Drei Jahrzehnte Justizvollzug: Ein JVA-Aufseher erzählt

Bernhard Ernst arbeitet seit 1990 im grössten Gefängnis der Schweiz, der JVA Pöschwies. Dieser Bericht bietet Einblick in die persönlichen Herausforderungen und Erfolge eines Berufslebens, das dem Dienst an der Gesellschaft und der Reform des Justizvollzugs gewidmet ist.

Ein Aufseher/Betreuer mit einem Inhaftierten in einem Zellengang der JVA Pöschwies.
Der Job als Aufseher/Betreuer verlangt ein grosses zwischenmenschliches Gespür und viel Sozialkompetenz. Quelle: JuWe/ Nadine Lumme

1990: The Power von Snap! steht auf Platz 1 der Charts, Deutschland wird wiedervereinigt, Arved Fuchs und Reinhold Messner durchqueren zu Fuss die Antarktis. Und Bernhard Ernst startet als Aufseher/Betreuer in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies. Auch heute noch – mehr als drei Jahrzehnte später – arbeitet er dort und blickt im Interview zurück auf Entwicklungen und Herausforderungen.

Bernhard, wie hat sich Deiner Meinung nach der Justizvollzug seit deinem Start 1990 verändert?

Bernhard Ernst, Aufseher/Betreuer JVA Pöschwies

«Der Wandel im Haftalltag ist beeindruckend und vielseitig. Früher als «Aufpasser» oder «Wärter» bekannt, haben wir uns zu «Aufsehern» und «Betreuern» entwickelt, während sich die «Insassen» in «Gefangene» bzw. «Inhaftierte» wandelten. »

Bernhard Ernst

Die baulichen Veränderungen sind ebenso eindrücklich: Aus einer Ära ohne normale Toiletten, wo Gefangene täglich Kübeleimer zur Entleerung tragen mussten, sind wir in eine Zeit mit modernen WC-Anlagen und grösseren Zellen, komplett mit direktem Fensterblick, übergegangen. Früher mussten die Insassen sich strecken, um durch hochgelegene Fenster zu schauen, heute haben sie fliessendes Kalt- und Warmwasser direkt in ihren Zellen. Das Strafgesetzbuch wurde überarbeitet und das Ausbildungssystem für Mitarbeitende im Justizvollzug hat sich stetig verbessert, mit einem eidgenössischen Fachausweis als neuen Standard. Das Bildungsangebot für Gefangene, wie das Programm «BiSt» (Bildung im Strafvollzug), hat sich ständig erweitert um letztlich noch stärker auf die Wiedereingliederung hinzuwirken. Gemeinsame Aktivitäten zwischen Inhaftierten und Betreuenden wie Billard, Tischtennis oder Jassen gehören zum Justizvollzugsalltag.
Mit innovativen Programmen wie dem «AIP Ambulantes Intensiv Programm» in der JVA Pöschwies werden Wahrnehmungen und Erfahrungen von verschiedenen Abteilungen gemeinsam mit den Inhaftierten erörtert. Neue Formate wie die «Fallintervision» haben die Anzahl der Sitzungen erhöht und bieten neue Lernmöglichkeiten, wie z.B. unsere bevorstehende Lernreise.

Wie hat sich der technologische Fortschritt entwickelt?

Der Einzug des Computers hat unsere Arbeitsweise grundlegend verändert. Was früher mühselig per Schreibmaschine erledigt wurde, wird heute effizient am PC bearbeitet. Formulare und Richtlinien sind jetzt digital verfügbar, was unseren Alltag enorm erleichtert und effizienter gestaltet. Dieser technologische Fortschritt hat uns zwar vor Herausforderungen gestellt, aber auch viele Prozesse vereinfacht. Insgesamt zeigt dieser Wandel, wie weit wir gekommen sind und wie der Justizvollzug sich ständig weiterentwickelt.


Dein Sohn Pascal arbeitet ebenfalls in der JVA Pöschwies. Inwiefern unterscheidet sich die Herangehensweise an den Beruf des Aufsehers zwischen dir und deinem Sohn?

Ich sehe, dass mein Sohn Pascal und ich eine ähnliche Herangehensweise an unseren Beruf haben, obwohl unsere Persönlichkeiten natürlich unterschiedlich sind. Der wesentliche Unterschied zwischen uns liegt in unseren spezifischen Arbeitsbereichen. Während ich mich auf den Betreuungsbereich konzentriere, ist Pascal im Werkbereich tätig. Diese unterschiedlichen Schwerpunkte bringen jeweils andere Herausforderungen mit sich. Trotz unterschiedlicher Arbeitsfelder haben die Mitarbeitenden das gemeinsame Ziel, einen positiven Einfluss auf das Leben der Inhaftierten auszuüben und zur Sicherheit und Ordnung in der JVA beizutragen.


Hast du deinem Sohn zu diesem Beruf geraten und warum? Und gibt es einen speziellen Rat, den du deinem Sohn in Bezug auf diesen Beruf gegeben haben?

Er hat vieles mitbekommen und scheinbar hat ihn das motiviert, ebenfalls in diesen Beruf einzusteigen. Pascal soll so bleiben wie er ist, menschlich und fröhlich. Er muss mich nicht kopieren.


Was war die überraschendste Lektion, die du im Umgang mit Inhaftierten gelernt hast?

Das gegenseitige Finden, auch in Konfliktsituationen und das Erreichen eines gemeinsamen Ziels für ein konfliktfreies Miteinander.


Was ist deiner Meinung nach der grösste Mythos über das Gefängnis, den die Öffentlichkeit glaubt?

Dass die Inhaftierten es schön haben wie in einem Luxushotel. Nimmt man Besucherinnen und Besucher z.B. bei einem Angehörigenbesuch mit, merken sie schnell, dass eingesperrt zu sein und am Abend nicht noch etwas mit den Kolleginnen und Kollegen oder den Partnerinnen oder den Partnern unternehmen zu können doch nicht so ist wie in einem Luxushotel. Vor allem, wenn dann am Abend die Zellentüren bis zum nächsten Morgen geschlossen werden.


Gibt es eine Sache, die du gerne an bereits an deinem ersten Tag als Aufseher/Betreuer gewusst hättest?

Ich wurde durch die damaligen Mitarbeitenden gut eingeschult und durch die vielen Gespräche hatte ich ein besseres gesamtes Bild vom Vollzug. Gerne hätte ich gewusst, wo wir in 30 Jahren stehen.


Das Interview führte Nadine Lumme, Projektleiterin Kommunikation Justizvollzug und Wiedereingliederung

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