Frühmittelalterlicher Friedhof in Dielsdorf wiederentdeckt
Medienmitteilung 16.03.2011
Im Vorfeld des Baus von zwei Mehrfamilienhäusern haben Mitarbeitende der Kantonsarchäologie Zürich in Dielsdorf ein Gräberfeld aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. entdeckt. Es kann als eines der wichtigsten frühmittelalterlichen Gräberfelder des Kantons Zürich betrachtet werden. Im Garten des ehemaligen Doktorhauses zwischen dem Hinteren Breistelweg und der Wydackerstrasse kamen knapp siebzig mit Kleidung Schmuck und Bewaffnung bestattete Menschen des Frühmittelalters zum Vorschein.
Bereits 1938 wurden beim Bau eines Hauses am Hinteren Breistelweg 1 in Dielsdorf neun frühmittelalterliche Körpergräber mit Beigaben entdeckt. Diese Funde, v.a. die Schwerter aus Männergräbern sowie zahlreiche Glasperlen von Halsketten aus Frauengräbern, datierten die Bestattungen etwa in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts. Da es sich bei Friedhöfen aus diesem Zeitraum in der Regel um grössere Gräberfelder handelt, musste von weiteren Bestattungen im Gartenbereich der Liegenschaft ausgegangen werden.
Ein Bauvorhaben führte zur Rettungsgrabung
Ein Bauprojekt, das den Abbruch des Einfamilienhauses und den anschliessenden Neubau zweier Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage vorsieht, löste im vergangenen Herbst Sondierungen seitens der Kantonsarchäologie Zürich aus. Bereits die ersten Grabarbeiten förderten menschliche Gebeine zutage. Um wenigsten sämtliche im Erdreich schlummernde Information zu sichern, bevor auf dem Platz die Baumaschinen auffahren, wurden die archäologischen Untersuchungen auf die gesamte zu überbauende Fläche ausgedehnt. Seit September 2010 und noch bis Anfang April 2011 gilt es, eine Fläche von 1300 m2 archäologisch abzuklären.
Kleider, Schmuckstücke, Alltagsgegenstände
Was die Durchsicht der Archivakten und die ersten Sondierungen erwarten liessen, bestätigte sich kurz nach Grabungsbeginn: Die Nekropole erstreckte sich über die gesamte Bauparzelle. Dieser Platz zeichnete sich durch eine leicht erhöhte Lage auf einer natürlichen Terrassierung zwischen der heutigen Wehntalerstrasse und dem Hangfuss des nordöstlichen Lägernausläufers aus. Wie es für Friedhöfe des 6. und 7. Jahrhundert üblich ist, folgte ein Grab auf das andere in mehr oder weniger regelmässigen Reihen. Bis heute sind gut drei Viertel der zu untersuchenden Fläche abgeklärt. Es konnten bisher 69 Bestattungen sowohl archäologisch als auch anthropologisch untersucht werden. Bei den Gräbern in Dielsdorf handelt es sich durchwegs um Körperbestattungen in gestreckter Rückenlage. Die Toten waren in ihrer Kleidung und mit persönlicher Ausrüstung beigesetzt worden. Gürtelgarnituren, deren eiserne Beschlagplatten aufwändig mit Mustern aus eingehämmerten Silberdrähten verziert waren – eine sogenannte Tauschierung – sind häufig Bestandteil der Männertracht. Frauen trugen Gürtel mit einfachen ovalen Eisenschnallen. Ebenfalls Bestandteil der Tracht sind bei den Männern die am Gürtel getragenen Täschchen. Sie dienen zur Aufnahme wichtiger Utensilien wie beispielsweise des Feuersteins und Feuerstahls, eines Kamms, einer Pinzette oder eines Messers, um nur eine Auswahl zu nennen. Dieselbe Funktion hatte bei den Frauen ein sogenanntes Gürtelgehänge, an dem Amulette, Schlüssel, Messer oder ein Beutel mit römischen Münzen hängen konnten. An Schmuck aus den Dielsdorfer Frauengräbern sind vor allem die farbigen Glasperlen von Halsketten erwähnenswert. Als einzige weitere Schmuckstücke sind die beiden einfachen silbernen Drahtohrringe der Frau aus Grab 26 zu nennen. Aufgrund der zeitlichen Einordnung dieser Funde ist der Beginn der Nekropole in die Zeitspanne des frühen 7. Jahrhunderts n. Chr. zu setzen. Eine Belegung des Friedhofs bis in die Zeit um 700 ist anzunehmen, wie ein sehr schlecht erhaltenes Steinkistengrab aus Tuffstein vermuten lässt.
Viele Gräber schon früh beraubt
Leider waren sehr viele Bestattungen zeitgenössisch, d.h. wenige Jahrzehnte oder sogar nur einige Jahre nach der Beisetzung, beraubt worden. Dies geht daraus hervor, dass bei einigen geplünderten Gräbern Körperteile wie z.B. die Arme auf unnatürliche Weise verschoben worden waren, aber dennoch in anatomisch korrektem Zusammenhang blieben. Folglich muss der Sehnenverband zum Zeitpunkt der Öffnung des Grabes wenigstens teilweise noch intakt gewesen sein. Die frühmittelalterliche Dorfgemeinschaft wusste, wer wo lag und wem welche Schätze ins Jenseits mitgegeben worden waren.
Hügelgräber weisen auf eine wohlhabende Oberschicht
Neben jenen von Bülach, Elgg und Flaach darf Dielsdorf «Wydacker» als eines der wichtigsten frühmittelalterlichen Gräberfelder des Kantons Zürich betrachtet werden. Als Besonderheit konnten hier erstmals vier Hügelgräber mit Kreisgraben beobachtet werden. Es handelt sich dabei um eine Grabform, die als Bestattungsform der Oberschicht bekannt ist. Die Untersuchung der Dielsdorfer Hügelgräber ist derzeit noch im Gange. Sie werden zweifellos auch über den wissenschaftlichen Rahmen hinaus von grossem Interesse sein. Dass gerade in Dielsdorf eine Oberschicht ansässig war, dürfte mit der verkehrsgeographischen Lage zwischen den alten römischen Zentren Zürich und Zurzach zusammenhängen. Die Gräber dürften wichtige Aufschlüsse zur Besiedlung dieses Gebietes im Rahmen des fränkischen Merowingerreiches geben.
Auswertung mit Aussicht auf spannende Erkenntnisse
Wichtige Informationen zu Leben und Sterben der frühmittelalterlichen Dielsdorfer sind von den weiteren Untersuchungen nach Abschluss der archäologischen Feldarbeiten zu erwarten. Sie starten Anfang April 2011. Zunächst erfolgt die anthropologische Auswertung des Skelettmaterials. Die bereits im Feld dokumentierten Knochen werden noch einmal eingehend auf Alter und Gesundheitszustand überprüft. Ausserdem erfolgt die Auswertung und Restaurierung der rund 400 Beigabenfunde, wovon etwa 40 en bloc geborgene Präparate besondere Aufmerksamkeit verdienen. Sie sollen möglichst bald unter Laborbedingungen ausgegraben und dokumentiert werden, da sie nicht dauerhaft gelagert werden können (Pilzbefall, Schädlinge). Bei den noch darin enthaltenen Funden handelt es sich – nebst Eisen- und Bronzeobjekten – hauptsächlich um fragile organische Reste von Holz, Leder, Fell oder Textilien, die naturwissenschaftlich untersucht werden müssen, um die darin enthaltenen Informationen zu sichern. Diese Arbeiten werden in Zusammenarbeit mit Fachleuten des Schweizerischen Nationalmuseums in Zürich/Affoltern a.A. und unter Beiziehung weiterer Spezialisten aus verschiedensten Disziplinen durchgeführt.
Dielsdorf, Wydacker.
Mitarbeitende der Kantonsarchäologie Zürich bei der Freilegung und Dokumentation der Gräber.
Dielsdorf, Wydacker.
Bestattung eines etwa 30-jährigen Mannes, dem zwei Schwerter mit ins Grab gegeben wurden.
Dielsdorf, Wydacker.
Detail der Schwertgriffe und drei Beschläge der Gürtelgarnitur.
Dielsdorf, Wydacker.
Blockbergung des zweischneidigen Langschwerts (Spatha).
Dielsdorf, Wydacker.
Frauengrab Nr. 26 mit farbigen Glasperlen einer Halskette und eines Armbands im Bereich der rechten Hand.
Dielsdorf, Wydacker.
Die Perlen der Halskette von Grab Nr. 26
(Medienmitteilung der Baudirektion)
Hinweis
Diese Meldung ist vor 2018 erschienen. Gegenüber der ursprünglichen Fassung sind alle Bilder, Links und Downloads entfernt worden. Dies beim Wechsel zum neuen kantonalen Webauftritt 2020.
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