Kreative Problemlöser von morgen fördern
Schulblatt 10.07.2025
Unternehmerische Kompetenzen werden an Berufsfachschulen noch wenig systematisch gefördert. Das Lernprogramm «myidea», hervorgegangen aus einer Initiative von Wissenschaft und Berufsfachschulen, soll dies ändern.
Text: Walter Aeschimann Fotos: Reto Schlatter
Die einen reden sachlich und preisen ihr Produkt mit leisen Worten an. Andere inszenieren sich selbstbewusst und powern voll drauflos. Dritte schliesslich versuchen es mit Humor, gespickt mit sprachlicher Finesse. Das Ziel ist bei allen das gleiche. Sie bewerben eine Geschäftsidee, was in der Geschäftswelt von heute «pitchen» heisst. Wir sind beim Finale der «myidea-Challenge» an der Berufsfachschule Uster.
Bei dieser Challenge handelt es sich um einen schweizweiten Wettbewerb, der sich an alle Berufslernende mit einer guten Geschäftsidee richtet. Unterschieden wird zwischen den drei Kategorien «(Social) Business Idea», «Real Market» und «Fight Fake News». Aus den rund 50 Einsendungen hat eine Jury pro Kategorie die besten drei für die Endrunde selektioniert.
Nun stehen die auserkorenen Teams auf der Bühne in der Mehrzweckhalle vor der Jury und werben mit Redekunst und Powerpoint-Präsentationen für ihr Produkt: etwa für eine App, die Wanderer zusammenführt, für individuell gestaltete Taschen aus hochwertigen Abfallstoffen (Upcycling) oder für Smoothies in Pulverform. «Wie wollt ihr die Produktentwicklung finanzieren?», «welches Zielpublikum sprecht ihr an?», «was ist das Besondere eures Angebotes?», fragt die Jury kritisch nach. Die Antworten kommen souverän: «Wir werden eine Crowdfunding-Kampagne starten.» «Wir sprechen nachhaltig denkende Konsumenten an, die eine persönliche Note schätzen.»
«Wir sind bisher die Einzigen, die ein solches Produkt anbieten.»
Unternehmerisches Denken wird in der Arbeitswelt immer wichtiger. Dafür braucht es spezifische überfachliche Kompetenzen: kritisches Denken, Probleme erkennen und kreativ lösen, Eigeninitiative zeigen oder kommunikative Fähigkeiten. «An den Berufsfachschulen fehlte eine systematische Integration von unternehmerischem Denken und Handeln im Unterricht. Es war oft von der Eigeninitiative einzelner Lehrpersonen abhängig», sagt Georg Berger, Direktor des Berufsbildungszentrums Olten. Deshalb lancierte er 2018 gemeinsam mit Susan Müller, inzwischen Professorin für Entrepreneurship an der Berner Fachhochschule, und weiteren Akteuren eine Initiative, die das ändern sollte.
«Gemeinsam mit Forschungskollegen hatte ich ein Entrepreneurship-Lernprogramm entwickelt und an Berufsfachschulen evaluiert», erzählt Müller. «Wir haben gesehen, dass es funktionierte, und wollten es vermehrt an Berufsfachschulen einführen. Dafür brauchte es gut vernetzte Akteurinnen und Akteure in der Berufsfachschulwelt.»
Breit abgestütztes Pilotprojekt
In der Folge entstand ein Team aus Vertreterinnen und Vertretern von Berufsfachschulen, Hochschulen und Wirtschaft. Es startete 2018 das Pilotprojekt «Unternehmerisches Denken und Handeln an Berufsfachschulen der Schweiz» (UDH). Im Rahmen des Pilotprojekts konnte das bereits getestete Entrepreneurship-Lernprogramm zum heutigen «myidea»-Lernprogramm weiterentwickelt und ein Weiterbildungsangebot für Lehrpersonen ausgearbeitet werden. «Ziel des Pilotprojektes war es, den Grundstein für die systematische und flächendeckende Verankerung von unternehmerischem Denken und Handeln in der beruflichen Grundbildung zu legen», erklärt Georg Berger. Dank der aktiven Unterstützung der Schweizerischen Direktorinnen- und Direktorenkonferenz der Berufsfachschulen (SDK) konnten die Kantone Bern, Solothurn, Tessin und das französischsprachige Wallis für das Pilotprojekt gewonnen werden, finanzielle Zuwendung erhielt das Team vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Das Programm wurde vorerst bewusst im Allgemeinbildenden Unterricht (ABU) umgesetzt, «weil der berufsübergreifende Rahmenlehrplan den Zugang zu Lernenden verschiedener Berufe ermöglicht», wie Müller erläutert. «Wir waren uns damals schon im Klaren darüber, dass ‹myidea› bereichsübergreifend – also im ABU und in der Berufskunde kombiniert – didaktisch sehr viel Potenzial hat.
Wir wollten aber zunächst den ersten machbaren Schritt gehen», ergänzt Berger. Dafür wurden rund 200 ABU-Lehrpersonen aus den vier Pilot-Kantonen im Lernprogramm «myidea» geschult und mit den notwendigen pädagogischen Vermittlungskompetenzen ausgerüstet. Die Pilotphase endete 2022.
Der Wettbewerb als Motor
Die Evaluation des Pilotprojekts zeigte deutlich positive Effekte bei den Lernenden. So schätzten sie nach der Teilnahme am Programm etwa die Umsetzbarkeit einer Unternehmensgründung klar höher ein als zuvor – vor allem die jungen Frauen. «Es geht uns jedoch nicht darum, dass alle Lernenden ein eigenes Unternehmen gründen sollen», betont Susan Müller, «vielmehr sollen sie Gestaltungskompetenzen erwerben, die sie in verschiedenen Rollen einsetzen können – als zukünftige Gründerinnen und Gründer, als unternehmerisch agierende Mitarbeitende oder als aktive Bürgerinnen und Bürger.»
Damit die Initiative nach dem Auslaufen der finanziellen Unterstützung durch das SBFI nicht «versandete», wurde das «Schweizerische Zentrum für unternehmerisches Denken und Handeln (szUDH)» als gemeinnütziger Verein gegründet, dessen Präsident Georg Berger ist. «Als Motor der Initiative und von ‹myidea› haben wir schliesslich auch den Wettbewerb etabliert», sagt er. Angesichts des Erfolgs der Pilotphase werden die UDH-Initiative und das Lernprogramm «myidea» kontinuierlich weiterentwickelt. So konnte beispielsweise durch eine Kooperation mit der Schweizerischen Radio und Fernsehgesellschaft (SRG) das kritische Denken im Lernprogramm gestärkt werden. Zudem ist aus der Kooperation die Challenge-Kategorie «Fight Fake News» entstanden. In dieser Kategorie können Ideen eingereicht werden, wie medienkritisches Denken unterstützt werden soll.
Eine Schule von Techpreneurs
Unabhängig von «myidea» verfolgte die Berufsfachschule Uster bereits seit mehreren Jahren einen ähnlichen Ansatz wie die UDH-Initiative. «Wir waren auf der Seite der Techpreneurs – wir vereinen technische Inhalte mit unternehmerischem Denken», erzählt Martin Landolt, Prorektor und Abteilungsleiter Technik. «Das Programm ‹myidea› und der Fokus auf den ABU waren für uns ein interessanter Ansatz. Wir suchten jedoch nach einer Lösung, die den ABU noch stärker mit der Berufsfachkunde verknüpft. In die gleiche Richtung dachte auch das Team des szUDH, und so konnten wir gegenseitig voneinander profitieren.» Deshalb wirkte die Schule am jüngsten Projekt «myidea professional» mit, das die beiden Lernbereiche miteinander verbindet. Seit 2023 wird «myidea professional» im Rahmen einer Einführung in allen Ausbildungsgängen der Schule eingesetzt.
«Das Feedback ist sehr gut. Die Lernenden sind begeistert. Ihre innere Motivation ist deutlich grösser, wenn sie etwas eigenständig erschaffen können. Gleichzeitig werden die fachlichen Inhalte genauso wirkungsvoll vermittelt», sagt Landolt. Bei den Lehrpersonen entstehe zudem ein neues Wir-Gefühl: «Sie müssen sich nun auch branchen- und fächerübergreifend vernetzen.»
Die Grundidee der UDH-Initiative fliesst unterdessen auch in die bestehenden 247 Bildungsverordnungen für die Lehrberufe in der Schweiz ein. In den neuen Bildungsplänen der MEM-Berufe (Maschinen, Elektro und Metall) beispielsweise wird unternehmerisches Denken explizit erwähnt.
Erfahrungen fürs Leben
In der Mehrzweckhalle der Berufsfachschule Uster richtet nun die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner kurz vor der Siegerehrung der «myidea-Challenge» ein persönliches Wort an alle Lernenden und insbesondere an jene auf der Bühne: «Probleme kreativ lösen: Dies ist eine wichtige Kompetenz, die wir den Lernenden mit auf den Weg geben möchten. Diese Kompetenz ist nicht nur im Berufsalltag gefragt. Sie ist auch wichtig, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie haben bewiesen, dass Sie anders denken, Probleme anders lösen und Ideen selbstbewusst präsentieren können. Das macht Sie alle zu Siegern.» Belohnt werden alle Teams, die am Final teilnehmen durften, mit einem kleinen Geldbetrag. Die Erstplatzierten aus jeder Kategorie qualifizieren sich für den europäischen Wettbewerb «Youth Start European Entrepreneurship Award».
In der Kategorie «Fight Fake News» sind dies Leonardo Soares Sousa und Marlon Mathieu mit «PerFacto», die aufzeigten, wie mithilfe einer App Nachrichten an der vertrauenswürdigen Quelle verifiziert werden können. In der Kategorie «Real Market» haben die Wohntextilgestalterinnen Selina Sieber und Lea Debrunner mit ihrem Upcycling-Projekt «ReBag» gewonnen. «Zuerst war es eine Idee. Dann hat es uns so gepackt, dass wir einfach weitermachen mussten. Obwohl wir schon etliche Taschen verkaufen konnten, blieb es eher ein spielerisches Projekt. Jetzt müssen wir ernsthaft überlegen, wie es weitergehen soll», sagen sie beim Apéro. Selina Bertschi, Lea Wirth und Vania Nigg holen in Uster eine Berufsmatur Typ Wirtschaft nach und gewannen in der Kategorie «(Social) Business Idea». Sie haben die Idee für eine App namens «Selavi» entwickelt, die es angehenden Lernenden ermöglichen soll, «eigenständig und ohne den Einfluss der Eltern» eine geeignete Berufswahlzu treffen. «Wir sind völlig überrascht, weil wir nicht einmal damit gerechnet haben, in die Endauswahl zu kommen», erzählen sie. Die drei fanden vor allem «den Teamprozess mega. Die Erfahrungen aus diesem Projekt werden für uns immer nützlich sein.»