Fotografierst du noch oder fälschst du schon?
Schulblatt 06.02.2025
Bilder sagen mehr als 1000 Worte und nicht selten lügen sie. Welche Konsequenzen Fake-Bilder haben können und wie man damit umgeht, lernen Schülerinnen und Schüler während eines Workshops des Fotomuseums Winterthur.
Text: Sabina Galbiati Fotos: Andreas Schwaiger
Es ist der erste Schultag nach den Herbstferien in Bad Zurzach. 14 Schülerinnen aus Bezirks-, Sekundar- und Realschule betreten das Klassenzimmer von Stephanie Meier. Im Rahmen der Medienprojektwoche haben sich die Mädchen zwischen 12 und 15 Jahren für Meiers Kurs «Bilderwelten, Bilderflut» angemeldet. Als Einstieg in die Woche besuchen die Schülerinnen den Workshop «What the Fake», den das Fotomuseum Winterthur für Schulklassen der Sekundarstufen I und II anbietet. Dafür ist Workshopleiterin Jovana Pavlović, Verantwortliche Vermittlung Bild- und Medienkompetenz, aus Zürich angereist. Auf unterhaltsame Weise sollen die Schülerinnen einen kritischeren Zugang zu den Bilderfluten im Netz entwickeln. Pavlović wird ihnen zeigen, dass in Zeiten von Social Media, Fake News und künstlicher Intelligenz Fotos oft gefälscht oder manipuliert sind.
Dass man mit Bildern ganz bewusst umgehen sollte, lernten die Schülerinnen lange vor dem Workshop. Sie mussten für die Fotos, die im «Schulblatt» erscheinen werden, die schriftliche Einwilligung ihrer Eltern mitbringen. Etwas mehr als die Hälfte der Mädchen darf im Rahmen dieses Berichts fotografiert werden. Also setzen sich die Schülerinnen vor Beginn des Workshops entsprechend nebeneinander. Pavlović würde das eine Inszenierung nennen, wie sie oft gemacht wird in der Fotografie.
«Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Was bedeutet das», fragt Pavlović in die Runde. «Im Bild sieht man viel mehr, als es abbildet», antwortet eine Schülerin, und eine andere ergänzt: «Bilder können etwas besser erklären.» Dass Fotos bisweilen nicht immer die Wahrheit vermitteln, lernen die Schülerinnen in der ersten kleinen Team-Arbeit. Sie dürfen zu einem Foto oder Video aus den Onlinemedien eine Geschichte erfinden. Im Anschluss diskutieren sie, wie man eigentlich die Informationen zu einer Fotografie und die Entstehung eines Fotos überprüfen kann.
Schnell zeigt sich: das Äffchen im Video, das auf Social Media viral geht, weil es scheinbar gekrault wird, empfindet gerade Todesangst, denn es sieht zwar süss aus, nimmt aber tatsächlich eine Abwehrhaltung ein. Das offenbaren die Kommentare zum Post. Die Schülerinnen lernen auch den Unterschied zwischen Symbolbildern, die man zu Hauf aus den Bilddatenbanken herunterladen kann, und Fotos, die ein konkretes Ereignis dokumentieren und somit als Beweismittel fungieren können.

Mädchen sind stärker betroffen
Dass sich ausschliesslich Mädchen in den Kurs von Stephanie Meier eingeschrieben haben, kommt nicht von ungefähr. «Mädchen sind von der Online-Bilderflut stärker betroffen als Jungs», sagt die Lehrerin. Sie beschäftigten sich mehr mit Instagram, Snapchat und Tiktok. «Dadurch sind sie dem Druck der Selbstinszenierung stärker ausgesetzt. Auch Influencer haben eine Wirkung auf sie und sie fangen an, diese zu kopieren, auf ihren eigenen Fotos zu posieren und diese Aufnahmen zu retuschieren. Das machen Jungs selten bis gar nicht.»
Die Schülerinnen schauten Fotos zunächst noch sehr unkritisch an. «Durch den Workshop wird ihnen bewusst, dass beispielsweise Fake-Bilder als echte Nachrichtenbilder durchgehen können», sagt Meier. «Im Kurs bekommen sie Gelegenheit, innezuhalten und sich zu überlegen, dass Bilder sie oftmals betrügen und dass dahinter eine Absicht steckt.» Ihnen sei kaum bewusst, welches Ausmass diese Fake-Bilderweltwelt inzwischen angenommen habe – etwa, dass man mit Künstlicher Intelligenz (KI) jedwedes Bild generieren könne.
Jovana Pavlović hat diesen Workshop bereits zigmal durchgeführt. Da er für Jugendliche von 12 bis 20 Jahre konzipiert ist, passt sie ihn jeweils an die Altersstufe an. Mit Sek-II-Schülerinnen und -Schülern geht sie mehr in die Tiefe und diskutiert Phänomene wie die politische Instrumentalisierung von Bildern, Mechanismen von Verschwörungstheorien oder die Algorithmus-Kuration ausführlicher. Doch soweit geht sie heute nicht.
«Die Jugendlichen haben noch Mühe zu verstehen, warum die Thematik rund um Fake-Bilder so wichtig ist.» Für sie als Digital Natives sei es völlig normal, selbst solche Technologien für ihre Fotos zu nutzen. Etwa indem sie ihre Bilder mit Filtern oder sogar mit KI bearbeiteten. «Vielen Eltern und nicht selten auch Lehrpersonen fehlt das tiefere Verständnis und der Zugang zu diesen neuen Technologien. Daher findet auch nur ein geringer Austausch und damit wenig Sensibilisierung für die Thematik statt.»
Für Stephanie Meier ist der Workshop des Fotomuseums der perfekte Einstieg in ihre Projektwoche. «Er nimmt mir unglaublich viel Vorbereitungsarbeit ab. Ich konnte einfach eine Fachperson zuziehen und finde die vielen Beispiele, die Jovana Pavlović im Kurs bringt, sehr durchdacht.» Die Lehrerin verfolgt den Workshop aufmerksam, macht sich Notizen, um später in der Woche mit den Mädchen über bestimmte Begriffe zu diskutieren. Und sie meldet sich im Workshop auch mal selbst zu Wort. Denn die Mädchen getrauen sich manchmal nicht so recht, etwas zu sagen, weil sie aus verschiedenen Klassen kommen und einander noch nicht gut kennen.

Echt oder computergeneriert
Spätestens bei der letzten Übung haben die Schülerinnen nicht nur ihren Mut gefunden, sondern zeigen auch, dass sie verstanden haben, worum es geht. Pavlović hat Stimmkarten verteilt. Auf der einen Seite steht «fotografiert», auf der anderen «computergeneriert». Pavlović projiziert Fotos und Videos aus unterschiedlichen Medien an die Wand. Die Schülerinnen sollen jeweils raten, ob es sich um ein echtes Foto oder Video oder um ein computergeneriertes handelt, und erklären, warum sie auf das eine oder andere tippen. In den meisten Fällen liegen sie richtig. Selbst als Pavlović zum Schluss gefälschte Videos von Barack Obama und Mark Zuckerberg zeigt, durchschauen sie das Spiel schnell. Im ersten Fall merken sie, dass Obama niemals so reden würde, bei Zuckerberg fehlt die Mimik im Gesicht.
«Das war die beste Übung», sagt die 15-jährige Joya Schreier, als der Workshop vorbei ist. Sie und ihre Mitschülerinnen sind sich da einig. Auch die erste Übung, in der sie einfach eine Story erfinden durften, habe ihnen gefallen. Und was den Workshop betrifft, sind die Mädchen ebenfalls einer Meinung: «Es war sehr spannend aber auch viel Information», sagt Selina Angst, ebenfalls 15 Jahre alt, und fügt hinzu: «Gut war auch, dass wir selbst zusammen diskutieren konnten.»
Die gleichaltrige Beonita Alaj ist viel auf Tiktok und Instagram und hat sich für den einwöchigen Kurs angemeldet, weil sie sich dafür interessiert, wie solche Bildmanipulationen funktionieren. «Ich finde das wichtig, weil wir im Alltag ständig Medien nutzen», sagt sie. Ihre Banknachbarin, die 12-jährige Aurela Berisha, malt sehr gern und will einfach mal ausprobieren, wie man solche Fake-Bilder macht. Dazu sagt Joya: «Mir waren vor dem Workshop die Manipulationsmöglichkeiten nicht so bewusst. Jetzt sehen wir, welche unterschiedlichen Möglichkeiten es überhaupt gibt.» Die Mädchen würden Bilder und Videos künftig definitiv kritischer betrachten, sagen sie. Aber ab wann ist ein Bild für sie überhaupt gefälscht? Nur weil man einen Filter benutze und ein Bild etwas heller mache, sei das noch kein Fake. Aber wenn man etwas hinzufüge oder wegmache, dann finden sie, sei das eine Fälschung.

Konsequenzen sichtbar machen
Jovana Pavlović ist da schon sehr viel kritischer und antwortet auf dieselbe Frage: «Jedes Foto ist im Grunde unecht, weil es immer nur einen verkürzten Ausschnitt der Realität abbildet, aber nicht die Realität selbst.» Auf der Zugfahrt zurück nach Zürich erzählt sie von der Arbeit des Fotomuseums. Längst seien die immensen Auswirkungen von manipulierten und künstlichen Fotos zu einem Fokusthema für das Fotomuseum geworden. «Unser Anliegen ist es, einen informierten und selbstbestimmten Umgang mit Bildern zu vermitteln.»
Dafür arbeitet man in Winterthur auch mit Fachpersonen, welche sich mit KI und Deepfakes beschäftigen, genauso wie mit Kunstschaffenden, die sich mit der Thematik auf künstlerische Weise auseinandersetzen. Genau dies werden auch die Schülerinnen im Kurs von Stephanie Meier tun. Im Verlauf der Woche werden sie Gelegenheit erhalten, selbst Fotos zu manipulieren oder mithilfe von KI herzustellen. Durch das Veröffentlichen, etwa im Schulhaus, werden die Konsequenzen für alle Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen sicht- und vor allem spürbar.