Vom Franziskanerkloster zum Obergericht

Franziskanermönche gründeten im 13. Jahrhundert ein Kloster am Rand der damaligen Stadt Zürich. Der Gebäudekomplex erlebte eine äusserst wechselvolle Geschichte: die Kirche wurde nach der Reformation zum Kornspeicher und ab 1834 zum ersten Stadtzürcher Theater. Im Konventsgebäude wohnten zunächst Mönche, dann richtete sich das Obmannamt und später schliesslich das Zürcher Obergericht darin ein. Die neuste Publikation der Kantonsarchäologie Zürich zeichnet die Baugeschichte und die vielfältige Nutzung detailliert nach. Sie stützt sich dabei auf die Resultate archäologischer Untersuchungen und einen reichen Bestand an historischen Bildern und Texten.

Im 13. Jahrhundert legten Franziskanermönche den Grundstein für eine Klosteranlage innerhalb der Zürcher Stadtmauern auf einem steil abfallenden Gelände am Wolfbach. Die Klosterkirche, eine dreischiffige Basilika mit einem langrechteckigen Chor, nahm mehrere Altäre auf. Parallel zur Kirche, auf der andern Seite des Wolfbachs, kam das Konventsgebäude zu stehen, das über ein Zwischengebäude mit der Kirche verbunden war. Der Kreuzgang schloss östlich an das Zwischengebäude und den Chor an. Eine Sakristei am Abschluss des Chors, nördlich davon der Kapitelsaal und ein Küchenanbau am Konventstrakt vervollständigten den Klosterbezirk im 14./15. Jahrhundert.

Bemerkenswert ist die reiche Verzierung der spätmittelalterlichen Kreuzgangarkaden gegen den Innenhof: Nicht weniger als 39 verschiedene Muster liessen sich die Steinmetze einfallen. Der Aufwand für diese Masswerkdekoration war ausserordentlich gross, in den 1950er-Jahre brauchten vier Steinmetze nämlich ganze zehn Wochen, um vier Kopien davon für die Renovation des Kreuzgangs aus dem Stein zu hauen. Viele Arkaden sind heute noch im Original erhalten, während einige nach dem Brand der Anlage abgetragen und im Schweizerischen Landesmuseum eingebaut wurden.

Von der kirchlichen zur weltlichen Nutzung

Die Reformation brachte 300 Jahre nach der Klostergründung einen abrupten Wechsel. Das Kloster wurde aufgehoben, 1523–1526 entfernte man die kirchliche Ausstattung samt der Altäre und sämtliche Teile des Gebäudekomplexes erhielten eine neue Funktion. Zur Hauptsache diente die Anlage für die nächsten drei Jahrhunderte als Sitz für das Obmannamt, eine neu geschaffene städtische Stelle zur Verwaltung der ehemaligen Klostergüter. Die Kirche wurde bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts sukzessive zu einem riesigen Kornspeicher umgebaut. Das veränderte ihr Aussehen radikal: die einst niedrigen Seitenschiffe wurden hochgezogen und kamen mit dem Kirchenschiff unter ein Dach, hölzerne Zwischenböden wurden eingebaut und neue Fenster ausgebrochen.

Nach der Aufhebung des Obmannamts bot die Zürcher Regierung die Kornschütte auf einer Versteigerung zum Kauf an. Die «provisorische Theater-Commission» bekam beim Gebot von 17›000 Gulden den Zuschlag und gab in der Folge Aktien aus mit dem Ziel, das erste Stadtzürcher Theater ins Leben zu rufen. Sie baute im früheren Kirchenschiff einen Zuschauerraum mit 800 Plätzen und die Bühne ein, im Chor und den Seitenschiffen fanden Garderoben und Räume für Requisiten Platz. Am 11. November 1834 eröffnete das «Aktientheater» mit Mozarts «Zauberflöte» den Spielbetrieb. Vermutlich wegen eines Defekts an einer Gasleitung brannte das Haus in der Neujahrsnacht 1890 während einer laufenden Vorstellung ab – glücklicherweise ohne dass Personen zu Schaden kamen. Lange stand der Platz leer, bis die Staatskellerei 1936 hier ein Lagergebäude errichtete. Auf ein Theater wollte Zürich nicht mehr verzichten und bereits 1891 öffnete an prächtiger Lage am See das Opernhaus seine Türen.

Das Konventsgebäude nördlich des Wolfbachs beherbergte nach der Reformation Mönche der aufgehobenen Stadtzürcher Klöster. Mit der Schreibstube des Obmannamts übernahm es aber auch bereits eine Funktion als Verwaltungsgebäude, die ihm bis heute geblieben ist. Im 19. Jahrhundert wirkte hier die Eidgenössische Kanzlei, darauf die Zürcher Regierungskollegien und schliesslich das Obergericht.

Bemerkenswert ist auch der Wandel des Kapitelsaals am Hirschengraben. Das Gebäude wurde laufend erweitert und diente zunächst als Lagerraum und Trotte. 1806/07 stockte man es auf und gab ihm mit einem Säulenportikus ein repräsentatives, klassizistisches Aussehen. Wie später die ehemalige Kirche, bot auch dieser Gebäudeteil Raum für Vergnügungen: ein Casino unterhielt sein Publikum mit musikalischen und gesellschaftlichen Anlässen. Nach dessen Schliessung 1873 machte ein Umbau diesen Teil der ehemaligen Klosteranlage zum Hauptsitz des Zürcher Obergerichts.

Detailgetreue Rekonstruktionen dank Funden, Bildern und Fotos

Die Bau- und Nutzungsgeschichte vom mittelalterlichen Franziskanerkloster bis zum heutigen Gerichtsgebäude liesse sich nicht ohne einen überaus reichen Bestand an archäologischen und historischen Quellen beschreiben. Archäologische Ausgrabungen und Untersuchungen an den noch immer vorhandenen aufgehenden Gebäudeteilen seit den 1930er-Jahren erlauben es, Teile der Klosteranlage zu lokalisieren und Details der Ausstattung zu beschreiben.

Die bedeutendste archäologische Untersuchung fand unter der Leitung der Buchautorin Gabi Meier Mohamed auf dem Platz statt, wo heute der 2012 eröffnete Erweiterungsbau des Obergerichts steht. Die Grabungskampagnen brachten ausser Mauerstrukturen mehrere Bestattungen im ehemaligen Kircheninnern ans Tageslicht. Die anthropologische Auswertung der Skelette wirft einen Blick auf den bedenklichen Gesundheitszustand etlicher hier begrabener Personen. Faszinierend sind auch die Überreste des «Aktientheaters»: Kanäle und der Kesselraum einer Warmluftheizung und Reste der Gasbeleuchtung zeigen, dass man puncto Haustechnik auf der Höhe der Zeit lag. Auch Installationen der Bühnentechnik und der Theaterzierde konnten aus Schichten von Brandschutt freigelegt werden.

Die Autorin griff auch auf eine grosse Fülle von historischen Bildern und Plänen sowie schriftlich überlieferten Dokumenten zurück. Die Stadtansicht von Jos Murer 1576, die Planvedute von Johann Caspar Ulinger 1738 und zahlreiche weitere Ansichten ermöglichen im Zusammenspiel mit archäologischen und historischen Informationen für jede wichtige Bauphase detailgetreue Rekonstruktionen. Eine Rarität sind die Fotografien der Brandruine von Robert Breitinger aus dem Jahr 1890.


Monographien der Kantonsarchäologie Zürich 44 (Zürich/Egg 2014)
Das Franziskanerkloster in Zürich und seine baugeschichtliche Entwicklung bis zum Gerichtsgebäude.
Gabi Meier Mohamed
196 Seiten, 136 Abbildungen, 7 Tafeln
Preis Fr. 60.–, Einführungspreis bei Bestellung bis 30. September 2014 nur Fr. 45.–
Bezug: Verlagsshop auf www.fo-publishing.ch

Kirche, Kreuzgang und Kapitelsaal (rechts) des Franziskanerklosters im 14./15. Jahrhundert. 3D-Rekonstruktion auf der Basis von vorgefundenen Gebäudeteilen und historischen Ansichten.

Die Zeichnung Heinrich Kellers von 1830 zeigt links die zum Kornmagazin umgebaute Klosterkirche und rechts das 1807 eröffnete Casino.

Ein 30- bis 40-jähriger Mann fand in der Klosterkirche seine letzte Ruhestätte. Der aufgewölbte Oberkörper und die seltsame Lage des linken Arms deuten auf Tod durch Starrkrampf hin. Die weisse Ablagerung auf den Knochen ist Kalk, der auf die Toten gestreut wurde, um Keime abzutöten und den Geruch zu binden.

1834 eröffnete in der einstigen Klosterkirche das «Aktientheater» seinen Spielbetrieb. Es brannte in der Neujahrsnacht 1890 ab. Fotografie von Robert Breitinger.

(Medienmitteilung der Baudirektion)

Hinweis

Diese Meldung ist vor 2018 erschienen. Gegenüber der ursprünglichen Fassung sind alle Bilder, Links und Downloads entfernt worden. Dies beim Wechsel zum neuen kantonalen Webauftritt 2020.
Bei Fragen zu dieser Meldung wenden Sie sich bitte an den unten aufgeführten Kontakt.

Für diese Meldung zuständig: