ermöglichen.