«Zäme für d’Lehr»: Gut vorbereitet ins Berufsleben starten
Schulblatt 26.09.2025
Das Projekt «Zäme für d’Lehr» soll Sekundarschülerinnen und Sekundarschüler, die bereits einen Lehrvertrag in der Tasche haben, motivieren, die Übergangszeit aktiv zu gestalten und als Vorbereitung für das Berufsleben zu nutzen. Davon profitieren alle Seiten, am meisten aber die Jugendlichen selbst.
Text: Walter Aeschimann Foto: Andreas Schwaiger
In der grossen Produktionshalle der Schreinerei Romer Wagner AG in Elsau riecht es angenehm nach Holz. Es ist der Arbeitsort von Nina Abt, lernende Schreinerin EFZ im zweiten Lehrjahr. «Ich wollte etwas Handwerkliches lernen und habe einiges angeschaut», erzählt die junge Frau, die nun zusätzlich die Berufsmaturitätsschule absolviert. Ihre Suche nach der passenden Ausbildung führte sie damals zum Schnuppern auch in die Romer Wagner AG. Hier fertigte sie eine iPad- Ladestation aus Holz und wusste schnell: «Ich will Schreinerin werden.» Später verbrachte sie drei weitere Tage in der Schreinerei und bekam die Zusage für die Lehrstelle. «Ich war megaerleichtert, und es hat mich sehr gefreut», sagt sie. Dominik Derrer ist ihr Ausbildner und erinnert sich: «Unter den zahlreichen Jugendlichen, die sich beworben haben, war Nina besonders motiviert. Sie hatte sehr gute Noten vorzuweisen, das Zwischenmenschliche stimmte, und ich hatte ein gutes Bauchgefühl.» Bei der Vertragsunterzeichnung fragte Derrer seine zukünftige Lernende, ob sie an einem Pilotprojekt teilnehmen wollte. Nina Abt fand das gut und unterzeichnete mit dem Lehrvertrag auch gleich eine Vereinbarung «Fit für die Lehre».
«Wir wollten das Ganze möglichst einfach und den Zeitaufwand gering halten, dennoch sollte ein optimaler Nutzen entstehen»
Sophie Gisler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Pädagogisches und Unterrichtsfragen im VSA
Das Projekt «Zäme für d’Lehr» ist als eines von mehreren Teilprojekten aus dem Programm «Volksschule Berufsbildung» (VSBB) hervorgegangen, das im Jahr 2019 von der Bildungsdirektion des Kantons Zürich lanciert worden war. Ziel von VSBB war es, die Schnittstelle zwischen Sekundarschule und der Berufsbildung genauer anzuschauen und wo nötig zu optimieren. Bei «Zäme für d’Lehr» geht es um den Übergang von der 3. Sekundarklasse in die Berufsbildung. Unter der Verantwortung des Volksschulamtes (VSA) nahmen das Mittelschul- und Berufsbildungsamt (MBA) und das Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB) gemeinsam den besagten Zeitabschnitt unter die Lupe. «Es war ein partizipativer Prozess, an dem auch immer wieder Vertreterinnen und Vertreter von Berufs- oder Schulleitungsverbänden teilgenommen haben», erklärt Sophie Gisler, Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Pädagogisches und Unterrichtsfragen im VSA.
Individuelle Ziele setzen
Die Analyse ergab, dass bei einigen 3.-Sek-Schülerinnen und -Schülern die Motivation für die Schule sinkt, wenn sie den Lehrvertrag unterzeichnet haben. «Die Zeit bis zum Beginn der Ausbildung sollten die Jugendlichen sinnstiftend nutzen können», sagt Gisler. Die Ämter haben sich deshalb auch überlegt, was der künftige Lehrbetrieb leisten und wie Schulen die Jugendlichen besser auf die Lehre vorbereiten könnten. Eine Möglichkeit sahen die Beteiligten darin, nach Abschluss des Lehrvertrags zwischen den Jugendlichen und dem künftigen Lehrbetrieb eine gewisse Verbindlichkeit herzustellen.
Mit der Vereinbarung «Fit für die Lehre» treffen der oder die angehende Lernende und der Lehrbetrieb gewisse Abmachungen, unterschrieben wird die Vereinbarung auch von der Klassenlehrperson und den Eltern. «Jede Vereinbarung kann individuell gestaltet werden», sagt Sophie Gisler, «wir geben lediglich das Konzept vor. Wir wollten das Ganze möglichst einfach und den Zeitaufwand gering halten, dennoch sollte ein optimaler Nutzen entstehen.» So können in der Vereinbarung beispielsweise Zielvorgaben für die Abschlussarbeit in der 3. Sek festgehalten werden. Ein angehender Schreiner etwa kann im Rahmen dieser Arbeit eine Holzarbeit gestalten. Es können auch zusätzliche Besuche im zukünftigen Lehrbetrieb, spezifische schulische Kompetenzen oder ein Portfolio mit Schwerpunktthemen zur künftigen Lehre als Ziele festgelegt werden. Wie viele Ziele formuliert werden, ist ebenfalls individuell, manche setzen nur eines fest, andere gleich mehrere. «Die Vereinbarung ist ein Hilfsmittel, um die Kooperation zwischen Schule, Lehrbetrieb und den Eltern zu fördern. Und die Jugendlichen sollen motiviert werden, die Übergangszeit aktiv zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen», sagt Gisler.
«Ich sehe den Mehrwert einer solchen Vereinbarung eher bei Jugendlichen, die in ihrer Berufswahl nicht ganz so sicher sind.»
Dominik Derrer, Ausbildner Schreinerei Romer Wagner AG
Bereits im Betrieb mitwirken
In Nina Abts Vereinbarung stand, dass sie ihren hohen Notenschnitt halten, als schulische Abschlussarbeit ein Werkstück aus Holz schreinern und nochmals eine Woche in der Schreinerei mitarbeiten sollte. Sie hat diese Ziele erreicht. Den hohen Notenschnitt erfüllte sie problemlos. Als Abschlussarbeit stellte sie eine Halterung aus geleimten Spanplatten für Ski und Snowboards her. Diese Vorrichtung realisierte sie zu Hause, informierte den künftigen Lehrbetrieb aber jeweils per Mail über die Arbeitsschritte und schickte ihm am Schluss das Dossier der Abschlussarbeit. «Der Betrieb hat mir sogar angeboten, dass ich meinen Schulvortrag zur Abschlussarbeit zuerst vor dem Team testen könnte», erzählt die Lernende. Aus terminlichen Gründen sei dieser Probelauf aber nicht zustande gekommen.
Während ihrer letzten Einsatzwoche bei der Romer Wagner AG im Frühling vor dem Stellenantritt hat sie bereits im Betrieb mitgewirkt. «Das war megacool und hat mir sehr geholfen. Ich habe das Team besser kennengelernt und wusste bei Lehrbeginn schon, wie die Schreinerei funktioniert.» Der Betrieb hatte die Zeit zudem genutzt, um Mass zu nehmen für die Arbeitskleidung ihrer baldigen Lernenden: T-Shirts, Hosen für den Sommer und Winter. «Eine zweite Schnupperwoche kann den Einstieg tatsächlich erleichtern und auch die Vorfreude auf den Lehrbeginn steigern», stellt Dominik Derrer fest. Zugleich müsse man sich auch mit der Klassenlehrperson treffen und absprechen:«Der Klassenlehrer war sehr kooperativ, als es darum ging, Nina nochmals eine Woche vom Unterricht freizustellen.»
Zwei Filme erklären Eltern das Bildungssystem
Die Bildungswege sind vielfältig. Ein Überblick ist nicht leicht. Umso wichtiger ist deshalb, dass Eltern frühzeitig informiert werden, welche Bildungswegefür ihre Kinder existieren. Denn am Ende der Primarschule steht schon eine erste Entscheidung an: Sekundarschule oder Langgymnasium? Im Rahmen des Programms «Volksschule Berufsbildung» wurden unter der Federführung des Amtes für Jugend und Berufsberatung deshalb zwei Erklärfilme zum Bildungssystem produziert. Ein Kurzfilm von rund einer Minute vermittelt einen kompakten Überblick. Ein ausführlicher Erklärfilm zeigt die Bildungswege nach der Primarschule vertiefter auf. Auch die Durchlässigkeit des Systems wird beleuchtet. Nach einer Berufsausbildung kann man beispielsweise nach Erlangen der Berufsmaturität an einer Fachhochschule und später nach Absolvieren der sogenannten Passerelle an allen Hochschulen der Schweiz studieren. Die Erklärfilme können Lehrpersonen an den Elternabenden ihrer 5. Klassen zeigen. Die Filme sind im Elternbereich des Berufswahl-Portals aufgeschaltet. Dort finden Eltern auch weitere Informationen zum Bildungssystem und zur Berufswahl.
www.berufswahl.zh.ch > Für Eltern
Das Pilotprojekt lief im Schuljahr 2023/24 mit rund 20 Betrieben und 30 Jugendlichen und ist nun abgeschlossen. Teilgenommen haben Betriebe und Lernende unterschiedlicher Berufe: Kaufmann, Fachfrau Gesundheit, Schreinerin oder Polymechaniker. Auch waren junge Frauen und Männer zahlenmässig etwa gleich gut vertreten. Die abschliessende Online-Evaluation ergab, dass das Projekt bei allen Beteiligten gut angekommen ist. Als besonders positiv wurde die «Verbindlichkeit » hervorgehoben. Dank der Vereinbarung würden alle Seiten motiviert und ein Anlass dafür gegeben, dass Lehrbetrieb, Schule und Eltern in Kontakt blieben oder den Kontakt gar intensivierten. Ausserdem sei der Zeitaufwand gering und das Formular einfach auszufüllen. Als herausfordernd wurde von einigen Lehrbetrieben allenfalls vermerkt, dass es eher schwierig sei, Ziele zu definieren, wenn man die Jugendlichen noch kaum kenne.
Das Konzept soll offen bleiben
In diesem Frühjahr wurde «Zäme für d’Lehr» auf der Website der Bildungsdirektion öffentlich gemacht und den verschiedenen Adressaten vorgestellt, etwa beim Verband der Sekundarlehrpersonen des Kantons Zürich, im Rahmen des Forums Schulführung des VSA, beim Verband Zürcher Schulpräsidien oder bei den Berufsverbänden. Ab Herbst 2025 sind die Schulen und Lehrbetriebe eingeladen, die Vereinbarung anzuwenden. «Die Teilnahme ist freiwillig und gratis. Das Konzept soll offen bleiben und kann auch weiterentwickelt werden», betont Sophie Gisler. Wichtig ist auch: Die Vereinbarung ist nicht rechtsverbindlich. Die gesteckten Ziele sollen zwar in der 3. Sek bis Ausbildungsbeginn erreicht werden, gelingt dies nicht oder nicht vollständig, darf dies jedoch nicht zum Verlust der Lehrstelle führen.
Dominik Derrer findet die Vereinbarung «eine gute Sache. Gerade im Zeitraum vom Herbst bis zum Lehrbeginn kann in diesem Alter sehr viel passieren. Die Vereinbarung kann tatsächlich helfen, dass der Übergang nicht so abrupt ausfällt, sondern fliessend ist.» Allerdings sei sie nicht bei allen Jugendlichen unbedingt nötig. «Bei Nina wäre die Vereinbarung nicht erforderlich gewesen. Sie war sehr motiviert und fokussiert und hat in der Schule weiterhin ausgezeichnete Leistungen gezeigt. Ich sehe den Mehrwert einer solchen Vereinbarung eher bei Jugendlichen,die in ihrer Berufswahl nicht ganzso sicher sind und bei denen die Gefahr besteht, dass sie schulisch etwas nachlassenkönnten.»
Nina Abt schätzte an der Vereinbarung vor allem, dass der Kontakt zum Lehrbetrieb stets aufrechterhalten blieb. Sie kann den Schülerinnen und Schülern, die nach der Sekundarschule eine Lehre absolvieren möchten, eine solche Vereinbarung sehr empfehlen: «Es ist kein grosser Zeitaufwand und kann helfen, dass man auch in der Schule etwas konzentrierter bleibt.» Nun muss sie sich aber wieder ihrem laufenden Auftrag widmen: An diesem Morgen schleift sie mit der Maschine Wandverkleidungen aus Eschenholz für ein Haus mit 18 Stockwerken.