Heizen und kühlen mit gemeindeeigenem Holz und Wasser

Luftaufnahme der Gemeinde Fehraltorf.

Wärme und Kälte werden in Fehraltorf bald klimafreundlich erzeugt. Dem neuen Energieverbund, den die Zürcher Oberländer Landgemeinde zurzeit in Zusammenarbeit mit dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich realisiert, dienen erneuerbare Ressourcen als Energiequelle: Holz aus dem gemeindeeigenen Wald, Abwasser aus der lokalen ARA und Flusswasser aus dem Bach Kempt. Das thermische Netz wird über 90 Prozent des Siedlungsgebiets umfassen und soll ab Herbst 2024 die ersten Häuser heizen.

Die Arbeiten an der Energiezukunft sind in Fehraltorf seit einigen Wochen gut sichtbar im Gange. Im ehemaligen Bauernstrassendorf, das sich zur lebendigen Agglomerationsgemeinde entwickelt hat, ohne seinen ländlichen Charme zu verlieren, sind gleich auf mehreren Baustellen die Bagger im Einsatz: In drei Etappen bis im Oktober 2026 werden die Hauptleitungen für ein neues Versorgungsnetz für Fernwärme und Fernkälte verlegt.

In Zusammenarbeit mit dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) entsteht in der Zürcher Oberländer Gemeinde ein zukunftsorientierter Energieverbund, der auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist und ganz auf regionale Wertschöpfung setzt. Ausserdem können damit jährlich 9300 Tonnen CO2 eingespart werden. Als umweltfreundliche, klimaneutrale Energiequellen dienen gereinigtes Abwasser, Wasser aus dem Bach Kempt sowie Holzschnitzel aus den Wäldern der Region.

«Dadurch werden wir einen Grossteil der fossilen Energieträger Gas und Öl in Zukunft substituieren können», sagt Stefan Mathys, der als Leiter Werke und Infrastruktur auf Gemeindeseite für das Grossprojekt zuständig ist. Innerhalb des Verbundgebietes, das mehr als 90 Prozent der Siedlungsfläche umfasst, können dereinst mehr als 1000 Haushalte und diverse Industrie- und Gewerbebetriebe beheizt respektive gekühlt werden. «Es gibt bewusst keinen Anschlusszwang. Die Liegenschaftenbesitzenden sollen frei entscheiden, ob sie dem Energieverbund beitreten möchten oder nicht», so Mathys.
 

Eine grosse Strassenbaustelle mit einer offenen Grube in der ein Teil der bereits verlegten Wärmeleitungen zu sehen sind.
Für den Energieverbund werden in Fehraltorf rund 13'000 Laufmeter Fernwärmeleitungen verlegt. Das Bild zeigt eine aktuelle Baustelle an der Allmendstrasse.

Ein erster Anlauf vor zehn Jahren scheiterte

Die Verantwortlichen der Zürcher Oberländer Gemeinde, die rund 7000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt, befassen sich seit geraumer Weile mit einer nachhaltigen kommunalen Energiepolitik. Bereits im Jahr 2010 liess sich Fehraltorf ein erstes Mal als «Energiestadt» zertifizieren. Damit verpflichtete sie sich, Ressourcen effizient zu nutzen und erneuerbare Energien sowie eine umweltverträgliche Mobilität zu fördern. Nach zwei Rezertifizierungen entschied der Gemeinderat in diesem Jahr auf Antrag der Werkkommission, das Label zurückzugeben. «Es ist nicht zwingend nötig, um eine aktive Umweltpolitik zu betreiben», meint Stefan Mathys.

Mit der Überarbeitung des Energieplans legte der Gemeinderat 2024 seine umweltpolitischen Ziele fest und schuf die Grundlage für den neuen Energieverbund, mit dem Fehraltorf auch die Anforderungen künftiger Energiegesetzgebungen erfüllen wird.

«Die Vorgeschichte des Projekts begann mit einem Misserfolg», erinnert sich Bauingenieur Mathys, der 2007 aus der Privatwirtschaft zur Gemeinde Fehraltorf stiess. Vor rund zehn Jahren wurde aufgrund eines notwendigen Heizungsersatzes ein kleinerer Wärmeverbund initiiert, dem ein Teil der Gemeinde hätte angeschlossen werden können. Allerdings stellte sich heraus, dass das beauftragte Unternehmen dem Projekt nicht gewachsen war und es wurde eingestellt. 

Gemeinde setzt auf Contracting-Modell

Im Rahmen eines baulichen Grossprojektes – dem Neubau einer Mehrzweckhalle sowie dem Ersatzbau des Lehrschwimmbeckens auf der Schulanlage Heiget – wurde das Thema Energieverbund wieder aktuell. Ein externes Beratungsbüro klärte die Machbarkeit ab und führte eine Potentialstudie durch. «Dabei stellte sich heraus, dass sich ein thermisches Netzwerk nicht nur kleinräumig, sondern für die ganz Gemeinde realisieren lässt», sagt Stefan Mathys.

Aus der Contractor-Submission ging das ewz als Siegerin hervor. Es hat als einer der schweizweit grössten Anbieter von «schlüsselfertigen» Energielösungen bereits über 40 umweltfreundliche Wärme- und Energieverbunde in Städten und Gemeinden realisiert. «Wir sind eine Verwaltung, kein Energiedienstleister. Uns fehlen die Ressourcen und das Know-how, um ein solches Projekt alleine zu verwirklichen», sagt Mathys.

In Fehraltorf übernimmt der Energiedienstleister Planung, Realisierung und Finanzierung des Energieverbunds. Auch für Hausbesitzende entstehen keine Risiken: das ewz trägt die Investitionen und technische Verantwortung. «Von diesem Konzept profitieren alle: das Klima, die Gemeinde sowie die Besitzenden und die Mietparteien der angeschlossenen Liegenschaften», heisst es von Seiten des ewz.

«Die Analysen im Vorfeld haben uns gezeigt, dass ein wirtschaftlicher Betrieb des Energieverbundes in Fehraltorf möglich und machbar ist. Zudem entspricht es unserem Leistungsauftrag, ökologisch und ökonomisch sinnvolle Projekte in der ganzen Schweiz umzusetzen», sagt Salvatore Tomai, der zuständige Projektleiter beim ewz.

Auf einer Karte der Gemeinde Fehraltorf ist eine grosse hellgrüne Fläche eingezeichnet. Sie zeigt das Siedlungsgebiet, das der Energieverbund umfasst.
Das thermische Netz des Energieverbundes wird über 90 Prozent des Siedlungsgebiets von Fehraltorf abdecken. Quelle: Grafik ewz

Zwei Energiezentralen als Herzstücke

Im Zentrum des neuen Energieverbundes stehen zwei Energiezentralen. Die erste ist auf dem Areal «Heiget», wo sich Schule und Feuerwehr befinden. Sie umfasst einen bereits fertiggestellten Bunker für 650 Kubikmeter Holzschnitzel. Der Einbau eines 2,5-MW-Heizkessels, der Wärme für den Verbund liefert, erfolgt in diesen Tagen. Das zur Wärmegewinnung verwendete Holz stammt zu rund einem Drittel aus dem lokalen Forst – rund ein Viertel der 950 Hektaren Gemeindefläche ist Wald – der Rest aus Wäldern in der Region.

Die Energiezentrale «ARA» auf dem Gelände der Abwasserreinigungsanlage Fehraltorf-Russikon befindet sich in der Bauprojektphase: Die ersten Vorarbeiten sollen im April starten. Genutzt wird künftig eine Kombination aus Wärmepumpen und Kältemaschinen. Das gereinigte Abwasser hat im Winter eine Temperatur von 10 bis 15 Grad und im Sommer von 20 bis 24 Grad und damit eine ideale Restwärme für einen effizienten Betrieb.

Die Kältemaschinen stellen Kühlenergie her, die über ein separates Kältenetz verteilt wird, vornehmlich an die Gewerbebauten im nahen Industriegebiet.
Zur Deckung von Spitzenlasten steht in der Energiezentrale ARA vorerst noch ein Heizölkessel zur Verfügung. Das Ziel ist jedoch, den Verbund mit 90 Prozent erneuerbaren Energien zu betreiben. «Langfristig sollen es dann 100 Prozent werden», sagt Stefan Mathys.
 

Der Kanton ist offen für konstruktive Lösungen

Neben Holz und Abwasser nutzt Fehraltorf als erste Gemeinde im Kanton zur Energiegewinnung auch Wasser aus einem kleinen Fliessgewässer. Eigentlich ist der Abfluss der Kempt mit rund 60l/sek dafür viel zu klein: Bisher galten 500l/sek als Minimum. Trotzdem hat das kantonale Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft AWEL eine entsprechende Konzession erteilt.

Möglich macht das eine besondere technische Konstellation: Auf Höhe der ARA befindet sich eine künstliche Absturzstelle der Kempt. Dadurch kann das Wasser oberhalb des Baches entnommen und gleich unterhalb wieder zugeführt werden ohne verbleibende Restwassermenge. «Das ist zum einen eine glückliche Fügung, hat uns zum anderen aber auch gezeigt, dass die kantonalen Stellen offen für konstruktive Lösungen sind», sagt Stefan Mathys. Mit der Energiegewinnung aus dem Bach alleine können künftig rund eine Million Liter Heizöl gespart werden.

Ehrgeiziger Zeitplan

Die ersten Wärmelieferungen aus dem Energieverbund sind für den 1. Oktober 2024 geplant. «Der Zeitplan ist ehrgeizig, aber das Projekt ist auf Kurs», sagt Projektleiter Tomai. Als grösste Herausforderung in Fehraltorf sieht er die Installation der rund 13'000 Laufmeter Fernwärmeleitungen: «Das Verlegen der Leitungen im öffentlichen Grund und in den Privatparzellen ist anspruchsvoll und aufwändig.»

Ebenfalls auf Hochtouren läuft die Kundenakquisition. «Die Resonanz ist sehr positiv. Die Kundinnen und Kunden zeigen Interesse daran, ihre Liegenschaften ressourcenschonend mit klimafreundlich erzeugter Wärme zu versorgen. Mit dieser Ausgangslage sind wir überzeugt, die gesetzten Ziele bis zum Endausbau erreichen zu können», sagt ewz-Projektleiter Tomai.
 

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