Gesucht: 8600 neue Lehrstellen

Der Kanton Zürich will dringend benötigte Lehrstellen schaffen. Dabei helfen sollen die gezielte Lehrstellenförderung und die neue Online-Plattform «Zukunft Zürich» des Mittelschul- und Berufsbildungsamts. Sie soll es Betrieben leichter machen, neue Ausbildungsplätze zu schaffen.

Text: Sabina Galbiati

Es liegt auf der Hand: Mehr Schülerinnenund Schüler brauchen nicht nur zusätzlichen Schulraum, sondern auch mehr Lehrstellen – und zwar bald. «Die aktuelle Zunahme an Primarschülerinnen und -schülern ist enorm, das werden wir auf dem Lehrstellenmarkt in spätestens fünf Jahren merken», sagt Jonas Schudel, Leiter der Betrieblichen Bildung beim Mittelschul-und Berufsbildungsamt (MBA).

In der Tat sprechen die Zahlen im Kanton Zürich für sich. Im Jahr 2037 werden laut Bildungsplanung 51 200 Jugendliche eine Berufsbildung machen. Das sind rund 8600 Lernende mehr als noch 2022. Fürjene Branchen, die mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen haben, wären das eigentlich gute Nachrichten. Doch um vom Zuwachs an Lernenden zu profitieren, müssen sie zuallererst die nötigen Lehrstellen schaffen – für viele Betriebe kein leichtes Unterfangen.

Hilfe soll das Projekt Lehrstellenförderung des MBA bieten. Mit verschiedenen Massnahmen sollen zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen und ein ausreichendes Angebot gesichert werden. Ein Auftrag, den der Regierungsrat 2021 erteilt hat und der nun erste Früchte trägt.

Dreh- und Angelpunkt der kantonalen Lehrstellenförderung ist die neue Online-Plattform «Zukunft Zürich». «Lanciert wurde sie auf expliziten Wunsch der Organisationen der Arbeitswelt und der Betriebe», sagt Stefan Gamper, der das Projekt Lehrstellenförderung leitet. «In einer Betriebsumfrage, die wir vorgängig gemacht haben, wiesen die Unternehmen darauf hin, dass es viele unterschiedliche Informationen zum dualen Bildungssystem und zu den Anforderungen an die Lehrbetriebe gebe und man diese erst mühsam zusammensuchen müsse», sagt Gamper. Das erschwert den Betrieben den Einstieg in dieses Ausbildungssystem.

Genau hier setzt die Plattform an und bietet gebündelte Informationen für Unternehmen, die zum Ausbildungsbetrieb werden möchten, oder solche, die bereits Ausbildungsplätze haben und Unterstützung suchen. Mit wenigen Klicks finden Interessierte die gewünschten Infos, können das «Help- und Infocenter» aufrufen, sich mit anderen Akteurinnen und Akteuren vernetzen oder finden spannende Veranstaltungen zum Thema Ausbildung.

Ein junger Mann kniet vor einer Holzwand und schlägt Nägel in Schieferplatten ein.
In den nächsten Jahren werden mehr Jugendliche eine Berufsausbildung anstreben. Das Mittelschul- und Berufsbildungsamt hat deshalb ein Projekt zur Lehrstellenförderung gestartet. Quelle: ZVG

Innovative Projekte fördern

Ein weiterer wichtiger Pfeiler des Projekts Lehrstellenförderung ist die Auswahl und Finanzierung innovativer Projekte, die dazu beitragen, neue Ausbildungsplätze zu schaffen oder bestehende zu festigen.

Quartalsweise können Branchenverbände, Unternehmen und weitere Institutionen, die sich für Bildung engagieren, Ideen einreichen. Für die Finanzierung stehen insgesamt eine Million Franken für die Jahre 2024 und 2025 zur Verfügung. Dabei gilt: Alle Berufszweige sind gleichgestellt. Das bedeutet, ein Kleinstberuf wie etwa jener des Blasinstrumentenbauers hat genausodie Chance, berücksichtigt zu werden, wie beispielsweise der Schreinerverband.

«Wir haben bereits einige vielversprechende Anträge erhalten», sagt Gamper, der das Eingabeverfahren koordiniert und Ansprechpartner ist. So möchte ein Verband in Zusammenarbeit mit einer Berufsfachschule mehr Lehrstellen schaffen, damit sie einen eigenen Schulstandort im Kanton etablieren können, was für Lernende und Betriebe attraktiver ist; ein Berufsverband möchte eine Marktanalyse bei seinen zugehörigen Betrieben durchführen und so herausfinden, welche Unternehmen Potenzial für zusätzliche Ausbildungsplätze haben; ein anderer Berufsverband will eine Weiterbildung für jene Praxisbildnerinnen und -bildner auf die Beine stellen, die nicht hauptverantwortlich für die Lernenden tätig sind, aber diese tagtäglich eng begleiten. Bisher müssten sie dafür einen kompletten Lehrgang machen.

Starker Wille aller Akteure

«Mich hat positiv überrascht, wie gross das Interesse am Thema und wie stark der Wille seitens aller Akteurinnen und Akteure ist, die Lehrstellensituation zu verbessern», betont Gamper. Dies zeigen nicht nur die bisher eingereichten Projekte. Bereits als Gamper und Schudel gemeinsam mit der zehnköpfigen Projektgruppe ab Herbst 2022 die Lehrstellenförderung aufgleisten, stiess dies auf grosses Echo.

«Mich haben sogar andere Kantone angerufen und wollten wissen, was wir hier machen», erzählt Gamper. Was sich ebenfalls früh abzeichnete: Die grosse Herausforderung ist, möglichst allen Begehrlichkeiten und Bedürfnissen gerecht zu werden – auch wenn diese einander je nach Berufsfeld diametral entgegenlaufen.

Schudel nennt einige solcher Beispiele: «In der Gebäudetechnik oder im Baugewerbe sucht man händeringend nach Lernenden, während in der IT viele interessierte Jugendliche auf wenige Lehrstellen treffen.» Damit manifestiert sich auch gleich ein weiterer Knackpunkt.

«Zum Beispiel haben IT-Start-ups und-Unternehmen zum Teil noch kein Ausbildungs-Gen entwickeln können», sagt Jonas Schudel. «Ihnen fehlen das Wissen und die Strukturen für die Nachwuchsförderung. Etwas, was traditionelle Berufe wie Bäcker oder Maurer längst in ihrer DNA haben.»

Hinzu kommen zahlreiche weitere Gründe, weshalb Betriebe noch keine Lehrstellen anbieten oder bestehende auch mal auf Eis legen. Letzteres geschieht beispielsweise, wenn der Bund in einem Beruf eine Reform initiiert.

«Es kommt vor, dass sie dann erst einmal abwarten wollen, wie sich das Ganze entwickelt», erzählt Stefan Gamper.

Letztlich spielt auch der sich laufend wandelnde Markt eine zentrale Rolle. Berufsbilder ändern sich aufgrund der Digitalisierung und neuer Technologien teilweise rapide. Das verlangt oftmals eine grosse Anpassungsfähigkeit der Betriebe. Oder es muss gleich ein ganz neuer Lehrberuf geschaffen werden, wie jüngst etwa in der Solarbranche, wo aufgrund der massiv gestiegenen Nachfrage nach Solaranlagen eine Lehre für Solarinstallateurinnen und-installateure aus dem Boden gestampft wurde.

Gut fürs Image

Von Anfang an war klar, dass man sich beim Projekt Lehrstellenförderung auf die wichtigsten Anliegen fokussieren muss –nicht nur weil sie zahlreich sind, sondern auch weil die Mittel auf 500 000 Franken jährlich und bis 2025 begrenzt sind. «Wir können einige wichtige Puzzleteile liefern, aber bei Weitem nicht alle», sagt Gamper. Ein solches Puzzleteil ist etwa die Informationskampagne, welche bereits auf dem Business-Netzwerk LinkedIn läuft. «Wir wollen den Unternehmen die Vorteile bewusst machen, von denen sie profitieren, wenn sie Ausbildungsplätze anbieten.»

Schliesslich sei die Nachwuchsförderung eine nachhaltige Investition in die Zukunft des Betriebs, die ganz nebenbei auch das Image einer Firma aufwerte und frischen Wind ins Unternehmen bringe. Dies gilt natürlich auch für den Kanton selbst als Arbeitgeber. Dieser hat deshalb mit der systematischen Lehrstellenplanung auch selbst ein Projekt initiiert.

Ein weiterer wichtiger Beitrag für die Lehrstellenförderung ist eine Studie, die demnächst abgeschlossen und online auf «Zukunft Zürich» zur Verfügung stehen wird. Sie soll Handlungsfelder und -optionen aufzeigen, wie Lehrstellen gefördert und erhalten werden können. «In erster Linie stellt die Studie ein Service für Berufsverbände, Betriebe sowie den Kanton und den Bund dar», erklärt Gamper. Sie sei aber auch ein gutes Instrument, um die eigenen Handlungen, die man bisher aufgegleist habe, abzugleichen und gegebenenfalls neue zu initiieren.

Transparente Kommunikation

Während der Planungsphase für die Lehrstellenförderung waren Stefan Gamper und Jonas Schudel oft mit kritischen Fragen von Betrieben und Berufsverbänden konfrontiert. «Sie wollten beispielsweise wissen, warum es in der einen Branche Förderung braucht und in der anderen nicht oder warum wir eine bestimmte Massnahme so machen und nicht anders», sagt Gamper und Schudel ergänzt: «Deshalb begleiten wir die verschiedenen Teilprojekte sehr eng und setzen dabei aufeine transparente Kommunikation, um das nötige Verständnis zu schaffen.» Schliesslich funktioniere die Lehrstellenförderung nur, wenn sich alle Betroffenen aktiv beteiligen. Bis die 8600 zusätzlichen Ausbildungsplätze stehen, ist es noch ein weiter Weg. Doch Jonas Schudel und Stefan Gamper betonen, dass es im Kanton bereits rund 14 000 Lehrbetriebe gibt, die schon heute einen hervorragenden Job machen. Auch darauf lässt sich bauen.

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