Dem Virus im Schulhaus auf der Spur

Zum vierten Mal hat die Universität Zürich Schulkinder im Kanton auf Antikörper gegen das Coronavirus getestet. Ohne den Einsatz der Schulen wäre die Durchführung der gross angelegten Studie nicht möglich.

Text: Pascal Turin, Foto: Reto Schlatter

Der glibberig-grüne Spielschleim Slimy in Gespensterform ist bei den Jüngeren hoch im Kurs. Die Älteren müssen hingegen etwas länger nachdenken. Zur Wahl stehen Stoffsäcke, Stifte oder USB-Kabel mit verschiedenen Steckertypen. Die Entscheidung will gut überlegt sein, immerhin sind die kleinen Geschenke die Belohnung dafür, dass sich die Schülerinnen und Schüler zuvor freiwillig haben Blut nehmen lassen.

Im November und Dezember führte das Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich (UZH) die mittlerweile vierte Testphase der Studie «Ciao Corona» durch. Mithilfe von Antikörpertests wollen die Forschenden des Teams um Kinderärztin und Epidemiologin Susi Kriemler messen, wie stark sich das Virus bei Zürcher Schulkindern verbreitet hat.

Von 43 zufällig ausgewählten Primar- und Sekundarschulen im Kanton nahmen an der aktuellen Testreihe 1854 Kinder und Jugendliche von 6 bis 17 Jahren aus 288 Klassen teil. In den vorangegangenen Phasen waren gesamthaft 55 Schulen dabei. «In der angespannten Lage vor Weihnachten mussten einzelne Schulen andere Prioritäten setzen», sagt Thomas Radtke. Der Projektmitarbeiter ist trotzdem zufrieden: «Wir haben damit gerechnet, dass nicht alle Schulen an weiteren Testphasen teilnehmen können.»

Turnhalle umfunktioniert

Die Schule Wiesendangen ist bereits zum vierten Mal Teil der Studie. Und das merkt man auch. Es läuft alles wie am Schnürchen. Die Mitarbeitenden der Universität, die Schulleitung und die Lehrpersonen haben mittlerweile Routine. In der Turnhalle sind drei Teststationen aufgebaut, welche aus Festtischen bestehen, die zu Behandlungsliegen umfunktioniert wurden. Als Ablageflächen dienen Sprungkästen. Wer lieber sitzen will, darf auf einem Stuhl Platz nehmen.

Wenn alles gut läuft, dauert das Prozedere pro Kind 15 Minuten. Die Lehrpersonen bringen ihre Schülerinnen und Schüler klassenweise herein. Von einer Schülerin fehlt die Einverständniserklärung. Thomas Radtke greift zum Telefon und ruft die Eltern an. Das unterschriebene Dokument kommt kurz darauf per E-Mail. Die Stimmung ist erstaunlich ruhig, wer Kinderlachen oder lautes Geschrei erwartet, wird enttäuscht. Ob es wohl an der Aufregung liegt?

Einfühlsam nehmen die geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren hellblauen T-Shirts mit dem «Ciao Corona»-Aufdruck Blut ab. «Der Piks tat überhaupt nicht weh», sagt eine 8-jährige Schülerin stolz. Wer will, erhält knapp eine Stunde vorher ein Pflaster mit einem Gel, welches die Haut unempfindlich macht. Meistens seien es die Sekundarschülerinnen und -schüler, die sich gegenseitig hochschaukeln und nervös machen würden, verrät eine der Mitarbeiterinnen. Die Jüngeren liessen sich kaum aus der Ruhe bringen. Das bestätigt sich, als an diesem Freitagmorgen die Unter- und die Mittelstufe durch sind und die Sekundarschülerinnen und Sekundarschüler an die Reihe kommen. Es wird lauter und es sind Sprüche zu hören. Insgesamt herrscht aber eine entspannte Atmosphäre.

Einem Mädchen wird in einer Turnhalle von einem Studienmitarbeiter Blut abgenommen.
Die Tests finden in der Turnhalle der Schule Wiesendangen statt. Geschulte Mitarbeitende nehmen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrpersonen Blut ab.

Ausbreitung untersuchen

Im Gegensatz zu früheren Testphasen, als auch die Eltern getestet wurden, wird dieses Mal nur den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrpersonen Blut abgenommen. «Ciao Corona» erforscht mittels eines Langzeit-Monitorings der Antikörper-Entwicklung, wie sich das Coronavirus (Sars-CoV-2) unter Schülerinnen und Schülern ausbreitet. Gestartet wurde nach dem ersten Lockdown im Frühling 2020. Die Forschenden untersuchen unter anderem, inwiefern Schulstruktur und präventive Massnahmen die Verbreitung beeinflussen und ob nach einer Infektion ein Schutz vor einer erneuten Ansteckung besteht. Ausserdem soll herausgefunden werden, wie viele Kinder Langzeitsymptome zeigen. «Ciao Corona» ist Teil des schweizweiten Forschungsprogramms «Corona Immunitas» der Stiftung Swiss School of Public Health. Unterstützt wird das Projekt unter anderem von der UZH Foundation und von privaten Stiftungen.

«Ich finde es super, dass wir uns an der Studie beteiligen», sagt eine Drittklasslehrerin. Ähnlich klingt es von anderen Lehrpersonen. Lobend erwähnt wird der praktisch reibungslose Ablauf. In der Regel werden die teilnehmenden Klassen alle an einem Tag durchgetestet. Dafür müssen viele Zahnräder ineinandergreifen. Einerseits bedingt das Gelingen gute Vorarbeit der Studienleitung, andererseits grosser Einsatz der Schulen. «Wir müssen alle am selben Strang ziehen», resümiert Daniel Gillmann, Co-Schulleiter in Wiesendangen. Wichtig sei, frühzeitig mit den Beteiligten in Kontakt zu treten, die Eltern und die Lehrpersonen klar zu informieren und ihre Fragen kompetent zu beantworten.

Viel Überzeugungsarbeit

Die Universität Zürich stellte den Schulleitungen Infomaterial zur Verfügung, welches diese wiederum an die Eltern und Lehrpersonen weitergaben. Auf der Website www.ciao-corona.ch sind ausserdem Videos zu finden, die sich speziell an Eltern und Kinder richten. Zusätzlich wurden virtuelle Informationsabende durchgeführt. «An diesen Veranstaltungen waren auch vereinzelt kritische Stimmen zu hören», erinnert sich Epidemiologe Radtke. Kritisiert wurde etwa, weshalb die Kinder und Jugendlichen in dieser besonderen Situation noch mehr belastet werden sollten. «Man muss alle Beteiligten vom Sinn der Studie überzeugen», sagt Radtke. Auch hier hat das Studienteam mittlerweile Erfahrung. Als Wissenschafter sei man darauf getrimmt, sich erklären zu müssen. Insgesamt seien die Rückmeldungen aber mehrheitlich positiv gewesen.

Die intensive Überzeugungsarbeit ist nötig, braucht es doch die schriftliche Zustimmung der Eltern. Hinzu kommt, dass die getesteten Personen alle drei Monate Fragen zu Symptomen, Gesundheitszustand, präventivem Verhalten, Lebensstil und Lebensqualität beantworten müssen. Das bedarf eines hohen Engagements, vor allem vonseiten der Eltern. «Die Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg», ist Radtke überzeugt. Die Studienautorinnen und -autoren seien von Anfang an von allen Seiten «toll unterstützt» worden.

«Die Studie ist ein Paradebeispiel, wie eine Volksschule mit einer Universität zusammenarbeiten kann», bestätigt Gillmann. Der Schulleiter steht voll hinter «Ciao Corona»: «Wir wollten uns in den Dienst der Wissenschaft stellen und Licht ins Dunkel bringen.» Denn für die Schulen sei es wichtig zu wissen, wie die Corona-Situation wirklich aussehe, ob die getroffenen Massnahmen wirkten und wie viele Kinder an Long-Covid litten.

Die Zürcher Studie findet auch international Beachtung. So wurden die Ergebnisse in den Fachzeitschriften «The British Medical Journal» und «Journal of the American Medical Association» publiziert sowie von Medien weltweit aufgenommen. «Die Schweiz hat die Schulen weniger lange geschlossen als die meisten Länder», sagt Wissenschafter Radtke. Darum sei «Ciao Corona» eine wichtige Datenquelle für Covid-19 bei Kindern. «Wir sind alle wirklich stolz darauf, was wir erreicht haben.» Für Sommer/Herbst 2022 planen die Studienautorinnen und -autoren eine fünfte und möglicherweise letzte Testphase.

Wie stark Corona bei Kindern kursiert

Das Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich führte im November und Dezember im Kanton Zürich die vierte Testphase der Studie «Ciao Corona» durch. Die Resultate zeigen, dass 46 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen bis Dezember 2021 Antikörper gegen das neue Coronavirus gebildet haben. Unter den Nichtgeimpften haben sich im Testzeitraum mehr Sekundarschülerinnen und Sekundarschüler als Primarschülerinnen und Primarschüler angesteckt. Je nach Schule variierte die Anzahl der geimpften und genesenen Kinder und Jugendlichen pro Klasse stark. Auf der Sekundarstufe gab es Schulen, bei denen im Durchschnitt über alle Klassen 54 bis 87 Prozent genesen oder geimpft waren. In der Primarschule waren durchschnittlich 14 bis 49 Prozent der Kinder genesen (nur wenige geimpft). Die Wahrscheinlichkeit, sich erstmalig anzustecken, war im Testzeitraum bei Primarschülerinnen und Primarschülern deutlich höher als bei Sekundarschülerinnen und Sekundarschülern. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die über Long-Covid-ähnliche Symptome berichteten (mindestens ein Symptom, das länger als drei Monate anhält), war weiterhin gering und vergleichbar mit den früheren Zahlen.

Für die vierte Testphase der Studie «Ciao Corona» wurden im Kanton Zürich 1854 Kinder und Jugendliche von 6 bis 17 Jahren aus 288 Klassen und 43 Schulen getestet. [red]

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