Wenn die einen gehen und die anderen kommen

Im Rahmen des Projekts «Kompetenzzentren» werden die Berufsfachschulen im Kanton neu aufgestellt. Dies führt zu teilweise grossen Veränderungen an den Schulen, wie das Beispiel des Bildungszentrums Zürichsee in Horgen zeigt.

Text: Jacqueline Olivier, Fotos: Hannes Heinzer

Fröhlich schwatzend und lachend betreten sie nach der Pause das Schulzimmer, wenig später arbeiten sie hochkonzentriert an ihren Laptops. Die 16 Lernenden – 14 junge Frauen, zwei junge Männer – sind im zweiten Ausbildungsjahr als Fachleute Betreuung (FaBe). Das heutige Unterrichtsthema sind die Menschenrechte und deren Bedeutung für die zu betreuenden Menschen: Kinder, betagte Personen sowie Menschen mit einer Beeinträchtigung. Die jungen Leute beschäftigen sich mit der Frage, welche Rechte sie für diese Personengruppen als die wichtigsten erachten. Und dies fast nur auf Englisch, denn es handelt sich um eine «Bili-Klasse», die einen Grossteil der Lektionen zweisprachig absolviert.

Am Bildungszentrum Zürichsee (BZZ) in Horgen sind solche Lerninhalte neu. FaBe werden hier erst seit einem Jahr unterrichtet, allerdings nur solche der Fachrichtung Kinder, weil diese unter den FaBe-Lernenden die überwiegende Mehrheit stellen. Zuvor fand die schulische Ausbildung im Kanton Zürich für alle drei Fachrichtungen – neben «Kinder » sind dies «Menschen im Alter» und «Menschen mit Beeinträchtigung» – ausschliesslich an der Berufsfachschule Winterthur statt. Die Verteilung auf zwei Schulen ist eine Konsequenz aus dem vor vier Jahren gestarteten kantonalen Projekt «Kompetenzzentren», mit dem die Berufszuteilung an die Schulen neu organisiert wurde. In der Regel ging es darum, die Berufe an weniger Standorten zu konzentrieren. Für die FaBe «Kinder» hingegen wählte man den umgekehrten Weg, denn sie gehören zu den Berufsgruppen, die rasch grösser werden. Um dieses Wachstum aufzufangen, braucht es Platz. Und den hat das BZZ Horgen, seit es vor zwei Jahren seinen Erweiterungsbau beziehen und vor wenigen Monaten auch noch die Sanierung des alten Schulhauses abschliessen konnte. Dass die Wahl für einen zweiten Standort auf seine Schule fiel, ist für Rektor Patrick Heeb deshalb nachvollziehbar. Oder anders gesagt: Hier passten zwei Teile des komplexen Puzzles namens Kompetenzzentren optimal zusammen.

Lernende sitzen auf ihren Plätzen in einem modernen Klassenzimmer. Vor ihnen stehen Laptops. Die Lehrerin schaut einer Schülerin über die Schulter.
Am Bildungszentrum Zürichsee bringen nun Fachleute Betreuung frischen Wind in die Schule.

Zwei starke Kompetenzbereiche

Das Projekt, das vom Mittelschul- und Berufsbildungsamt in enger Zusammenarbeit mit den Berufsfachschulen aufgegleist wurde, um berufliches Know-how zu bündeln und die Schulen so für die Zukunft zu rüsten, hat eine Vielzahl von Rochaden ausgelöst: Die meisten Schulen gaben einerseits Lernende und Lehrpersonen ab und gewannen im Gegenzug neue hinzu. So auch das BZZ. Von Horgen wechselten die Recyclisten ans Bildungszentrum Limmattal in Dietikon, die Montage-Elektriker und die Elektroinstallateure an die Berufsfachschule Bülach und die Detailhandelsberufe an die Berufsschule für Detailhandel Zürich. «Von sechs Berufsgruppen drei zu verlieren, war ein schmerzhafter Aderlass», sagt Patrick Heeb. Umso mehr freut er sich über den Neuzuzug der FaBe und betont: «Aufgrund dieser Veränderungen zeichnet sich unsere Schule nun durch zwei starke Kompetenzbereiche aus: Auf der einen Seite die Wirtschaft mit den kaufmännischen Ausbildungen sowie den Mediamatikern und Informatikern, auf der anderen Seite die sozialen Berufe mit den Fachleuten Betreuung.» Diese Aufstellung entspreche exakt der Idee der Kompetenzzentren, die nicht auf monothematische Schulen, sondern auf solche mit zwei oder drei sich gegenseitig bereichernden Schwerpunkten abzielte.

Noch ist der Prozess allerdings nicht abgeschlossen: Während die Recyclisten die Schule vor zwei Jahren als ganze Berufsgruppe verlassen haben, vollzieht sich der Wechsel bei den Detailhandelsfachleuten sowie den Elektroinstallateuren und den Montage-Elektrikern auslaufend; seit Beginn des neuen Schuljahrs sind deshalb in beiden Berufen nur noch die Abschlussklassen im Haus. Ihre Fachlehrerinnen und -lehrer sind bereits an den neuen Schulen angestellt und pendeln im Moment hin und her. Offiziell verabschiedet hat man die scheidenden Berufsgruppen aber bereits vor einem Jahr. Die Fachleute Betreuung wiederum stossen laufend dazu, im letzten Schuljahr ist man mit den ersten 15 Klassen gestartet, nach den diesjährigen Sommerferien sind 19 weitere hinzugekommen. Das macht 670 Lernende. Im kommenden Schuljahr, wenn der Kanon der drei Ausbildungsjahre komplett ist, werden es 1000 sein. Die Zahl der Lernenden insgesamt wird dann von 1400 von vor Projektbeginn auf 2000 gestiegen sein.

Massgeschneiderte Lösungen

Für das Team war dies alles andere als eine einfache Übung, wie der Rektor erzählt. «Die Argumente für diese Umstellungen waren zwar unbestritten, es ging aber auch viel um Emotionen.» Betroffen gewesen seien alle auf die eine oder andere Weise. Rund ein Drittel der Lehrpersonen hätten die Schule verlassen müssen und unterrichteten jetzt anderswo. Ein weiteres Drittel, etwa Sprachlehrpersonen oder Lehrpersonen des Allgemeinbildenden Unterrichts, habe sich auf andere Berufsgruppen und Lerninhalte einstellen müssen, das letzte Drittel auf ein Kollegium in völlig neuer Zusammensetzung. «So etwas muss man eng begleiten», macht Patrick Heeb klar, «zu Beginn gab es auch Widerstände.» Viele Gespräche seien notwendig gewesen, um teilweise massgeschneiderte individuelle Lösungen zu finden.

Aus Sicht des Rektors ist dies geglückt, habe aber eine Zeitlang etliche Ressourcen gebunden. Daneben galt es, diverse organisatorische Anpassungen vorzunehmen – neue Stellenpläne schreiben, Abteilungsleitungen neu besetzen und vieles mehr. Und für die FaBe-Ausbildung mussten neue Lehrpersonen rekrutiert werden. Für den ersten Jahrgang wechselten 12 erfahrene Lehrpersonen von Winterthur nach Horgen, für den zweiten waren es nur noch 3, während weitere 14 Stellen über den Markt besetzt wurden.

Patrick Heeb, Rektor des Berufsbildungszentrums Zürichsee, im Gespräch. Er gestikuliert mit den Händen. Vor ihm liegt eine Zeitung auf dem Tisch, daneben sind zwei Wasserflaschen zu sehen.
«Von sechs Berufsgruppen drei zu verlieren, war ein schmerzhafter Aderlass», sagt BZZ-Rektor Patrick Heeb.

Voneinander lernen

Die Federführung dabei hatte Monika Rossi, ebenfalls einstige Fachlehrperson an der Berufsfachschule Winterthur, die zwecks Aufbaus der neuen Abteilung ans BZZ kam. Mittlerweile ist sie als Co-Abteilungsleiterin tätig und spricht mit Begeisterung über ihre Aufgabe: «Für mich war und ist dies eine spannende Arbeit. Ich habe viel Gestaltungsspielraum, kann meine Ideen und meine Haltung einbringen.» Nicht, dass man in Horgen alles neu erfinden müsse, hier herrsche eine offene Schulkultur. «Das BZZ ist noch überschaubar, es findet ein Austausch zwischen den Berufen statt. So können Lehrpersonen und Lernende aus den beiden Kompetenzbereichen voneinander profitieren.»

Für das nächste Schuljahr, wenn der dritte Lehrgang startet, sucht Monika Rossi nun noch einmal fünf bis sechs Lehrpersonen. Wie die bereits hier tätigen sollten auch sie einen gewissen Pioniergeist mitbringen. Teambildung wird in diesen ersten Jahren zudem grossgeschrieben. So unterstützen beispielsweise die Lehrpersonen, die schon das zweite Jahr am BZZ unterrichten, als Mentorinnen und Mentoren die Neuangekommenen. Das gegenseitige Kennenlernen beschränke sich aber nicht auf die eigene Abteilung, macht die Co-Leiterin klar. Gleichzeitig betont sie, dass man es ihnen am BZZ leicht mache. «Ich hatte von Anfang an das Gefühl, das man sich hier auf uns gefreut hatte.»

Auch für Rektor Patrick Heeb liegt nun, da man wieder in etwas ruhigeren Gewässern unterwegs ist, ein Hauptaugenmerk auf der Integration der «Neuen». Diese sei ebenfalls kein Selbstläufer, sondern ein Prozess, erklärt er. «Einen Teil kann sicher der Konvent leisten, es braucht aber ebenso gemeinsame Anlässe oder Weiterbildungen.» Doch nach allem, was hinter ihm und seinem Team liegt, ist er zuversichtlich, auch das zu stemmen. «Es war schon ein Hosenlupf», sagt er, «obschon wir von Anfang an hinter dem Projekt gestanden waren.» Erleichterung hätten er und die Mitglieder der Schulkommission verspürt, als alles entschieden gewesen sei. «Von dem Moment an konnten wir uns darauf einstellen und mit der eigentlichen Arbeit beginnen.» In dieser Zeit hielt das Bauprojekt seine Schule zusätzlich auf Trab. Darum stellt er heute dankbar fest: «Jetzt sind wir auf der Zielgeraden, und dass alles so gut umgesetzt werden konnte, war nur möglich, weil ganz viele Leute mitgedacht und mitgearbeitet haben.» Langweilig wird es ihm hingegen nicht. Unter anderem findet nun auch am zweiten Schulstandort des BZZ in Stäfa, wo bislang nur die kaufmännischen Berufe angeboten werden, eine Erweiterung der Berufspalette statt: Ab nächstem Sommer werden dort die ersten Fachleute Betreuung der Fachrichtung Kinder aus dem Bezirk Meilen unterrichtet.

Das Projekt «Kompetenzzentren» ist auf Kurs

Ruhig, geordnet, gut organisiert – so umschreibt der stellvertretende Amtschef im Mittelschul- und Berufsbildungsamt, Andres Meerstetter, die aktuelle Umsetzung der Kompetenzzentren. Bis März 2022 hat er das Projekt geleitet und stellt erfreut fest, dass man auf Kurs sei. Auf Beginn des Schuljahrs 2020/21 fanden die Verschiebungen erster Berufe zwischen den Schulen statt, per Schuljahr 2023/24 wird der Prozess abgeschlossen sein. Auf diesen Zeitpunkt wechseln die letzten drei Klassen – je eine 2., 3. und 4. – von Zeichnerinnen und Zeichnern EFZ, Fachrichtung Ingenieurbau, von der Berufsbildungsschule Winterthur an die Baugewerbliche Berufsschule Zürich; die neuen Lernenden werden den Unterricht von Anfang an in Zürich besuchen. Ein Grossteil der Rochaden wird jedoch ein-/auslaufend vorgenommen, das heisst, die bestehenden Jahrgänge an der alten Schule zu Ende geführt, die neuen an der abnehmenden Schule gestartet. Auch dies wird mit dem Schuljahr 2023/24 abgeschlossen sein.

Die letzte noch offene Frage betrifft die Polymechaniker EFZ mit Zusatzausbildung zum Flugzeugmechaniker an der Berufsschule Bülach (BSB), die hierfür über eine internationale Zertifizierung verfügt. Weil die Flugbranche im Zuge der Pandemie stark unter Druck geraten war, wurde der Entscheid, ob diese Ausbildung in Bülach verbleiben soll, vorerst aufgeschoben. Im aktuellen Lehrjahr wurden wieder mehr solch spezialisierte Polymechanikerinnen und -mechaniker ausgebildet. Der Bildungsrat wird im März 2023, wenn die Entwicklung für das nächste Lehrjahr absehbar ist, definitiv entscheiden, wo sie in Zukunft die Schule besuchen werden. Eine Verschiebung wäre erst auf das Schuljahr 2024/25 hin möglich. [jo]

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