Leihmutterschaft dürfte es in der Schweiz nicht geben, und doch werden immer mehr Fälle bekannt. Neue Zahlen aus dem Kanton Zürich sollen etwas Licht auf ein Thema werfen, das häufig im Verborgenen bleibt.
Wenn Rechte aufeinanderprallen
In der Schweiz ist die Leihmutterschaft verboten. Doch auch hier gibt es Paare, die ihren unerfüllten Kinderwunsch mit Hilfe einer Leihmutter im Ausland verwirklichen. Und diese Fälle nehmen zu.
Das legt eine Auswertung der Fälle aus den Kantonen Zürich und Schwyz nahe. Im Kanton Zürich ist die Abteilung Zivilstandswesen des Gemeindeamts für die Frage des Registereintrags zuständig. Sie ist also eine der ersten Stellen, die entscheidet, in welchem offiziellen Verhältnis das Kind nach Schweizer Recht zu seinen Zürcher Wunscheltern steht. Sie ist damit auch eine der Stellen, die Fälle von Leihmutterschaft erkennen kann – aber längst nicht alle. Die Dunkelziffer ist weltweit hoch.
Für die meisten Wunscheltern ist eine Leihmutterschaft ein letztes Mittel, nachdem alles andere nicht funktioniert hat. Denn die Wunscheltern gehen rechtliche Risiken ein, vor allem die Mutter. Zudem sind sie mit ethischen Dilemmas konfrontiert. Und nicht nur sie, sondern die Gesellschaft als Ganzes.
Bei der Leihmutterschaft prallen verschiedene und teils unvereinbare Rechtsansprüche aufeinander. Die Wunscheltern haben ein Recht auf Familie. Das Kind hat ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Die Leihmutter hat ein Recht auf den Schutz der Würde der Frau. Sie alle haben ein Recht auf Menschenwürde, was je nach Perspektive etwas anderes heisst. So muss man das Kind davor schützen, «dass es zur Ware degradiert» werde, wie das Bundesgericht bereits zwei Mal erklärt hat.
Wie diese Rechte genau in Konflikt zueinander geraten, kommt auf den Fall an. Verschiedene Länder haben die Leihmutterschaft und allgemein das Abstammungsrecht unterschiedlich geregelt. Es macht zum Beispiel einen grossen Unterschied, ob der ausländischen Geburtsurkunde ein Gerichtsurteil oder nur ein Leihmutterschaftsvertrag zugrunde liegt.
Mutter ist nicht gleich Mutter
Zudem können verschiedene Arten der Elternschaft involviert sein. So gibt es rechtlich gesehen vier verschiedene Arten von Mutterschaft. Sie können auf verschiedene Arten überlappen.
- Die biologische oder gebärende Mutter: Sie bringt das Kind zur Welt.
- Die genetische Mutter: Von ihr stammt die Eizelle.
- Die soziale Mutter: Sie kümmert sich um das Kind.
- Die rechtliche Mutter: Sie ist als Mutter im Personenstandsregister eingetragen.
Bei den Männern ist die Sache etwas einfacher. Zwar kann es auch bei ihnen sein, dass die genetische, soziale und rechtliche Dimension nicht übereinstimmen. Doch sie sind in den meisten Fällen Samenspender – und können damit die Vaterschaft nach hiesigem Recht ganz einfach anerkennen.
Die Wunschmutter dagegen hat häufig nur die Möglichkeit, das Kind zu adoptieren. Denn in der Schweiz gilt grundsätzlich die Gebärende als Mutter. Da spielt es in der Regel keine Rolle, ob die Eizelle von der Wunschmutter stammt und die Leihmutter im Ausland auf Elternrechte verzichtet hat.
Erkennung ist nicht immer leicht
Jede individuelle Kombination der verschiedenen Faktoren zieht ihren eigenen, komplizierten Prozess nach sich. In jedem Fall müssen die zuständigen Behörden wie im Kanton Zürich das Gemeindeamt die genauen Umstände abklären und die verschiedenen Rechtsansprüche sorgfältig abwägen. Für sie ist es aber oft schwierig, überhaupt zu erkennen, dass es sich um eine Leihmutterschaft handelt.
Es gibt zwar offensichtliche Hinweise. Etwa dann, wenn der Altersunterschied zwischen den Eltern und dem Kind sehr gross ist. Oder wenn der Wohnsitz der Eltern nicht mit dem Geburtsort des Kindes übereinstimmt. Umso mehr, wenn der Geburtsort in einem der Länder liegt, die für Leihmutterschaften bekannt sind.
Trotzdem fallen viele Fälle durch die Maschen. Die Abteilung Zivilstandswesen hat jährlich rund 2000 Geburten mit Auslandbezug zu prüfen. All diese Eltern unter einen pauschalen Leihmutterschafts-Verdacht zu stellen, wäre unangemessen. Zumal schon bei den bekannten Fällen von Leihmutterschaft die Mehrheit der Wunscheltern einem durchschnittlichen Elternpaar entspricht: Sie sind zwischen 31 und 40 Jahre alt und heterosexuell.
Je nach dem, was die Wunscheltern unternommen haben, um die Leihmutterschaft zu verheimlichen, hat das Konsequenzen. Wenn sie dafür zum Beispiel Dokumente gefälscht haben, machen sie sich strafbar. Nicht strafbar ist hingegen die reine Umgehung des Leihmutterschaft-Verbots.
Kind muss seine Herkunft kennen
Wenn Fälle von Leihmutterschaft unentdeckt bleiben, ist die Gefahr gross, dass das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung verletzt wird. Allerdings ist dies auch ein Risiko bei den bekannten Fällen. Auch hier ist in vielen Fällen das Recht auf Kenntnis der Abstammung nicht unbedingt gesichert. Das heisst: Es gibt keine Garantie dafür, dass das Kind eines Tages seine leibliche Abstammung nachforschen kann, wenn es das möchte. Zum Beispiel, weil es die private Vermittlungsfirma, die bei der Leihmutterschaft involviert war, bis zum Erwachsenenalter des Kindes gar nicht mehr gibt. Das Gemeindeamt kann aber einen Hinweis im Register platzieren. Dann hat das Kind zu einem späteren Zeitpunkt zumindest eine Chance, mehr über seine Herkunft herauszufinden, falls die Wunscheltern es dabei nicht unterstützen.
Bei der Frage des Registereintrags steht das Kindswohl im Zentrum der Überlegungen. Weil ein Kind aber verschiedene Bedürfnisse hat, müssen die Behörden abwägen, welche davon die wichtigsten sind. Es kann zum Beispiel sein, dass Wunscheltern ein Kind adoptieren dürfen, obwohl sie für ein normales Adoptionsverfahren vom Alter her nicht in Frage kommen würden. Von den 155 registrierten Wunscheltern trifft das auf rund 23 Prozent zu. Die meisten von ihnen überschritten den maximalen Altersunterschied. Der älteste Wunschelternteil war 76 Jahre alt. In solchen Fällen wird aber häufig höher gewichtet, dass für das Kind überhaupt jemand sorgt.
Gesetze hinken hinterher
Die zuständigen Behörden müssen eine Lösung finden, die die Rechte aller Beteiligten möglichst wahrt – und das innerhalb des Rahmens des geltenden Schweizer Abstammungsrechts.
Die aktuelle Rechtsprechung führt teilweise zu seltsam anmutenden Entscheiden. So musste das Gemeindeamt nach geltendem Recht zum Beispiel eine georgische Leihmutter als Mutter eintragen − obwohl diese nicht Mutter sein wollte, die mit dem Kind genetisch verwandte Wunschmutter hingegen schon. Wäre die Leihmutter verheiratet gewesen, hätte das Gemeindeamt zudem deren Ehemann als Vater eintragen müssen – und nicht den Wunschvater, der in diesem Fall Samenspender war und somit sogar der leibliche Vater ist. So hätten es die Regeln der Vaterschaftsvermutung nach Schweizer Gesetz verlangt.
Das Bundesgericht stützte im obigen Beispiel den Entscheid des Gemeindeamts. Es betonte zum wiederholten Mal, dass die Rechtslage unbefriedigend sei. Es gibt auf Bundesebene bereits Pläne, das Abstammungsrecht zu ändern. Doch ein baldiger Abschluss ist wohl nicht in Sicht. Es sind noch viele Fragen offen, auf die es meist keine einfache Antwort gibt. Bis es soweit ist, liegt es unter anderem an den Zivilstandsbehörden, diese Fragen im konkreten Fall nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten.
Zu den Zahlen
Das Gemeindeamt erhebt seit 2012 Daten über die Fälle von Leihmutterschaft, die ihm bekannt sind. Weil die Dunkelziffer hoch ist, bilden diese nur einen Teil der Wirklichkeit ab. Dennoch will das Gemeindeamt mit einer ersten Auswertung etwas mehr Licht ins Dunkel bringen.