Zweisprachige Maturität Deutsch/Französisch an den Kantonsschulen Freudenberg und Zürich Nord; Schlussbericht der externen Evaluation; Überführung in den Regelbetrieb
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Ausgangslage
Mit RRB Nr. 139/2009 beschloss der Regierungsrat die definitive Einführung und Weiterentwicklung der zweisprachigen Maturität (bislang Deutsch/Englisch) sowie deren Ausweitung auf die Kombination Deutsch/Französisch.
Die Kantonsschulen Freudenberg und Zürich Nord (vormals Oerlikon) bewarben sich je um die Führung einer zweisprachigen Maturität Deutsch/Französisch. Die vorgelegten Immersionsmodelle beider Schulen enthielten von der bisherigen an den Zürcher Mittelschulen angebotenen Maturität Deutsch/Englisch abweichende Elemente:
- Fremdsprachenaufenthalt an einem Gymnasium in der Westschweiz: Während eines Quartals bzw. Semesters besuchen die Schülerinnen und Schüler den regulären Unterricht an einer Partnerschule in der Romandie und wohnen in einer Gastfamilie («vollständiger» Immersionsunterricht, im Gegensatz zum «teilweisen» Immersionsunterricht, welcher in der eigenen Schule erteilt wird).
- Spezielle Unterrichtsgefässe («Culture Générale», «Französisch-Konversationskurs»): Die Schülerinnen und Schüler werden damit auf den Immersionsunterricht vorbereitet.
- Kurssystem: Schülerinnen und Schüler der zweisprachigen Maturität Deutsch/Französisch werden lediglich für die immersiv unterrichteten Fächer in einer Klasse zusammengezogen, für die anderen Fächer sind sie auf die Regelklassen verteilt.
Mit Beschluss vom 28. September 2009 bewilligte der Bildungsrat den beiden Schulen, ab Schuljahr 2010/11 mit dieser Neuerung zu starten. Da die Immersionsmodelle als Mischformen von «teilweiser» und «vollständiger» Immersion sich erst noch zu bewähren hatten, legte der Bildungsrat fest, dass die zweisprachige Maturität Deutsch/Französisch bis Ende Schuljahr 2014/15 als befristeter Pilotversuch zu starten sei. Nach dem ersten zweisprachigen Maturitätsabschluss sei der Pilotversuch im Rahmen einer Evaluation auszuwerten, wobei dem Bildungsrat darüber bis Ende Dezember 2014 Bericht zu erstatten sei. Ausserdem wurde das Mittelschul- und Berufsbildungsamt (Amt) beauftragt, bis spätestens Mai 2011 einheitliche Promotionsbestimmungen für Schulbesuche von Gymnasien in der Romandie auszuarbeiten und dem Bildungsrat zur Beschlussfassung vorzulegen. Das daraufhin erarbeitete Reglement für Sprachaufenthalte von Schülerinnen und Schülern der kantonalen Mittelschulen (Sprachaufenthaltsreglement) wurde am 21. November 2011 vom Bildungsrat erlassen.
Mit der externen Evaluation des Pilotversuchs wurden Frau Dr. Claudine Brohy und Herr Prof. Dr. Jean-Luc Gurtner, Département des sciences de l’éducation der Universität Freiburg, beauftragt.
Ergebnisse der Evaluation
Zur Generierung von quantitativen und qualitativen Daten wurden für die Evaluation folgende Instrumente eingesetzt: Fragebögen, Leitfadeninterviews, Gespräche, Unterrichtsbeobachtungen, Analyse von internen Dokumenten und Schuldaten sowie Berücksichtigung der Ergebnisse von schulinternen Evaluationen. Es wurden auch soziodemografische Daten erhoben. Die Evaluation kam im Sommer 2014, zum Zeitpunkt der erstmals an den beiden Pilotschulen abgegebenen Maturitätsausweise Deutsch/Französisch, zum Abschluss. Der Schlussbericht zur externen Evaluation wurde dem Amt am 30. September 2014 vorgelegt. Die wesentlichen Erkenntnisse daraus lauten wie folgt:
Regulärer Schulbesuch eines Gymnasiums in der Romandie und Wohnen in einer Gastfamilie
Die Umsetzung dieser beiden Elemente gelingt insgesamt gut, die Organisation ist aber kompliziert und aufwändig. Dabei spielen die Austauschverantwortlichen an den Scharnierstellen zwischen den Schülerinnen und Schülern, den Partnerschulen und den Gastfamilien der Romandie sowie der Deutschschweiz eine wichtige Rolle. In Zürich ist der für beide Schulen zuständige Austauschverantwortliche eine an beiden Pilotschulen unterrichtende Lehrperson, in der Romandie sind es zum Teil kantonale Austauschverantwortliche der ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit oder zuständige Lehrpersonen und Schulleitungsmitglieder. Die Nachfrage nach Partnerschulen und Gastfamilien in der Romandie ist grösser als umgekehrt nach solchen in Zürich, entsprechend fragil ist das Gleichgewicht zwischen deren Angebot und Nachfrage in den beiden Landesteilen. Trotzdem fanden dank der guten Zusammenarbeit zwischen den Austauschverantwortlichen in Zürich und in der Romandie alle Schülerinnen und Schüler in den von der Evaluation berücksichtigten Jahrgängen einen Austauschplatz. Die Suche nach Gastfamilien gestaltet sich insgesamt als schwierig, und der Aufbau eines Netzwerks an Familien ist anspruchsvoll. Die meisten Familien sind nicht bereit, mehr als einmal einen Gastschüler oder eine Gastschülerin aufzunehmen. Die Plätze in den Gastfamilien haben sich jedoch insgesamt bewährt. Vor allem in der Anfangszeit wirkte sich zudem der Mangel an institutionalisierten Kontakten (Partnerschaften) zwischen den Schulleitungen und an Vernetzung der Lehrpersonen ungünstig aus. Dadurch fehlten häufig auf allen Ebenen wichtige Informationen.
Die meisten Schülerinnen und Schüler äusserten sich positiv zu ihrem Fremdsprachenaufenthalt in der Romandie; sie hätten ihre Französischkenntnisse verbessern können und seien zudem autonomer, reifer und unabhängiger geworden.
Promotionsregelung für die Semester- bzw. Quartalssprachaufenthalte an Gymnasien in der Romandie
Gemäss Sprachaufenthaltsreglement sind die im Rahmen eines Fremdsprachenaufenthalts der zweisprachigen Maturität erzielten Leistungen zwar nachzuweisen, aber nicht promotionswirksam. Die Schülerinnen und Schüler vermochten die nach dem Aufenthalt in der Romandie in den Sachfächern zum Teil bestehenden Wissenslücken bis zur Maturität wieder auszugleichen. Die Regelung hat sich insgesamt bewährt und wird von allen Beteiligten geschätzt.
Kurssystem an Stelle separater Immersionsklassen
Nach anfänglichen Schwierigkeiten organisatorischer Art, die in der Zwischenzeit gelöst werden konnten, hat sich das Kurssystem etabliert. Für die Stammklassen sind die aus der Romandie zurückkehrenden Schülerinnen mit ihrem zusätzlichen Engagement für die französische Sprache motivierend. Fast alle Schülerinnen und Schüler gaben an, dass sie sich nach dem Aufenthalt gut bis sehr gut wieder in der Stammklasse integrieren konnten.
»Culture Générale» und «Konversationskurs»
Die auf die Immersion vorbereitenden Unterrichtsgefässe «Culture Générale» und «Konversationskurs» wurden während der Evaluation ersetzt: an der Kantonsschule Freudenberg durch separat geführten regulären Französischunterricht und an der Kantonsschule Zürich Nord durch eine Einführung in die Immersion. Beide Anpassungen wurden in der Evaluation positiv beurteilt.
Methodisch-didaktischer Weiterbildungskurs
Der vom Amt initiierte und organisierte Kurs für Lehrpersonen mit der Immersionssprache Französisch wurde 2011 durchgeführt und war für alle betreffenden Lehrpersonen obligatorisch. Der Kurs erhielt von den 19 Teilnehmerinnen und Teilnehmern (13 aus dem Kanton Zürich, 6 aus anderen Kantonen) gute Rückmeldungen. Da in der Folge mangels Bedarf die Anmeldungen ausblieben, konnte der Kurs nur einmal durchgeführt werden. Seit 2014 wird er durch ein obligatorisches methodisch-didaktisches Coaching ersetzt, für welches das Amt in Zusammenarbeit mit den beiden Pilotschulen ein Pflichtenheft erarbeitete.
Profil (Motivation, Begründung, spezifisches Interesse) von Schülerinnen und Schülern, welche den zweisprachigen Maturitätsgang Deutsch/Französisch wählen
Zwei Drittel der Immersionsschülerinnen und -schüler sind Frauen. Die überwiegende Mehrheit (75%) der Schülerinnen und Schüler würde die zweisprachige Maturität Deutsch/Französisch wieder wählen. Als Grund für die Wahl dieser Maturität gaben die meisten das Kriterium «Mit dem zweisprachigen Unterricht lerne ich sicher besser Französisch als mit herkömmlichem Französischunterricht» an. Am zweithäufigsten wählten sie das Kriterium »Die Schweizer Mehrsprachigkeit ist mir wichtig». Wie die Analyse der Noten in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik sowie der Maturitätsnoten zeigt, sind die Schülerinnen und Schüler der Immersionsklassen nicht signifikant leistungsstärker als jene der Kontrollklassen. Hingegen zeigen sie bereits in der 3. Klasse, also vor Beginn des eigentlichen Immersionsunterrichts, signifikant bessere Leistungen im Fach Französisch. Seite
Fazit des Evaluationsteams
- Die Umsetzung des Pilotversuchs «Zweisprachige Maturität Deutsch/Französisch» ist anspruchsvoll, aber machbar. Sie gelingt insgesamt gut.
- Die zweisprachige Maturität Deutsch/Französisch kann in den Regelbetrieb der beiden Kantonsschulen überführt und auf weitere Zürcher Kantonsschulen ausgeweitet werden.
Empfehlungen des Evaluationsteams an die Adresse der Bildungsbehörden
- Die Stelle des Austauschverantwortlichen sollte stabilisiert, d.h. die Organisation des Austauschs bzw. Aufenthalts entweder an eine zentrale Stelle delegiert oder auf zwei Stellen (kantonale und schulische Ebene) verteilt werden.
- Es sollte eine Längsschnittstudie durchgeführt werden, um die Langzeiteffekte des Austauschs zu eruieren.
Empfehlungen des Evaluationsteams an die Adresse der Pilotschulen
Aus organisatorischen Gründen sollte der Austausch (1 Schüler/-in aus der Deutschschweiz – 1 Schüler/-in aus der Romandie) gegenüber dem Aufenthalt (1 Deutschschweizer Schüler/-in weilt in der Romandie) privilegiert werden, an beiden Schulen gleich lang (nämlich ein Semester) dauern, am Anfang des 5. Semesters angesiedelt und für alle Immersionsschülerinnen und -schüler der zweisprachigen Maturität Deutsch/Französisch obligatorisch sein.
Der Aufenthalt bzw. Austausch sollte mit den Partnerschulen verstärkt institutionalisiert, und die Kommunikation und der Informationsaustausch zwischen allen Akteuren sollten ausgebaut werden. Auch eine noch bessere Vernetzung mit externen Organisationen (Weiterbildungszentrale, ch Stiftung) ist anzustreben.
Erwägungen
Die Ergebnisse der Evaluation zeigen, dass die Umsetzung des Pilotversuchs einer zweisprachigen Maturität Deutsch/Französisch gelungen ist. Die dabei neu eingeführten Fremdsprachaustausche und -aufenthalte vermögen einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zum besseren gegenseitigen Verständnis über die Sprachgrenzen hinaus zu leisten. Für die Schülerinnen und Schüler sind sie nicht nur in sprachlicher Hinsicht ein Gewinn, sondern eine Erweiterung des schulischen Alltags und eine bereichernde und horizonterweiternde Lebenserfahrung.
An beiden Schulen haben die Immersionsschülerinnen und -schüler an der erstmals im Sommer 2014 durchgeführten zweisprachigen Maturitätsprüfung einen höheren Gesamtnotendurchschnitt erzielt als die Schülerinnen und Schüler der einsprachigen Maturität desselben Jahrgangs. Aufgrund dieses Befundes bedarf die vom Bildungsrat am 21. November 2011 beschlossene Regelung der ausgesetzten Promotion während des Austauschaufenthalts keiner Anpassung; es ist davon auszugehen, dass den betreffenden Schülerinnen und Schülern die Aufarbeitung der allfällig entstehenden Wissenslücken bis zur Maturitätsprüfung gelingt.
Ein wichtiger Teil des Erfolgs der Sprachaustausche bzw. -aufenthalte beruht auf einer klaren und genauen Organisation und Information. Dies ist vor allem in der frühen Phase der Einführung besonders anforderungsreich, da verschiedene Schulkulturen (Schulabläufe, Strukturen, Jahrespläne, Erwartungen, Anforderungen und Ziele) miteinander in Einklang zu bringen sind. Gut eingespielte Partnerschaften sind aufwändig zu erarbeiten. Vor zwei Jahren wurde an einer Pilotschule die Austauschverantwortung von einer Lehrperson an ein Schulleitungsmitglied übertragen. Damit konnten die anfänglichen Schwierigkeiten aufgefangen und die Vernetzung und die Kontakte mit den Partnerschulen auf allen Ebenen Schritt für Schritt optimiert werden. Es gilt, diese Bemühungen auch künftig fortzusetzen. Die beiden Pilotschulen sind überzeugt, heute organisatorisch auf gutem Weg zu sein, und zeigen sich bezüglich der weiteren Aufbauarbeit zuversichtlich. Beim gegenwärtigen Stand von lediglich zwei Immersionsschulen Deutsch/Französisch scheint es entgegen der Auffassung des Evaluationsteams und der Schulleitungen beider Schulen nicht angezeigt zu sein, für die Koordination eine zentrale kantonale Stelle einzurichten; die Austauschverantwortung soll weiterhin zu den Aufgaben der Schulen gehören.
Der Sprachaufenthalt bzw. -austausch wird an den beiden Schulen in einzelnen Punkten unterschiedlich gehandhabt. So erreicht die Kantonsschule Freudenberg im Gegensatz zur Kantonsschule Zürich Nord die geforderte Anzahl von Lektionen in der Zweitsprache auch ohne den Fremdsprachenunterricht in der Romandie. Deshalb können die Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Freudenberg wählen, ob sie einen Sprachaufenthalt von einem Quartal oder einem Semester Dauer absolvieren wollen. Der Fremdsprachaufenthalt wird ihnen zwar ausdrücklich empfohlen, ist aber nicht obligatorisch. Dieser pädagogische Spielraum soll der Schule auch weiterhin zugestanden werden, denn er ermöglicht ihr, individuell und gezielt auf den Einzelfall zu reagieren. Im Sinne einer höheren Gewichtung des pädagogischen Arguments wird daher entgegen der Auffassung des Evaluationsteams von einer organisatorischen Vereinheitlichung der unterschiedlichen Immersionsmodelle der beiden Schulen abgesehen.
Die im Zusammenhang mit den Unterrichtsgefässen «Culture Générale» und «Konversationskurs» erfolgten Anpassungen wurden vom Evaluationsteam als gut und vernünftig bewertet und sollen beibehalten werden.
Der Zürcher Pilotversuch erfüllt sowohl die Bestimmungen des Reglements der EDK über die Anerkennung von gymnasialen Maturitätsausweisen (MAR) vom 16. Januar / 15. Februar 1995 als auch jene des Reglements der schweizerischen Maturitätskommission (SMK-Reglement) für die Anerkennung kantonaler zweisprachiger Maturitäten vom 16. März 2012. Bereits am 10. März 2011 hatten die Kantonsschulen Zürich Nord und Freudenberg für ihre zweisprachige Maturität Deutsch/Französisch die gesamtschweizerische Anerkennung erhalten, welche mit dem Erlass des SMK-Reglements zu erneuern war. Die gesamtschweizerische Anerkennung für die zweisprachigen Maturitätsausweise Deutsch/Französisch, die an den beiden Schulen ab 2017 ausgestellt werden, liegt seit 14. Juli 2014 vor.
Aufgrund der Ergebnisse der Evaluation kann der Pilotversuch der zweisprachigen Maturität Deutsch/Französisch in den Regelbetrieb überführt werden. Eine Ausweitung dieses Angebots auf weitere Zürcher Kantonsschulen ist bildungspolitisch und pädagogisch sinnvoll.
Antrag
Auf Antrag der Bildungsdirektion beschliesst der Bildungsrat:
- Der Schlussbericht zur Evaluation der Einführung einer zweisprachigen Maturität Deutsch/Französisch an den Kantonsschulen Freudenberg und Zürich Nord vom 30. September 2014 der Universität Freiburg (Prof. Jean-Luc Gurtner und Dr. Claudine Brohy) wird zur Kenntnis genommen.
- Der Pilotversuch zweisprachige Maturität Deutsch/Französisch an den Kantonsschulen Freudenberg und Zürich Nord wird ab Schuljahr 2015/16 in den Regelbetrieb überführt. Die Einführung steht allen Zürcher Kantonsschulen offen.
- Publikation dieses Beschlusses sowie des Schlussberichts der Universität Freiburg vom 30. September 2014 in geeigneter Form im Internet.
- Mitteilung an die Kantonsschule Freudenberg; die Kantonsschule Zürich Nord; den Präsidenten der Schulleiterkonferenz Mittelschulen, Herrn Cornel Jacquemart; den Präsidenten der Präsidentenkonferenz Schulkommissionen Mittelschulen, Herrn Eric Huggenberger; den Präsidenten der Lehrpersonenkonferenz Mittelschulen, Herrn Marcel Meyer; Herrn Prof. Jean-Luc Gurtner, Universität Freiburg; Frau Dr. Claudine Brohy, Universität Freiburg; sowie das Volksschulamt, Hochschulamt und Mittelschul- und Berufsbildungsamt.