Neuer Kurs zur interkulturellen Bibliotheksarbeit

Der neue Kurs zur inter- und transkulturellen Bibliotheksarbeit setzt Menschen mit Migrationsgeschichte als Kundschaft in den Mittelpunkt. Sie stellen für Bibliotheken mit 40 Prozent Anteil an der Schweizer Bevölkerung eine grosse, bislang noch zu wenig beachtete Zielgruppe dar. Mit Inputreferaten, Videos, Podcasts und Übungen werden die Inhalte praxisnah vermittelt.

Interview mit Cristina Vega und Ilena Spinedi, Co-Leiterinnen Interbiblio

Ilena und Cristina stehen nebeneinander vor einer Wand.
Ilena Spinedi und Cristina Vega leiten gemeinsam Interbiblio – das Kompetenzzentrum für interkulturelle Bibliotheksarbeit.

Was können Teilnehmende von eurem neuen Kurs erwarten?

Cristina und Ilena: In unserem Kurs wollen wir die inter- und transkulturelle Öffnung von Bibliotheken vorantreiben. Denn Menschen mit Migrationsgeschichte stellen 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung dar. Sie sind keine Minderheit, als Zielgruppe für die Bibliotheken aber ein grosses und verkanntes Potenzial. Wir nähern uns dem Thema dabei mit einem bibliothekarischen und persönlichen Zugang: Die Teilnehmenden entwickeln inklusive und niederschwellige Massnahmen, die sie in der eigenen Bibliothek umsetzen können. Auch lernen sie, durch Wissen und Reflexion eine diskriminierungskritische und vorurteilsbewusste Perspektive einzunehmen. Die Inhalte vermitteln wir anhand von Gruppen- und Einzelarbeiten, mit Übungen, Diskussionen, Videos, Inputreferaten und Praxisbeispielen.

Eignet sich der Kurs auch für Mitarbeitende in kleineren Gemeindebibliotheken?

Cristina und Ilena: Auf jeden Fall! Diese Geschichte veranschaulicht exemplarisch weshalb: Ein Mitarbeiter einer kleinen Gemeindebibliothek im Tessin erzählte uns einmal, dass sie kein inter- und transkulturelles Angebot anbieten würden, weil sie kaum Kundschaft mit Flucht- oder Migrationsgeschichte hätten. Gleichzeitig erwähnte er aber, dass er in der Bibliothek oft Menschen ohne gute Kenntnisse der italienischen Sprache bei Übersetzungen, dem Verstehen von offiziellen Dokumenten oder gar dem Lernen für die Autoprüfung unterstützt habe. Ohne sich dessen bewusst sein, leistete er bereits inter- und transkulturelle Arbeit.

Wir wissen allerdings, dass kleinere Bibliotheken über geringe finanzielle und personelle Ressourcen verfügen. Deshalb legen wir den Fokus auf die Entwicklung von niederschwellig und kostengünstig umsetzbaren inter- und transkulturellen Angeboten, wie Schreibstuben oder mehrsprachigen Animationen für Kinder.

Wie können Haltungen von Menschen in diesem Kontext beeinflusst werden?

Cristina und Ilena: Die Änderung der eigenen Haltung in Bezug auf Migration ist ein langfristiger Prozess, der eine konstante und wachsame Auseinandersetzung über einen längeren Zeitraum verlangt. Die wesentlichen Voraussetzungen dafür sind der Wille, etwas ändern zu wollen, und die Offenheit, sich selber kritisch zu reflektieren. Sind diese gegeben, kann eine Weiterbildung einen guten Rahmen bilden, um den komplexen Prozess anzustossen und zu begleiten. Durch Information, Austausch, Raum für Reflexion sowie Möglichkeiten für die Umsetzung im Alltag.

Ihr bewegt euch in einem Trendthema. Seid ihr auch privat so innovativ unterwegs?

Cristina: Es ist in der Tat ein Trendthema, auch wenn ich das nicht gerne so bezeichne. Soziale Ungerechtigkeiten hat es schon immer gegeben, in den letzten Jahren haben sich aber viele marginalisierte Gruppen selbstermächtigt. Sie sind laut geworden und finden jetzt endlich Gehör. Privat habe ich mich schon seit jeher mit Themen rund um Migration auseinandergesetzt – nicht zuletzt auch aus biographischen Gründen. Nebst Interbiblio engagiere ich mich auch in anderen verwandten Organisationen – häufig auch ehrenamtlich.

Ilena: Ich bin seit mehreren Jahren in Vereinen aktiv, die im Asylbereich tätig sind. Dort höre ich immer wieder aus erster Hand Geschichten über institutionellen Rassismus, Ausschlussmechanismen und Ungerechtigkeiten, die mich fassungslos machen und die in einem demokratischen Land wie der Schweiz nicht passieren dürfen. Deshalb ist es für mich wichtig, gerade auch im Bezug zur Arbeit bei Interbiblio, dass die Institution Bibliothek ein Ort ist, an dem sich jede Person willkommen fühlt und partizipieren darf.

Die Fachstelle Bibliotheken bedankt sich für das Interview.

Was Interbiblio aktuell besonders wichtig ist

Sensibilisierung

Aktuell sind wir intensiv mit Sensibilisierungsarbeit beschäftigt. Wir haben gemerkt, dass Bibliotheksmitarbeitende zunehmend ein Bedürfnis haben, sich mit Themen rund um Migration, Diskriminierung, Rassismus und Diversität zu beschäftigen, um dieses Wissen bei ihrer Arbeit zu integrieren.

Netzwerkarbeit

Auch die Netzwerkarbeit beschäftigt uns stark. Wir veranstalten bereits mehrere Male im Jahr die beliebten regionalen und nationalen Netzwerktreffen für unsere Mitgliedsbibliotheken. Wir planen aber auch neue Gefässe. Denn Netzwerkarbeit ist für die inter- und transkulturelle Bibliotheksarbeit zentral.

Information

Wir möchten, dass möglichst viele Bibliotheken inter- und transkulturell tätig sind. Deshalb arbeiten wir daran, umfassende Informationen zu niederschwellig umsetzbaren Angeboten, Massnahmen etc. zu erarbeiten und auf unserer Informationsplattform für alle Bibliotheken zugänglich zu machen.

Zur weiteren Vorstellung von Interbiblio

Interbiblio – das Kompetenzzentrum für interkulturelle Bibliotheksarbeit – fördert, berät, unterstützt, sensibilisiert und vernetzt Bibliotheken in ihrer inter- und transkulturellen Tätigkeit. Unser Ziel ist es, Bibliotheken für Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte zugänglich zu machen sowie den Austausch und die Partizipation von Personen aus verschiedenen Lebenswelten zu fördern.

Der Verein wird vom Bundesamt für Kultur unterstützt und ist Teil der Kommission «Bibliotheken und Diversität» von Bibliosuisse.

Kontakt

Amt für Jugend und Berufsberatung - Fachstelle Bibliotheken

Adresse

Dörflistrasse 120
8090 Zürich
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