«Stahl der Steinzeit»: Wie die Pfahlbauer zu ihrem Werkzeug kamen

Mehr als 30’000 Stücke Feuerstein untersuchte Kurt Altorfer. Nun liegen die Resultate seiner Forschungsarbeit in der neuen Monographie der Kantonsarchäologie Zürich vor. Sie schildert den Weg vom Rohmaterial aus den Abbaustellen an der Lägern bis zum fertigen Gerät in den Ufersiedlungen an den Zürcher Seen. Vom Werkstoff Silex ausgehend, lassen sich Schlüsse auf die jungsteinzeitliche Wirtschaft und Gesellschaft im Kanton Zürich ziehen.

Archäologische Untersuchungen in den Ufersiedlungen am Zürichsee brachten neben hölzernen Gebäuderesten und Keramik auch Tausende Geräte aus Silizit (Silex, Feuerstein) ans Tageslicht. Viele davon stammen aus den natürlichen Vorkommen an der Lägern. Ihre Gewinnung, die Verarbeitung und ihre Bedeutung im Warentausch im Zeitraum von 4400–2400 v. Chr. sind das Thema der umfangreichen Neuerscheinung der Kantonsarchäologie.

Bergbau an der Lägern

In den Bohnerzlehmschichten im Hügelzug der Lägern sind zahlreiche Knollen aus Silizit eingebettet. Sie sind der Rohstoff für den «Stahl der Steinzeit». Aus ihnen können geschickte Handwerker scharfkantige Stücke schlagen, die sich zum Schneiden, Schaben, Bohren oder für Pfeilspitzen eignen. Gefördert wurden die Knollen aus tiefen Abbaugruben, den sogenannten Pingen. Die neu publizierte Untersuchung richtete ihren Blick insbesondere auf neu entdeckte jungsteinzeitliche Abbaustellen in Otelfingen und Boppelsen. Dort wurden die Knollen nicht nur aus dem Boden geholt, sondern gleich vor Ort getestet und fachgerecht sortiert. Kleine oder minderwertige Knollen, die sich nicht für die weitere Verarbeitung eigneten, warfen die Bergleute gleich wieder in die Grube. Das Steinmaterial zeigt, dass sie sehr sorgfältig mit dem Rohstoff umgingen. Jedes brauchbare Stück wurde abtransportiert, nur Abfall zurückgelassen.

Spezialisierte Werkstätten und gelenkter Warentausch

In nahe gelegenen Ateliers verarbeiteten erfahrene Steinbearbeiter die Knollen zu qualitätsvollen Halbprodukten, die später zu Geräten zurechtgeschlagen wurden, oder stellten gleich selber Beile, Dolche, Pfeilspitzen usw. in Serie her. Die Leistung der neolithischen Werkstätten ist beeindruckend. Durch das Bearbeiten der Silizitstücke mit Werkzeugen aus Stein und Geweih brachten sie regelmässige, ästhetische überaus ansprechende Formen mit millimetergenauen Retuschen zustande. Bei manchen Produkten könnte sogar die äussere Erscheinung vor dem praktischen Gebrauch gestanden haben – vielleicht dienten sie rituellen Zwecken oder als Statussymbole. Bemerkenswerte Rückschlüsse lässt das Material auf den Warentausch zu: Die Menge wurde gezielt gesteuert, um die Nachfrage und den Tauschwert hoch zu halten.

Eine arbeitsteilige Gesellschaft

Während im Furttal und im Wehntal unzählige Fundplätze mit geschlagenen Silices auf Werkstätten hinweisen, scheinen in den Ufersiedlungen am Zürichsee die Verbraucher gelebt zu haben. Dort fanden sich nämlich keine Belege für eine serielle Klingenproduktion, sondern nur die fertigen Geräte oder vorfabrizierte Grundformen. Für eine Arbeitsteilung spricht zudem, dass die Förderung und Verarbeitung zu hochwertigen Endprodukten ein Knowhow voraussetzt, das über Generationen entstand und im engeren Kreis weitergegeben wurde. Möglicherweise wurden die Silizite gegen landwirtschaftliche Produkte, Textilien oder andersartige Geräte getauscht. Darauf könnten unterschiedliche wirtschaftliche Schwerpunkte mancher Seeufersiedlungen hinweisen. Einen gewinnorientierten Handel gab es aber nicht. Der Warentausch über kleinere oder grössere Distanzen hatte in neolithischer Zeit keine rein ökonomische Funktion, sondern diente genauso der Festigung sozialer und möglicherweise auch politischer Bindungen. Die so fassbaren Austauschsysteme lassen auf eine gut vernetzte, differenziert handelnde und in hohem Mass anpassungsfähige Gesellschaft schliessen.

Silizitversorgung vom 5. bis 3. Jahrtausend v. Chr.

Werkstofftechnologie und Kommunikationsnetze in Zürcher Feuchtbodensiedlungen
Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 58 (Zürich/Basel 2023)
Autor: Kurt Altorfer
2 Bände, 672 Seiten, 523 Abbildungen, 142 Tafeln
Preis Fr. 155.–, Sonderpreis bis 31. Mai 2024 Fr. 115.–

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