ePulte Marke Eigenbau sorgen für Durchblick

Der Berufsschullehrer Christian Riedel hat für die Mechatronik Schule Winterthur Pulte mit eingebauten und untereinander verknüpften Tablets entworfen und programmiert. Das System macht es möglich, dass alle Schülerinnen und Schüler aktiv am Unterricht teilnehmen.

Text: Andreas Minder, Foto: Reto Schlatter

Die Stimmung im Schulzimmer der Mechatronik Schule Winterthur (MSW) ist aufgeräumt. Stellt der Fachlehrer Christian Riedel eine Frage, streichen die Finger der angehenden Elektronikerinnen und Elektroniker im zweiten Lehrjahr sofort über den Touchscreen des Tablets, das in die Oberfläche ihres Pults eingelassen ist. Der eine oder die andere schielt etwas nach links und rechts, um zu sehen, was der Nachbar eintippt, hier und dort wird kurz darüber diskutiert. Nach kurzer Zeit schaltet sich Riedel ein und kommentiert die eingegangenen Antworten. Er fragt nach, wie jemand auf eine Lösung gekommen ist, gibt Hinweise, welche Überlegungen zur richtigen Antwort führen könnten. Dann geht es weiter, nächste Frage.

Den Anstoss, das ePult – das noch keinen offiziellen Namen hat – zu entwickeln, gab eine Beobachtung, die viele Lehrpersonen machen: Im Unterricht melden sich immer die gleichen zwei, drei Lernenden. Ob die anderen den Stoff verstehen, ob sie überhaupt bei der Sache sind, weiss die Lehrperson nicht. Hier soll das digitale Pult der MSW Abhilfe schaffen, indem es alle Lernenden dazu motiviert, eine Antwort zu geben. Der Vorteil: Es wird unverzüglich klar, wer den Durchblick hat und wer nicht. «Das ist für uns wertvoll, weil wir sofort sehen, wenn jemand den Anschluss verliert», sagt Riedel. Aber auch die Lernenden können laufend feststellen, wo sie stehen, denn das System gibt ihnen sofort an, ob ihre Antwort richtig oder falsch ist. Dem Lehrer liefert es zudem eine Statistik über die ganze Klasse. Aus dieser geht hervor, wie viele richtige und falsche Antworten es gab. Alle Bewertungen und Statistiken lassen sich in Noten oder Prozenten angeben.

Gute Gründe zur Einbaulösung

Christian Riedel hat bei der Entwicklung des Pults darauf geachtet, dass die Lernenden der MSW dazu etwas beitragen konnten. So haben Polymechaniker Steckergehäuse designt und auf dem hauseigenen 3D-Drucker gedruckt, die perfekt auf die Beine des Pults passen. Generell war es dem Fachlehrer wichtig, die Tische so zu gestalten, dass sich Kabel und weitere Gerätschaften gut versorgen lassen. Das sieht nicht nur ordentlich aus. «Die Teile gehen auch weniger kaputt», sagt Riedel. Und nennt einen weiteren Grund, der für die Einbaulösung spricht: «Wenn die Geräte jederzeit auf dem Tisch sind, werden sie auch gebraucht. Müsste man sie immer zuerst aus dem Schrank holen und einrichten, wäre das weniger der Fall.»

Eine der zentralen Komponenten jedes Pults ist eine Leiterplatte. Riedel hat sie entwickelt. Produziert und getestet wurde die Serie anschliessend von einer Elektronikerin. Es war ihre Abschlussarbeit. Die Leiterplatte verbindet die Tablets untereinander und kann weitere Geräte ansteuern. So gehört zu jedem Pult ein kleiner Handwärmer, den die Elektroniker im ersten Ausbildungsjahr selbst bauen. Ausserdem sind ein Ventilator und ein kabelloser Handycharger angehängt. Auf dem Tablet können die Lernenden einstellen, wie schnell der Propeller drehen und wie warm die Handwärmer werden sollen. Dabei sehen sie auch, wie viel Strom die Geräte fressen.

Während die lokale Vernetzung ausgeklügelt ist, wurde ein anderes Netz bewusst abgekoppelt: Die ePulte haben keinen Zugang zum Internet, was die Ablenkungsmöglichkeiten radikal einschränkt. Die Lernenden können nicht surfen, nicht chatten, nicht gamen. Das war einer der Gründe, weshalb Riedel seine Idee nicht mit einer App für die Laptops der Lernenden umsetzen wollte. Eine Insellösung wäre so nur schwer möglich gewesen.

Zwei weibliche und zwei männliche Lernende sitzen in ihren Pulten in einem Klassenzimmer. Der Lehrer steht vor einer weissen Wandtafel und einem Bildschirm.
Im Klassenzimmer von Berufsschullehrer Christian Riedel sind alle Pulte untereinander und mit dem Bildschirm an der Wand vernetzt. So kann jederzeit und ohne Zusatzaufwand digital gearbeitet werden.

Einfach und spontan einsetzbar

Ein Trumpf des ePults ist, dass es einfach eingesetzt werden kann. Das beginnt beim Einloggen. Die Lernenden geben ihre Initialen ein und schon sieht die Lehrperson auf der Klassenzimmeransicht, wer an welchem Pult sitzt. Nun kann es losgehen. Zum Beispiel mit einer vorbereiteten Serie an Fragen, die wie ein Quiz beantwortet werden können. Die Lehrperson sieht bei jeder Aufgabe in Echtzeit, ob die Antworten der Lernenden der vorgegebenen Musterlösung entsprechen oder nicht. «Es ist sehr wertvoll, zu sehen, was die Schüler eingeben, wie oft sie korrigieren und wie schnell sie sind», erklärt Riedel. «Selbst falsche Lösungen helfen, zu erkennen, was und warum etwas noch nicht klappt.» Er könne dann mit Tipps helfen und auf Unvollständigkeiten hinweisen, noch während die Resultate eingetippt würden. «Oft genügt schon ein Blick zum Schüler.» Bei leichten Abweichungen wie Tippfehlern kann die Lehrperson die Antwort manuell als richtig akzeptieren. Wenn es sinnvoll erscheint, können falsche Antworten auch im Plenum diskutiert werden. Anhand der Statistik der Fragenserie sieht die Lehrperson am Schluss, welche Aufgaben unterdurchschnittlich gut gelöst wurden, und kann im Unterricht darauf reagieren. Auch die Schülerinnen und Schüler erhalten auf ihren Anzeigen eine ganze Reihe von Informationen. Erstens natürlich, ob ihre Antwort richtig war. Dann aber auch die korrekte Lösung und wie viele richtige und falsche Antworten es in der Klasse gab.

Ein entscheidender Vorteil des Systems, das es von anderen spielbasierten Lernplattformen unterscheidet, ist, dass es sich auch ganz spontan und ohne Vorbereitung im Unterricht einsetzen lässt. Taucht eine Frage auf, auf die die Lehrperson von allen eine Antwort möchte, muss sie nur die passende Antwortmaske aufrufen. Es gibt welche für Ja-Nein-Fragen und solche, auf denen Zahlen und Buchstaben eingegeben werden können. Dazu kommen technische Masken mit Symbolen und Einheiten, die für MINT-Banausen Hieroglyphen sind. Die Lehrperson kann jeweils die richtige Antwort vorgeben, muss aber nicht. Sie kann auch warten, bis jemand von den Lernenden die Lösung gefunden hat. Tippt die Lehrperson den Tisch des oder der Betreffenden an, wird diese Antwort zur Referenz und die Eingaben der anderen Lernenden entsprechend als richtig oder falsch gewertet.

Erfahrungen teilen

Christian Riedel hat mit der Arbeit am eTisch im März 2020 angefangen. Er erinnert sich deshalb genau daran, weil er zuerst zu kurze Kabel bestellt hatte. Wegen Corona mussten die Pulte auseinandergerückt werden. Dies bremste ihn jedoch nicht in seinem Elan. In den folgenden zwei Jahren investierte der Lehrer, der auch als Daniel Düsentrieb der MSW bezeichnet wird, viel Herzblut und unzählige Stunden Freizeit ins Planen, Zeichnen, Berechnen und vor allem ins Programmieren. Er schätzt, dass er um die 12 000 Zeilen Code in die Tasten gehauen hat. Dazu kreierte er unzählige Bilder, Symbole und ganze Zeichensätze. Nun würde er sein Werk gern auch über die Schule hinaus bekannt machen und teilen. «Es wäre spannend, mit anderen über die Erfahrungen, die sie mit dem System machen, zu diskutieren.» Erste Interessenten gibt es bereits.

Zurück ins Schulzimmer. Die Lektion ist fast vorbei. Zum Schluss stellt Riedel der Klasse die Gretchenfrage: «Wie lässig findet ihr es, mit dem digitalen Pult zu arbeiten?» Auf dem Display der Lernenden blendet er eine Umfragemaske ein. Die möglichen Antworten reichen von «schlecht» bis «ausgezeichnet». Das Feedback kommt rasch. Die grosse Mehrheit der Lernenden hat auf «ausgezeichnet» getippt.

Kaderschmiede der Berufsbildung

Die Mechatronik Schule Winterthur (MSW) ist ein Ausbildungszentrum der Stadt Winterthur für technische Berufe. Ausgebildet werden junge Leute in Automation, Elektronik und Polymechanik, alles vierjährige Lehren. Pro Jahrgang wird je eine Klasse mit 16 bis 18 Lernenden geführt. Als Lehrwerkstätte ist die MSW Berufsfachschule, Betrieb und überbetriebliches Kurszentrum in einem. Die praktische Ausbildung erfolgt in der schuleigenen Werkstatt, wo die Lernenden auch an Kundenaufträgen arbeiten.

Rund zwei Drittel der Lernenden der MSW machen die Berufsmaturität I oder II. Für den Berufsmaturitätsunterricht besuchen sie die Berufsmaturitätsschule Winterthur, die Teil der Berufsbildungsschule Winterthur ist. Die MSW ermuntert ihre Lernenden, an Berufsmeisterschaften und Wettbewerben wie Schweizer Jugend forscht teilzunehmen, und unterstützt sie dabei. Die Schule hat schon eine ganze Reihe von Schweizer-, Europa- und Weltmeistern hervorgebracht. Finanziert wird die Schule hälftig von der Stadt Winterthur und dem Kanton Zürich. Für Lernende aus Winterthur ist die Schule gratis, Lernende aus dem Kanton Zürich zahlen 1000 Franken pro Jahr. Statt eines Lehrlingslohns erhalten die Lernenden der MSW Prämien mit fixen und leistungsabhängigen Anteilen. Die MSW öffnete 1889 als Metallarbeiterschule Winterthur ihre Pforten und sollte «tüchtige und vielseitig geschulte Arbeiter» für den aufstrebenden Industriestandort heranbilden. 2014 bekam die «Metalli» ihren heutigen Namen. [ami]

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