Güterabwägung bei Tierversuchen

Eine Güterabwägung kommt immer dann zum Einsatz, wenn zwei oder mehr gleichrangige Güter oder Werte kollidieren und sich dadurch gegenseitig einschränken. Bei Tierversuchen sind dies v. a. der Erkenntnisgewinn sowie der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Mensch und Tier wie auch die Würde der Tiere. Doch wie kann man deren Werte vergleichen?

Inhaltsverzeichnis

Nicht-pathozentrische Belastungen

Unter nicht-pathozentrischen Belastungen versteht man Belastungen, welche Tiere «durch Erniedrigung, tiefgreifende Eingriffe in ihr Erscheinungsbild oder ihre Fähigkeiten oder durch übermässige Instrumentalisierung erleiden» (vgl. Art. 26 Tierversuchsverordnung). Bei der Güterabwägung, wenn also die Verhältnismässigkeit eines Tierversuchs beurteilt wird, müssen auch diese nicht-pathozentrischen Belastungen berücksichtigt werden.

Die entsprechenden Informationen sind im Tierversuchsgesuch Form A unter Punkt 33 «Effects on the animals» einzutragen. Auch im Antragsdokument, das bei jeder Begutachtung eines schwer belastenden Tierversuchsgesuchs durch die Tierversuchskommission (TVK) ausgefüllt werden muss und dann bei allen Prüfungen die Vorgehensgrundlage bildet, wird in einer eigenen Rubrik nicht nur nach Umschreibung, sondern seit Juni 2020 auch neu nach Bedeutung und Gewichtung der nicht-pathozentrischen Belastung in Prosa gefragt.

Um festzustellen, ob ein Tier in einem Versuch übermässig instrumentalisiert wird oder um abzuwägen, ob der erwartete Erkenntnisgewinn die vermutete Belastung rechtfertigt, hat die TVK Zürich einen Katalog mit Beispielen aus der Praxis zusammengestellt, bei denen Tiere nach Meinung der Kommission einer übermässigen Instrumentalisierung ausgesetzt sind. Er ergänzt die Ausführungen in «Güterabwägung: Erläuterungen» des BLV.

Beispielkatalog zur übermässigen Instrumentalisierung

Der Beispielkatalog ist in die drei Begründungen

A: Verzwecklichung,
B: Kumulation und
C: Parallelisierung

unterteilt. Die jeweiligen Beispiele geben beschreibende Anhaltspunkte und damit Kriterien, wann einem Versuch das Etikett «Übermässige Instrumentalisierung» angeheftet werden sollte. Die Beispiele gehen nicht ins Detail. Ob sie für einen konkreten Tierversuch gelten oder nicht, gehört zu dem Spielraum, der einer moralischen Bewertung eigen ist. Da der Katalog auf einem gemeinsamen Beschluss der TVK Zürich beruht, betrachtet diese ihn für ihre Arbeit als richtungsweisend.

Der Katalog ist ein Arbeitsdokument, das laufend überarbeitet und um weitere Beispiele ergänzt wird.

Begleitend zu diesem Beispielkatalog hat die Philosophin Suzann-Viola Renninger ein Essay zu den Hintergründen und zur Entwicklung des Katalogs verfasst: «Zur Instrumentalisierung von Versuchstieren».

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  Erläuterung und Beispiele
Das Tier erleidet einen Autonomieverlust über einen längeren Zeitraum. Das Tier kann seine Grundbedürfnisse nicht leben. Zu diesen gehören u. a. Biorhythmus, Bewegungsfreiheit oder Sozialkontakte. Dies ist etwa der Fall:
* bei Parabiose.
* bei Suchtmodellen mit erheblicher Abhängigkeit.
* bei Schlafentzug.
* bei längerer vollständiger Isolation sozial lebender Tiere, etwa wenn Schafe ohne Kontakt zu Artgenossen gehalten werden.
* bei Fixierung der Maus in einer Röhre über viele Stunden.
* beim Tethering von Zebrafinken, die damit am Baden gehindert werden.
Das Tier befindet sich in einer Grenzsituation. Das Tier wird einer es überfordernden Situation über längere Zeit ausgesetzt. Es kann dieser Situation weder entweichen noch kann es diese bewältigen. Dies ist etwa der Fall:
* beim Forced Swim Test für Mäuse.
* bei der induzierten Konfrontation mit fremden, überlegenen Artgenossen.
* beim vorzeitigen Trennen noch säugender Jungtiere von der Mutter.
Das Überleben des Tieres spielt keine Rolle. Im Versuch geht es ausschliesslich um die Frage, ob das Tier diesen überlebt oder nicht.  Dies ist etwa der Fall:
* bei Fischen in Toxizitätstests.
Das Tier ist Ausschussware. Das Tier entsteht nur, damit andere Tiere als Versuchstiere dienen können. Dies ist nach der Tierschutzverordnung (TSchV) von 2008 immer der Fall:
* wenn «Tiere von Linien oder Stämmen eingesetzt werden, bei deren Zucht ein Anteil von über 80 Prozent der Individuen ohne die gewünschten Eigenschaften ist». (vgl. Art. 136 Abs. 1 Bst. k TSchV von 2008) Dies ist nach Empfinden der TVK jedoch auch der Fall:
* wenn nur ein Geschlecht gebraucht wird und fast alle Tiere des anderen Geschlechts getötet werden.
* bei GM-Mauslinien, bei denen eine hohe Prozentzahl der Tiere nicht den gewünschten Genotyp hat und daher getötet wird.
Das Tier hat nicht mehr die Fähigkeit, sich auf natürliche Weise fortzupflanzen. Das Versuchstier entsteht nur, wenn künstliche Methoden der Reproduktion wie In-vitro-Fertilisation angewandt werden. Dies ist nach der Tierschutzverordung (TSchV) von 2008 immer der Fall:
* wenn «Tiere von Linien oder Stämmen eingesetzt werden, […] bei denen die Zucht nur mittels In-vitro-Fertilisation möglich ist». (vgl. Art. 136 Abs. 1 Bst. k TSchV von 2008)
Quelle: Tierversuchskommission Zürich

Begründung B: Kumulation Erläuterung und Beispiele
Das Tier erleidet mehrere, hintereinander folgende und somit stark pathozentrisch belastende Eingriffe (SG2, SG3). Nach einer minimalen Erholungsphase folgt der nächste Einsatz innerhalb des Versuchs. Die Anpassungsfähigkeit des Tieres wird durch diese Kumulation pathozentrischer Belastungen ausgeschöpft.*  Dies ist etwa der Fall:
* wenn das Tier entweder mehr als ein Gehirntrauma (1) oder mehr als eine stereotaktische Operation (2) oder mehr als einen belastenden Verhaltenstest (3) erleidet. Oder wenn diese drei Manipulationen (1) bis (3) in kurzer Zeit hintereinander folgen.
* wenn Tiere nach einem oder mehreren belastenden Eingriffen (etwa Operationen am Gehirn) über Wochen oder Monate für ihr Grundbedürfnis an Wasser fast jeden Tag und für längere Zeit Aufgaben ausführen müssen.
Quelle: Tierversuchskommission Zürich

Begründung C: Parallelisierung Erläuterung und Beispiele
Die pathozentrische Belastung ist selbst für ein SG3 ungewöhnlich hoch.  Die Höhe der pathozentrischen Belastung wird mit jener der nicht-pathozentrischen Belastung parallelisiert: Ist jene übermässig, so ist es auch diese. Dies ist etwa der Fall:
* bei der Provokation neurologischer Ausfälle jegl. Art (kognitiv, motorisch, sensorisch). Etwa beim induzierten Hirnschlag (bspw. MCAO), beim induzierten status epilepticus (Kainat-Injektion), bei der Induktion von Lähmungen ähnlich der MS in EAE-Modellen.
* bei genetisch modifizierten Tieren oder belasteten Mutanten im SG3, wenn der belastende Phänotyp nicht durch belastungsmindernde Massnahmen auf weniger als SG 3 reduziert wird (etwa Mauslinie B6.Cg-Fbn1Tsk/J (#014632), bekannt als B6-tight skin, Shortname: Tsk1-B6).
Quelle: Tierversuchskommission Zürich

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