Mit Technik und Hartnäckigkeit zur grüneren Schule

An der Kantonsschule Küsnacht wird Nachhaltigkeit grossgeschrieben. Mit Solaranlagen und anderen technischen Lösungen hat sie ihre Ökobilanz massiv verbessert. Etwas schwieriger ist es, das individuelle Verhalten der Schülerinnen und Schüler zu ändern.

Text: Andreas Minder     Fotos: Andreas Schwaiger

«Technisch können wir die Welt retten, wir müssen es nur machen», sagt Rainer Mertens. Er ist Physiklehrer an der Kantonsschule Küsnacht (KKN) und Kassier der Genossenschaft Solécole. Diese hat die grossen Solaranlagen auf dem Dach eines Schulgebäudes und jenem des Küsnachter Alters- und Gesundheitszentrums Tägerhalde realisiert. Zusammen produzieren die Kraftwerke fast anderthalbmal so viel Strom, wie die Schule braucht. «Eine Lösung, die funktioniert und sich rechnet», sagt Mertens. Sie habe unter anderem den Vorteil, dass sich deswegen niemand einschränken müsse. «Deshalb stossen wir auf viel Akzeptanz.» Das zeigt sich etwa in der personellen Zusammensetzung der Genossenschaft: 60 Prozent der rund 600 Mitglieder sind Schülerinnen und Schüler und Ehemalige, die übrigen sind Lehrpersonen, Eltern und weitere Interessierte. Zwei der sechs Vorstandsmitglieder sind Schülerinnen. Eine von ihnen ist Sophia Hummel. «Wir gestalten das Projekt mit», erzählt sie. «Wir tragen die Ideen der Schülerinnen und Schüler in den Vorstand. Und wir stellen die Genossenschaft den neuen Klassen vor.» Hummel verwaltet ausserdem den Instagram-Account von Solécole.

Entstanden ist die Genossenschaft aus einem Wahlkurs, der im Frühlingssemester 2007 stattgefunden hatte. Damals war der neue Klassentrakt im Bau, ein Gebäude mit Flachdach, prädestiniert für Solarpanels. Die zuständigen kantonalen Stellen hatten jedoch das Geld für eine solche Anlage aus dem Budget gestrichen. Im Wahlkurs machten sich zwei Lehrer und neun Schülerinnen und Schüler ein Semester lang Gedanken darüber, wie die Panels trotzdem auf das Schulhausdach kommen könnten. «Die technischen Aspekte waren ruckzuck geklärt», erinnert sich Rainer Mertens. Kopfzerbrechen bereiteten hingegen organisatorische, juristische und finanzielle Fragen. Wer trägt die Anlage? Wie lässt sich das nötige Geld auftreiben? Wem wird der Strom verkauft? Am meisten Beharrlichkeit brauchte es, um die nötigen Bewilligungen zu bekommen. Der Denkmalschutz, der Kantonsbaumeister und der Architekt des neuen Trakts sträubten sich gegen die Eingriffe. Es brauchte den Einsatz der Schulleitung und des Küsnachter Gemeindepräsidenten, bis die kantonalen Stellen einwilligten. Am 21. August 2009 ging die Anlage ans Netz. Sie bestand aus 162 Modulen, die am Rand der Dachfläche platziert waren.
 

Drei Schülerinnen und ein Lehrer auf einem Flachdach mit Solarpanels.
Mit einer Solaranlage auf dem Schulhausdach und der Gründung der Genossenschaft Solécole startete die Kantonsschule Küsnacht vor 16 Jahren ein Vorhaben, das heute über die Schule hinausweist.

Eine Vision mehr als erfüllt

Ein erster Erfolg. Aber Solécole wollte mehr. 2011 formulierte die Genossenschaft eine Vision: Bis zum Jahr 2020 sollte mehr elektrische Energie produziert werden, als die Schule benötigt. Bereits 2012 folgte der nächste Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel: Auf dem Schultrakt wurden 400 zusätzliche Module montiert, wodurch sich der Stromertrag mehr als verdreifachte. Finanziert wurden die Anlagen über das Genossenschaftskapital und vor allem durch private Darlehen.

Das brachte der Schule mediale Aufmerksamkeit und Preise ein, doch die Vision war noch nicht verwirklicht. Also klopfte die Genossenschaft bei der Gemeinde an und fragte nach geeigneten Dächern. Aus den Vorschlägen wählten sie das grösste: jenes auf dem Alters- und Gesundheitszentrum Tägerhalde, auf dessen Dach es Platz für 736 Solarpanels hatte. Sie liefern seit 2020 so viel Strom, dass die Ziele von 2011 übertroffen wurden.

Ein anderes Projekt, das Solécole unterstützt hat, ist die Nutzung der Wärme eines Abwasserkanals, der seit 2016 an der Schule vorbeiführt. Auch hier waren diplomatisches Geschick und Hartnäckigkeit vonnöten, bis das Projekt bewilligt wurde. Seit zwei Jahren sind die Wärmepumpen nun an der Arbeit. Resultat: Die Schule braucht viel weniger Erdgas zum Heizen und hat ihren CO2-Ausstoss um 70 Prozent gesenkt. Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange: «Wir wollen die Heizung auf Biogas umstellen», sagt Rainer Mertens. «So kämen wir ganz weg von den fossilen Brennstoffen.»

Das ideale Anschauungsobjekt

Die Genossenschaft Solécole will nicht nur umweltfreundliche Energien fördern. In ihren Statuten steht, dass sie auch «die Information über umweltfreundliche Energieproduktion und -nutzung insbesondere an der Kantonsschule Küsnacht und in der Reihe ihrer Mitglieder» fördert. Wie setzt sie das um? «Wir haben ganz viele spannende Maturarbeiten, die sich mit verschiedenen Aspekten der Solaranlage befassen», erzählt Rainer Mertens und nennt zwei Beispiele. Eine Schülerin habe gezeigt, dass man die Effizienz von Fotovoltaikmodulen steigern kann, wenn man sie kühlt. Ein anderer habe einen Putzroboter für die Panels erfunden. Dieser stehe allerdings nicht im Einsatz.

Auch im Unterricht und in Wahlkursen werde die Anlage immer wieder thematisiert, sagt Mertens. Etwa um zu erklären, was der Unterschied zwischen Leistung (Watt) und Energiemenge (Kilowattstunde) sei oder was unter dem Begriff Wirkungsgrad zu verstehen sei. «Dazu müssen wir nicht auf ein weit entferntes Kraftwerk verweisen, sondern haben eines vor Ort.» Beim Haupteingang des Klassentrakts steht eine Anzeige, die angibt, wie hoch die aktuelle Leistung ist und wie viel Kilowattstunden am jeweiligen Tag produziert worden sind.
 

Schülerinnen sitzen im Klassenzimmer und betrachten Plastikabfall.
Nachhaltigkeit ist an der KKN auch immer wieder Thema von Projektwochen. Diese Schülerinnen gestalten Schmuck aus PET-Flaschen.

Der Erfolg von Solécole ist messbar: in Watt, Kilowattstunden, eingespartem CO2, zurückbezahlten Darlehen und Anzahl Genossenschaftsmitgliedern. Das unterscheidet das Projekt von anderen Nachhaltigkeitsbemühungen an der KKN – was die Messbarkeit, aber zum Teil auch den Erfolg anbelangt. Doch beginnen wir mit dem, was gut funktioniert. Zum Beispiel mit dem wöchentlichen Vegi-Tag in der Mensa. Er werde längst als «normal» wahrgenommen, sagt Chemielehrerin Daniela Matthaei. Auch, dass das Rindfleisch von einem Biohof in Hirzel bezogen werde, sei mittlerweile so selbstverständlich, dass es fast vergessen gehe. Zu den Errungenschaften zählt sie weiter, dass ökologische Themen im Unterricht grosses Gewicht hätten. Im Chemieunterricht thematisiert sie etwa, wie Moleküle von Kunststoffen strukturiert sind und wie schwierig es deshalb für die Natur ist, solche Stoffe abzubauen. Oder wie in Brennstoffzellen elektrische Energie erzeugt wird.

Durchzogene Abfallbilanz

Durchzogen ist die Bilanz hingegen beim Abfall, wie Schüler Julian Brasse erzählt. So habe man etwa mit dem Verkauf von Mehrweg-Geschirr nicht den gewünschten Effekt erzielt. «Das Geschirr wurde gekauft und dann fast nie wieder an der Schule gesehen oder verwendet», sagt er. Was bedeutet, dass beim Essen und Trinken weiterhin viel Plastik im Spiel ist. «Wenn man schaut, wie es nach der Mittagspause auf dem Areal aussieht, hat man nicht das Gefühl, an einer nachhaltigen Schule zu sein», stellt Chemielehrer Rainer Kündig fest. Er ist wie Julian Brasse Mitglied der Nachhaltigkeitskommission der KKN. Die kleine Gruppe aus Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern besteht seit knapp drei Jahren. «Wir wollen die KKN mit kleineren und grösseren Projekten nachhaltiger gestalten», sagt Brasse. Im letzten Jahr hätten sie mit einer Plastikflaschensammelaktion sichtbar gemacht, wie viel Plastik die Kanti verbrauche. «Jede Woche gab es mehrere, riesige Säcke voll Plastik.»

Flüge kompensieren mit Taten

Aktuell beschäftigt sich die Kommission mit dem Fliegen. An der KKN wird heute nur noch für Sprachaufenthalte in Spanien und England ein Flugzeug benutzt. Das ist deutlich weniger als früher, als man auch für Wahlkurse und Maturreisen ins Flugzeug stieg. Die Nachhaltigkeitskommission schlägt nun vor, dass die verbleibenden Flüge kompensiert werden. Und zwar nicht zwingend mit Franken und Rappen, sondern mit Taten. Die Kommission hat ausgerechnet, wie viele PET-Flaschen eine Schülerin oder ein Schüler sammeln müsste oder wie oft er oder sie auf Fleisch verzichten müsste, um gleich viel CO2 einzusparen, wie der Flug verursacht hat. «Wir werden diesen Vorschlag im Gesamtkonvent der Lehrpersonen präsentieren und diskutieren», sagt Julian Brasse.

Es sei gar nicht so einfach, Massnahmen zu finden, die etwas brächten und umsetzbar seien, sagt Rainer Kündig. Unter anderem deshalb, weil sie oft mit Unannehmlichkeiten verbunden seien. «Wenn die Kommission vorschlagen würde, nur noch auf 19 Grad zu heizen, würde wahrscheinlich eher die Begeisterung als die Raumtemperatur sinken.» Ist es also doch nicht so weit her mit dem ökologischen Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler? Paula Canclini, die ebenfalls im Vorstand von Solécole sitzt, nimmt ihre «Gspändli» in Schutz: «Die Mehrheit interessiert sich schon dafür.» Allerdings stellt die Gymnasiastin fest, dass die Coronapandemie und der Ukrainekrieg die Bemühungen gebremst hätten. «Vorher war das Bewusstsein viel grösser. Die Fridays for Future haben zu einem Hype geführt. Es gab sogar eine Klimastreikgruppe.»

Für Prorektor Markus Hanhart ist das kein Grund, zu resignieren. Es gehe darum, ständig am Bewusstsein zu arbeiten, und zwar vor allem durch Bildung. «Wir sind keine politische Instanz, sondern eine Bildungsinstitution.» Die Schule könne versuchen, die Jugendlichen mit dem Thema zu erreichen. «Welchen Effekt das hat, liegt nicht in unserer Hand.»