Leihmutterschaft: Behörden im Dilemma

Leihmutterschaft dürfte es in der Schweiz nicht geben, und doch werden immer mehr Fälle bekannt. Neue Zahlen aus dem Kanton Zürich sollen etwas Licht auf ein Thema werfen, das häufig im Verborgenen bleibt.

Wenn Rechte aufeinanderprallen

In der Schweiz ist die Leihmutterschaft verboten. Doch auch hier gibt es Paare, die ihren unerfüllten Kinderwunsch mit Hilfe einer Leihmutter im Ausland verwirklichen. Und diese Fälle nehmen zu.

Das legt eine Auswertung der Fälle aus den Kantonen Zürich und Schwyz nahe. Im Kanton Zürich ist die Abteilung Zivilstandswesen des Gemeindeamts für die Frage des Registereintrags zuständig. Sie ist also eine der ersten Stellen, die entscheidet, in welchem offiziellen Verhältnis das Kind nach Schweizer Recht zu seinen Zürcher Wunscheltern steht. Sie ist damit auch eine der Stellen, die Fälle von Leihmutterschaft erkennen kann – aber längst nicht alle. Die Dunkelziffer ist weltweit hoch. 

Grafische Darstellung der erfassten Fälle von Leihmutterschaft im Kanton Zürich. Das Gemeindeamt hat seit 2012 insgesamt 82 Fälle von Leihmutterschaft behandelt und statistisch erfasst. 2012 und 2015 gab es je 2 Fälle, 2016 4, 2017 10, 2018 5, 2019 6, 2020 14, 2012 6, 2022 13 und 2023 20.
Das Gemeindeamt hat seit 2012 insgesamt 82 Fälle von Leihmutterschaft behandelt und statistisch erfasst.

Für die meisten Wunscheltern ist eine Leihmutterschaft ein letztes Mittel, nachdem alles andere nicht funktioniert hat. Denn die Wunscheltern gehen rechtliche Risiken ein, vor allem die Mutter. Zudem sind sie mit ethischen Dilemmas konfrontiert. Und nicht nur sie, sondern die Gesellschaft als Ganzes.

Bei der Leihmutterschaft prallen verschiedene und teils unvereinbare Rechts­ansprüche aufeinander. Die Wunscheltern haben ein Recht auf Familie. Das Kind hat ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Die Leihmutter hat ein Recht auf den Schutz der Würde der Frau. Sie alle haben ein Recht auf Menschenwürde, was je nach Perspektive etwas anderes heisst. So muss man das Kind davor schützen, «dass es zur Ware degradiert» werde, wie das Bundesgericht bereits zwei Mal erklärt hat.

Wie diese Rechte genau in Konflikt zueinander geraten, kommt auf den Fall an. Verschiedene Länder haben die Leihmutterschaft und allgemein das Abstammungsrecht unterschiedlich geregelt. Es macht zum Beispiel einen grossen Unterschied, ob der ausländischen Geburtsurkunde ein Gerichtsurteil oder nur ein Leihmutterschaftsvertrag zugrunde liegt.

Mutter ist nicht gleich Mutter

Zudem können verschiedene Arten der Elternschaft involviert sein. So gibt es rechtlich gesehen vier verschiedene Arten von Mutterschaft. Sie können auf verschiedene Arten überlappen.

  • Die biologische oder gebärende Mutter: Sie bringt das Kind zur Welt.
  • Die genetische Mutter: Von ihr stammt die Eizelle.
  • Die soziale Mutter: Sie kümmert sich um das Kind.
  • Die rechtliche Mutter: Sie ist als Mutter im Personenstandsregister eingetragen.

Bei den Männern ist die Sache etwas einfacher. Zwar kann es auch bei ihnen sein, dass die genetische, soziale und rechtliche Dimension nicht übereinstimmen. Doch sie sind in den meisten Fällen Samenspender – und können damit die Vaterschaft nach hiesigem Recht ganz einfach anerkennen. 

Grafische Darstellung der genetischen Verwandtschaft. In 65 Fällen ist nur der Wunschvater mit dem Kind verwandt, in 15 Fällen beide Wunschelternteile, in einem Fall nur die Wunschmutter, und in einem Fall besteht keine genetische Verwandtschaft zwischen den Wunscheltern und dem Kind.
In fast allen der 82 Fälle bestand eine genetische Verwandtschaft zwischen den Wunscheltern und Kind. In nur zwei Fällen war der Wunschvater nicht auch Samenspender.

Die Wunschmutter dagegen hat häufig nur die Möglichkeit, das Kind zu adoptieren. Denn in der Schweiz gilt grundsätzlich die Gebärende als Mutter. Da spielt es in der Regel keine Rolle, ob die Eizelle von der Wunschmutter stammt und die Leihmutter im Ausland auf Elternrechte verzichtet hat.

Erkennung ist nicht immer leicht

Jede individuelle Kombination der verschiedenen Faktoren zieht ihren eigenen, komplizierten Prozess nach sich. In jedem Fall müssen die zuständigen Behörden wie im Kanton Zürich das Gemeindeamt die genauen Umstände abklären und die verschiedenen Rechtsansprüche sorgfältig abwägen. Für sie ist es aber oft schwierig, überhaupt zu erkennen, dass es sich um eine Leihmutterschaft handelt.

Es gibt zwar offensichtliche Hinweise. Etwa dann, wenn der Altersunterschied zwischen den Eltern und dem Kind sehr gross ist. Oder wenn der Wohnsitz der Eltern nicht mit dem Geburtsort des Kindes übereinstimmt. Umso mehr, wenn der Geburtsort in einem der Länder liegt, die für Leihmutterschaften bekannt sind.

Grafische Darstellung der Geburtsländer der Kinder. 47 Kinder wurden in den USA geboren, 18 in der Ukraine, 3 in Georgien, je zwei im Iran, in Mexiko, in Griechenland, in Indien und in Brasilien, und jeweils eines in Thailand, in Südafrika, in Vietnam und in Kanada.
In diesen Ländern wurden die Kinder geboren.

Trotzdem fallen viele Fälle durch die Maschen. Die Abteilung Zivilstandswesen hat jährlich rund 2000 Geburten mit Auslandbezug zu prüfen. All diese Eltern unter einen pauschalen Leihmutterschafts-Verdacht zu stellen, wäre unangemessen. Zumal schon bei den bekannten Fällen von Leihmutterschaft die Mehrheit der Wunscheltern einem durchschnittlichen Elternpaar entspricht: Sie sind zwischen 31 und 40 Jahre alt und heterosexuell.

Grafische Darstellung der Art der Wunscheltern. Es handelt sich um 42 verschiedengeschlechtliche Paare, 31 gleichgeschlechtliche Paare und 9 Einzelpersonen.
Bei den 82 Fällen von Leihmutterschaft waren insgesamt 155 Wunscheltern involviert. 146 davon wünschten sich als Paar ein Kind, 9 als Einzelpersonen.
Grafische Darstellung der Alterverteilung bei den Wunscheltern. 6 Personen waren 20 bis 30 Jahre alt, 79 Personen waren 31 bis 40 Jahre alt, 51 Personen waren 41 bis 50 Jahre alt, 17 Personen waren 51 bis 60 Jahre alt und 2 Personen waren älter als 60 Jahre.
Das Alter der Wunscheltern zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes.

Je nach dem, was die Wunscheltern unternommen haben, um die Leihmutterschaft zu verheimlichen, hat das Konsequenzen. Wenn sie dafür zum Beispiel Dokumente gefälscht haben, machen sie sich strafbar. Nicht strafbar ist hingegen die reine Umgehung des Leihmutterschaft-Verbots.

Kind muss seine Herkunft kennen

Wenn Fälle von Leihmutterschaft unentdeckt bleiben, ist die Gefahr gross, dass das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung verletzt wird. Allerdings ist dies auch ein Risiko bei den bekannten Fällen. Auch hier ist in vielen Fällen das Recht auf Kenntnis der Abstammung nicht unbedingt gesichert. Das heisst: Es gibt keine Garantie dafür, dass das Kind eines Tages seine leibliche Abstammung nachforschen kann, wenn es das möchte. Zum Beispiel, weil es die private Vermittlungsfirma, die bei der Leihmutterschaft involviert war, bis zum Erwachsenenalter des Kindes gar nicht mehr gibt. Das Gemeindeamt kann aber einen Hinweis im Register platzieren. Dann hat das Kind zu einem späteren Zeitpunkt zumindest eine Chance, mehr über seine Herkunft herauszufinden, falls die Wunscheltern es dabei nicht unterstützen.

Bei der Frage des Registereintrags steht das Kindswohl im Zentrum der Überlegungen. Weil ein Kind aber verschiedene Bedürfnisse hat, müssen die Behörden abwägen, welche davon die wichtigsten sind. Es kann zum Beispiel sein, dass Wunscheltern ein Kind adoptieren dürfen, obwohl sie für ein normales Adoptionsverfahren vom Alter her nicht in Frage kommen würden. Von den 155 registrierten Wunscheltern trifft das auf rund 23 Prozent zu. Die meisten von ihnen überschritten den maximalen Altersunterschied. Der älteste Wunschelternteil war 76 Jahre alt. In solchen Fällen wird aber häufig höher gewichtet, dass für das Kind überhaupt jemand sorgt. 

Grafische Darstellung des Alters der Wunscheltern im Vergleich zu den Adoptionsbestimmungen: 4 Personen waren unter 28 Jahre alt, 119 Personen waren 28 bis 45 Jahre alt und 32 waren über 45 Jahre alt.
Alter der Wunscheltern im Vergleich zu den Adoptionsbestimmungen. Nach Schweizer Recht ist eine Person nicht für eine Adoption geeignet, wenn sie unter 28 Jahre alt ist oder der Altersunterschied zum Kind mehr als 45 Jahre beträgt. Von diesen Bestimmungen kann im Sinne des Kindswohles jedoch abgewichen werden.

Gesetze hinken hinterher

Die zuständigen Behörden müssen eine Lösung finden, die die Rechte aller Beteiligten möglichst wahrt – und das innerhalb des Rahmens des geltenden Schweizer Abstammungsrechts.

Die aktuelle Rechtsprechung führt teilweise zu seltsam anmutenden Entscheiden. So musste das Gemeindeamt nach geltendem Recht zum Beispiel eine georgische Leihmutter als Mutter eintragen − obwohl diese nicht Mutter sein wollte, die mit dem Kind genetisch verwandte Wunschmutter hingegen schon. Wäre die Leihmutter verheiratet gewesen, hätte das Gemeindeamt zudem deren Ehemann als Vater eintragen müssen – und nicht den Wunschvater, der in diesem Fall Samenspender war und somit sogar der leibliche Vater ist. So hätten es die Regeln der Vaterschafts­vermutung nach Schweizer Gesetz verlangt.

Das Bundesgericht stützte im obigen Beispiel den Entscheid des Gemeindeamts. Es betonte zum wiederholten Mal, dass die Rechtslage unbefriedigend sei. Es gibt auf Bundesebene bereits Pläne, das Abstammungsrecht zu ändern. Doch ein baldiger Abschluss ist wohl nicht in Sicht. Es sind noch viele Fragen offen, auf die es meist keine einfache Antwort gibt. Bis es soweit ist, liegt es unter anderem an den Zivilstandsbehörden, diese Fragen im konkreten Fall nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten. 

Zu den Zahlen

Das Gemeindeamt erhebt seit 2012 Daten über die Fälle von Leihmutter­schaft, die ihm bekannt sind. Weil die Dunkelziffer hoch ist, bilden diese nur einen Teil der Wirklichkeit ab. Dennoch will das Gemeindeamt mit einer ersten Auswertung etwas mehr Licht ins Dunkel bringen.

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