Wissenschaftliche Evaluation des Faches «Religion und Kultur» Abschluss der Evaluation und Veröffentlichung der Ergebnisse

Beschluss Bildungsrat
2013/42
Sitzungsdatum
19. Dezember 2013

Ausgangslage

Das neue obligatorische Schulfach Religion und Kultur ist ein allgemeinbildendes Unterrichtsfach. Leitvorstellung des Faches ist gemäss Lehrplan «eine Kompetenz im Umgang mit religiösen Fragen und Traditionen». Der Unterricht in Religion und Kultur ist religionskundlich ausgerichtet und als solcher bekenntnisneutral. Die Schülerinnen und Schüler lernen – unabhängig von ihrer Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu Religionen – grundlegende Begriffe der religiösen Traditionen kennen, setzen sich mit kulturellen und religiösen Sachverhalten auseinander und bauen ein stufengerechtes Sachwissen auf. Der Unterricht soll den gegenseitigen Respekt und das Verständnis für Menschen mit unterschiedlichem religiösem, kulturellem und weltanschaulichem Hintergrund fördern.

Der Bildungsratsbeschluss vom 23. August 2004 über die «Schaffung eines neuen Fachs Religion und Kultur" hält fest, dass das Fach im Wesentlichen auf zwei didaktischen Ansätzen beruht, nämlich «learning about religion» und «learning from religion». Im ersten Fall geht es um kognitive Wissensvermittlung über religiöse Phänomene und Inhalte, im zweiten Fall
um die kritische und reflektierte Auseinandersetzung der Lernenden mit den Unterrichtsinhalten, auch in Bezug auf ihre eigene Lebens- und Erfahrungswelt. Diese Anlage wird im Bildungsratsbeschluss vom 27. Februar 2006 zum Lehrplan für die Sekundarstufe I bestätigt. Religionskunde bildet den Schwerpunkt des Faches. Fragen der Jugendlichen können Ausgangspunkt von Unterrichtssequenzen sein. In Abgrenzung zum bisherigen konfessionellen Religionsunterricht («teaching in religion») wurde in der Folge für den religionskundlichen Unterricht insbesondere der Begriff «teaching about religion» verwendet.

Im Mai 2009 beschloss der Bildungsrat, die Einführungsphase von Religion und Kultur wissenschaftlich evaluieren zu lassen. Die externe Evaluation soll Einblick in den Unterricht im Fach Religion und Kultur in der Einführungsphase geben und unter anderem aufzeigen, ob und wie sich der Grundsatz des «teaching about religion» im Unterricht einlösen lässt. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Ch. Landert (Landert >Partner) wurde mit der Evaluation beauftragt. Die Evaluation dauerte von 2010 bis 2012 und umfasste einerseits schriftliche Befragungen von Lehrpersonen, Schulleitungen sowie Schülerinnen und Schülern und andererseits Unterrichtsbeobachtungen und Interviews. Der Schlussbericht wurde am 4. September 2012 eingereicht.

Ergebnisse der Evaluation

Schriftliche Befragung (Schulleitende, Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schüler) Unterrichtsbeobachtungen und Interviews (Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler):

  • Schulleitungen: 86% der Befragten sind mit der Einführung von Religion und Kultur zufrieden und fühlen sich nicht speziell gefordert. Für die Mehrheit ist das neue Fach ein Fach wie jedes andere (S. 40).
  • Schülerinnen und Schüler: Die Befragten nehmen das neue Fach im Vergleich zu Deutsch, Mathematik und Geschichte als einfacher wahr. Auch gefällt ihnen das Fach weniger als die genannten anderen Fächer (S. 40).
  • Praktisch alle Lehrpersonen kennen den Lehrplan (91%). Er wird von der Hälfte zur Unterrichtsplanung eingesetzt. Lediglich ein Viertel aller Befragten beurteilt den Lehrplan als (sehr) hilfreich (S. 30).
  • Die Lehrpersonen auf der Primarstufe thematisieren vorwiegend das Christentum. Auf der Sekundarstufe werden nichtchristliche Religionen fast zu gleichen Teilen oder häufiger thematisiert als das Christentum. Dabei werden auf beiden Stufen fast ausschliesslich Symbolbestände (gelehrte Religion) zur Sprache gebracht (S. 51).
  • Aus- und Weiterbildung: Aus den Unterlagen der Aus- und Weiterbildung geht nicht hervor, inwiefern die Grundlagen des neuen Unterrichtsfaches und die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen didaktischen Ansätzen («teaching/learning about religion», «teaching/learning from religion», «teaching/learning in religion») vermittelt wurden (S. 32). 54% der befragten Lehrpersonen äusserten das Bedürfnis, mehr in Bezug auf Religion und Kultur lernen zu wollen (S. 35).
  • Die Lehrpersonen erachten Ziele aus dem «teaching about religion» etwa gleich wichtig wie aus dem «teaching from religion». Alle «teaching in religion»- Ziele werden als deutlich weniger wichtig beurteilt (S. 46).
  • Die Gewichtung der Lernziele durch die Lehrpersonen stimmt weitgehend mit der Einschätzung des Unterrichts durch die Schülerinnen und Schüler überein. Die «teaching about religion»-Aspekte werden am häufigsten genannt (40– 85%), gefolgt von den «teaching from religion»-Aspekten (32–65%) (S. 49).
  • 85% der befragten Lehrpersonen verfügen über eine Lehrerausbildung (S. 36). Fachpersonen ohne Lehrerausbildung wenden den «teaching about religion»- Ansatz weniger häufig an als Lehrpersonen, die Religion und Kultur als neues Fach sehen (S. 68).
  • Lehrpersonen: Abgesehen vom höheren Vorbereitungsaufwand macht es für die Befragten keinen Unterschied, ob sie Religion und Kultur oder ein anderes Fach unterrichten. Wenige schätzen das neue Fach fachlich (16%) und didaktisch (3%) anspruchsvoller ein als andere Fächer (S. 39).

Fazit der Forschungsgemeinschaft Landert

  • Der von der Bildungsdirektion und vom Bildungsrat beabsichtigte obligatorische Unterricht ist aus Sicht des Evaluationsteams anforderungsreich aber machbar (S. 6).
  • Die Evaluation zeigt eine weitgehende Übereinstimmung von Lehrplan, Ausbildung und Unterrichtspraxis. Lehrpersonen wenden sowohl das «teaching about religion» als auch das «teaching from religion» an (S. 69).
  • Gemäss Forschungsteam kann das «teaching/learning from religion» zu spezifischen Problemen führen, insbesondere dann, wenn Schülerinnen und Schüler aufgefordert sind, Religionen zu beurteilen (S. 70 f.).
  • Das Fehlen eines konsequent am «teaching/learning about religion»- orientierten Lehrmittels dürfte gemäss Forschungsgemeinschaft die heterogene Umsetzung des Fachkonzepts in der Praxis begünstigt haben (S. 6, S. 74).
  • Die Forschenden orten Ursachen der heterogenen Praxis im Charakter jeder Innovation. Darüber hinaus werden spezifische Quellen einer konzeptwidrigen Praxis des intendierten Unterrichts erkannt, u.a. in der Fachdidaktik der Ausund Weiterbildung (S. 5, S. 74).
  • Die Ergebnisse der Evaluation sind für das Forschungsteam Landert der Grund, ausschliesslich die fachdidaktische «teaching/learning about religion»- Ausrichtung des Unterrichts zu empfehlen und auf den «teaching/learning from religion»- Ansatz vollständig zu verzichten (S. 5, 76f.).
  • Bei den Unterrichtsinhalten sollte konsequent nach deren Gegenwarts- und Zukunftsbezug für sämtliche Schülerinnen und Schüler gefragt werden. Phänomene, mit denen die Schülerinnen und Schüler im Alltag konfrontiert werden, sollen zur Sprache kommen (S. 77f.).

Erwägungen

Der Bezug zur Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen stellt in allen Fächern der öffentlichen Volksschule eine unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiches Unterrichten dar. Deshalb erachtet der Bildungsrat in einem religionskundlich ausgerichteten Unterricht neben dem Ansatz des «teaching/learning about religion» auch Elemente des «teaching/learning from religion» nicht nur als zulässig, sondern als notwendig. Zu beachten ist dabei, dass im Unterricht religiöse oder nichtreligiöse Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen zur Sprache kommen können, dass der Unterricht diese aber nicht selber generieren darf. Die Lernenden dürfen in ihren religiösen Gefühlen nicht verletzt werden. Eine Beurteilung von Religionen oder das Einfordern einer persönlichen Stellungnahme zu religiösen Fragen sind nicht zulässig.

Im Juli 2012 gab die Bildungsdirektion ein Gutachten zur Klärung der Frage der Legitimität eines Einsatzes von Elementen des «teaching/learning from religion» im religionskundlich ausgerichteten, obligatorischen Unterricht bei Prof. Dr. G. Teece, Dozent für Religionspädagogik an der University of Birmingham, in Auftrag. Das Gutachten bestätigt, dass Elemente des «teaching/learning from religion» im Unterricht eingesetzt werden können, ohne die geforderte Religionsneutralität zu verletzen. In Bezug auf den neutralen Religionsunterricht
schreibt Teece, dass das Aufwachsen in einer westlichen Demokratie die kritische Auseinandersetzung mit religiösen Lehren und Praktiken auf der Basis von eigenen, religiösen oder nichtreligiösen, Überzeugungen und Werten erfordert (Textstelle S. 36, übersetzt und zusammengefasst).

Nach Vorliegen des Evaluationsberichts gab die Bildungsdirektion im Auftrag des Bildungsrats im November 2012 ein Obergutachten zur fachwissenschaftlichen Überprüfung der Evaluation von Landert >Partner in Auftrag. Der entsprechende Auftrag erging an Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Dietrich Benner, Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, und an Frau Dr. Roumiana Nikolova, Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung der Freien Hansestadt Hamburg.

  • Die zentrale Aussage des Obergutachtens bestätigt die Konzeption des Faches Religion und Kultur: «Das der durchgeführten Evaluation zugrunde liegende Konzept unterscheidet mit guten Gründen zwischen religiöser Sozialisation im Rahmen der religiösen Praxis von Religionsgemeinschaften und Unterricht im Fach Religion und Kultur an öffentlichen Schulen. Es will aber ohne pädagogische, didaktische und unterrichtsmethodisch ausweisbare Gründe nicht nur das ›teaching/learning in religion’, sondern auch das ›teaching/learning from religion’ ›eliminieren’. Dies aber ist weder möglich, noch sinnvoll, noch erstrebenswert. Wohl aber muss zwischen den Formen eines ›teaching/learning from religion’ in öffentlichen Kontexten eines ›teaching about religion’ und im Kontext eines innerkirchlichen ›teaching in religion’ unterschieden werden. Das ›teaching/learning from’ ist in beiden Kontexten nicht dasselbe. Im Kontext des ›teaching/learning in religion’ ist das ›teaching/learning from religion’ Einführung in und unmittelbare Teilhabe an einer Glaubenspraxis, im Kontext des ›teaching/learning about religion’ vermittelt dagegen das ›learning from religion’ Grundkenntnisse, Deutungen und Partizipationsmöglichkeiten an religiösen Traditionen und Praktiken, die keinen Vollzug einer Glaubenspraxis, wohl aber ein Kennenlernen, Verstehen und Partizipieren an Sachverhalten von Religion und Kultur herbeiführen» (S. 15).

Das Obergutachten kommt dabei u.a. zu folgenden Schlussfolgerungen:

  • Die im Schlussbericht von Landert >Partner verwendete Unterscheidung zwischen «teaching /learning about religion» (als zulässig) und «teaching/learning from» (als unzulässig) eignet sich nicht als eine Konstruktion, mit der empirisch gültige und belastbare Aussagen gemacht werden können (S. 2).
  • Die Abgrenzung von «teaching/learning about, from und in religion» greift zu kurz. Sie verkennt, dass Lehrende und Lernende sich auf eine Sache, die sie vermitteln und lernen sollen, einlassen müssen, bzw. grenzt den legitimen Spielraum eines solchen Sich- Einlassens im Unterricht unzulässig ein (S. 20).

In der Folge hat die Bildungsdirektion Landert >Partner zur Stellungnahme zum Obergutachten eingeladen. Im zweiten Halbjahr 2013 hat der Bildungsrat zudem sowohl eine Vertretung der Autorenschaft des Obergutachtens sowie einen Vertreter von Landert >Partner anlässlich einer Sitzung angehört. Letzterer hielt an der Schlussfolgerung fest, dass ausschliesslich das «teaching/learning about religion» verfassungskonform sei.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse des Evaluationsberichts zeigen, dass die Integration des Fachs Religion und Kultur in den Schulalltag gelungen ist. Weder aus Sicht der Schulleitungen, der Lehrpersonen noch der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern zeigen sich ernsthafte Schwierigkeiten.

Die Evaluation fand in der Einführungsphase von Religion und Kultur statt, um allfällige Probleme zu eruieren, die in einer frühen Phase der Einführung auftreten können. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die befragten Lehrpersonen bezüglich der fachdidaktischen Ausrichtung des Faches noch eine zu wenig reflektierte Vorstellung haben und in der Anwendung
fachdidaktischer Ansätze noch zu wenig versiert sind. Anspruchsvoll erscheint insbesondere die Anwendung des «teaching/learning from religion»- Ansatzes.

Seit der Erhebungsphase haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Den Lehrpersonen stehen seit 2012 bzw. 2013 Lehrmittel für den religionskundlichen Unterricht zur Verfügung, die auf den Lehrplan des Kantons Zürich für das Fach Religion und Kultur ausgerichtet sind. Zudem wurden in der Einführungsphase aufgrund einer Prüfung «sur dossier» auch ehemalige Fachlehrpersonen für den KOKORU ohne Sekundarlehrdiplom zur Weiterbildung für Religion und Kultur zugelassen. Dies ist seit 2012 nicht mehr möglich.

Ziele des Unterrichts in Religion und Kultur sind kompetente Schülerinnen und Schüler im Umgang mit religiösen Sachverhalten. Dazu gehört, dass Lehrpersonen bei den Schülerinnen
und Schülern einen Bezug zur Lebenswelt schaffen und sie zu einer kritischen und reflektierten Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen aus dem Bereich Religion und Kultur anleiten. Ein so orientierter Unterricht ist aus Sicht des Bildungsrats mit der verfassungsrechtlich geschützten Glaubens- und Gewissensfreiheit vereinbar. Um diese Ziele zu erreichen, sind die beiden fachdidaktischen Ansätze des «teaching/learning about religion» und «teaching/learning from religion» notwendig. Mit geeigneten Aus- und Weiterbildungsmassnahmen sind weitere Verbesserungen bezüglich der fachdidaktischen Ausrichtung des Faches sicherzustellen.

Antrag

Auf Antrag der Bildungsdirektion beschliesst der Bildungsrat:

  • Die Ergebnisse des Schlussberichts der Forschungsgemeinschaft Landert >Partner sowie die Schlussfolgerungen der Gutachten der University of Birmingham (Prof. G. Teece) und der Humbolt-Universität (Prof. D. Benner und Dr. R. Nikolova) werden zur Kenntnis genommen.
  • Der Auftrag zur Evaluation der Einführungsphase des Unterrichts in Religion und Kultur wird abgeschlossen.
  • Publikation des Bildungsratsbeschlusses, des Schlussberichts der Forschungsgemeinschaft Landert >Partner sowie der Gutachten Teece und Benner / Nikolova in geeigneter Form im Internet.
  • Mitteilung an: das Departement Schule und Sport Winterthur, das Schul- und Sportdepartement Stadt Zürich, den Verband Zürcherischer Schulpräsidien, die Vereinigung der Schulleiterinnen und Schulleiter des Kantons Zürich, den Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband, den Schweizerischen Verband des Personals öffentlicher Dienste, Region Zürich, Sektion Lehrberufe, den Berufsverband der Sekundarlehrkräfte des Kantons Zürich, die Lehrpersonenkonferenz der Volksschule, die Pädagogische Hochschule Zürich, die Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik, die Vereinigung des Personals Zürcherischer Schulverwaltungen, die Kantonale Elternmitwirkungs- Organisation, das Generalsekretariat / Abteilung Bildungsplanung, das Volksschulamt, das Amt für Jugend und Berufsberatung, das Mittelschul- und Berufsbildungsamt, die Begleitgruppe zur Evaluation.

Kontakt

Bildungsdirektion

Adresse

Walcheplatz 2
8090 Zürich
Route (Google)

Telefon

+41 43 259 23 09

 

Telefonzeiten

Montag bis Freitag
8.30 bis 12.00 Uhr und
13.30 bis 17.00 Uhr

E-Mail

info@bi.zh.ch

(Für allgemeine Anfragen)

Medienkontakt Bildungsdirektion


Für dieses Thema zuständig: